SEA PUNKS

Foto

PUNK-AFFINE HILFSORGANISATIONEN - TEIL 1: Seenotrettung is not a crime!

Auf Konzerten und Festivals sieht man sie oft: Stände von NGOs oder Vereinen, die sich sozial engagieren und einen Bezug zur Punk- und Hardcore-Szene haben. Einige wollen wir hier mal vorstellen. Die ersten auf unserer Liste sind Sea Punks e.V., die Bootsflüchtlinge aus dem Mittelmeer retten wollen. Im November konnten sie mit ihrem eigenen Schiff, der Sea Punk One, endlich in See stechen. Dafür haben sie vorher jahrelang Geld gesammelt. Hilfe kam hier von den Indielabels Grand Hotel van Cleef und Unter Schafen Records, die eine Benefiz-Compilation rausbrachten, die Doppel-LP „Seenotrettung ist kein Verbrechen“, und bereits 60.000 Euro spenden konnten. Was die Sea Punks damit vorhaben und was die Aktivist:innen antreibt, erzählt uns Sprecher Benny Reschke.

Welche konkrete Arbeit leistet eure Organisation? Was ist euer Konzept?

Wir betreiben ein ziviles Rettungsschiff im zentralen Mittelmeer. Wir möchten Menschen helfen, die auf der Flucht in seeuntaugliche Boote steigen, um vor Verfolgung zu fliehen. Das heißt vereinfacht gesagt, so oft es geht steigen 13 Menschen auf unsere Sea Punk One und fahren zwei bis vier Wochen im zentralen Mittelmeer umher und suchen nach Booten, die faktisch nicht seetüchtig sind, um so einen Weg zum Überleben zu finden. Wir nehmen diese Menschen an Bord und bringen sie sicher nach Europa.

Wie kam es zur Gründung von Sea Punks e.V.?
Die Idee entstand im Oktober 2019, gemeinsam mit meinen Brüdern Raphael und Gerson saßen wir bei ein paar Bier zusammen. Raphael erzählte uns von einem Schiff, das er gerne kaufen wollte, um sich damit selbstständig zu machen. Dessen Ähnlichkeit mit verschiedenen Seenotrettungsschiffen brachte uns dann auf die Idee. Warum? Weil da draußen Menschen ertrinken und wir nicht weiter zuschauen wollten. Nüchtern am nächsten Tag war die Idee zu gut und die Notwendigkeit zu groß.

Wer waren damals die Ideengeber:innen und „Köpfe“? Wer ist es heute?
Wir Brüder hatten die Idee, scharten schnell ein paar Freund:innen um uns und fingen an. Heute sind wir über dreißig aktive Vereinsmitglieder und versuchen, die Arbeit auf alle Schultern zu verteilen.

Was ist die Geschichte zu eurem Namen?
Wir fühlen uns dem Punk verbunden, feiern die Musik, machen sie selbst, sind irgendwie Teil der Szene. Aber vor allem geht es uns ums Machen, sich nicht abschrecken zu lassen, sondern es einfach zu versuchen, eine Antwort auf menschenfeindliche Politik zu haben, aktiv zu sein, sich zu wehren. DIY halt.

Welche Ziele habt ihr euch gesetzt? Was wollt ihr erreichen?
Wir wollen Unterstützung leisten auf der tödlichsten Fluchtroute der Welt. Menschen davor bewahren, an den abgeschotteten europäischen Außengrenzen zu sterben. Wir wollen auch aufmerksam machen auf das rücksichtslose Verhalten der westlichen Gesellschaften. Ein wirkliches Ziel zu formulieren, finde ich schwer. Das Ziel sollte ja eigentlich sein, dass wir so was gar nicht machen müssen. Das scheint aber sehr weit in die Ferne gerückt zu sein.

Welche wichtigen Aktionen und Erfolge gab es in jüngerer Vergangenheit?
Wir haben 2021 mit der Rise Above unser erstes Rettungsschiff umgebaut und für den Einsatz vorbereitet. Es fährt aktuell unter der Flagge einer anderen Organisation viele Einsätze und rettet Menschenleben. Im gleichen Jahr haben wir einen Duschcontainer umbauen und in ein Auffanglager nach Griechenland liefern können. Aufgrund der miesen hygienischen Bedingungen auf der Fluchtroute über den Balkan wird so etwas dort dringend benötigt. Und 2022 haben wir dann ein neues Schiff gekauft, die Sea Punk One. Damit werden wir im kommenden Frühjahr unsere ersten eigenen Rettungseinsätze im zentralen Mittelmeer fahren.

Mit welchen Risiken ist euer Engagement verbunden? Seid ihr Anfeindungen ausgesetzt, werdet ihr kriminalisiert?
Leider ja. Es gibt viele Menschen, die unsere Arbeit scheiße finden und auch Wege suchen, um uns das Ganze irgendwie schwer zu machen. Meist kommen bei uns aber nur nervige Hassnachrichten an. Die Kriminalisierung der SAR-Szene dagegen ist eine heftige Nummer. SAR steht für „search and rescue“. Schiffe die festgesetzt werden, Besatzungen, denen mit Gefängnisstrafen gedroht wird, und, und, und. Das bekannteste Beispiel ist wohl das der Iuventa10, deren Crew durch die italienischen Behörden illegaler Menschenhandel vorgeworfen wird. Uns betrifft das noch nicht, aber wir müssen uns darauf gefasst machen.

Wie viele ehrenamtliche und hauptberufliche Mitarbeitende habt ihr?
Benny: Zur Zeit haben wir fünf Teilzeitbeschäftigte und unzählige Ehrenamtliche. Menschen, die uns ins ihrer Freizeit unterstützen, auf allen möglichen Wegen. Die Konzertstände betreuen, Soli-Konzerte veranstalten oder die über hundert Freiwilligen, die uns bis jetzt beim Umbau der Sea Punk One unterstützt haben.

Wo ist der Sitz beziehungsweise die Zentrale eurer Organisation?
Einen richtig festen Sitz haben wir gar nicht. Gegründet wurde der Verein in Bad Kreuznach, aber unsere gesamte Arbeit findet dezentral statt. Wir treffen uns online für Besprechungen und kommunizieren auf digitalen Plattformen. In allen möglichen Städten treffen wir uns dann auf Veranstaltungen und Demos. Na ja und irgendwie ist der Verein auch immer da, wo das Schiff ist, zuletzt den Sommer über in Greifswald und jetzt endlich im Mittelmeer.

Wie viele Unterstützer:innen habt ihr? Beschreib doch mal die „typischen“ Sea Punks.
Ich glaube, typisch gibt’s bei uns kaum. Gut dreißig Mitglieder kümmern sich um alle regelmäßigen Aufgaben, Büro, Organisation, Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit, Spenden und so weiter. Dazu kommt natürlich die Hauptaufgabe, das Schiff, auf dem wir alle so viel Zeit wie möglich verbringen. Dazu kommen die freiwilligen Helfer:innen auf Konzertständen, beim Umbau des Schiffs und vielen anderen Wegen, die Sache zu unterstützen. Ich denke, alles in allem sind wir bestimmt 250 Menschen.

Was könnt ihr leisten, das eine staatliche oder konfessionelle Organisation nicht kann?
Ich glaube, mit Können hat das gar nicht so viel zu tun, denn von staatlicher Seite gibt es den Willen nicht, etwas zu tun. Unser Staat und auch die Europäische Union schauen einfach zu, fördern durch eine Agentur wie Frontex sogar noch mehr Menschenrechtsverstöße.

Wofür verwendet ihr das Geld, das euch gespendet wird? Und habt ihr so was wie ein Spendensiegel? Wodurch ist gewährleistet, dass mit den Spenden satzungsgemäß umgegangen wird?
Ein Spendensiegel haben wir nicht. Wo bekommt man so was her? Die Gelder werden alle unmittelbar in das Projekt Sea Punk One gesteckt. Der Unterhalt und die Einsätze des Schiffs sind unheimlich teuer, Verpflegung, Kraftstoff, Liegegebühren, Versicherungen, die Liste ist ewig lang. Wir zahlen auch ein paar Gehälter, für Menschen die ihre Aufgaben nicht nur in der Freizeit erledigen können. Gewährleistung gibt es dann durch das Finanzamt, wenn wir das nicht satzungsgemäß machen, steigen die uns aufs Dach. Außerdem möchten wir unsere Ausgaben ehrlich und offen kommunizieren, für alle zugänglich. Ein entsprechender Bericht wird dieses Jahr auf unserer Homepage veröffentlicht.

Wie kann man euch unterstützen? Nur mit einer Spende oder auch mit aktiver Mitarbeit?
Spenden sind natürlich wichtig, aber nicht der einzige Weg. Wir haben immer offene Aufgaben und suchen immer nach Mitstreiter:innen. Egal, ob an Land, im Büro, auf dem Schiff oder auf Konzerten, es gibt immer was zu tun.

Ihr habt prominente Fürsprecher:innen aus dem Musik- und Kulturbereich. Wer ist das, und warum passen die zu euch?
Oh ja, die haben wir und auch nicht gerade wenige. Ich glaube, in der Szene gibt es viele Künstler:innen, denen es wichtig ist, was auf der Welt passiert, und somit auch das, was wir machen. Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit für Probleme sind ein wichtiges Gut in unserer Gesellschaft und der Kulturbereich hat, meines Erachtens, eine große Verantwortung in dieser Sache. Diejenigen, die das wissen, die passen dann eben auch gut zu uns. Beispielsweise DŸSE, KAFVKA, Sarah Lesch, Bela B, AKNE KID JOE, ZSK und so viele andere. Eine gute Liste ist übrigens auch auf unserem Soli-Sampler „Seenotrettung ist kein Verbrechen“ zu finden.