SIMPLE PLAN

Foto© by Karo Schaefer

Von Erfolg und Hundezucht

Sie katapultierten sich mit ihrem Debütalbum in die Spitzenliga des Pop-Punk. Das war in den frühen Zweitausendern. Nach weiteren Platten und Welttourneen wurde es ruhiger um die Band aus Montreal, Kanada. Nun steht nach sechs Jahren ein neues Album in den Startlöchern. Wir sprechen mit Sänger Pierre Bouvier über „Harder Than It Looks“ und alte Zeiten und überlegen, wieso SIMPLE PLAN heute noch genauso klingen wie vor zwanzig Jahren.

Blick zurück

Reisen wir kurz zurück in das Jahr 2002. Vier kanadische Jungs, die erst seit ein paar Jahren gemeinsam Musik machen, haben mit „No Pads, No Helmets ... Just Balls“ ihre erste Platte am Start, und damit scheinen sie in der aufkeimenden Pop-Punk-Ära genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und wer kann schon auf seinem Debüt mit Features von Genregrößen wie Mark Hoppus (BLINK-182) und Joel Madden (GOOD CHARLOTTE) auftrumpfen? Auf den Katapultstart folgte die Omnipräsenz bei MTV, Touren mit GREEN DAY und nicht zuletzt ein Headliner-Slot auf der Vans Warped Tour. Das Ausmaß ihres Erfolgs ist SIMPLE PLAN damals gar nicht so recht bewusst.

„Wie wir wohl damals reagiert hätten, wenn wir anhand unserer Follower oder YouTube-Views ein direktes Feedback erhalten hätten?“, wird sich Pierre später fragen. „Dennoch hatten wir nach diesem Erfolg vor nichts Angst, uns schien alles möglich. Deshalb gingen wir so entspannt wie niemals davor oder danach an unsere zweite Platte ‚Still Not Getting Any‘ heran.“ Und auch Pop-Punk würde nie wieder so populär sein, wie zu dieser Zeit.

Neues Album, alter Sound
Es ist ein Tag kurz nach Ostern 2022, als Pierre anruft. Er redet erstaunlich schnell, dafür dass im südlichen Kalifornien gerade erst die Sonne aufgegangen ist. Zwischendurch versucht er, ein Gähnen zu unterdrücken. Bald ist es soweit – endlich: Das neue Album erscheint. Dabei ist es seit zwei Jahren so gut wie fertig. „Meine Kids mäkeln schon die ganze Zeit, ich solle nicht schon wieder das alte Album auflegen, sondern lieber neue Songs schreiben“, witzelt Pierre. „Schon bizarr, dass die Welt sie noch nicht gehört hat.“

Mit seiner Energie, dem klaren Pop-Punk und den eingängigen Vocal-Hooks würde sich „Harder Than It Looks“ nahtlos in die frühen Werke der Band einreihen. Musikalisch und stimmlich hat sich nicht viel verändert. „Wir wollten unbedingt ein gutes Fundament aus klassischen SIMPLE PLAN-Songs schreiben, mit denen sich unsere frühen Fans identifizieren können und an die guten alten Zeiten erinnert fühlen“, verrät Pierre. Ist das nicht auch eine Herausforderung? „Ein Album ist immer eine Herausforderung“, werde ich daraufhin ermahnt. Klar. Doch jetzt sind SIMPLE PLAN ohne Label unterwegs – und bereits über zwanzig Jahre im Geschäft. Wollen die Leute überhaupt noch das Zeug von früher hören? Ist man noch authentisch, wenn man mit Anfang vierzig das Gleiche macht wie mit zwanzig? „Ganz pragmatisch gesehen hatten wir niemanden, der uns eine Einschätzung geben konnte. Klar, unseren Familien und engsten Freunde haben wir die Songs vorgespielt, aber unabhängige Expert:innen hätten uns mehr Sicherheit geben können.“ Und manchmal überzeugt man sich dann einfach selbst. „Ich mag besonders gern ...“, setzt Pierre an und sucht nach Worten. „Na, wie heißt der Song doch gleich ... oh je, wie peinlich.“ Wir lachen. „Ich hab’s! ‚Slow motion‘. Wenn ich diesen Song höre, habe ich sofort cineastische Bilder vor Augen.“ Und schon eine Idee fürs Musikvideo? „Nee, das überlassen wir in guter alter Tradition unserem Drummer Chuck Comeau.“ Nicht zuletzt war es auch seine Idee, für das Video zu „Wake me up (When this nightmare’s over)“ mit einem ukrainischen Regisseur und Cast auf den Krieg und das Leid im russischen Nachbarland aufmerksam zu machen.

Keine halben Sachen
Jahrzehntelanger Erfolg funktioniert nur mit dem richtigen Mindset. „Ich mache Dinge immer ganz oder gar nicht, so war ich schon als Kind. Selbst wenn ich Tellerwäscher wäre, würde ich meinen Arbeitsbereich stets perfekt aufgeräumt halten“, beteuert Pierre. „Wir alle haben uns der Musik verschrieben, eine Band, auf Tour gehen, Alben schreiben, das ist eine große Verantwortung. Es ist wie in einer langjährigen Liebesbeziehung. Es bedarf viel Arbeit, aber die Verbindlichkeit zahlt sich aus. Wir haben uns dafür entschieden, auch in schwierigen Zeiten zueinander zu halten.“
Vielen Bands begegnen ihre Fans mit Unmut, wenn sie ihren Sound verändern, SIMPLE PLAN klingen heute genauso wie früher. Der Weg des geringeren Widerstands? „Wir dachten immer, dass wir uns neu erfinden müssten, aber dann haben wir realisiert, dass unser Sound eine Stärke ist, keine Schwäche. Das war irgendwann um das vierte Album herum“, erinnert sich Pierre. Und er ergänzt: „Ich bin überzeugt davon, ein guter Songwriter zu sein – ich glaube, ich könnte alle möglichen Genres bedienen, sei es Country oder Metal. Ich besitze einfach die Fähigkeit dazu. Wenn man dann überlegt, dass man sein Leben lang nur Pop-Punk schreiben wird, fühlt sich das sehr limitierend an. Andererseits lohnt es sich doch auch, das fortzuführen, was man aufgebaut hat. Es ist schließlich nicht selbstverständlich, dass man erreicht, was wir bereits in den ersten fünf Jahren unserer Bandgeschichte geschafft haben. Schau dir die ganzen jungen Bands an, die noch keine große Fanbase und somit alle Freiheiten haben, sich auszutoben. Die Frage ist: Wie gelangen sie dorthin, wo wir sind? Das jetzt einfach wegzuwerfen, fühlt sich falsch an. Schließlich weißt du, dass da draußen haufenweise Menschen sind, die ein SIMPLE PLAN-Album erwarten, das nach einem SIMPLE PLAN-Album klingt, und bereit sind, es zu kaufen und deine Konzerte zu besuchen. Auch wenn ich das Wort hasse, aber unsere Band ist eine Marke geworden und das gibt uns eben auch die Sicherheit, dass wir mit unserem etablierten Sound weiterhin richtig liegen. Die Einschränkungen, die wir erleben, sind gleichzeitig unsere Stärke.“

Zwischen Ego, Welttournee und Heimat
Ein gesundes Selbstbewusstsein, das aus dem kanadischen Sänger spricht. Was macht das eigentlich mit der eigenen Persönlichkeit, wenn man bereits mit dem Debütalbum so erfolgreich ist? „Wahrscheinlich beeinflusst es dich im positiven wie negativen Sinne. Meine Frau würde wohl sagen, dass die Hälfte des Jahres auf der Bühne zu stehen und von Menschenmengen bejubelt zu werden, definitiv Auswirkungen auf mein Ego hatte.“ Wir lachen.

Auf Tour die Welt zu bereisen, hat auch Pierres Sicht auf das Leben verändert. Es ist schließlich ein besonderer Luxus, andere Länder, Menschen und deren Kulturen erleben zu dürfen – in einem Ausmaß, wie es wohl den wenigsten gegönnt ist. „Auf mich wirkt die Welt inzwischen viel kleiner und die Unterschiede zwischen den Ländern sind viel unbedeutender. Ich würde mir wünschen, dass mehr Leute die Möglichkeit haben, möglichst viele verschiedene Orte zu entdecken und so zu realisieren, dass ihr eigenes Leben nur ein klitzekleiner Ausschnitt ist. Gerade in der aktuellen Zeit, wo gegen Nachbarländer Krieg geführt wird, sollte sich jede:r bewusst machen, dass wir uns unterm Strich alle ganz schön ähnlich sind und es letztendlich doch völlig egal ist, ob der eine das glaubt oder die andere jene Abstammung hat. Unsere Grundbedürfnisse sind die gleichen. Es gibt keine Helden, keine Feinde.“
Ganz besonders im Gedächtnis geblieben ist Pierre der erste Besuch in Japan – diese Erfahrung teilen viele Bands. Obwohl die Kultur eine so andere ist als die in Nordamerika, haben sie sich immer sicher und willkommen gefühlt, wurden äußerst respektvoll behandelt. „Das Essen ist natürlich auch großartig“, ergänzt Pierre. „Und unsere Handys funktionierten damals nicht im japanischen Netz, so dass es keine Kommunikation mit den Familien und Freunden daheim gab. Eine großartige Erfahrung, quasi auf sich alleine gestellt zu sein.“ Diese Reise war der Beginn eines Wunschs, der letztendlich Wirklichkeit werden sollte: die Welt zu bereisen.

Und bald geht es wieder los. Zuerst in Nordamerika, dann der Rest der Welt. Ende des Jahres wollen SIMPLE PLAN auch nach Europa kommen. Das Rockstar-Leben mit der Familie zu vereinbaren, ist nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie zur echten Herausforderung geworden. Pierre lebt mit Frau, Kindern, Hunden, Katzen und Hühnern auf dem Land. „Ich glaube, das war insgeheim schon immer mein Traum. Noch nie war ich der Stadt-Typ. Als ich in der zweiten Klasse war, kauften meine Eltern ein Haus im Wald. Wir hatten eine Hundezucht, ich bin viel in der Natur gewesen, Dirt Bike und Snowboard gefahren.“ Stopp: Hundezucht? Pierre lacht. „Ja. Das Witzige daran ist, dass wir die Rasse Bouvier gezüchtet haben, genau wie unser Familienname. Das war aber Zufall, denn meine Mutter ist Allergikerin und diese Hunde haaren nicht.“

Auf dem Land zu leben, stand also fest, aber in Südkalifornien? „Das konnte ich mir nie vorstellen, aber jetzt liebe ich es mit all den Freunden um uns herum und dem gutem Wetter.“ Apropos sonniges Wetter: Welche ist denn Pierres Lieblingseissorte? „Ganz klar: Caramel-Cookie-Crunch.“