Anfangs selbst Musiker, wurde Shawn Keith bald Partner bei Sumerian Records, arbeitete dort mit Künstlern wie ASKING ALEXANDRIA, managete Bands wie EMMURE oder THE WORD ALIVE, bis er dann sein eigenes Label SharpTone Records gründete. Nach über fünf Jahren und einem verrückten 2020 ist es an der Zeit, einmal Zwischenbilanz zu ziehen.
Du warst auch mal in einer Band, bevor du ins Labelgeschäft eingestiegen bist.
Ja, ich war mal in einer Band namens CALICO SYSTEM, wir waren bei Eulogy unter Vertrag. Bei euch müsste das als Lizenz bei Alveran Records erschienen sein. Wir sind auch einmal in Europa getourt, das hat damals Avocado gebucht, zusammen mit SILENT DRIVE. Eine sehr melodische Band, da waren zwei Leute von BANE dabei. Und mit THE HURT PROCESS, die waren damals bei Victory Records.
Und wie wird aus dem Typen in der Band auf einmal der Typ vom Label? War das eine bewusste Entscheidung oder ist das einfach so passiert?
In Europa zu spielen war damals ein großes Ding für uns. Ich komme aus dem Mittleren Westen, aus Illinois. St. Louis ist hier die größte Stadt, aber wir kamen alle aus kleineren Orten außerhalb. Rückblickend betrachtet würde ich sagen hatten wir ein klein wenig Erfolg. Genug, damit deine Freunde, Familie und die Kleinstadt, aus der du kommst, stolz auf dich sind, aber man konnte schon erkennen, dass die Zukunft der Band nicht wirklich nachhaltig sein wird. Ich habe immer versucht, mit verschiedenen Labels in Kontakt zu kommen, damals waren das Trustkill, Ferret oder Equal Vision, um meine Band dort unterzubekommen. Wir sind dann am Ende bei Eulogy gelandet.
Und wann kam der Punkt, an dem du die Seiten gewechselt hast?
Nun, Musik schreiben und Touren ist eine Sache, aber ich habe mich immer mehr für die Business-Seite interessiert. Ich habe mich immer ums Networking gekümmert, um Shows innerhalb unseres Radius spielen zu können. Wir haben dann Freitag, Samstag, Sonntag Konzerte gespielt, sind nachts nach Hause gekommen und dann die Woche über zu unseren Jobs. Ich habe mich da reingehangen, damit wir mit Band unterwegs sein konnten. Tatsächlich hat mich dieser Aspekt der ganzen Sache immer mehr interessiert als wirklich Musik zu schreiben.
Ich glaube, jede erfolgreichere Band hat so einen Typen, der sich um alles kümmert. Wenn sie sich irgendwann auflösen, sind diese Leute immer noch Teil der Szene, während die anderen in „normalen“ Jobs verschwinden.
Meine Band hatte also ein wenig Erfolg, genug, um Leute kennen zu lernen. Und dadurch traf ich Ash Avildsen, der Sumerian Records betreibt, und wir wurden sehr gute Freunde. Da hatte er noch eine Booking-Agentur namens EE Booking. Er hat damals schon mit Bands wie BETWEEN THE BURIED AND ME oder NECROPHAGIST gearbeitet. Und dann 2005, glaube ich, buchte er uns eine Headliner-Tour mit CHIODOS als Support. Aber CHIODOS waren damals so angesagt, dass nach ihnen alle wieder gingen, haha! Also habe ich mit Craig Owens, ihren Sänger, geschnappt und meinte, lass uns die Slots tauschen, ihr bekommt unsere Gage und wir eure. Aber er sagte: „Ja, wir tauschen, doch bekommen die gesamte Gage.“ Und ich meinte nur: „Okay, cool“, haha! Und wir haben die Tour gemacht, es war großartig, die beste Tour, die wir je gespielt haben! Als ich damals von der Tour zu meiner Freundin nach Hause kam, wollte sie lieber eine ernsthafte Beziehung führen und mochte nicht, dass ich ständig auf Tour bin, also habe ich mir einen Job besorgt und in einem Solarium die Sonnenbänke gereinigt. Aber nachdem sich unsere Beziehung trotzdem irgendwie erledigt hatte, rief mich Ash an und fragte, ob ich nicht nach Kalifornien ziehen und ihm dabei helfen wollte, sein Label aufzubauen. Und da ich Besseres zu tun hatte, als im selben Kaff wie meine Ex-Freundin zu leben und Sonnenbänke zu reinigen, bin ich einfach nach Kalifornien gegangen, um es auszuprobieren. So bin ich dann letztendlich im Musikbusiness gelandet.
Und wie kam es dazu, dass du mit SharpTone dein eigenes Label gegründet hast?
In Los Angeles habe ich erst mal mit Ash zusammengelebt, er hatte ein Haus in Hollywood. Als ich ankam, war das Zimmer, in dem ich wohnen sollte, bis oben mit Kisten von Merch von THE FACELESS zugestellt. Das war schon alles verkauft, aber er hatte keine Zeit gehabt, es zu verschicken. Also hieß es, wenn ich das alles verschickt habe, kann ich das Zimmer haben, haha! Danach mussten wir beide erst mal schauen, wie es weitergeht. Er arbeitete ja immer noch als Booking-Agent bei einer Firma und Sumerian war sein Baby. Aber ich wusste nicht, was ich machen sollte, es gab ja niemanden, der uns etwas hätte beibringen können. Aber wir waren gut darin, Bands mit Potenzial zu erkennen. Wir haben einfach darauf aufgebaut. Aber um deine Frage zu beantworten: Wenn du in einer großen Band bis und Erfolg hast, hast du eine Menge Spaß. Den hatten wir hinter den Kulissen auch. Das Label wuchs ziemlich schnell, und Ash hatte größere Pläne für das Label. Er wollte Filme machen und all das. Ich aber mochte weiterhin ein gewisses Genre von Musik, von dem er dachte, dass wir dem entwachsen seien. Viele der Bands, die ich signen wollte, gefielen ihm nicht. Da habe ich entschieden, dass ich gehen muss. Wir hatten ja nicht nur das Label, sondern auch eine Booking- und eine Management-Agentur. Ich habe also damals EMMURE, FOR TODAY, THE WORD ALIVE, ANIMALS AS LEADERS, BORN OF OSIRIS gemanaget. Obwohl ich eigentlich raus war, habe ich immer noch mit diesen Bands gearbeitet. Ich wollte auch nie ein neues Label gründen. Zu der Zeit sprachen mich Leute von Nuclear Blast an, denn sie wollten ein neues Label starten, mit Bands, von denen sie wussten, dass sie ihr Publikum verprellen würden. Und da sie mich und meine Frau nach Deutschland einfliegen ließen, um den Chef von Nuclear Blast zu treffen, Markus Staiger, und zu sehen, ob wir auf einen Nenner kommen, habe ich angefangen, darüber nachzudenken.
Ich erinnere mich, dass neben SharpTone auch Arising Empire von Nuclear Blast gegründet wurde und da unfassbar viele Releases kamen, damit hätte ich ganze Ausgaben des Heftes mit füllen können. Wie war der Start bei SharpTone für dich? War das auch so verrückt viel?
Haha, ja, absolut! Nuclear Blast ist eine Riesenmaschine. Sie veröffentlichen so viele Platten. Und meine erste Frage war damals auch: Ihr habt doch Arising Empire, wofür braucht ihr noch ein Label? Und Arising sollte sich mehr auf Deutschland und Europa konzentrieren und SharpTone sollte das sein, was ich machen will. Das hat mich erst mal verwirrt. Ich habe kein Interesse daran, einfach einen Haufen Bands unter Vertrag zu nehmen und dann zu schauen, ob davon irgendwas funktioniert. Ich wollte eine Marke etablieren mit einer großen Firma im Rücken, die mich dabei unterstützen kann. Im ersten Jahr wollte ich mir also ein paar Bands sichern, aber ohne dass es jemand mitbekommen würde, damit wir mit der Ankündigung des Labels auch schon ein paar Bands haben würden. Aber ich würde lügen, wenn ich nicht sagen würde, dass Nuclear Blast, Arising Empire und SharpTone wirklich eine Menge Platten veröffentlicht haben. Und mir geht es nicht um die schiere Masse, sondern darum, dass das Label für Qualität steht. Weniger ist mehr. Ich glaube, an dem Punkt sind wir jetzt auch angelangt. Aber zu Beginn sollte ich wirklich so viele Bands signen. Und es ist, wie du sagst: Es kann ja gar keiner so viel aufnehmen und verarbeiten. Ein Magazin hat auch nur begrenzt Platz. So habe ich zu Beginn auch gefühlt. Die beste Bildung, die ich je genossen habe, habe ich nicht von einem College, sondern durchs Touren, ich habe vom echten Leben gelernt. Bei den kleinen, neuen Bands weißt du einfach, dass es bestimmt drei oder vier Jahre dauert, bis sich da was entwickelt. Und du kannst so viel Geld da reinpumpen wie du willst, aber es wird auf taube Ohren stoßen, denn es ist keine Story dahinter. Es braucht seine Zeit. Das war für mich der frustrierende Teil daran, ein Label mit einer großen Firma zu machen, denn die Erwartungen waren, auch durch meinen Hintergrund, extrem hoch. Und mit den Bands, mit denen ich gearbeitet habe, war klar, dass das ganze mindestens fünf Jahre brauchen würde, bis wir an einem Punkt sind, dass wir was Konkretes vorzuweisen haben.
Du hast ja auch recht behalten. Bands wie POLARIS oder DON BROCO sind ja mit der Zeit ziemlich groß geworden. Das klappt natürlich nicht mit jeder Band. Was findest du für dich befriedigender, eine neue Band aufzubauen oder mit großen Namen zu arbeiten wie EMMURE, die ja auch von Beginn an bei euch waren?
Das ist sehr unterschiedlich. DON BROCO sind ein gutes Beispiel, denn in Großbritannien waren sie schon ziemlich populär, aber darüber hinaus nicht wirklich. Als ich sie traf, wollten sie unbedingt in die USA und auch in Europa Fuß fassen. Ich bin übrigens auf sie gestoßen, als ich mit meiner Frau „GuitarHero“ gespielt habe und ihr Song lief. Das war noch, bevor wir das Label angekündigt hatten. Ich habe also bei ihrem Management angerufen, die damals auch eine andere meiner Bands betreut haben. Jedenfalls die Aufgabe war, eine Band, die schon einen etablierten Namen in einer Region hat, auch in einer anderen Region groß zu machen. Das macht mir wirklich Spaß, wenn du schon mit etwas arbeiten kannst. Bei Bands wie POLARIS oder LOATHE ist es mehr wie zuzusehen, wie dein Kind groß wird. Das macht mir auch viel Spaß, denn ich bin eben auch ein Bandmanager. Da bist du oft wie ein Bandmitglied, das im Hintergrund steht. Das klappt nicht immer, aber man tut sein Bestes und schaut nach jeder Gelegenheit, die sich der Band bietet.
Mal abgesehen von „GuitarHero“, wie wirst du auf neue Bands aufmerksam? Schickt man dir immer noch CDs?
Ja. Das ist verrückt. Ich meine, es ist günstig, CDs herstellen zu lassen, aber am Ende sitzt auf Tausenden von CDs, die du niemals los wirst. Bands wie WE CAME AS ROMANS, MISS MAY I oder EMMURE, die haben schon einen Namen, aber haben ihre Hochzeit bereits hinter sich. Doch nur weil sie vielleicht den Höhepunkt ihrer Karriere überschritten haben, heißt das nicht, dass sie nicht wieder spannend und relevant sein können. Ich wollte diese Bands an Bord haben, um dem Label einen Ruf zu geben, dass wir etablierte Namen haben. WE CAME AS ROMANS zum Beispiel, haben in den USA so viele Touren gespielt, dass sie ihre eigene Fanbase zerstört haben. Sie spielten immer so vor 1.000 bis 1.500 Leuten, und dann hatten sie Probleme, überhaupt 500 Leute zu ziehen. Die Wahrheit ist, dass Musikern so viele Dinge erzählt werden, die sie machen müssen, dass sie aus den Augen verlieren, was sie ursprünglich mal erfolgreich gemacht hat. Ich versuche, diesen Kern herauszuarbeiten und ihnen das Selbstvertrauen wiederzugeben, das sie über die Jahre verloren haben, und hoffe, dass sie ehrliche Musik schreiben, die die Leute wieder berührt. Ich denke, dass ist uns mit MISS MAY I und WE CAME AS ROMANS auch gelungen, wie ich finde. Man muss wirklich ins Innere schauen und herausfinden, was diese Bands ausmacht, und das unterstützen. Sorry, ich bin hier ein wenig vom Thema abgekommen, haha! Ich versuche, immer ein am Puls der Zeit zu sein und überall alles auszuchecken. Ich schaue mich bei YouTube, Twitter, Instagram oder TikTok um. Das ist so wichtig. POLARIS habe ich einfach nur bei YouTube gefunden, habe sie kontaktiert und der Rest ist Geschichte. Man kann seine Musik auch über unsere Website einreichen und ich tue mein Bestes, da reinzuhören, ich gebe den Songs zwanzig Sekunden. Das klingt wenig, aber man weiß nach zwanzig Sekunden eigentlich schon Bescheid.
© by Fuze - Ausgabe #86 Februar/März 2021 und Dennis Müller