Oh heilige Musikerinzucht von Omaha, Nebraska: STATISTICS ist ein weiteres Projekt von Denver Dalley, der sonst mit Saddle Creek- und BRIGHT EYES-Boss Conor Oberst Teil von DESAPARECIDOS war/ist. Als STATISTICS veröffentlichte Dalley erst eine EP und dann Ende letzten Jahres das Album (ebenfalls auf Jade Tree), das im Vergleich zur EP zwar gitarrenlastiger und weniger elektronisch ausgefallen ist, als ich vermutet hatte, was aber den Reiz keineswegs schmälert. Mit dem Opener „Sing a song“ wartet „Leave Your Name“ sogar mit einer veritablen Indierock-Hymne auf, begeistern STATISTICS durch grandiosen, eingängigen, sanften und zugleich auch treibenden Indierock, der das Zeug dazu hat, die Größe von ELLIOTT, PROMISE RING und JETS TO BRAZIL zu erreichen, mit einem Wechsel aus eingängigen Songs und experimentelleren Kompositionen, wie auch äußerst bedächtigen Songs, etwa dem unglaublich einlullenden „2 a.m.“. Ich mailte Denver ein paar Fragen.
Die Frage hast du wahrscheinlich schon häufiger gehört: Hast du einen Abschluss in Statistik? Ich hab das früher an der Uni immer gehasst ...
„Nein, ich hab noch nicht mal einen Kurs darin belegt. Vielleicht ist das der Grund, warum mich das so fasziniert. Man könnte auch sagen, ‚Je weniger du etwas verstehst, desto mehr zieht es dich an.‘“
Womit beschäftigen sich denn deine STATISTICS?
„Für mich bedeutet der Name einfach unbegrenzte Interpretationsmöglichkeiten für jeden, der ihn hört. Der eine assoziiert damit vielleicht die dramatische Zahl an Verkehrstoten, für den nächsten sind es möglicherweise faszinierende Statistiken über den menschlichen Körper. Außerdem ist es meiner Meinung nach verblüffend, dass wir alle Teil von Statistiken sind, und das gleich in mehrfacher Ausführung.“
Wer bist du? Wie alt bist du, und was war deine erste Platte, die man als Punk bezeichnen kann?
„Ich heiße Denver Dalley und bin 22. Ich lebe immer noch in Omaha, Nebraska, wo ich auch aufgewachsen bin, habe aber zwischendurch einige Zeit in Tennessee verbracht. Ich wurde mit Musik von den BEATLES, den PIXIES, THEY MIGHT BE GIANTS und NIRVANA groß. Ich habe keine Ahnung, was Punk ist. Vielleicht am ehesten dieser DIY-Gedanke. Kann sein, dass die SEX PISTOLS Punk sind, aber vielleicht auch BLINK 182.“
Die EP und das Album auf Jade Tree sind sehr unterschiedlich, und ich scheine der Einzige zu sein, der sie beide mag. Es hat den Anschein, die meisten Leuten mögen entweder die EP oder das Album.
„Es ist schon eine Ehre, dass sie eines davon mögen. Um genau zu sein, ist es sogar eine Ehre, wenn sie es nicht mögen. Egal, ob jemand meine Musik mag, liebt oder hasst, es ist schon großartig, dass sie sich die Zeit genommen haben, sie anzuhören und sogar etwas dabei zu fühlen.“
EP und Album zeichnen sich durch eine Vielzahl unterschiedlichster Einflüsse aus: „Sing A Song“ hat einen leichten NIRVANA-Touch, die EP erinnert hingegen eher an THE FAINT, JESUS & MARY CHAIN und NEW ORDER. Das Album ist darüber hinaus eine intensive Mischung aus weichem, warmem Indie-Pop und 80er Goth/Wave-Rock. Bitte kommentiere das doch mal ...
„Ich liebe all diese Sachen, und ich liebe die Tatsache, dass wir beide diese Bands schon seit Jahren kennen und nostalgisch werden, oder einen Zusammenhang in der Musik erkennen, auch wenn die Musik sich nicht unbedingt genau wie die der gerade erwähnten Bands anhört.“
Auch im Infoblatt zu deinem Album fällt das Wort „Nostalgie“. Wie stehst du dem gegenüber? Momentan ist die Musikszene ja voll von dieser ganzen 80er-Nostalgie, und ich bin mir nicht ganz sicher, ob diese Entwicklung wirklich so positiv ist.
„Wenn überhaupt, dann blicke ich doch eher nostalgisch auf diese Zeit meines Lebens zurück. Ich meine, diese Unschuld und mehr darüber wissen zu wollen, wie die Dinge funktionieren. Daher habe ich versucht, dies auch in meiner Musik bildhaft darzustellen. Es ist wie in dem Film ‚Donnie Darko‘ – dort dienen auch die Schauplätze und Kostüme, genau wie die Musik dazu, einen in diese Zeit seines Lebens zurückzuversetzen.“
Wie kommt es, dass du trotz deines Kontaktes zu Saddle Creek bei Jade Tree unterschrieben hast?
„Ich wollte mit noch mehr Leuten zusammenarbeiten und etwas Eigenes entwickeln. Es war ein neues Projekt, und ich wollte eine gewisse Distanz zu den Sachen schaffen, die ich mit DESAPARECIDOS gemacht habe. Ich liebe diese beiden Labels und kann kaum glauben, dass ich jetzt sogar mit beiden arbeite.“
Wie geht es jetzt eigentlich weiter mit DESAPARECIDOS? Wo liegen deine Prioritäten?
„Die Band liegt momentan auf Eis. Wir würden alle gerne bald mal wieder daran arbeiten, aber offensichtlich ist die Zeit gerade denkbar ungünstig dafür.“
Was inspiriert dich, wenn du Musik spielst oder komponierst – musikalisch wie auch anderweitig?
„Am meisten inspiriert es mich, andere Musik zu hören, zu hören, was andere mit und aus Musik machen, wie sie Musik interpretieren. Ich ziehe meine Inspiration aus beinahe jedem Musikgenre, das es da draußen gibt. Ich bin auch sehr stark inspiriert von Filmen und der Schnittstelle von Film und Musik. Ich würde auch in Zukunft gerne Filmmusik machen.“
Spielt es eigentlich eine Rolle, dass du in Omaha lebst und deine Musik dort aufnimmst?
„Ja, das mag schon sein. Es kann recht einsam werden in Omaha. Im Winter ist man häufig dazu gezwungen, im Haus zu bleiben. Es ist natürlich großartig, hier so viele Freunde zu haben, die auch Musik machen, aber letztendlich ist es doch eine persönliche Sache.“
Ist STATISTICS eine Art „Egoprojekt“, oder warum hast du alles so gut wie im Alleingang aufgenommen?
„Ich nehme an, das kann man so ausdrücken, aber im Grunde wollte ich nur nicht ständig auf andere Leute warten müssen. Ich wollte nicht von anderen am Fortschreiten des Projekts gehindert werden, wollte nicht warten, bis andere Leute zum Schreiben oder Spielen zur Verfügung stehen. Ich wollte sicher gehen, dass niemand seinen Job verliert, weil er aufnehmen oder touren muss.“
Wer ist außer dir denn sonst noch mit auf Tour? Was haben die vorher so gemacht, bzw. was machen sie parallel zu den STATISTICS noch?
„Zum einen ist da Matt Baum am Schlagzeug, der mit mir auch bei DESAPARECIDOS gespielt hat und dann noch Ryan Fox, der normalerweise bei THE GOOD LIFE spielt.“
Gibt es in deinen Texten ein wiederkehrendes Thema, das du selbst
erkennen kannst?
„Letztendlich überlasse ich es dem Zuhörer, was er daraus macht. Es gibt zwar einige grob fassbare Themen und Bilder, die immer wiederkehren, aber ich singe eigentlich immer von persönlichen Dingen, wobei ich versuche, einen möglichst großen Interpretationsspielraum zuzulassen.“
Wann werdet ihr auf Europatour gehen?
„So schnell wie möglich. Ich hatte gehofft, es würde schon im Mai oder Juni klappen, aber leider habe ich momentan noch einige Schwierigkeiten, einen geeigneten Booker dort zu finden. Ich hoffe, dass wir das Problem bald in den Griff bekommen.“
Wie war bzw. ist deine aktuelle US-Tour, und wie hat man dort auf das Album reagiert?
„Die Tour war absolut fantastisch. Wir waren neun Wochen unterwegs und haben noch eine weitere Woche vor uns. Das Publikum war immer großartig, keiner von uns ist auf der Tour krank geworden, und wir hatten auch keinerlei Ärger mit dem Tourbus – ich will‘s mal nicht zu laut sagen, sonst passiert so kurz vor Ende doch noch was.“
Was magst du, was hasst du?
„Veränderung.“
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