Die alten Herren des Bostoner Urgesteins SLAPSHOT sind seit dem Herbst 2003 mal wieder da. Auf das erste Album nach sieben Jahren folgte eine ausgedehnte Europatour im Oktober/November 2003. Sie waren zwar nie wirklich weg, aber bis auf zwei Europatourneen in den beiden Jahren davor hatte man von ihnen nicht mehr viel gehört, und auch kein neues Album erwartet. Wie ist es dann zu diesem Spätwerk doch noch gekommen? Anfang Januar hatte ich die Gelegenheit, Sänger Jack Kelly, eigentlich berühmt für seinen Sarkasmus und seine provokanten Texte, von seiner etwas ruhigeren und besser gelaunten Seite am Telefon zu erleben.
Digital Warfare“ ist euer erstes Studioalbum nach sieben Jahren – „Old Tyme Hardcore“ erschien 1996. Wie kommt man nach dieser Zeit dazu, wieder etwas zu machen, und was war in den Jahren dazwischen?
„Sieben Jahre, hat das wirklich so lange gedauert?! Es war aber nicht so, dass wir uns zu irgendeinem Zeitpunkt getrennt hätten, aber nach dieser ‚Crossover 2000‘-Tour 1996 war ich einfach so was von fertig und hatte nicht wirklich Lust, mit irgendeiner Band weiterzumachen. Damals war es mir einfach wichtiger, wieder ein normales Leben daheim genießen zu können, statt wochenlang in einem Van zu sitzen und von Konzert zu Konzert gefahren zu werden. Es ging sogar soweit, dass ich von niemandem etwas hören wollte und den Kontakt zu den anderen total verloren habe. Wir hatten keinen Streit oder so was, aber irgendwie hat es sich für uns alle besser angefühlt, uns nicht gegenseitig auf die Nerven zu gehen. Denn wenn man zusammen auf Tour ist, den ganzen Tag in einem kleinen Bus eingesperrt, kommt es immer wieder zu Momenten, in denen dir die anderen einfach nur noch auf die Nerven gehen, und du dich danach sehnst, vorerst keines dieser Gesichter wieder zu sehen. Das hat nichts mit Problemen untereinander zu tun, das ist einfach natürlich. Und nachdem es ein paar Jahre so weitergegangen ist, hat mich Mark von M.A.D. Booking angerufen, ob ich nicht Lust hätte, wieder mal auf Tour zu gehen, und ich war natürlich dabei. Und als wir dann zwischen 2001 bis 2003 ein paar Mal in Europa waren, rief mich Chris eines Tages an und schlug vor, wieder was Neues aufzunehmen. Und das hat sich verdammt gut angehört, also habe ich mich an die Arbeit gemacht und neue Songs geschrieben. Dann haben wir das Album über einige Wochenenden hinweg aufgenommen und abgemischt – und es hat Spaß gemacht, wieder im Studio zu sein. So ist das neue Album entstanden.“
Wie kommt es, dass das Album zuerst über I Scream Records in Europa veröffentlicht wurde und erst vor kurzem in den USA erschienen ist, und warum plant ihr keine Tour für die USA?
„Wie das Album auf I Scream gekommen ist, ist ganz einfach. Wir haben die Leute schon vor Jahren kennen gelernt und uns mit ihnen angefreundet. Als dann klar war, wir würden wieder etwas aufnehmen, hatten wir keinen Vertrag und sind auf I Scream gekommen, denn wir vertrauen ihnen und wissen, dass sie gute Arbeit leisten. Zuletzt hatten wir in Europa nicht so viel Erfolg mit der Zusammenarbeit mit Century Media, das waren zwar auch nette Leute, aber sie hatten keine Ahnung, wie sie mit Hardcore umgehen sollten. Deshalb ist das Album bei I Scream Records gut aufgehoben. Und dass es in Europa zuerst erschienen ist, liegt einfach daran, dass uns Europa schon seit langer Zeit wichtiger geworden ist als die Staaten. Eigentlich sind wir schon fast so etwas wie eine europäische Band. Wir haben den Kontakt zur hiesigen Szene total verloren, da haben sich viele Sachen geändert, und wir haben uns nie so richtig darum gekümmert, in den USA Fuß zu fassen. Europa war uns seit unserer ersten Tour dort einfach wichtiger, weil uns alles besser gefallen hat, und die Leute dort mehr für die Musik gegeben haben, als hier in Amerika. Deshalb haben wir in den letzten Monaten hier nur vereinzelte lokale Shows gespielt und werden auch nicht mehr auf eine US-Tour gehen. Es interessiert einfach keinen von uns. Bridge 9 Records ist ein junges Label hier aus Boston, die sind auf uns zugekommen und haben uns gefragt, ob wir nicht Lust hätten, das Album über sie in den USA zu veröffentlichen. Wir fanden die Idee okay, denn die Brigde 9-Leute sind wirklich nett.“
Worum geht es beim Titeltrack der neuen Platte? Es klingt so, als wäre es eine Kritik an moderner Kriegsführung.
„Stimmt genau. Es geht darum, wie steril die Kriege von heute geworden sind. Jemand sitzt in einer Kommandozentrale und drückt auf ein paar Knöpfe, und es sterben einige Hunderte Menschen. Aber die Täter sehen davon nichts, es ist alles zu einem abgefahrenen Videospiel geworden. Denk einfach an CNN und die Art, wie dort Krieg präsentiert wird: ‚Verehrte Damen und Herren, hier sehen Sie, wie ein Marschflugkörper abgeschossen wird. Wir schalten nun live zu der Onboard-Kamera, um den Flug besser verfolgen zu können.‘. Das ist so krank, vor allem wenn es zu diesem Gerede über saubere Kriegsführung kommt. So etwas gibt es nicht, wir sind uns nur weniger bewusst, was Krieg eigentlich ist, und lassen uns das Ganze als Unterhaltung präsentieren. Erst wenn man das ganze Blut wieder sieht, werden manche Menschen verstehen, was es mit Krieg auf sich hat.“
Das jüngste Beispiel für diese CNN-Unterhaltungsshow war ja der Irak-Krieg. Wie stehst du dazu?
„Dieser Krieg war falsch. Jeder Krieg ist falsch, kein vernünftiger Mensch kann einen Krieg ernsthaft rechtfertigen. Und bei der Sache mit dem Irak ist es so, dass alle angelogen mit dem Märchen von der irakischen Bedrohung wurden. So etwas gab es nicht ernsthaft, aber es hat genügt, um die meisten Menschen in diesem Land von der Notwendigkeit und Richtigkeit dieses Krieges zu überzeugen. Es ist so einfach, die Meinung der Menschen durch Medien zu beeinflussen. Die meisten Amerikaner interessieren sich kaum dafür, was einige Meilen weiter geschieht. Sie lesen einfach ihr Lokalblatt, und was dort nicht erwähnt wird, ist nicht wichtig. Also muss man einfach mit einer Großkampagne starten, bei der dann auch dieses kleine Lokalblatt mitmacht. Und schon wird der Durchschnittsbürger eingeschüchtert und glaubt alles. Ziel war nur, dass unser Präsident und einige seiner Freunde wieder etwas mehr Geld verdienen. Schlimm ist, dass auch jetzt, wo bekannt ist, dass es einfach nur Lügen waren, dieser Mann Unterstützung und Verständnis bei der Bevölkerung findet.“
Kommen wir zum nächsten Song, „The Last Laugh“. Der Text klingt so, als müsste es da jemanden geben, der dich mächtig angepisst hat. Irgendwie musste ich an die Geschichte mit Hoya denken. Also, geht der Song an MADBALL?
„Nein, der Song ist nicht über MADBALL, aber es geht um Hoya. Hoya ist ein großes, dämliches Arschloch, das ist einfach so. Diese Sache mit ihm, das war 1999, die du angesprochen hast, ist der Grund für diesen Song. Nach einer gemeinsamen Show kam Hoya mit zwei anderen Typen zu mir, weil er von einem anderen Arschloch gehört hat, ich hätte MADBALL schlecht gemacht, was nicht der Fall war. Jedenfalls kam dieses Arschloch zu mir und hat mir eine reingehauen. Es gab nicht viel, was ich machen konnte, schließlich hatte er sich ja Bodyguards mitgebracht, so gefährlich ist er. Ich bin wieder aufgestanden, habe gelacht, mich umgedreht und bin weggegangen. Meine Mutter hat mich wirklich härter geschlagen als er. Ich hatte diese Rechnung noch mit ihm offen, und das ist meine Art, ihn wissen zu lassen, was ich von ihm halte. Ich finde dieses ganze Gehabe lächerlich. Wir sind alle große, böse, thoughe Hardcore-Helden, was für ein Scheiß! Ich kann dieses Gequatsche einfach nicht mehr hören. Darum geht es auch in ‚Had It With Unity‘, all diese Sprüche, die einige immer wieder von sich geben. Es ist einfach Musik, und es geht nur um Spaß. Ich habe das Ganze nie so ernst nehmen können, dass ich bereit gewesen wäre, zu jemandem hinzulaufen und ihn zu verprügeln, nur weil er etwas Negatives über mich gesagt hat. Und die Leute haben immer viel Scheiße über mich erzählt, das hat mir nie was ausgemacht, so was darf man doch nicht ernst nehmen.“
Wie ist denn die „Back On The Map“-Tour im Herbst hier in Europa verlaufen?
„Es war ziemlich gut, wir haben immer unseren Spaß in Europa, und die Shows waren auch sehr gut besucht. Aber um ehrlich zu sein: es war nicht mehr so wie früher. Irgendwie macht es jedes Mal weniger Spaß. Du kommst immer wieder in dieselben Städte, machst jeden Abend dasselbe, und schau uns an, wir sind nicht mehr die Jüngsten. Touren ist für uns anstrengend geworden. In den letzten Jahren waren die Touren in Europa immer eine willkommene Möglichkeit Freunde, die ich dort habe, zu besuchen. Ich bin nicht einer dieser Musiker, der den ganzen Tag im Bus verbringen kann, dann abends eine Show spielt und feiert, um dann am nächsten Tag halb ohnmächtig im Bus rumzuliegen. Ich will so früh wie möglich in einer Stadt sein, rausgehen und mich mit Freunden treffen. Ich kenne in Deutschland und Belgien mittlerweile sehr viele Leute, und sie zu treffen ist sogar wichtiger geworden, als Shows zu spielen. Außerdem haben wir alle Familien, ich habe zwei kleine Töchter, und für uns alle ist es wichtig, da zu sein, wenn unsere Kinder aufwachsen. Die Zeit vergeht ziemlich schnell, und ich will da nichts verpassen, sondern mich um meine Töchter kümmern können. Musik ist Spaß, aber meine Kinder gehen vor. Und das fehlt mir eben auch, wenn ich für ein paar Wochen in Europa bin.“
Deine alten STARS&STRIPES-Sachen wurden ja nicht nur positiv aufgenommen. Was hat euch dazu gebracht, nach 15 Jahren wieder etwas einzuspielen?
„Nun, uns war einfach danach, noch mal was mit STARS&STRIPES zu machen. Diesmal hat das Ganze nichts mit Politik zu tun, kein einziger Song. Das ganze Album handelt von Fußball-Hooligans – ernsthaft. Ich komme zwar nicht so oft dazu, mir Fußball anzuschauen, aber ich mag es. Ich bin mir durchaus bewusst, dass es auch dieses Mal einige Leute geben wird, die sich darüber aufregen werden. Aber, was kann ich machen? Ich kann nicht jedem einzelnen das Prinzip von Ironie erklären ...“
Wäre es da nicht sinnvoller, lieber so was nicht zu machen, wenn man schon weiß, was auf einen zukommt?
„Nein, das sehe ich nicht so. Ich mache es einfach, weil es eine weitere Möglichkeit ist, musikalische Ideen zu verwirklichen. Nichts auf dem neuen Album ist ernst gemeint, und so war es auch mit den früheren Sachen. Ich finde es sehr positiv, dass sich die Leute in Europa viel mehr Gedanken über Politik und solche Sachen machen. Aber wenn man diese kritische Prüfung auch auf Musik ausdehnt, muss man einfach wissen, dass nicht alles so gemeint ist, wie es sich auf den ersten Blick liest. Bevor man sich über wirklich alles beschwert, sollte man auch etwas nachdenken.“
Ein Zitat aus „Stupid Fucking Kids“: „Why did I ever waste time with this shit?“. Gibt es Sachen, die du bereust?
„Man bereut zwangsläufig manche Sachen, wenn man sich Gedanken über die Vergangenheit macht. Jeder, der etwas anderes sagt, denkt einfach nicht nach. Wenn ich mir mein Leben so anschaue, frage ich mich, ob einige Sachen, die ich gemacht oder gesagt habe, vielleicht sogar in diesem Interview, wirklich sinnvoll waren. Ich habe mich manchmal gefragt, ob ich mein Leben nicht sogar verschwendet habe. Ich glaube aber, „bereuen“ klingt zu heftig, aber wenn es darum geht, mich kritisch mit früheren Entscheidungen auseinander zu setzen, dann mache ich das oft. Aber diese ganzen Jahre haben auch sehr viel Positives gebracht und Spaß gemacht. Wenn jemand auf dich zukommt und dir sagt, dass ein Lied, das du mal geschrieben hast, sein Leben irgendwie zum Positiven verändert hat, dann muss man doch was richtig gemacht haben. So etwas bedeutet mir viel."
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