„Catholic block“ war der erste SONIC YOUTH-Song, den ich kannte – ein Freund hatte mir ein Mix-Tape aufgenommen, und das muss so ca. 1986 gewesen sein. Ab da war ich vom SY-Virus infiziert, und „Evol“, „Sister“ und „Daydream Nation“ sind für mich bis heute Meilensteine des Indie-Rock. „Goo“ freilich war das letzte Album der New Yorker, das ich mit der Begeisterung des Fans kaufte, danach verlor ich etwas das Interesse, was aber wohl auch damit zu tun hat, dass es noch so viel andere gute Musik zu entdecken gab und gibt. Mit „Murray St.“ haben SONIC YOUTH jetzt ein neues Album eingespielt, und überraschenderweise war es möglich – Interviews mit Bands dieser Größe sind nur schwer zu bekommen, wenn man eine Auflage unterhalb von 50.000 hat... – Drummer Steve Shelley in einem 20minütigen Telefonat zu befragen. Und wer könnte dazu schon nein sagen?
Steve, was machst du gerade?
Es ist kurz vor Mittag, ich bin zuhause in New York und lasse den Tag ruhig angehen. Ein normaler Tag sieht bei mir – ich bin ein richtiger Workaholic – so aus, dass ich die meiste Zeit mit meinem Plattenlabel beschäftigt bin, außer natürlich, ich mache Musik mit der Band, arbeite in unserem Studio, spiele irgendwo in New York City in einem Club.
Smells Like Records heißt dein Label – kannst du mir dazu was erzählen?
Es ist ein kleines Indie-Label, das ich mittlerweile schon seit zehn Jahren mache. Ich würde sagen, ich bringe vor allem Singer/Songwriter-Sachen heraus, aber es ist nicht darauf beschränkt. Es gibt auch Instrumental-Musik und andere Stile. Meine letzten Releases sind Chris Lee, ein Sänger aus Brook-lyn und Christina Rosenvinge, eine Sängerin aus Madrid, die seit ein paar Jahren hier in New York lebt. Die Arbeit läuft dabei über S.Y.R., unser bandeigenes Label.
Ein interessanter Aspekt: im Gegensatz zu vielen anderen Bands habt ihr trotz Majordeals parallel auch über euer eigenes Label und Undergroundkanäle Musik veröffentlicht.
Das hat mit unserer Entwicklung zu tun: wir waren in den Achtzigern eine Independent-Band, haben uns selbst um alles gekümmert, sind alleine im ganzen Land herumgefahren, in der ganzen Welt getourt, ohne ein großes Management im Rücken. Heute haben wir zwar einen Manager, aber wir wissen eben immer noch, wie man selbst Sachen in die Hand nimmt. Wenn du als Band bei einem Indie-Label bist, macht man vieles selber, und so haben wir eben trotz Majordeals weiterhin an kleinen, unabhängigen Projekten gearbeitet – gerade auch, weil es uns Spaß macht und weil man aus dieser Arbeit was für sich rausziehen kann.
Euer neues Album trägt den Titel „Murray St.“ – in der Murray Street befindet sich das bandeigene Studio. Kannst du mir was dazu erzählen?
Also das Studio haben wir seit über fünf Jahren, und ich muss sagen, es hat Vor- und Nachteile im eigenen Studio zu arbeiten. Es liegt in Lower Manhattan, und es ist zwar ein 16-Spur-Studio, aber nicht die Art von Studio, wo andere Leute sich stunden- oder tageweise einmieten können. Vielmehr ist es ein besserer Proberaum, und manchmal nehmen dort auch Freunde Sachen auf, aber dafür haben wir es nicht eingerichtet. Der Vorteil ist, dass du jederzeit hingehen und was machen kannst, aber ehrlich gesagt vermisse ich auch die Reisen in andere Städte und Studios. Jedes Studio ist anders, du lernst neue Leute kennen – und da ist es wiederum schön, dass ich auch mit anderen Leuten zusammen Musik mache und so weiterhin andere Studios kennenlerne, etwa das großartige Easley-Studio in Memphis, das ist schon was anderes.
Gab es nach dem 11. September Probleme mit dem Studio?
Mit dem Studio selbst nicht, aber wir kamen eine Weile nicht dort rein.
Mein erster Eindruck des neuen Albums ist der einer recht klassischen SONIC YOUTH-Platte.
Hm, ja, also die Experimente finden schon eher innerhalb der Songstrukturen statt, das stimmt, und wir arbeiten sehr viel mit Gitarren – bei manchen Songs haben sogar drei oder vier Leute Gitarre gespielt.
Welche Bedeutung haben denn für euch die regulären, mit schöner Regelmäßigkeit erscheinenden SONIC YOUTH-Alben? Ich meine, ihr macht als einzelne Musiker recht viel, und der SONIC YOUTH-Output zwischen den Alben ist ja auch legendär.
Also wir machen so ungefähr alle zwei Jahre ein neues Album, aber ich weiß nicht so recht, wie wichtig diese Alben sind. Klar ist, dass wir sie in dieser Form machen wollen, und die Wichtigkeit ergibt sich daraus, dass wir sie machen wollen. Die Platten, die wir nebenher machen, machen Spaß, aber sie sind letztendlich sowas wie Schnappschüsse und Momentaufnahmen. Das Album dagegen ist ein Porträt, daran arbeitet man konzentriert und über einen längeren Zeitraum. Abgesehen davon kann man von den Leuten ja auch nicht erwarten, dass sie alle unsere Platten kaufen.
Was für Musik hörst du derzeit abgesehen von der eigenen Musik und den Releases deines Labels?
Mein Lieblingsalbum des letzten Jahres war ‚Lovers Rock‘ von Sade, das hat mir richtig gut gefallen. Ansonsten kaufe ich viele Reissues, gerade Soul aus den Sixties und Seventies. Die Zeit Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger hat es mir besonders angetan, die hatten da eine besondere Art des Songwritings, nicht nur im Soul, sondern in allen Bereichen der Popmusik.
In welcher Hinsicht?
Das Level des Songwritings war ziemlich hoch, und auch das der Produktion – die Platten aus dieser Zeit klingen einfach sehr schön. Später in den Siebzigern und in den Achtzigern ist vieles davon verloren gegangen und erlebt erst jetzt wieder eine Neuauflage - eben schöne, volle Aufnahmen. Diese Phase also ist in Sachen alter Musik mein Favorit, und ich kann die Veröffentlichungen von Universal Soul und Soul Jazz nur empfehlen. Da erschien kürzlich eine Compilation namens ‚Saturday Night Fish Fry‘, die ich nur empfehlen kann, mit wirklichem großartigem New Orleans Funk & Soul. Wenn ich mich also nicht mit neuer Musik beschäftige, grabe ich in der Vergangenheit, und das macht mir sehr viel Spaß.
Wie ist denn der aktuelle Status von SONIC YOUTH in den USA?
Wir werden hier jedenfalls nicht auf MTV gespielt, viele Leute kennen uns gar nicht, die denken beim Namen SONIC YOUTH gar nicht an eine Band. Unsere Songs laufen auch nicht bei den kommerziellen Radio-Sendern, sondern nur bei den College-Radios. Und ein klassischer Satz, den ich immer wieder höre – zum Beispiel von Leuten, die LIMP BIZKIT und BLINK 182 hören – ist ‚Oh... Are you guys still around...?‘. Die kennen ‚Dirty‘ aus der Zeit, als sie am College waren, und das ist es auch. Und ich glaube auch nicht, dass unsere Fans die Musik hören, die derzeit so angesagt und in den Charts ist.
Tja, ihr seid wohl die Dinosaurier des Indie-Rock.
Hm, ja, seltsam, aber wahr.
Was ist es, was euch antreibt, weiterhin das zu machen, was ihr macht?
Es macht uns einfach Spaß, das ist es wohl. Wir führen auch bandintern keine hitzigen Debatten darüber, ob wir weitermachen oder nicht – und wir haben gelernt, unser Leben an der Band auszurichten. Die Zeit, die man von der Band weg ist, ist okay, aber wenn wir dann wieder zusammen an einem Projekt arbeiten, ist das auch wieder schön. Und es gibt derzeit auch einfach keinen Grund, mit der Band nicht weiterzumachen. Klar, manchmal ist es auch schwierig, doch unterm Strich macht die Arbeit mit den Anderen in dieser Band alle Anstrengungen wieder wett. Ich denke, die meisten Bands lösen sich irgendwann auf, weil die Leute mit den Kompromissen nicht mehr klarkommen, die sie notwendigerweise eingehen müssen. Oder eine Person in der Band entwickelt sich dahin, dass sie den Weg diktiert – und nicht zu vergessen natürlich Drogen und Alkohol, die ganz viel kaputt machen können, und das ist bei SONIC YOUTH kein großer Teil unseres Lebens. Lass einfach die Finger von Drogen und Alkohol, wenn du rocken willst. Ich selber trinke nicht, wobei das aber nicht für den Rest der Band gilt.
SONIC YOUTH haben über all die Jahre eine ganz eigene Klangfarbe gefunden, die jede Platte unverkennbar macht. Doch inwiefern finden neue Klänge ihren Weg in die Musik, und warum hält sich der Einfluss neuer Klänge in eurem Fall in Grenzen?
Das passiert einfach. Als Musiker hörst du auf deine Umgebung, du hörst alte Musik, und so schleichen sich neue Einflüsse in dein Leben. Wir alle bei SONIC YOUTH haben einen großen musikalischen Appetit, kaufen die verschiedensten Platten, probieren Neues aus, sind jeden Tag von Musik umgeben, und so, wie das Essen, das du zu dir nimmst, ein Teil von dir wird, so ist es auch mit Musik. Schon als Kind war ich davon besessen genau hinzuhören, wie Sachen zusammenpassen, sich überlagern. Für mich ist das Aufnehmen neuer Einflüsse und Eindrücke wie Atmen, etwas ganz natürliches.
Aber wie kommt‚s, dass SONIC YOUTH über all die Jahre einen recht konstanten Sound behalten haben und nicht plötzlich ein elektronisches Dance-Album gemacht haben?
Sowas passiert meist dann, wenn eine Person alleine das Sagen hat. Wir sind aber zu viert oder fünft, und wir bewegen uns als Gruppe. Da müssten wir schon alle ‚erkranken‚, um plötzlich zur Dance-Formation zu mutieren. Bei Solo-Künstlern ist das was anderes, die kriegen plötzlich Einfälle und müssen dann unbedingt ihr elektronisches Album machen oder so – und drei Monate später haben sie davon dann schon wieder genug. Neil Young etwa, den ich sehr schätze – wenn der ein Rockabilly-Album machen will, dann macht der das, ob das nun gut oder schlecht ist. Wir dagegen halten uns in der Band gegenseitig unter Kontrolle, vergewissern uns immer wieder, woran wir wirklich arbeiten wollen. Wenn du etwas anderes machen willst, musst du schon drei oder vier Leute mitziehen, und das ist nicht so einfach.
Zum Schluss die Frage, ob man euch bald mal wieder in Europa sehen kann?
Im Juni und Juli sind wir endlich mal wieder in Europa, spielen ein paar der Festivals, aber Anfang Juli auch ein paar Einzelkonzerte in Deutschland.
Steve, ich danke dir für das Interview.
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