Wer sie verpasst hat, hat was verpasst: SOMMERSET aus Auckland, Neuseeland waren im Frühsommer erstmals auf Europatour und machten live nachvollziehbar, warum ihr aktuelles Album „Fast Cars, Slow Guitars“ auf Rockstar Records den Punk zwar nicht neu erfunden hat, aber in Sachen Humor, guter Laune und schöner Melodien, gepaart mit ordentlich Druck doch rundum Spaß macht. Nach einer Wohnzimmerparty quasi um die Ecke, bei der SOMMERSET für die Livemusik sorgen durften, zog ich mich mit den Jungs vom anderen Ende der Welt in den Backstageraum (aka Hauswirtschaftsraum der Mutter des Partyveranstalters, inklusive Bügelbrett etc.) zurück, um mit alkoholschwerer Stimme ein kleines Interview zu führen. Und Prost. Ryan Thomas (Gesang/Gitarre) und Jay Dougrey (Gitarre) waren mit dabei.
Ihr seid zum ersten Mal in Europa, wie man hört.
Jay: Ja, in der Tat, und unser Soundmann ist zum ersten Mal überhaupt außerhalb Neuseelands. Mit der Band waren wir bislang auch nur in Neuseeland und Australien auf Tour. Jetzt sind wir also erstmals in Europa, und direkt im Anschluß geht’s nach Kanada und in die USA.
Und, wie ist der erste Eindruck so?
Jay: Es ist großartig! Touren hier macht Spaß, jeder kümmert sich total freundlich um dich. Unser erster Kontakt nach Deutschland entstand vor ein paar Jahren, und vor drei Jahren dann kam auch unsere erste CD auf dem deutschen Label Get Up & Go raus. Die neue Platte kam jetzt bei Rockstar Records, wir sind das erste Mal hier, eigentlich kennt uns keiner, aber werden überall als Headliner angekündigt. Die meisten Shows waren auch ganz gut besucht – und vor allem Berlin lief sehr gut, da haben wir am 1. Mai gespielt.
Ryan: Von den Riots selbst haben wir nichts mitbekommen, nur das Davor und das Danach haben wir gesehen. Und das war schon was anderes als bei uns zuhause in Auckland: Dort besteht eine Demo daraus, mit einem Schild die Straße rauf und runter zu laufen. Es gab bisher nur einmal richtige Riots, irgendwann in den Achtzigern, als die Polizei ein Rockkonzert beenden wollte.
Wenn es in Neuseeland keinen Grund gibt, gegen irgendwas zu protestieren, warum gründet man dann eine Punkband?
Jay: Eigentlich aus musikalischen Gründen. Wir sind keine politische Band, wir stehen aber auf Musik, die richtig abgeht, und das ist nunmal Punkrock und so spielen wir das.
Ryan: Persönlich haben wir natürlich politische Überzeugungen, aber die lassen wir bei der Band außen vor.
Jay: Punkrock lässt viele verschiedene Interpretation zu, und wir spielen energiegeladene, schnelle Musik, die man auch als Punkrock bezeichnen kann.
Welche Bands haben euch beeinflusst?
Jay: Das ist unterschiedlich: In meinem Fall die DESCENDENTS an erster Stelle, plus verschiedene australische Bands.
Ryan: Bei mir ist an erster Stelle HÜSKER DÜ zu nennen. Wie die haben wir zwar einen Punk-Background, konzentrieren uns aber auf das Songwriting. Außerdem haben mich auch viele der Platten beeinflusst, die Mitte der Neunziger auf Revelation erschienen sind.
So viel ich weiß, ist es in Neuseeland eher schwierig, vier Wochen am Stück auf Tour zu gehen.
Ryan: Das ist was ganz anderes als hier in Europa. Wir hatten zu den Jungs von Rockstar Records gesagt, dass wir eine richtig fette Tour machen wollen, und die haben uns beim Wort genommen. Das ist für uns noch ganz ungewohnt, denn in Neuseeland gibt es nur ein paar wenige kommerzielle Rockbands, die so richtig auf Tour gehen können.
Jay: Für uns gibt es genau sechs Städte, in denen wir spielen können und wo das richtig Sinn macht, wo also mehr als nur eine Hand voll Leute kommen. Und wenn du zu oft in diesen sechs Städten spielst, kommt auch keiner mehr.
Wenn man also mit der Band etwas größer werden will, muss man ins Ausland gehen.
Ryan: Ja, klar. Die kommerziellen Bands in Neuseeland machen meist im Sommer eine Tour, so um Weihnachten und Neujahr herum, und dann nochmal was kleineres zwischendurch. Den Rest der Zeit schreiben sie neue Songs, sind im Studio, machen neue Singles und leben von ihren Royalty-Schecks. Bands, die richtig und ständig auf Tour sind, wie man das von US-Bands kennt, gibt es bei uns einfach nicht.
Wirkt sich das nicht auch auf die Musikszene an sich aus?
Jay: Klar, die ist sehr cliquenorientiert. Bei uns kennt in der Musikszene eben jeder jeden, und so läuft’s dann auch. Und wenn du nicht den richtigen Leuten in den Arsch kriechst, geht gar nichts. Andererseits gibt’s aber auch recht viel Geld von der Regierung, damit einheimische Bands Videos drehen können und deren Songs im Radio gespielt werden. Wir haben also selbst als kleine Band ein richtiges Video, das auch im Fernsehen läuft – in Deutschland ist das beinahe unmöglich für eine kleine Punkband.
Würdet ihr denn sagen, dass eure Musik eindeutig neuseeländische Elemente aufweist?
Ryan: Schwer zu sagen... Also ich finde die meisten Bands, die neuseeländische Stil-Elemente in ihre Musik einbauen, ziemlich schrecklich, von daher würde ich die Frage eher verneinen. Und was die ganzen Flying Nun-Bands aus den Achtzigern anbelangt, so hatten die auch eher was von ihrer Herkunft aus Dunedan, als was Neuseeländisches an sich. Von den Bands aus den Siebzigern und Achtzigern hatten vielleicht SPLIT ENZ etwas ‘Neuseeländisches’ an sich, und heute würde ich das eventuell noch für SHIHAD gelten lassen, die bei uns sehr groß sind. Der Sänger hat einen starken neuseeländischen Akzent, das ist aber auch alles. Und dabei glauben die meisten Leute sowieso, die kämen aus Australien. Die sind übrigens so ziemlich die einzige Band, die in Deutschland auf Tour geht.
Jay: Man kann eigentlich nur absichtlich versuchen, typisch neuseeländisch zu klingen. Wenn man etwa die Flying Nun-Ära nimmt und die direkt kopiert, das wäre so ein Fall. Aber die haben damals ja selbst nur Andere kopiert, wenn auch in einem gewissen eigenen Stil. Ryan singt manchmal mit einem neuseeländischen Akzent, aber weiter geht das bei uns also nicht mit ‘typisch’ neuseeländischen Elementen.
Wenn es schon keine neuseeländische Tradition gibt, die euch beeinflusst hat, welche Musik war es dann, die für euch prägend war?
Ryan: Ich habe mit 13 angefangen, mich fürs Gitarrenspielen zu interessieren, und es waren Bands wie SKID ROW oder MÖTLEY CRÜE, die mich dazu gebracht haben. Bei diesen Bands war ja manchmal der Gitarrist bekannter als der Sänger. Später begann ich mich dann für Bands wie NIRVANA zu interessieren, da ich nicht mehr der Vorstellung nachhing, eines fernen Tages mit viel Üben ein Solo wie Mick Mars von MÖTLEY CRÜE spielen zu können. Nachdem ich NIRVANA gehört hatte, wusste ich: Das kann ich auch! Und zwar jetzt! Es war also wohl Kurt Cobain mit seiner Band, der mir die Punk-Idee vermittelt hat, dass man auch ohne endloses Üben und einfach nur so eine Band gründen kann.
Jay: Ich bin in Oklahama City in den USA aufgewachsen, und ich bekam an Musik das mit, was meine Babysitter an Platten mitbrachten oder auf MTV anschauten, sei es OINGOBOINGO oder U2. Als ich dann später nach Australien zog, interessierte ich mich vor allem für die dortige Punkszene, für die Sachen, die zum Beispiel auf Au-Go-Go Records erschienen, die HARD-ONS, die MEANIES, und so weiter. Als ich dann nach Neuseeland zog, hatte ich also schon eine Menge mitbekommen und entdeckte dann den US-Punkrock. Bis dahin hatte ich überhaupt keine US-Bands gehört!
Ryan: Du musst wissen, bis heute gibt es in Neuseeland kein MTV. Nur über Kabel gibt’s einen Musiksender, und das auch erst seit kurzem. In Neuseeland ist man also aufgewachsen ohne diese Omnipräsenz von MTV.
Gibt es denn in musikalischer Hinsicht Rivalitäten zwischen Neuseeland und Australien? Für uns Europäer ist das ja irgendwie alles das Gleiche...
Ryan: Eigentlich nur in sportlicher Hinsicht. Punkrock war ja immer schon dafür, dass man zusammenhält und zusammen was macht, da gab’s also noch nie Probleme, aber dafür in anderer Hinsicht. In Sachen kommerzieller Rockmusik oder bei DJs gibt’s schon große Rivalitäten. Wir spielen recht oft in Australien, das ist relativ nah.
Jay: Wir haben auch schon zwei Platten zusammen mit australischen Bands gemacht, die eine mit MID YOUTH CRISIS, die andere mit 28 DAYS. Direkt nach dieser Platte sind die richtig durchgestartet, die sind jetzt eine der größten Punkbands in Australien.
Gibt es zu Hause in Neuseeland denn Anerkennung für das, was ihr macht?
Ryan: Das soll jetzt nicht arrogant klingen, aber in Neuseeland gab es lange Zeit keine Punkband, die mal etwas bekannter gewesen wäre, und wir sind gerade dabei, diese Rolle zu spielen. Das Problem ist, dass es keine durchgängige Punkrock-Geschichte gibt. Die Leute, die vor zehn oder fünfzehn Jahren in einer Band gespielt haben, sind heute Architekten oder sonst was und haben mit Musik was zu tun. Es gibt auch keinen einzigen Club, der schon seit zwanzig Jahren Konzerte macht. Vor fünf Jahren haben sie in Auckland das ‘Glue Pop’ abgerissen, das war ‘der’ Rockclub – nicht mal wegen des Lärms, sondern weil die Nachbarschaft zu trendy geworden war und niemand die wilden Gestalten dort rumhängen haben wollte. Bis heute gibt es keinen Ersatz dafür, geschweige denn einen richtigen Punkrock-Club.
Jay: So ein Club könnte auch gar nicht überleben, weil es nicht genug einheimische Bands gibt.
Was macht ihr denn, um die Miete zu zahlen?
Ryan: Ich gebe Gitarrenunterricht und arbeite in einem Kindergarten, Stefan, unser Bassist, klebt Poster für Konzerte und arbeitet für verschiedene Tourfirmen, das heißt wenn die großen Rockstars nach Auckland kommen, fährt er sie in der Gegend herum. Milon arbeitet als Gitarrenlehrer und in einem Klamottenladen.
Jay: Und ich bin auch im Postergeschäft, wie Stefan. Das ist insofern kein schlechter Job, als wir es so schaffen, immer wieder mal im Vorprogramm von größeren ausländischen Bands spielen zu können.
Ryan: Nach einer Show vor 2.000 NOFX-Fans passiert es dir dann, dass Leute auf dich zukommen und fragen, woher wir kommen. ‘Aus Auckland, wie du!’, antworten wir, und ernten dann erstaunte Blicke. Die Leute interessieren sich oft eben einen Scheiß für einheimische Bands. Aber wenn die dann danach zu unseren Shows kommen, ist es auch okay.
Ein Informant hat mir gesteckt, dass ihr eine gewisse Neigung an den Tag legt, bei allen möglichen Gelegenheiten unvermittelt die Hosen fallen zu lassen. Wollt ihr das kommentieren?
Jay: Wenn du den ganzen Tag zusammen in einem Bus sitzt, hast du irgendwann alle Themen durch und nichts weiter zu sagen. Wenn dann einer seinen Penis aus der Hose holt und versucht, ihn seinem schlafenden Sitznachbarn in den Mund zu stecken, ist das doch verständlich oder? Wir finden das witzig. Und je länger man auf Tour ist, um so mehr muss man sich eben einfallen lassen, um die Anderen zum Lachen zu bringen. So einfach ist das. Außerdem unterhalten wir uns gern über Scheiße und fotografieren auch regelmäßig unsere Haufen.
Na dann viel Spaß weiterhin...
Danke für das Interview.
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