Auf den ersten Blick wirkt Jack „Choke“ Kelly wie Räuber Hotzenplotz in der Verfilmung von 1974 mit Gert Fröbe, die schrullige Hauptfigur aus dem berühmten Kinderbuch von Otfried Preußler. Der rotblonde Sänger der Bostoner Hardcore-Institution SLAPSHOT ist im Interview beim Mission Ready Festival in Giebelstadt bei Würzburg latent grummelig und leicht aufbrausend. Aber unter der harten Schale steckt ein weicher Kern – und vor allem viel Humor, wie sich im gemeinsamen Gespräch mit Gitarrist Craig Silverman herausstellt.
Jack, du hast euer neues Album „Make America Hate Again“ getauft. Man könnte meinen, das ist das Motto der Außenpolitik von Donald Trump. Gibt es da einen Bezug?
Jack: Nein, da geht es überhaupt nicht um Donald Trump. Ich versuche, soweit es möglich ist, der Politik in meinen Texten aus dem Weg zu gehen. SLAPSHOT sind keine politische Band. Das waren wir noch nie. Ich überlege immer, was uns ganz persönlich beschäftigt: Beziehungen, das tägliche Leben, Dinge, die einem unter die Haut gehen. Die Politik überlasse ich lieber anderen Bands wie ANTI-FLAG oder BAD RELIGION. Ich glaube, die bringen das viel besser auf den Punkt, als ich. Und wenn ich es versuchen würde, würde ich sowieso nur wieder missverstanden werden. Wenn ich Texte schreibe, versuche ich nicht nur ein einziges Thema zu behandeln, um mehr Leute damit anzusprechen. Wenn es zu persönlich ist, können die Leute keinen Bezug dazu herstellen. Im Song „Make America hate again“ geht es darum, in den Staaten endlich mit dieser ewigen Höflichkeit aufzuhören. Jetzt ist es an der Zeit, seinen Standpunkt deutlich zu vertreten und auch mal über Sachen wütend zu sein. Ich denke, es sollte eher mehr Wut und Hass geben als weniger. Es gibt schließlich eine Menge Dinge, mit denen man nicht einverstanden sein kann.
Das sehen wir in Deutschland ähnlich, vor allem weil Donald Trump gerade alle jahrzehntelang gewachsenen Verbindungen zwischen den USA und Europa kappt. Wie denkst du darüber?
Jack: Donald Trump ist einfach nur ein ganz normaler Typ, der den ganzen Tag Fernsehen glotzt. Wenn die Leute sagen, er hat einen engen Bezug zu vielen Menschen in Amerika, dann stimmt das. Er ist doch genauso wie sie. Den ganzen Tag läuft bei ihm die Glotze oder er hängt in sozialen Netzwerken ab. Darum geht es doch. Er trifft damit einfach den Nerv der Zeit und jetzt ist er auch noch Präsident geworden. Da gibt es nach ihm irgendwann jede Menge Müll wegzuräumen, aber jetzt müssen wir erst mal abwarten. Viele Menschen schätzen ihn für seine wirtschaftliche Kompetenz, aber ich sage: Selbst ein Fünfjähriger könnte einfach alle Regeln für „Big Business“ abschaffen. Und das würde der Wirtschaft natürlich gut tun. Man braucht keinen Gehirnchirurgen, um das herauszufinden. Schaff alle Hürden ab und sag ihnen, sie können machen, was sie wollen. Klar werden sie dann noch viel mehr Geld verdienen. Aber was hilft es auf lange Sicht dem Planeten, wenn jeder wieder das Meer so verschmutzen darf, wie er will? Es muss Regeln für Geschäftsleute geben, um sie daran zu hindern, einfach immer nur mehr Geld zu scheffeln.
Ihr habt die ersten Songs für das neue Album schon vor zwei Jahren aufgenommen. Warum hat es so lang gedauert, bis es jetzt veröffentlicht wurde?
Jack: Zum Teil ist es meine Schuld. Zum Teil war es aber auch das Label, das mit der Veröffentlichung noch warten wollte.
Craig: Die Musik war im Dezember 2016 schon fertig. Aber Jack hat die Aufnahmen für die Vocals erst im August 2017 beendet.
Jack: Und dann haben wir bis Anfang Juni 2018 gewartet, bis es endlich herauskam. Es hat mich eine ganze Weile gekostet, die Texte zu schreiben. Wenn ich bessere Ideen gehabt hätte, wäre das Album schon früher erschienen. Vielleicht wäre es aber dann auch nicht so gut gewesen, wie es ist. Ich denke, im Nachhinein sind alle ziemlich zufrieden damit, dass ich noch gewartet habe. Denn das Album ist wirklich gut geworden.
Schreibst du inzwischen andere Texte als in den Anfangstagen von SLAPSHOT? Bist du vielleicht ein bisschen altersmilde oder verständnisvoller geworden?
Jack: Wirkt das Album weniger aggressiv? Natürlich bin ich inzwischen älter geworden, deswegen greife ich vielleicht Themen auf, die etwas tiefer greifen. Ich finde es schwerer, Hardcore-Texte zu schreiben, wenn man älter wird. Worüber soll ich noch wütend sein? Dass mein Kind nicht rechtzeitig ins Bett geht? Wenn man in die Jahre kommt, wird man bequem. Manchmal zieht man einfach Dinge aus der Vergangenheit aus dem Hut und schreibt darüber, was einen vor Jahren wütend gemacht hat. Ich bin offensichtlich immer noch ein ziemlich wütender Mensch.
Man hat fast den Eindruck, dass du in deinen Songs anderen Menschen ständig Prügel androhst. Bist du so ein Raufbold?
Jack: Manchmal reimt es sich einfach und dann baue ich so was ein, wie „Eat my fist“ ja. Reimt sich auf „You’re on my list“, haha. Vielleicht mag ich ein brutaler Mensch sein, aber wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, wird man nicht mehr so oft in gewalttätige Auseinandersetzungen hineingezogen. Das interessiert mich nicht mehr.
Wie hat sich in deinen Augen der Umgang mit „Political Correctness“ gewandelt? Ist das anders als in den Anfangstagen der Band?
Jack: In meinen Augen hat sich da nichts verändert. In meinen Augen gibt es gerade eine große Debatte über Höflichkeit. Früher hat man zu Höflichkeit „Political Correctness“ gesagt und jeder hat darüber gelacht.
Craig: Ich sehe das anders. Die meisten Menschen machen sich viel mehr Gedanken darüber, ob sie Dinge sagen, die andere vielleicht beleidigen könnten. Was kann man noch sagen und was nicht? Wenn man sich jetzt einen Fehltritt leistet, ist durch das Internet gleich eine ganze Armee von Leuten hinter dir her. Man muss inzwischen extrem darauf achten, was man sagt, und das war nicht immer so. Es hat für mich inzwischen den Grad der Lächerlichkeit überschritten. Alles, was man sagt, wird irgendjemanden verletzten.
NOFX haben ja in den Staaten aktuell massive Probleme, weil sie Witze über die Opfer eines Attentats in Las Vegas gemacht haben. Und jetzt wurden alle ihre Konzerte vorerst gestrichen.
Craig: Mike hat solche Witze schon immer gemacht. War es ein geschmackloser Witz? Na klar. Sollten NOFX dafür in den gesamten Staaten boykottiert werden? Nein, das ist lächerlich. Er hat sich entschuldigt, ich weiß allerdings nicht, ob es eine ehrliche Entschuldigung war. Ich kenne Mike. Aber egal. Das hat er doch schon immer gemacht, er wirft Bomben. Es ist seine Auffassung von Kunst. Es gab mal Zeiten, da haben die Leute Witze noch als Witze wahrgenommen. Und ich denke, es ist bei manchen Themen immer noch der beste Weg, um Leuten gewisse Dinge näherzubringen. Als ich noch klein war, war es üblich, dass wir uns übereinander lustig gemacht haben. Und wir sind alle miteinander klar gekommen. Egal ob weiß, schwarz, gelb oder braun. Keiner hat den anderen gehasst, wir haben uns aber ständig über die anderen lustig gemacht, im Bus, in der Schule, und das kann man inzwischen nicht mehr machen. Die Leute haben doch schon Angst, überhaupt miteinander zu reden. Es gibt eine riesige Angst, Dinge zu sagen, die dich in Schwierigkeiten bringen könnten. Mein Sohn ist jetzt vier Jahre alt und ich mache mir Sorgen, wie das läuft, wenn er mal ein Date mit einem Mädchen haben wird. Denn seit der #MeToo-Debatte reden Jungs und Mädchen kaum noch miteinander.
Gehen dir solche Dinge durch den Kopf, wenn du Texte schreibst?
Jack: Wenn ich mir ständig Gedanken darüber machen würde, wen ich in meinen Songs beleidigen könnte, würde ich gar keine Texte mehr schreiben. Ganz ehrlich: SLAPSHOT-Fans erwarten auch von mir, dass ich meinen Ärger und meine Wut herauslasse. Klar stelle ich mich manchmal auf die Hinterbeine und provoziere gern, aber SLAPSHOT waren nie wirklich unflätig. Außerdem hast du bei jedem kleinen Fehltritt inzwischen die Internet-Armee am Arsch hängen. Das ist es nicht wert.
Du hast die Band 1985 ins Leben gerufen. Was treibt dich an, auch nach über dreißig Jahren noch Konzerte zu spielen und neue Platten zu veröffentlichen?
Jack: Es macht einfach Spaß, darum geht es doch. Die Leute fragen mich immer: Wann hörst du damit eigentlich auf? Und ich sage dann immer: Wenn es mir keinen Spaß mehr macht. Es könnte zwar manchmal mehr Spaß machen, denn der Wunsch nach Bequemlichkeit ist gewachsen, aber ich bin immer noch mit Freude dabei. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen, und ich mag unsere neuen Songs. Die Leute haben Spaß, ich habe Spaß. Es geht nicht darum, rauszugehen und sich gegenseitig die Seele aus dem Leib zu prügeln.
Craig: Darum ging es vielleicht noch, als wir 16 waren. Hahaha.
Jack: Mit 16 ist das vielleicht noch lustig, aber mit 55 macht das keinen Spaß mehr, haha.
Beim Mission Ready Festival spielen vor allem Hardcore-Bands aus New York. Wie ist inzwischen dein Verhältnis zu diesen Jungs? Du hast ja mal den Song „Fuck New York“ veröffentlicht ...
Jack: Das ist schon viele Jahre her. Das ist schon lange vorbei. Interessiert niemanden mehr. Inzwischen komme ich gut mit allen aus.
Viele aus der Hardcore- und Punk-Szene haben nebenbei noch andere Beschäftigungen. Mike, der Sänger der STREET DOGS, ist Feuerwehrmann und, der DROPKICK MURPHYS-Bassist Ken arbeitet nebenbei als Box-Promoter. Machst du auch was nebenbei?
Jack: Ich gehe ins Fitness-Studio und stemme Gewichte. Das ist alles. Das gefällt mir. In den Neunzigern habe ich mich mal als Friseur versucht. Das habe ich über die Jahre immer wieder mal gemacht. Lange Jahre. Vor ungefähr einem Jahr hatte ich aber eine Schulteroperation, seitdem kann ich keine Haare mehr schneiden, weil ich meinen Arm nicht mehr richtig heben kann.
Was sagen eigentlich deine Töchter zum neuen Album von SLAPSHOT?
Jack: Sie haben es noch gar nicht gehört. Und wahrscheinlich werden sie es auch niemals anhören. Sie haben mal vor ein paar Jahren ein Konzert in London besucht, aber wenn meine Töchter SLAPSHOT mögen würden, hätte ich als Vater etwas falsch gemacht. Diese Musik ist wütend und gewalttätig und ich habe keine wütenden, gewalttätigen Mädchen großgezogen. Sie mögen J-Pop und K-Pop. Die Ältere hört gerne Trance-Music. Sie hören einfach freundlichere Musik und ich bin glücklich darüber. SLAPSHOT machen keine Musik für ausgeglichene Persönlichkeiten.
Craig: Das ist keine Musik für normale Leute. Ich war noch nie normal. Um so etwas in unserem Alter noch zu machen, musst du einige Schrauben locker haben.
Jack: Wir waren nie in Behandlung. Das ist unsere Therapie.
© by - Ausgabe # und 30. September 2024
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #21 III 1995 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #127 August/September 2016 und Roman Eisner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #53 Dezember 2003/Januar/Februar 2004 und Zoli Pinter
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #54 März/April/Mai 2004 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #140 Oktober/November 2018 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #45 Dezember 2001/Januar/Februar 2002 und Joachim Hiller
© by Fuze - Ausgabe #70 Juni/Juli 2018 und Ingo Rieser
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #140 Oktober/November 2018 und Wolfram Hanke
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #24 III 1996 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #151 August/September 2020 und Helge Schreiber
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #59 April/Mai 2005 und Ingo Rothkehl