Lange galt das Genre Emo-Punk als ziemlich verpönt, denn es entwickelte sich – ausgehend von großartigen Bands aus dem Punk- und Hardcore-Sektor der Neunziger Jahre – hin zu einem mitunter grotesken, stark kommerzialisierten Lifestyle, der leider nur noch wenig mit seinen Ursprüngen gemein hatte. Heute ist das zum Glück wieder anders, wie uns SOULSCRAPER aus dem Rhein-Neckar-Delta nachdrücklich beweisen. Das Quartett liefert mit seinem neuen Album „Elegant Knives“ ein echtes Highlight für Fans des melancholischen Indie-Punkrock. Im Interview geben uns Wolle (gs, gt), Andi (gt), Laurin (bs) und Steffen (dr) einen Einblick in die Genese der neuen Songs und die lebhafte Szene in der Kurpfalz.
Erst hatte Ludwigshafen die WEHRKRAFTZERSETZER, dann – leider – Apache 207 und nun gibt es SOULSCRAPER. Im Gegensatz zur Mannheimer Konkurrenz auf der anderen Rheinseite braucht es bei euch also keine Popakademie für erfolgreichen musikalischen Output, oder?
Wolle: Also eigentlich haben wir nichts gegen Popakademiker und die glücklicherweise auch nichts gegen uns. Tatsächlich kennen und schätzen wir sogar einige Leute, die dort studiert haben. Wir selbst sind definitiv keine Profimusiker, aber dennoch mit vollem Herzen dabei. Und solche gibt’s auf der anderen Rheinseite natürlich auch. Bei SOULSCRAPER machen wir alles komplett DIY, haben kein Management, kein Label und keine Booking-Agentur. Wir wollen einfach nur unsere Musik unters Punkrock-Volk bringen und dabei Spaß haben.
Sprechen wir über die schöne Kurpfalz als Ganzes sowie deren Szene. Ihr alle seid hier ja schon ewig verwurzelt, und habt in unzähligen Bands gespielt.
Steffen: Ja, genau, wir kennen uns wirklich schon sehr lange. Wolle und ich haben schon vor über zwanzig Jahren bei SCARY SAD zusammen gespielt und sind häufiger mit Andis damaliger Band LOST DIVINITY aufgetreten. Laurin war bis vor kurzem Basser in meiner zweiten Band IDIOTS IN THE CROWD.
Wolle: Das Besondere an der Region hier ist, dass es noch einige coole Clubs gibt, in denen ungesignte Gruppen auftreten können. Das ist vor allem für junge Bands immens wichtig, damit sie erste Live-Erfahrungen sammeln können – aber auch für Musiker, die sich in neuen Projekten zusammenfinden. Leider werden diese Läden immer weniger. Die Indie-, Punk- und Newcomer-Szene scheint essentiell gefährdet. Dabei gibt es so geile Bands in unserer Region. Deshalb nehmen wir es selbst in die Hand, Live-Punkrock hier am Leben zu halten.
Nach eurem 2020er Album „The Ghost Behind“ legt ihr mit „Elegant Knives“ nun die nächste Platte nach – es scheint, als hättet ihr die Pandemie sehr produktiv genutzt. Woher kommt dieser enorme Output?
Wolle: Du lebst, du liebst, du leidest, du komponierst. So einfach ist das irgendwie. Die Menge an Songs hat in meinem Fall nichts mit der Pandemie zu tun. Sie sprudeln einfach so raus, wenn ich mal einen Nachmittag Zeit habe und die Ideen endlich mit einer Akustikgitarre auf einem Diktiergerät festhalten kann. Anschließend programmiere ich ein paar Drums dazu und abends ist der Song fertig komponiert. Ich könnte das jeden Tag tun, es ist meine absolute Leidenschaft.
Thematisch ist das neue Album sehr persönlich und melancholisch ausgefallen. Ich finde, gerade die Textzeile „His lifetime membership of sadness“ aus „Holed“ bringt es ziemlich genau auf den Punkt. Wer schreibt bei euch die Texte und was inspiriert euch dabei?
Wolle: Bis auf ganz wenige Ausnahmen stammen alle Texte von mir. Und wenn ich ehrlich bin, hatte ich vor genau dieser Frage am meisten Angst, haha. Als Verfasser lässt man mit seinen Lyrics – je nach Kontext – so ziemlich die Hosen runter und offenbart sich. Das kostet oftmals auch große Überwindung. Die meisten Protagonisten meiner Lyrics hat mich das Leben kennen lernen lassen. In „Holed“ kriegt ein Typ nach einigen sehr verstörenden Kindheitserlebnissen nie wieder richtig etwas auf die Reihe. Er versucht irgendwann noch einmal einen Neustart, scheitert jedoch kläglich. Er wurde Opfer sexueller Gewalt und somit quasi als Kind schon zerstört. Der Rest seines Lebens besteht dann aus Saufen und Überleben. Ein cleverer und zugleich völlig zerstörter Mensch, basierend auf einer realen Geschichte.
Wenn ich eure neuen Songs höre, fühle ich mich sofort in die späten Neunziger zurückversetzt und denke an solch fantastische Bands wie TEXAS IS THE REASON, SENSE FIELD oder SAMIAM, die es verstanden, die Energie von Punk und Hardcore gekonnt mit der Melancholie des Pop zu verbinden. Woher kommt eure Liebe zu dieser Musik?
Wolle: Die Kombination aus Punkrock, Emo und Dynamik berührt mich einfach im Herzen. MEGA CITY FOUR, SAMIAM, LEATHERFACE – all das sind unfassbar gute Musiker, die uns stark beeinflussen. Für mich ist es eine Hommage und Freude, diesen Stil zu spielen, das Gehörte weiterzuentwickeln, manchmal ein bisschen aufzusalzen und letztendlich im Studio und später live unsere Grenzen auszutesten.
Habt ihr das Gefühl, dass die Punk-Hörerschaft einfach mitaltert und die Leute, die mit Labels wie Revelation, Vagrant oder Burning Heart sozialisiert wurden, heute nach wie vor diejenigen sind, die vor der Bühne stehen? Hat die Szene gar ein echtes Nachwuchsproblem?
Laurin: Wir haben Fans, die etwa in unserem Alter sind und die Musik von früher kennen. Aber dann sind bei den Shows auch Jüngere, die uns ebenfalls abfeiern. Ein Nachwuchsproblem gibt es also hoffentlich nicht im Punkrock. Schau dir WHITE SPARROWS aus dem Odenwald an, die momentan richtig durchstarten, oder CHRIS BLACKBURGER aus Schwetzingen, mit denen wir gerade zusammen aufgetreten sind. Daneben gibt es ja auch im Raum Stuttgart unzählige alte und neue Bands, wie beispielsweise die großartigen NECKARIONS. Insofern wollen und dürfen wir einfach nicht die letzte Generation des hiesigen Punkrock sein und halten die Fahne weiterhin hoch!
Wie sehen die Pläne für die Zukunft aus, kann man euch mit dem neuen Album im Gepäck nun regelmäßig live sehen?
Andi: Auf jeden Fall, ja. Wir arbeiten fleißig daran, auch wenn es komplett DIY natürlich immer eine besonders große Herausforderung ist. Aber das kennen wir schon seit zwanzig Jahren und es ist einfach unser Ding. Ab Herbst werden wir uns mit unseren Freunden ASTRONUTS und BAXTER aus Mannheim zusammentun, um gemeinsam ein paar Punkrock-Shows in der Kurpfalz im Package zu spielen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #169 August/September 2023 und Christoph Siart
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #169 August/September 2023 und Christoph Siart
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #155 April/Mai 2021 und Stephan Zahni Müller