„Little“ Steven Van Zandt (67) ist der beste Kumpel von Bruce Springsteen, Teil von dessen legendärer E STREET BAND, wirkte in der Kult-TV-Serie „Sopranos“ und zuletzt in „Lilyhammer“ mit, hat mit Wicked Cool Records ein eigenes Label – und tourte jüngst mit seiner eigenen Band THE DISCIPLES OF SOUL und dem Album „Soulfire“ um die Welt. Wenn man dann die Gelegenheit bekommt, mit dem US-Amerikaner zu sprechen, muss man sie ergreifen. Bei dem Gespräch in einem Amsterdamer Hotel während seiner Tour ging es um alles: Kunst, die Ursprünge des Rock’n’Roll und Politik.
Steven, dein aktuelles Album „Soulfire“ enthält zwölf Songs. Vier davon sind über fünf Minuten lang. Nun hat die Jugend von heute laut einer Studie aus England eine Aufmerksamkeitsspanne von acht Sekunden – weniger als ein Goldfisch. Da stellt sich doch die Frage: Willst du mit deiner Musik überhaupt noch junge Menschen erreichen?
Nein. Es geht mir nicht darum, jemanden bestimmten zu erreichen. Ich bin nur an einer Sache interessiert ... an Großartigkeit. Ich suche sie überall. Ich jage sie. Ich versuche, sie voranzubringen, wenn ich sie finde. Ich limitiere meine Ideen niemals, indem ich eine bestimmte Gruppe von Hörern erreichen will. Ich würde niemals Kompromisse eingehen, um irgendjemanden glücklich zu machen. Anders gesagt: Ich habe nicht die Absicht, meine künstlerischen Standards auf eine Aufmerksamkeitsspanne von acht Sekunden zu senken. Denn was kann man in acht Sekunden schon vermitteln und kommunizieren?
Sind die heutigen Kinder, also die Musik hörenden Erwachsenen der Zukunft, in dieser Welt verloren?
Nein. Jedes Kind, das heutzutage die Musik im Radio hört, und dort läuft nur Müll, wird aufwachsen und irgendwann an den Punkt kommen, an dem es etwas Substanzielles im Leben haben möchte. Das ist der Grund, warum bislang noch jede Generation ihre BEATLES, ROLLING STONES oder DOORS entdeckt hat.
In welchem Moment hat denn Steven van Zandt die Musik als wichtigste Sache der Welt für sich entdeckt?
Ganz früher hörte ich Musik vor allem in Form von Singles. Ich verband die Stücke noch nicht wirklich mit den Namen der Künstler, die auf den Covern standen. Aber als ich dann einen Song namens „Pretty little angel’s eyes“ von Curtis Lee hörte, hatte ich eine Art Erweckungserlebnis. Das war ein Gefühl von Ekstase, das da über mich kam – zum ersten Mal. Später dann sangen die BEATLES in der Ed Sullivan Show. Das veränderte mein Leben einmal mehr. Genauso wie der Moment in den frühen 70ern, als ich SAM & DAVE live sah. Oder die ROLLING STONES im TV. Insgesamt gab es vielleicht ein halbes Dutzend solcher Erlebnisse, die mich geprägt haben.
Wer war denn besser: BEATLES oder Stones?
Als die BEATLES kamen, zeigten sie einem eine neue Welt, die faszinierend war, und in die man unbedingt hinein wollte. Nur konnte sich niemand vorstellen, wie das funktionieren sollte. Sie waren einfach zu perfekt! Die Harmonien waren perfekt. Ihre Frisuren waren perfekt. Ein paar Monate später kamen dann die Stones. Und die ließen einen rein. Sie hatten keine Harmonien. Ihre Frisuren waren ein wildes Durcheinander. Und sie trugen wüste Klamotten. Was aber noch wichtiger war: Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich mit Mick Jagger jemanden aus dem Showgeschäft, der nicht lächelte. Das hat mich tief beeindruckt. Denn: Das war plötzlich kein Business mehr. Das interessiert einen Heranwachsenden nicht. Das ist eine weit entfernte Welt. Nein: Das war ein Lebensstil!
Waren die 60er Jahre die bessere Zeit im Gegensatz zu heute?
Die 60er waren zumindest eine Dekade, in der die Zeit viel, viel schneller war in dem Sinne, dass mehr Substanzielles in kurzer Zeit passierte. Die BEATLES gingen von „Twist and shout“ über zu „Sergeant Pepper“ in nicht mal fünf Jahren. Sie veröffentlichten alle paar Wochen eine neue fantastische Single. In jedem Jahr zwei wunderbare Alben. Und es kamen unablässig weitere großartige Bands und Künstler hinzu: THE KINKS, THE ANIMALS, THE WHO, THE HOLLIES, Hendrix, Dylan ... Boom! Boom! Boom! Und die Trends kamen und gingen und betrafen alle: 1964 gab es die British Invasion – und jeder machte mit. 1965 kam der Folkrock auf – und jeder hörte Folkrock. 1966 war Country-Rock das Ding – und jeder spielte in einer Countryrock-Band. 1967 war es Psychedelic – und jeder fuhr darauf ab. 1968 war Hardrock der heiße Scheiß – und jeder war plötzlich Hardrocker! Es ging Schlag auf Schlag. Heutzutage dagegen geht vieles aufgrund der Technologie zwar schneller, aber es passiert nichts Substanzielles mehr. Es dauert nun einmal, Kunst zu schaffen. Aber wir haben diese Zeit nicht mehr. Wir kreieren ein großes Nichts – und Updates.
Wird Rock’n’Roll irgendwann sterben?
Nein. Das wird nicht passieren. Er ist tot im Mainstream. Aber es gibt doch noch immer die alte Qualität. Und der Stoff, den man studieren kann, und die Musik, die es zu entdecken und wiederzuentdecken gilt, wird noch Hunderte von Jahren abdecken. Es wird nur so sein, dass man Rock’n’Roll irgendwann in die Zeit vor den Sixties und die Zeit nach den Sixties einteilen wird. Aber nicht nur den Rock’n’Roll! Denn die 60er waren in jeder Hinsicht ein Wendepunkt. In den 60ern entwickelte sich die heutige Popmusik. Die Massenmedien entstanden. Bürgerrechte kamen auf. Frauenrechte. Rechte für Homosexuelle. Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten wurde die Regierung hinterfragt. Die 60er waren die Geburtsstunde eines völlig neuen Bewusstseins der Menschen – vor allem in den USA.
Wie lautet der Plan zur Rock-Rettung?
Man muss ihn wieder zu dem machen, was er einst war: ein Kult. Und dazu müssen wir die Infrastruktur wieder aufbauen, sprich: Künstlern fernab des Mainstreams helfen, von ihrer Musik zu leben. Ehemals wichtige Fernsehformate, wie etwa der deutsche „Rockpalast“, die Rockmusik verbreitet haben, existieren nicht mehr. Da muss man ansetzen.
Zum Beispiel mit einer Sendung wie deinem „Garage Rock Radio“ oder deinem Online-Unterrichtsprogramm „Teach Rock“.
Genau. Seit 20 Jahren widme ich mit diesem Radioprogramm einen großen Teil meiner Zeit dem Versuch, Menschen die beste Musik zu geben, die existiert. Alte Musik wie von den BEATLES und den Stones. Und neue Musik. Bei „Teach Rock“ wiederum stellen wir über 100 Unterrichtsinhalte für alle Schulformen zur Verfügung, die sich mit sämtlichen Aspekten populärer Musik auseinandersetzen und dank des Internets für alle Lehrer und Schüler jederzeit greifbar sind. Mein Ziel ist es, dass irgendwann jedes Kind weiß, wie die vier BEATLES heißen! Das wäre ein Anfang.
Kriegt man denn die Leute auf diese Weise?
Warum nicht? Ich bin doch selbst das beste Beispiel: 80 Prozent meiner Zuhörer haben, wenn sie zu einem meiner Konzerte gehen, noch nie einen Song von mir gehört. Ich bin quasi der einzige Künstler dieser Welt, der tourt, ohne je einen Hit gehabt zu haben. Aber ich habe bislang noch jeden einzelnen Menschen für mich gewinnen können. Denn ich gebe den Leuten einfach einen Song nach dem anderen, spiele ihn mit der Band bestmöglich und lasse ihn wirken. Und am Ende gibt es jedes Mal großen Applaus. Es geht einfach nur um die Musik. Um die Musik, die man den Leuten vorstellt.
Zuletzt warst du zum ersten Mal seit über 20 Jahren wieder mit eigener Musik auf Tour.
Ja. Und glaub mir: Das ist ein Abenteuer. Zumal es dieses Mal um das größere Ganze geht.
Was ist denn das „größere Ganze“?
Es geht heutzutage nicht um einzelne politische Anlässe ...
... wie in den 80ern, als du gegen die Apartheid in Südafrika vorgingst?
Genau. Das war so ein konkreter Anlass, für den ich Musiker zusammentrommelte. Heute aber geht es um Grundsätzliches. Es geht erst einmal darum, überhaupt Gemeinsamkeit zu finden. Eine Einheit zu erzeugen. Und zwar durch Musik. Denn zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, dass wir auf dieser Welt in jeder Hinsicht in die falsche Richtung rennen: Rückwärts. Wir haben erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg den Weg verloren. Mit den internationalen Handelsabkommen, mit Zusammenschlüssen wie der EU, mit Umweltschutzvereinbarungen oder dem Ende des Kalten Krieges waren wir auf einem guten Weg gewesen, diese Welt zu einen. Und jetzt? Reden wir wieder über den Bau von Mauern. Über das Aufkündigen von Vereinbarungen. Über das Ende der EU. Über Extremismus. Ganz ehrlich: Wow! Ich sehe da eine wirklich dunkle Wolke auf uns heruntersinken. Wie in einem Science-Fiction-Film. Wie in „Star Wars“, wenn die Bösen auf die Guten losgehen.
Und Präsident Donald Trump geht vorneweg?
Ach, Trump macht mir da am wenigsten Sorgen. Er wird nicht lange im Amt bleiben. Da wartet schon eine Menschenschlange, die einmal um den Block reicht, um diesem Typen eins überzubraten. Nein. Viel schlimmer als er ist etwas Anderes: Religiöser Extremismus, der sich mit Nationalismus verbindet. Das ist die schlimmste Kombination, die es geben kann. Und zwar überall. Nicht nur im Nahen Osten, sondern auch bei uns. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: In den USA sehen wir einem neuen Bürgerkrieg ins Auge. Und deshalb müssen wir, ehe wir irgendein konkretes politisches Problem angehen, die Menschen erst einmal wachrütteln. Wir müssen ihnen zeigen, dass religiöser Extremismus nicht nur eine Gefahr ist, die von außerhalb kommt, wie jeder denkt. Sondern eine Gefahr, die gleich vor der Haustüre lauert. Wir haben ja mit Mike Pence den Anführer der religiösen Extremisten, der Evangelikalen, als Vizepräsidenten. Er fordert unter anderem, dass sich Homosexuelle einer Therapie unterziehen. Ich sage dir: Diese kranken, verdammten Typen vom Islamischen Staat sind kleine Lichter gegenüber denen, die in unserem eigenen Land ihre Überzeugungen verbreiten. Die christlichen Fundamentalisten wollen ihre Ansichten zum Gesetz machen. Sie sind nur noch einen einzigen Akt der Gewalt davon entfernt, zur neuen Taliban zu werden. Und sie sind wiederum alle Teil der Republikaner. Einer von nur zwei Parteien in unserem Land, wie ja jeder weiß. Und Republikaner glauben nicht an Gleichheit. Weder für Frauen noch für Homosexuelle. Für gar keinen. Das ist absolut gegen jeden amerikanischen Gedanken. Und es ist eben diesem christlichen Fundamentalismus geschuldet.
Noch einmal zurück zu deiner Bemerkung, du seist der einzige Musiker, der ohne Hit tourt. Ist das nicht ein bisschen Understatement – immerhin hast du als Musiker in der E-Street-Band, als Schauspieler und Produzent von Serien wie „Sopranos“ und „Lilyhammer“ die Popkultur geprägt?
Das mag sein. Aber genau darum geht es ja auch: Die meisten Leute kommen zu meinen Konzerten, weil sie mich wegen der „Sopranos“ kennen. Oder wegen Springsteen. Aber sie kennen mich nicht wirklich als Solo-Künstler.
Ärgert dich das?
Nein. Das ist okay. Solange die Leute überhaupt zur Show kommen. Denn vielleicht gehen Sie dann mit ganz neuen Eindrücken nach Hause. Das wäre viel wert.
Das klingt wiederum jetzt ein wenig zu entspannt.
Nun ja, ich hoffe natürlich schon darauf, dass im Laufe der Zeit immer mehr Menschen meine Konzerte besuchen. Auch weil ich seit jeher versuche, mit meinen Projekten irgendwie die Gewinnzone zu erreichen. Das ist quasi mein lebenslanges Ziel. Mein Schicksal, haha.
Klingt da Selbstmitleid durch?
Nein. Es ist, wie es ist. Ich darf ja auch nicht vergessen: Ich selber habe meine Arbeit als Solokünstler seinerzeit, vor über 20 Jahren, liegen gelassen und mich anderen Dingen zugewendet. Ich habe es mir also selber zuzuschreiben. Das, was die Sache wirklich schwer macht, ist die stete Suche nach Geldgebern.
Hast du denn nicht genug Geld verdient, um deine eigenen Pläne finanzieren zu können?
Nun ja: Wenn ich mit den DISCIPLES OF SOUL unterwegs bin, dann bin ich unterwegs mit einer Band, die aus 15 Musikern besteht. Mit Crew sind es über 30. Ich biete eine Arena-Show in Clubs. Die ist ihr Geld wert. Aber sie kostet eben. Und der Haken ist: Die Verträge mit meinen aktuellen Sponsoren laufen nur bis Ende 2017. Danach ist es offen, wie es weitergeht. Und das ist ein mieses Gefühl: Du bist motiviert. Du bist bereit. Du hast Ideen. Aber du hast keine Ahnung, ob und wie du das alles umsetzen sollst.
Ist Steven Van Zandt ein rastloser Mensch?
Ja, irgendwie schon. Ich wünschte sogar, ich hätte noch mehr Output! Ich habe noch Projektideen im Kopf, die für zwei Leben reichen würden. Ich habe beispielsweise seit fünf Jahren nichts mehr in Sachen Film und Fernsehen gemacht. Das ist viel zu lang! Das müsste ich ändern – und habe auch mindestens vier fertige Skripts in der Schublade. Aber ich weiß leider auch, dass ich nicht mehr alle Ideen werde umsetzen können.
Wann wurdest du angesichts dieser Rastlosigkeit denn zuletzt hektisch und wütend gegenüber den Menschen, mit denen du zusammenarbeitest?
Ich werde nicht hektisch. Ich versuche stets, solche Dramen zu vermeiden. Aber: Ich bin sehr fordernd und stelle hohe Anforderungen, weil ich immer das Bestmögliche abliefern will. Daher versuche ich immer, die besten Leute zu bekommen, um meine Projekte zu verwirklichen. Und die sind teuer ... Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären. Bei der Frustration meines Lebens. Dem Geld, haha. Ich hasse es, die Leute deswegen anzuhauen. Ich hasse es, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und auf Sponsorensuche zu gehen. Es wäre toll, wenn ich dafür einen Geschäftsführer hätte. Habe ich aber nicht. Es ist der Fehler meines Lebens. Es bleibt alles an mir hängen. Ich zahle die Zeche dafür. Jeden Tag.
Diese Ehrlichkeit ehrt dich. Indes dürfest es dich nicht wundern, wenn Außenstehende denken: „Der Kerl müsste doch genug Geld haben!“
Natürlich. Und ich verdiene sicherlich auch viel Geld. Aber ich gebe es eben auch gleich wieder aus für meine Projekte. Ein Beispiel dafür ist meine eigentlich für 2016 geplante Broadway-Show „Piece Of My Heart: The Bert Berns Story“, in der es um den in den 60er Jahren sehr erfolgreichen Verfasser von Songs wie „Twist and shout“ gehen sollte. Dafür fand ich als Produzent keinen Geldgeber. Also habe ich die Produktion aus eigener Tasche gezahlt. Und plötzlich vermasselte es der verdammte Idiot von Leadsänger, weil er sah, dass er nicht mit einem Riesen-Plus aus der Sache herausgehen würde. Wir sprechen hier von ein paar Millionen, die ich in den Sand gesetzt habe. Aber das ist nichts Neues für mich. Ich bin so gut wie jedes Jahr pleite, haha.
Dann musst du ein großer Idealist sein!
Ja. Aber ich wuchs eben auch zu einer Zeit auf, als großartige Kunst extrem kommerziell und stets erfolgreich war. Und ich glaube noch immer daran, dass dem so ist – auch wenn ich eigentlich sehe, dass nicht mehr genug Platz für große Kunst auf dieser Welt zu sein scheint. Ich wache jeden Tag auf mit dem Gedanken: „Heute erschaffst du etwas Großartiges! Und es wird sich großartig verkaufen! Und wenn es nicht klappt, dann gehst du eben zum nächsten Projekt weiter!“ Ich habe die Dinge, die ich machte, nie nach ihrem kommerziellen Erfolg bewertet.
Selbstbewusst bist du also obendrein.
Ja. Ich kann von mir guten Gewissens behaupten, dass ich noch niemals etwas halbherzig getan habe oder so, dass ich nicht vollkommen vom künstlerischen Gehalt überzeugt gewesen wäre. Ich bin auf alles, was ich erschaffen habe, sehr stolz.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #136 Februar/März 2018 und Frank Weiffen