SPRINTS

Foto© by Niamh Barry

Traurigkeit und Wut

Im United Kingdom sind SPRINTS mit ihrem Post-Punk in aller Munde. Sie kommen aber wie FONTAINES D.C., SILVERBACKS oder THE MURDER CAPITAL aus Dublin und machen diesen Post-Punk-Sound, der für die irische Hauptstadt fast schon zu einem Trademark geworden ist. Britische Zeitschriften wie NME oder The Guardian überschlagen sich mit Lob, auf Radio 1 und BBC 6 Music bekommt das Quartett massives Airplay. Und der Rest von Europa? Runzelt noch die Stirn, wenn der Name SPRINTS fällt. Das soll sich mit dem Debütalbum „Letter To Self“ ändern, das Anfang 2024 bei City Slang erscheint. Sängerin und Gitarristin Karla Chubb erzählt uns, wie viel sie in den Songs von SPRINTS von sich selbst preisgibt.

Wie hat das angefangen mit SPRINTS vor vier Jahren und welche Rolle haben SAVAGES dabei gespielt?

Colm, Jack und Sam sind alle auf die gleiche Schule gegangen und sind schon Freunde, seit sie neun oder zehn Jahre alt sind. Ich habe die drei erst in meinen Zwanzigern über gemeinsame Kumpels kennen gelernt. Musik habe ich schon immer geliebt, damals habe ich Akustikgitarre gespielt und Singer/Songwriter-Zeug geschrieben. Aber insgeheim wollte ich Punk und Rock’n’Roll machen, kannte aber niemanden, der mit mir Lärm machen will. Das hat sich mit Jack und Colm schlagartig geändert. Am Anfang haben wir es aber noch nicht so richtig ernst genommen. Irgendwann waren wir dann gemeinsam bei einem Konzert von SAVAGES und haben festgestellt: Das ist die Musik, die wir lieben! So wollen wir performen! Ich war völlig fasziniert von Jehnny Beth. So viel Selbstvertrauen und Charisma wollte ich auch auf der Bühne haben. Irgendwie hat sich bei uns in diesem Moment ein Schalter umgelegt und wir haben SPRINTS viel ernster genommen. Ich habe diese Aggression auf der Bühne gesehen, die nicht negativ oder destruktiv ist. Ich habe das eher als ermutigend empfunden. Eine Frauenband mit so kraftvoller Musik in einer Umgebung zu erleben, die sonst von Männern dominiert wird, war sehr inspirierend für mich. Bis zu dieser Show war ich nicht mal ein großer Fan von SAVAGES. Jack und meine Freundin haben mich hingeschleppt und seitdem finde ich die super. Ich wollte diese Gefühle und diese Ehrlichkeit übernehmen und Songs mit so einer Bestimmung schreiben, wie das Jehnny Beth macht. Wenn die das kann, kann ich das auch.

Habt ihr vorher schon in Bands gespielt? Oder war das für euch alle die erste?
Ich war mit Jack und Colm vorher schon in einer anderen Band, aber SPRINTS ist für uns alle die erste Band, die richtig gut funktioniert. Musik war bei uns allen schon ein bedeutender Teil im Leben. Aber mit SPRINTS haben wir zum ersten Mal eine echte Option, unsere Leidenschaft zum Beruf zu machen.

Ich habe gelesen, dass du einen Teil deiner Kindheit in Deutschland verbracht hast. Stimmt das?
Ich bin in Düsseldorf aufgewachsen. Ich war dort im Kindergarten und habe fünf Jahre lang dort gelebt. [Spricht auf Deutsch:] Ich kann also ein bisschen reden, aber meine Grammatik ist sehr scheiße. Haha. [Weiter auf Englisch:] Es fühlt sich richtig gut an, dass wir bei City Slang unterschrieben haben. Deutschland war immer Teil meines Lebens. Ich bin zweisprachig aufgewachsen. In der Schule habe ich Deutsch geredet und zuhause nur Englisch. Zwanzig Jahre später einen Vertrag bei einer Plattenfirma in Berlin zu unterschreiben, fühlt sich für mich wie ein Wink des Schicksals an. Als ob alles plötzlich auf eine seltsame Weise zusammenpasst. Es gibt nicht viele Menschen in Irland, die so eine Verbindung zu Deutschland haben. Ich habe dann angefangen, deutsche Serien auf Netflix zu schauen, und dabei die Untertitel eingeschaltet, um meine Erinnerungen an die Sprache zurückzuholen. Außerdem habe ich mir auch ein paar deutsche Bücher gekauft, um den Sprachfluss zurückzubekommen. Das fühlt sich alles sehr gut an.

„Sadness or anger, but make it danceable“ – so hast du eure Musik mal beschrieben. Ist das euer Motto?
Das habe ich nur einmal in einem Interview gesagt, aber das trifft es ganz gut. Die einzige Verpflichtung, die wir haben, ist ehrlich und authentisch zu sein. Deshalb sind meine Texte autobiografisch. Ich erzähle von meinen Erfahrungen und von Situationen, die ich erlebt habe. Man kann mir bestimmt nicht vorwerfen, dass ich nicht ehrlich wäre. Das ist das Schild, das ich verwende, um mich als Frau im Musikbusiness zu schützen. Denn es gibt viele Dinge, für die ich kritisiert werde: meine Performance oder dass ich zu laut bin. Aber niemand kann behaupten, dass meine Texte nicht echt sind. Außerdem haben wir beschlossen, Heavy Music zu schreiben und zu schauen, wie weit wir damit kommen. Musik, die sich tief in deinen Brustkorb bohrt. Und gleichzeitig wollen wir natürlich, dass die Leute Spaß haben bei unseren Konzerten.

Seht ihr euch selbst als Punkband?
Ich denke, es gibt eine Menge Leute, für die wir keine Punkband sind. Aber als wir angefangen haben, passte dieses Label sehr gut, finde ich. Denn viele unserer Songs waren sehr sozialkritisch. Bei Punk geht es in meinen Augen darum, Normen zu brechen, sich gegen Unterdrückung zu wehren und ein authentisches Leben zu führen. Was das betrifft, sind wir sehr Punk. Aber wir haben noch viel mehr Einflüsse in unserer Musik. Mit Bands wie NOFX oder ALKALINE TRIO hat unser Sound nicht viel gemeinsam. Wir haben viele Elemente aus den Neunzigern wie Grunge oder Noise in unserer Musik. Künstlerinnen wie PJ Harvey oder Courtney Love sind wichtig für uns. Aber auch Bands wie PIXIES, RADIOHEAD oder SONIC YOUTH.

Lass uns über die Inhalte der Texte reden. Vielleicht kannst du sie mir ein bisschen erklären, zum Beispiel den vom Song „Adore adore adore“.
Nach unserem Auftritt beim Eurosonic Festival in Groningen haben wir eine richtig schlechte Besprechung von einem Journalisten bekommen. Das war ganz und gar nicht nett. Diese Bewertung hat meine Erfahrungen im Musikbusiness auf den Punkt gebracht. Dass Jungs auf der Bühne saufen, schlechte Witze machen, ungepflegt aussehen und auch mal Songs verkacken dürfen, betrachten alle als Teil des Rock’n’Roll-Erlebnisses. Aber wenn das Frauen machen, wird es gleich als unprofessionell abgestempelt, weil sie ihre Rolle erfüllen müssen. Ich habe bei der Show ein Bier aus dem Publikum bekommen und habe mich beim Trinken vollgeschüttet, dafür wurde ich hart kritisiert. Außerdem hagelte es im Netz sarkastische Kommentare über Jokes, die ich auf der Bühne gemacht habe. Über die Jungs in der Band hat keiner auch nur ein schlechtes Wort verloren. Dieses Erlebnis greife ich in diesem Song auf, weil mich das lange belastet hat.

Mit „Literary mind“ gibt es auch ein Liebeslied.
Als ich meine Partnerin getroffen habe, habe ich mich sehr schnell verliebt und realisiert, dass ich queer bin. Ich hatte immer Probleme damit zu akzeptieren, dass ich nicht hetero bin. Es hat mich viel Zeit gekostet, das zu akzeptieren. In dem Song geht es um den inneren Kampf, den man mit sich ausficht, um die Realität zu akzeptieren. Man will die positiven Emotionen hereinlassen, aber ein Teil von einem sagt, dass es falsch ist. Deshalb hatte ich lange das Gefühl, dass ich eine gespaltene Persönlichkeit bin. In „Literary mind“ geht es darum, loszulassen und sich zu verlieben.

Mit „Cathedral“ habt ihr auch einen Song über die katholische Kirche. Das ist ein großes Thema in Irland.
Keiner von uns in der Band ist religiös und der Einfluss der Kirche schwindet in Irland gerade in Rekordzeit. Es gibt aktuell große Fortschritte, was die gleichgeschlechtliche Ehe, Gleichberechtigung für Frauen oder das Recht auf Abtreibung betrifft. In dem Song geht es darum, dass man mit allem brechen muss, was man in seiner Kindheit in Irland gelernt hat. Man muss sein Gehirn völlig neu programmieren und sich auf eine neue Normalität einstellen. Es geht darum, seinen Bewertungskatalog, der von der katholischen Kirche maßgeblich beeinflusst wurde, neu zu justieren. Damit man beurteilen kann, was wirklich richtig und falsch ist.

Eine Frau, die schon vor Jahrzehnten gegen die Moralvorstellungen der Kirche rebelliert hat, ist Sinead O’Connor, die Ende Juli 2023 gestorben ist. Was hat sie dir bedeutet?
Ihr Tod hat jeden in Irland erschüttert. Sinead wurde zu Lebzeiten nie genug gewürdigt. Sie war ihrer Zeit immer voraus. All die Dinge, die sie in ihren Songs angeprangert hat, haben sich inzwischen verändert. Es ist so traurig, dass sie das nicht mehr erleben kann. Sie hat ihre Karriere für ihre Einstellung geopfert und wurde extrem hart kritisiert. Für mich ist sie eine Heilige.