Was kommt mir so alles in den Sinn, wenn ich an Mailand denke? Die weltberühmte Scala, Kaffeekultur erster Güte, die Modestadt schlechthin und Fußballderbys zwischen Milan und Inter inmitten eines unfassbaren Bengalo-Meers. Aber damit einhergehend rechtsradikale Skins und Berlusconi, der Herr über die öffentliche Meinung. Doch da ist neuerdings wieder etwas Positives: die Skapunk-Truppe SKASSAPUNKA, die zusammen mit LOS FASTIDIOS, TALCO und Co. dieses Musikgenre in Italien vertreten. Zeit also für ein erstes Gespräch mit Sänger Fulvio – nach bereits drei Longplayern: 2015 „Il Gioco Del Silenzio“, 2017 „Rude Against“ und aktuell in diesem Jahr „Adelante“.
Fulvio, in Italien ist Skapunk wahrscheinlich so stark wie nie zuvor. Bist du auf einen fahrenden Zug aufgesprungen oder wolltest du schon immer diese Art von Musik spielen?
Wir wollten diese Art von Musik schon immer spielen, seit wir 2008 den Bandnamen gewählt haben. SKAssaPUNKa ist ein Wortspiel mit dem italienischen „cassapanca“, das Brust bedeutet, und Ska und Punk, um den Musikstil anzuzeigen.
Drei Alben in drei Jahren, wo kommt euer Fleiß her?
Es gibt verschiedene Gründe: Im Jahr 2015 veröffentlichten wir „Il Gioco Del Silenzio“, unser zweites Album, erstmals mit KOB Records. 2016 haben wir einige Mitglieder der Band ausgewechselt, wir hatten neue Ideen für einen neuen Sound und wir veröffentlichten 2017 „Rude Against“ mit diesen frischen Ideen. Anfang 2018 haben wir dann das neue Album „Adelante“ herausgebracht.
Was bedeutet die kleine „10“ oben auf dem Cover von „Adelante“?
Es ist der zehnte Geburtstag von SKASSAPUNKA , also haben wir dieses Album gemacht, neue Songs gemischt und alte Songs aus den vergangenen zehn Jahren herausgekramt.
Ein Musikjournalist kritisierte kürzlich eine andere Skapunk-Band aus Italien, weil sie es nicht schafften, kritische Texte mit fröhlicher Musik zu verbinden. Was sagt ihr dazu?
Wir sagen, dass Ska ein Musikstil ist, der eben oft auf diese Weise kommuniziert, du hast die Wahl zwischen verschiedenen Geschmäckern. Das Schöne an Skapunk ist, dass es ein sehr vielfältiger Stil ist – wir lieben ihn genau aus diesem Grund.
Stammt ihr alle direkt aus Mailand? Ist die Weltstadt bereit für eure Texte oder ist die Mode der Politik voraus?
Wir kommen aus verschiedenen Teilen Mailands, wir haben unseren Proberaum in Lainate, im nordwestlichen Hinterland von Mailand, nahe dem Gelände der EXPO 2015. Mailand ist eine große Stadt und die Mode – und viele andere Dinge – sind der Politik voraus, aber es gibt eine gewisse Anzahl von Bürgern, die an eine andere Lebensweise glauben. SKASSAPUNKA sind Teil dieser Minderheit. Wir kommen aus der Antifa-Bewegung von Mailand und wir sind stolz darauf. Aber die Situation ist in ganz Italien und auch in Mailand nicht sehr gut für die Bewegung. Das Schlimmste ist, dass junge Generationen ohne ein Bewusstsein für Antirassismus und antifaschistische Werte aufwachsen, und ich denke, dass es nötig ist, in Schulen und Universitäten zu gehen, um sie zu verändern, und Musik kann dabei wirklich helfen.
Mein Ox-Kollege Lars Weigelt hat zu Recht geschrieben, dass ihr „den perfekten Soundtrack für die Stadionkurve“ liefert, aber ist es nicht gefährlich, sich im Mailänder San Siro-Stadion links zu positionieren, wegen der rechten Idioten?
Die Wahrheit ist, in der Kurve gibt es zur Zeit fast nur noch rechte Fans. Das tut uns leid und wir versuchen, dagegen anzugehen.
In dem Song „Crazy town“ heißt es sogar: „My crazy town, I hope you’ll die“. Warum ist es für mich so schwer zu verstehen, dass die Italiener sich so drastisch negativ äußern?
Es ist eine Provokation, sicherlich, aber es heißt auch weiter: „Ich hoffe, du lebst, ich hoffe, du kämpfst und ich hoffe, wir gewinnen“. Es gibt ein Gefühl der Hoffnung für eine bessere Welt, die gegen den Hass in einer Gesellschaft kämpft, die zu Konsumterror und Kapitalismus geführt hat. In diesem Sinne bedeutet „Ich hoffe, du stirbst“, dass wir als Verbraucher, als kleine Getriebe eines geldbasierten Systems, das statt der Menschen lebt, uns vereinen und gegen das System gewinnen.
Andererseits scheint mir, dass es auch in Italien einen zunehmenden Rechtsruck gibt. Ist es dieses Übermaß an Traditionen, das diese negativen Aspekte allzu schnell verdrängt?
Wir glauben nicht, dass es an den Traditionen liegt, sondern an der wirtschaftlichen Situation, die Krieg unter der armen Bevölkerung auslöst und Rassismus und Neofaschismus verstärkt. Ignoranz schafft Hass – gegen Migranten, Flüchtlinge, gegen Sozialpolitik, die die Verbesserung der Lebensbedingungen der armen Menschen, nicht nur der reichsten, zum Ziel hat. Die Rechte in Italien nutzt diese Situation leider zu ihrem Vorteil und sie wächst sehr schnell.
Wann können wir euch live in Deutschland sehen und was verbindest du mit der deutschen Skapunk-Szene?
Die nächsten Gigs in diesem Sommer in Deutschland finden unter anderem in Köln, Stuttgart, Göttingen und Freiburg statt. Das Interessanteste an der deutschen Skapunk-Szene ist, dass wir bei Konzerten manchmal mit jungen Skankern und Punkern spielen. Es ist sehr schön, anders als in Italien, über neue Generationen nachzudenken.
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