SICK OF SOCIETY sind maßgeblich daran beteiligt, dass der Underground weiterlebt. Seit 25 Jahren trotzt die Punkband aus dem Süden Deutschlands allen Widrigkeiten. Mehrfache Veränderungen im Line-up brachten sie nur kurz aus dem Konzept. Mit „Perlen vor die Säue“ veröffentlichte das Quartett Anfang 2018 eine gelungene Platte, zum ersten Mal durchweg mit deutschen Texten. Wir trafen Bassist Steini und die beiden Gitarristen Falko und Chris. Gründungsmitglied Oliver findet Bandgeschichten langweilig, daran liegt es aber nicht, dass das mit dem eigenen Bandlogo tätowierte SICK OF SOCIETY-Urgestein nicht bei unserem Interview dabei sein kann – er hat schlichtweg berufliche Verpflichtungen. „Vielleicht ist ihm die Bandgeschichte aber auch peinlich“, scherzen seine Kollegen. Man merkt schnell, dass innerhalb der Band gute Stimmung herrscht und man sich selbst nicht ernster nimmt als nötig.
Als WICKED POWER ging damals 1989 alles los, Oliver und sein Kumpel Thomas versuchten sich zuerst als Duo. 1991 kam Fizzi dazu, wenig später Bassist Kurz, und die mittlerweile zum Quartett angewachsene Truppe entschied sich 1993, die Band in SICK OF SOCIETY umzutaufen. Ab hier beginnt also die offizielle Zeitrechnung. Anfangs ziemlich unentschlossen, wurde ohne Grenzen drauflos musiziert. Metal, Punk, Hardcore, Death Metal und obendrauf noch eine Ballade? Kein Problem. Der heutige Bassist Steini kam 1995 auf dem Schulhof durch einen Klassenkameraden in den Besitz einer Raubkopie von einem „Mixtape von einer einzigen Band“, nämlich SICK OF SOCIETY, das er nach eigenen Angaben „relativ cool“ fand. Welche Relevanz diese Begebenheit hatte, war ihm damals noch nicht klar. Jahre später war er selbst musikalisch mit CROSS X aktiv, als SICK OF SOCIETY-Oliver auf ihn zukam. Noch nicht vollends ausgelastet bewarb dieser sich bei der Hardcore-Band um den freien Posten am Schlagzeug. Zwei Jahre, nachdem Gründungsmitglied Thomas die Segel gestrichen hatte, stieg dann 2000 wiederum der Bassist von SICK OF SOCIETY aus und Steini nahm zusätzlich dessen Posten ein. Die Bande sind seitdem fest geknüpft und halten bis heute.
Als Gründungsmitglied Fizzi 2014 wegen gesundheitlicher Probleme endgültig aussteigen musste, galt es nicht nur, musikalisch Ersatz für ihn zu finden, auch menschlich sollte es unbedingt passen. Eine Auflösung der Band stand nach seinem Weggang trotzdem nie zur Debatte, gibt Steini zu Protokoll: „Dafür war es uns zu wichtig. Die Diagnose kam ziemlich plötzlich, viele Shows waren schon fest organisiert. Unser Live-Mischer Alex sprang zunächst für Fizzi ein, denn wir dachten anfangs, dass der nach einer Pause weitermachen könnte. Es funktionierte aber einfach nicht, auch wenn er gerne gewollt hätte.“
(Neu-)Gitarrist Chris hat sich mittlerweile gut bei SICK OF SOCIETY integriert, ging mit Respekt an die Sache heran und lernte erst mal fleißig die komplette Diskografie. Und irgendwie ist Fizzi auch 2018 noch dabei, denn der Song „Der Wahnsinn eines Lebens“ vom aktuellen Album wurde schon vor einigen Jahren als Beitrag für ein Theaterstück zugunsten der Robert-Enke-Stiftung verfasst. Das Leben ist auch weiterhin wahnsinnig, weshalb das Lied nichts an Relevanz eingebüßt hat. Ebenso wie der Anspruch an „Klare Worte“, ein Song, der Gitarrist Falko besonders am Herzen zu liegen scheint: „Es kommt leider noch viel zu oft vor, dass Bands sich nicht wirklich äußern. Uns war es sehr wichtig, uns eben nicht in der Grauzone zu befinden. Jeder soll wissen, wo wir stehen und was unsere Positionen sind.“ Entsprechend bemühen sich SICK OF SOCIETY bei ihren Ansagen auf Konzerten um eine gute Mischung aus Spaß und Ernst, bei denen sich Schlagzeuger Oliver ganz offensichtlich für den spaßigen Teil qualifiziert zu haben scheint.
Punk zu definieren, das erscheint schon wieder total unpunkig. Trotzdem ist es interessant zu wissen, welche Gedanken sich jeder Einzelne dazu macht. BAD RELIGION waren für Falko die Einstiegsdroge. Greg Graffins Aussagen, die auch den Anzugträger zum potenziellen Punk machen, beeindruckten ihn und prägten ihn deutlich mehr als manche Spaßpunk-Band: „Das fand ich richtig cool. Dass jemand klar macht, dass Punk im Kopf passiert. Es hat etwas mit eigener Emanzipation zu tun, mit der Lebenseinstellung. Dass man versucht, seinen Weg zu finden, und diesen ganzen Systemscheiß nicht mitmacht. Um Punk zu sein, muss man keine Kutte oder Iro tragen und auch nicht zwingend einen Hund haben.“
Steini fügt hinzu: „Gerade Deutschpunk ist als asozial, biersaufend und dumm verschrien. Kann so sein, muss aber nicht. ALARMSIGNAL und RASTA KNAST haben mich zum Punk gebracht.“ Die Auffassungen von Punk, immer subversiv dem System gegenüber, variieren natürlich von Land zu Land. Eine Erfahrung, die die Band durch Auftritte in Tschechien, Schweiz, Italien und Indonesien schon selbst machen durfte. Ein weiteres Mammutprojekt wie die Indonesientour 2016 ist allerdings aktuell schwer zu realisieren, da andere Verpflichtungen vorrangig erfüllt werden müssen.
Auch die Proben finden „so unregelmäßig wie möglich“ statt. Der Schichtdienst von Steini, die beruflichen und familiären Verpflichtungen der anderen drei Bandmitglieder, das alles muss unter einen Hut gebracht werden und darüber hinaus sind drei der vier Mitglieder noch bei der Hardcore-Band CROSS X aktiv. Weekend Anarchy ist weiterhin angesagt, denn unter der Woche müssen SICK OF SOCIETY eben malochen. Steini fasst es nüchtern zusammen: „Du musst dein Leben finanzieren. Es kommt darauf an, was man vom Leben erwartet, und ich möchte eben ungern unter der Brücke schlafen und deswegen muss ein Job her, der Geld reinbringt. Das Wochenende ist dann zum Abschalten da.“ Falko findet mittlerweile sogar Gefallen daran. „Mit Mitte zwanzig war es natürlich einfacher, sich Ideale zu schaffen und zu rebellieren. Interessant wird es jetzt mit denen, die mit Mitte dreißig oder Mitte vierzig weiterhin an ihrer damaligen Einstellung festhalten.“
Die Aufnahmen für das aktuelle Album „Perlen vor die Säue“ nahm deshalb kurzerhand jedes Mitglied daheim selbst vor, so dass jeder ohne Druck in Ruhe seine Parts einspielen konnte. Letztendlich blieb dann im Studio mehr Zeit zum Mischen, die sorgfältige Vorbereitung zahlte sich also aus. Mit „Perlen vor die Säue“ haben SICK OF SOCIETY jetzt erstmals ein komplett deutschsprachiges Album veröffentlich. Der Sound wurde seit gut zehn Jahren durch das Touren mit Deutschpunk-Bands immer punklastiger und weist nur noch vereinzelt Metal-Fragmente auf. Doch mit dem Status quo sind SICK OF SOCIETY rundum zufrieden: „Viele Texte auf den alten Alben waren schon Blödsinn. damals haben wir noch nicht so viel Wert auf den Inhalt gelegt. Dabei ist es doch wichtig, was man singt. Wir haben ja immerhin etwas zu sagen. Als ich die neue Platte zum ersten Mal gehört habe, hat sich das für mich sofort richtig angefühlt. Jetzt klingt es so, wie es sein sollte, und die Leute verstehen auch, was wir singen“, freut sich Gitarrist Falko. Zukünftig festlegen lassen will sich die Band trotzdem nicht, weder auf den Sound noch auf die deutsche Sprache.
Und wo liegt jetzt bei SICK OF SOCIETY der Schwerpunkt, Spaß oder Ernst? Die Band selbst legt die Gewichtung auf den Ernst: „Selbst Songs, die auf den ersten Blick spaßig wirken, haben meistens einen ernsten Hintergrund. Bei ,Biersam für die Seele‘ geht um die Ursachen von Alkoholkonsum, auch wenn wir das lustig verpackt haben. Inhalte sind uns wichtiger als Klamauk, auch wenn der Spaß natürlich dazu gehört.“
Die Liste der Live-Termine für 2018 ist verhältnismäßig lang. Wahrscheinlich wird die Band ihr selbst gesetztes Ziel von dreißig Shows pro Jahr, trotz gründlicher Kosten-Nutzen-Abschätzung, zum ersten Mal überschreiten. Den Anspruch kommerziell durchzustarten hatte die Band nie ernsthaft und ist heute sogar froh darüber, sich dadurch gewisse Freiheiten bewahrt zu haben. Von Anfang an galt, möglichst viele Leute zu den Konzerten zu bringen und lieber mehr CDs für weniger Geld zu verkaufen. „Wenn ich spielen muss, um Geld zu verdienen und mir was leisten zu können, dann will ich das nicht. Wenn ich mal keine Lust haben zu spielen, dann spiele ich einfach nicht und die Freiheit will ich weiterhin haben“, legt Steini sich fest und Falko fügt hinzu: „Ich brauche auch nicht diesen Überbau an professionellen Institutionen, mit denen ich mich dann auseinandersetzen muss. In kleinen Clubs, da kennt man sich und es bleibt familiär.“
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