SISSIES

Foto© by Cecile Ash

Die Band mit dem Doppelbass

Es ist mal wieder eine dieser „Moment ... die kenne ich doch!“-Situationen: SISSIES ...? Ja, da war mal was ... 1998 schrieb ich in Ox Nr. 31: „Wem seine HELLACOPTERS- und GLUECIFER-Scheiben allmählich langweilig werden, findet hier eine ganz brauchbare Ersatzdroge.“ Es war die große Zeit des Skandinavien-Rock, und irgendwie mischten die Hamburger da mit, veröffentlichten mehrere Platten ... und waren dann irgendwann weg. 2017 die Reunion, zunächst aber Bandaktivitäten auf Sparflamme, und nun ein neues Album namens „Cockroach Swing“, das durchaus an die alten Zeiten anknüpft und Spaß macht. Sänger Nico erzählt, wie das damals war und was heute so geht.

Halten wir mal fest: Wer sich noch an euch erinnern kann, ist alt, oder? Und unter welchem Stein habt ihr als Band die letzten 20 Jahre überdauert?

Wir haben 13 Jahre eigentlich gar nichts miteinander zu tun gehabt und uns dann 2017 auf Wunsch unseres Bandpaten Botsch wieder für eine Show zu seinem 50. zusammengetan. Seitdem haben wir vereinzelt Gigs gespielt, zu 80 % in Hamburg.

Wer ist anno 2024 noch in der Band von der damaligen Besetzung? Und was habt ihr jeweils musikalisch gemacht seitdem, was macht ihr parallel zu den SISSIES?
Von der letzten Besetzung sind alle wieder mit dabei, plus Gründungsmitglied Tim – dadurch haben wir jetzt die Besonderheit mit Tim und Fazer zwei Bassisten in der Band zu haben . Tim war zwischenzeitlich bei ULME, Tiffy (dr) und Freden (gt) waren beziehungsweise sind bei den Sludgemetallern THE MOTH, die letzten Herbst ihr viertes Album „Frost“ rausgebracht haben, und ich habe bei HUTCHINSON, kurz bei GODS OF BLITZ und ODDJOBMEN gesungen, habe beim aktuellen TIKI GOD-Album mitgewirkt und mit meinem spanischen Lieblingsbiker ein Oldschool-HC-Projekt namens SATANS FUN BRIGADE. Ansonsten haben wir alle auch Familie und „normale“ Jobs – von Gastro, Film und Theater bis Soziale Arbeit ist da alles dabei.

Warum jetzt wieder SISSIES?
Weil wir uns alle mögen und es für uns alle ein Highlight ist, wenn wir in Hamburg in proppenvollen Clubs spielen dürfen. Alle haben eine gute Zeit und können mit zusammengekniffenen Augen so tun, als wäre es wieder 1999. Es gab auch einfach noch zu viele Songs, die wir seit Jahrzehnten live spielen und die nie veröffentlicht worden sind, oder zumindest nicht in dem gewünschten Sound und/oder Kontext. Wir wollten einfach noch mindestens ein „fettes“ Album machen und jetzt ... wer weiß, eventuell noch eins, oder zumindest unregelmäßig-regelmäßig EPs.

Wenn ich die Ox-Reviews zu damals lese, merke ich, was das für eine andere Zeit war damals. Auf dem Cover eurer ersten Platte „Dependent“ von 1997 ist ein Ford Mustang zu sehen, es war die Zeit von Vollgas-Punkrock à la HELLACOPTERS und GLUECIFER und Flammenhemden. Wie erinnert ihr diese Zeit?
Ich erinnere mich an diese Zeit sehr genau, auch weil sich meine musikalischen Interessen seitdem kaum verändert haben. Flammen auf den Ärmeln fanden wir etwas drüber, aber dieses comichafte Spielen mit amerikanischen Rock/Biker/Surf-Klischees fanden wir, zumindest ich, sehr spannend, und das war zu dieser Zeit ja auch noch nicht so selbstverständlich und greifbar, wie es jetzt ist. Ich finde aber, dass der Schweden-Rock-Boom vor 25 Jahren das wahrscheinlich spannendste im Rock war und ist seit den 1970er Jahren . Unser Debüt „Fixed“ auf Dependent Records hatte aber, meiner Meinung nach, nicht viel mit dem Skandi-Boom zu tun. Wir steckten immer zu tief im EYEHATEGOD-, MELVINS-, MISFITS-Schlamm.

Und wenn wir schon mal dabei sind: Wie und wo ging das einst los mit euch, was habt ihr in den fünf, sechs Jahren um die Jahrtausendwende so erlebt und getrieben?
Freden und ich haben seit 1994 im Keller seines Kindheitshauses an den SISSIES gebastelt, haben unsere ersten Songs aber noch unter dem Namen DOOMBABY rausgehauen. Die ursprünglichen SISSIES waren eigentlich eine RAMONES/MISFITS-Coverband namens THE MALONES, mit welchen wir eine Show vor PAINTED AIR gespielt haben im Frühjahr 1996 im Hamburger Marquee. Aber wir wollten schnell eigene Songs machen und so spielten wir sechs Monate später schon als SISSIES im Marquee vor YUPPICIDE. Wir hatten zum angefragten Zeitpunkt eigentlich alle noch mit den Restwehen unserer Jugend zu tun ... Abi, Zivildienst, zweiter Bildungsweg, erstes gebrochenes Herz etc. Tim und ich waren nachts gern skaten, wir haben viel geprobt, waren viel draußen, haben sehr viel Musik gehört und Konzerte besucht.

FU MANCHU bringen bald ein neues Album raus, ihr seid wieder am Start – ein Revival des Stoner Rock? Oder anders gefragt, wo seht ihr euch heute musikalisch?
Ich sehe da eigentlich kein Revival, eher nur einen Austausch der Genrebezeichnungen. Wenn man sich die Bands beim Desert Fest anguckt, dann war Stoner Rock vielleicht knappe zehn Jahre im Umorientierungsprozess, ich denke mal, von 2004 bis 2012 oder so, und ist seitdem eher stabiler als je zuvor, nur das nicht mehr alle KYUSS schreien, sonder eher PINK FLOYD, KING CRIMSON, oder TOOL. Ich sehe uns da, wo ich uns immer gesehen habe, im Dreck, direkt an allen Schubladen vorbei, ein büschen Hardcore, ein büschen alten Stoner, viel Druck und Melodie. Wahrgenommen wird man ja eh meist anders, aber wir waren immer ein büschen alles und ein büschen nix, und irgendwie kommen wir damit durch.

Damals hattet ihr nur englische Texte, jetzt heißen Songs auch mal „Bruce Lee ihm sein Grab“ oder „Nicht lang fackeln“. Wie kommt’s?
Da geht es viel um Sentimentalität und das wollte ich so authentisch und griffig, wie eben möglich zu Wort bringen und das wäre mir auf Englisch nur deutlich einfacher und pathetischer gelungen. Da geht es um Geschichten, die Opa einem beim Rauchen auf der Bank erzählt hat, um die ersten Filme auf NDR3, bei welchen man froh war, dass die Eltern gerade nicht ins Zimmer kommen und man anderen Außenseitern beim Erwachsenwerden zugucken kann, die ersten Einblicke in das kommende Halbstarkentum, das erste Romantisieren von vermeintlichen schlecht behandelten „Verlierern“. Jeans als Uniform, Taschenmesser als ultimative Bewaffnung, Cowboystiefel als Erkennungszeichen der „Erleuchteten“. Durch diese Filme wurde die Welt in meinen Augen größer und kleiner. Alles geht, nichts gehört verboten.

Das Album heißt „Cockroach Swing“, auf dem Cover ist eine Kakerlake zu sehen. So eklig es ist, die Viecher in der Wohnung zu haben, so legendär ist deren Widerstandsfähigkeit – angeblich würden sie sogar einen Atomkrieg überleben. Warum also die Küchenschabe?
Kurz und knapp: wenn du glaubst, sie sind verschwunden, kommen sie wieder aus irgendeinem Loch hervorgekrochen ...

Thomas Götz hat eure Platte aufgenommen. Was hat er verstanden, wie die SISSIES klingen müssen?
Er hat verstanden, was man einer Band geben muss, damit sie ein gutes Album „live“ einspielen kann. Ein kleiner Raum mit viel Athmo, Kabel-Dschungel ... sobald man in den Raum kommt, weiß man, hier sollte und kann man „nur“ Musik machen. Max Power hat dann alle Regler und Knöpfe übernommen. Er kennt uns seit 20 Jahren, kennt jeden Charakter in der Band und wie er unsere Stärken ausspielen kann. Somit sind die beiden, insbesondere Max, völlig unerlässlich für dieses Album.

Und was ist so geplant? Wochenlange Clubtouren durch Deutschland im klapprigen Van, weil es damals so geil war ...?
Wir planen eigentlich nur ein paar Shows , um die Platte zu supporten, ansonsten wollen wir einfach nur alle vier Wochen im Raum stehen und lärmen und gucken, wohin es uns treibt. Ich würde gerne das FAITH NO MORE-Cover, welches wir seit einem Jahr spielen, aufnehmen und rausbringen. Mal sehen.