Hotel Corsendonk, in Turnout, in Belgien. Etwa neun Kilometer vom Sjock-Festival entfernt sind sie beherbergt: Die SONICS. Nach 15 Minuten Wartezeit in der Lobby sieht man zwei ältere Herren die Hoteltreppe hinabsteigen, einer mit einer großen Tasse Kaffee und von einem nicht zu übersehendem Tremor gezeichnet. (Tremor, der: bezeichnet eine meist krankhaft beeinflusste Bewegung mit unwillkürlichen, streng rhythmischen und sich wiederholenden Kontraktionen antagonistischer Muskelgruppen) In der Bar nehmen wir Platz neben Gerry Roslie (Gesang und Keyboard) und Larry Parypa (Gitarre). Der Mann mit dem Tremor, Gerry Roslie, sagt, er sei der schüchternste Typ in der Band, seine Augen leuchten, er grinst, als hätte er den Schalk im Nacken sitzen. Alles, was wir in der Musik der SONICS je gehört hatten, schien zu stimmen. Es war echt! Die SONICS, jene Kapelle aus den Sechzigern, die das Herz jedes Garagenmusikfans höher schlagen lässt, die "Strychnine", "Psycho", "Shot down", "Have love will travel" geschrieben haben, um nur ein paar ihrer Hits zu nennen. Und jetzt, nach all den Jahren, sind sie endlich in Europa live zu sehen, und ja, ihr Konzert konnte voll überzeugen. Ich habe wirklich selten so viele alte Männer mit feuchten Augen gesehen.
Larry, wie habt ihr damals diesen unglaublichen Gitarrensound hinbekommen?
Bitte lüfte doch endlich dieses Geheimnis hinter dem "heiligen Gral" des 60s-Garagen-Punks, es gibt da ja so einige Gerüchte über zerlöcherte Speaker und selbstgebaute Verzerrer.
Larry: Hehe, das Geheimnis ist eigentlich, dass es kein Geheimnis gibt. Eigentlich waren es nur Kleinigkeiten. Ich habe ein hartes Plek benutzt, dazu die selbe Gitarre, die ich auch heute benutze, eine Epiphone Casino mit kleinen Humbuckern, dazu kleine alte Fender-Amps, voll aufgedreht mit viel Endstufenverzerrung, direkt in den Verstärker, ohne Effekte.
Vielen Bands aus dieser Zeit war es oft nicht erlaubt im Studio aufzudrehen.
Larry: Die Studiotechniker haben es definitiv nicht gemocht,weil wir auch nur zwei Spuren zur Verfügung hatten und sie meinten, dass man die Verzerrung aus der Gitarre nicht mehr herausbekommen würde.
Das haben sie zum Glück ja auch nicht! Und habt ihr die Vocals gleichzeitig aufgenommen?
Gerry: Einige Gesangsparts haben wir nachher eingespielt. Wir haben zuerst versucht, alles zusammen einzuspielen.
Larry: Wir haben eigentlich nie so richtig gut aufgenommen. Live hörten wir uns immer besser an.
Wie lange hat es gedauert um "Boom" oder "Here are The Sonics" einzuspielen?
Gerry: Zwei, drei Tage. Es war nicht so aufwendig, wie es heute manchmal gehandhabt wird. Ein Jahr brauchten wir zumindest nicht.
"Have love will travel" ist ja eigentlich ein Song von Richard Berry. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, den Song so zu verändern?
Andy: Ich glaube, das Original habe ich nie gehört. Wir haben es so gespielt, wie wir uns gerade gefühlt haben. Wir sind da nicht rangegangen mit der Idee: So, jetzt schreie ich mal, oder jetzt ist ein guter Zeitpunkt für ein Solo. Und wir spielen jetzt auch wieder so, wie wir uns gerade fühlen.
Muss wohl nicht so schlecht gewesen sein. Sprite hat den Song vor ein paar Jahren für einen Werbespot genutzt. Habt ihr eigentlich dafür Geld gesehen?
Andy: Ja, und wir haben auch immer noch die Rechte an unseren eigenen Songs.
War euer Sound schon von Anfang an so, wie man ihn von den Platten kennt? Wie ist es dazu gekommen?
Gerry: Jeder wollte es so spielen. Wir wollten einen anderen Drummer. Larry und Andy haben schon länger zusammen gespielt und wollten einige Veränderungen vornehmen. Ich kam dazu und Larry und Andy haben mich gefragt, ob ich einen anderen Saxophonisten kennen würde. Und ich sagte: Rob, er ist ein Freund von mir.
Und dann kam direkt die nächste Frage: Kennst du auch einen guten Drummer? Und ich sagte: Ja, ein guter Freund von mir, Bob Bennett. Wir mochten halt alle dieselbe Musik. Wir mochten alle diesen "powerful stuff". Zack, und da waren wir. Wir wollten alle aggressiv spielen, richtig aggressiv!
Habt ihr eigentlich irgendwelche Weggefährten, die euch auf euren Tourneen immer wieder begleitet haben? Bands wie die VENTURES, die auch aus Tacoma kommen ...
Andy: Wir haben oft mit lokalen Bands gespielt. Die VENTURES waren allerdings nicht dabei, obwohl wir die immer gemocht haben.
In eurer Hochphase Mitte der 60er, konntet ihr da von eurer Musik leben?
Einige gingen ja noch aufs College, deswegen haben wir in erster Linie an den Wochenenden gespielt, aber ja, wir konnten von der Musik leben.
Was habt ihr nach dieser Hochphase gemacht?
Gerry: Jeder hat etwas anderes gemacht. Rob, Larry und Andy haben das College zu Ende gemacht, Bob sogar ziemlich schnell. Ich habe verschiedene Dinge gemacht. Ich hatte eine kleine Firma, die Straßen gepflastert hat. Das habe ich eine lange Zeit durchgezogen, obwohl die Arbeit ziemlich hart war. Vor 25 Jahren habe ich damit angefangen, will es aber nicht noch einmal machen. Zum Glück ist das vorbei.
Was für einen Status hattet ihr in den Staaten?
Andy: Primär haben wir an der Westküste gespielt, da kannte man uns.
Einige Freunde von mir, die vor ein paar Monaten euer Konzert in London gesehen haben, erzählten mir, der Wirbel, der dort um euch gemacht wurde. habe euch ziemlich überrascht.
Gerry: Es war wie ein Déjà-vu. Nach 40 Jahren plötzlich 19-Jährige auf den Konzerten zu sehen, das ist wie in einer Zeitmaschine.
Was hört ihr heute für Musik?
Gerry: Ich mag die verschiedensten Sachen, höre Blues, Delbert McClinton, Stevie Ray Vaughan, aber eigentlich aber keine spezielle Richtung, keine speziellen Songs.
Eigentlich bin ich auf euch durch die FUZZTONES mit dem großen Neo-Garage-Boom Ende der 80er gestoßen. Gute Songs, dachte ich, bis ich nach einem Jahr erfahren habe, dass die besten Lieder wie "Boss hoss" oder "Strychnine" gar nicht von denen sind.
Gerry: Wir haben damals viele Gerüchte gerade über diese Szene gehört und waren uns deren Existenz eigentlich gar nicht bewusst, und sind es auch heute noch nicht.
Wie haben deine Stimmbänder eigentlich so lange überlebt?
Gerry: Wir haben uns meistens selbstzerstört, um Rock'n'Roll zu spielen. Du schreist einfach und denkst nicht an morgen. Auch wenn du weißt, du musst am nächsten Tag wieder spielen. Aber es hat einfach so viel Spaß gemacht, mitgerissen zu werden. Klar, hatte ich nach einer dreiwöchigen Tour Probleme. Das war manchmal schon ziemlich hart. Ich habe mich aber immer wieder selbst unter Druck gesetzt und alles gegeben, was ich hatte, was wir hatten.
Wie war das damals bei Konzerten? Mussten sich die Leute setzen, wie kann man sich das vorstellen?
Gerry: Alle haben gesessen. Und alle blieben auch sitzen. Heute ist alles viel größer. Man kann rumlaufen und rumspringen. Das gefällt mir besser, es ist viel schöner, wenn die Leute ihren Spaß haben und abgehen.
Was war der beste Moment in eurer Karriere, und was der enttäuschendste?
Gerry: Ich würde sagen, einer der besten Momente war, als wir unsere Musik das erste Mal im Radio gehört haben, das war einfach überwältigend. Wir haben, genau wie alle anderen immer Radio gehört und dann kam es: Die spielten uns im Radio! Das war einfach fantastisch.
Und der enttäuschendste?
Gerry: Als wir nach 40 Jahren wieder anfingen, Musik zu machen, haben wir uns die Frage gestellt: Warum haben wir eigentlich aufgehört? Wie kommt man auf so eine blöde Idee? Statt in einer Band zu spielen irgendwelchen Leuten Versicherungen zu verkaufen oder eben beschissene Straßen zu pflastern! Was machen wir eigentlich: Wir gehen arbeiten, nur um irgendwie zu überleben, statt Musik zu machen? Das mit der Band macht doch mehr Spaß als alles andere!
Gerüchten zu Folge schlägt ein transplantiertes Herz in deiner Brust ...
Gerry: Ja, das ist richtig. Ich muss 19 Pillen am Tag schlucken, um das einigermaßen im Griff zu haben. Hoher Blutdruck, schlechtes Immunsystem ... Das Problem an der Sache ist, dass mein Körper das Herz nicht akzeptiert, es eigentlich abstoßen will. Ich habe das Gefühl, dass der Körper das Herz töten will, weil es von jemand anderem ist. Außerdem habe ich Krebs, was die Sache nicht unbedingt leichter macht ...
Wie fühlst du dich auf der Bühne?
Gerry: Ich fühle mich gut. Wenn ich auf der Bühne stehe, ist es bei mir so wie bei vielen Musikern: In dem Moment denke ich nur an die Musik. Meine Frau sagt dann immer, ich wäre ein anderer Mensch. Wenn ich dann wieder in den Spiegel schaue, denke ich, ach du scheiße, wie siehst du denn aus, dann kommt alles zurück. Und wenn die Ärzte sagen, da ist ein neuer Schatten auf ihrer Lunge oder der Krebs ist zurück ...
Was haben eure Eltern damals reagiert, als sie registriert haben, was ihr für Musik macht: Teufelsmusik?
Gerry: Nein, alle haben uns immer gut unterstützt. Wenn die Leute die Platten kaufen, müssen die Kinder ja irgendwas richtig machen. Als ich angefangen habe, haben meine Eltern mir vorgeschlagen, doch ein Akkordeon zu benutzen, aber mir gefiel das nicht. Nach drei Jahren habe ich den Rock'n'Roll entdeckt und dachte. Wow, was ist das denn?! Daraus hat sich jedoch das Pianospielen entwickelt.
Was war mit Drogen in den 60ern?
Gerry: Auf jeden Fall nicht so viel wie bei Jimi Hendrix oder bei den DOORS. Das war harmlos, was wir veranstaltet haben.
Irgendwelche Pläne für die Zukunft?
Gerry: Viele Leute haben uns gefragt, ob wir nicht eine neue Platte machen wollen. Wir denken mal darüber nach. Larry ist Lehrer, Bob hat gesundheitliche Probleme, die wohnen auch nicht mehr in Tacoma. Daher ist es auch schwierig zu proben. Bob wohnt zum Beispiel auf Hawaii, viele Kilometer entfernt - zu viele. Daher ist es schwierig, etwas zu machen.
Hendrik Recker, Jörg Stuhldreier
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #27 II 1997 und Norbert Johannknecht
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