Hannah Collins aka SCENE QUEEN hält der Szene mit ihren Songs und Themen den Spiegel vor und beschäftigt sich mit Themen, die man in diesem Kontext eher selten musikalisch verpackt präsentiert bekommt. Wir sprechen mit ihr über das neue Album und was in der Szene so alles schief läuft.
Du hast deine erste EP „Bimbocore“ im Jahr 2022 veröffentlicht, bist also ziemlich neu in der Szene, aber ich würde sagen, du hast es bereits geschafft, hier einige Federn zu rupfen. Du stichst mit deiner Ästhetik und deinen Texten heraus. Wie hast du dich in diesem sehr männlich dominierten Umfeld gefühlt?
Der Eindruck, dass ich neu in der Szene bin, ist eigentlich falsch, denn ich schreibe schon seit zehn Jahren Musik. Der Grund, warum ich dieses Projekt ins Leben gerufen habe, ist, dass ich mein ganzes Leben in der Szene verbracht habe, sogar bevor ich vor zehn Jahren nach Los Angeles gezogen bin. Ich habe die ganze Frauenfeindlichkeit und alles andere in der Szene erlebt, als ich aufgewachsen bin, und auch die Verunglimpfung der Hyperweiblichkeit in der Szene und die Notwendigkeit, sich auf eine bestimmte Art zu kleiden und auf eine bestimmte Art auszusehen, um dazuzugehören, ist der Grund, warum ich SCENE QUEEN gegründet habe. Dass es die Leute wütend macht, habe ich also irgendwie erwartet. Zugegeben, ich wusste nicht, dass ich die Leute allein durch meine Ästhetik so auf die Palme bringen würde, aber der Sinn dieses Projekts ist es, den Leuten zu beweisen, dass ihre Annahmen falsch sind, und zu zeigen, wie viel Kraft in der Weiblichkeit steckt, und auch, dass es eine unverhohlene Weiblichkeit gibt.
Dein kommendes Album heißt „Hot Singles In Your Area“, was sich wie eine Anspielung auf Pornos anhört, also ein wenig albern ist, aber inhaltlich hat es einige knallharte Themen zu bieten. Was war die Idee hinter dem Albumtitel?
Ich habe dieses Album darüber geschrieben, wie man seine Sexualität findet und all das erforscht. Aber ich habe auch den größten Teil des Albums in der Zeit geschrieben, nachdem ich SCENE QUEEN wurde, mit all den Feinden, Freunden, der Liebe und all dem, was in dieser Zeit passiert ist. Es ist also definitiv wie eine Zeitkapsel der Phase, in der ich zur SCENE QUEEN wurde, und auch, wie das Ganze mir geholfen hat, meine Macht zurückzuerobern und auch, mich von allen Traumata zu heilen, die ich vor diesem Projekt erlebt habe.
Einer dieser Songs ist „18+“. Der Song ist eine Anspielung auf das, was viel zu vielen Bands in der Szene vorgeworfen wird sich mit Minderjährigen einzulassen, vor allem mit ihren eigenen Fans. Das fühlt sich manchmal immer noch wie ein Tabuthema an, auch wenn es in der Vergangenheit viele Twitter-Threads gab, die sich mit diesem Thema befassten. Wie ist dieser Song deiner Meinung nach in der Szene aufgenommen worden?
Ich denke, der Song hat mir definitiv gezeigt, mit wem ich in Zukunft zusammenarbeiten möchte und mit wem nicht. Er hat eine harte Grenze gezogen zwischen Leuten, die bereit sind, sich mit Unsinn abzufinden, um, du weißt schon, karrieremäßig etwas zu erreichen, und denen, die das nicht tun, und ich bin ehrlich gesagt froh, dass ich den Song veröffentlicht habe, weil ich denke, dass es gesagt werden musste, und ich habe es bisher nicht bereut.
Ich glaube, fast jeder Fan der Szene kann sich mit diesem Song identifizieren, weil er zu jemandem aufgeschaut hat, gegen den später Vorwürfe erhoben wurden. Ich nehme an, dass du auch als Fan in der Rock/Alternative-Szene aufgewachsen bist, ist das also etwas, das du aus persönlicher Erfahrung geschrieben hast?
Ich höre alternative Musik, seit ich ein Kind bin. Für eine Jugendliche in Cleveland, Ohio gab es auch nicht viel anderes zu tun, als zu Rock-Konzerten zu gehen. Also ja, es war definitiv etwas, das ich in meinen Teenagerjahren erlebt habe, und dann bin ich in die Szene hineingewachsen und habe gesehen, wie sie aus einer internen Perspektive funktioniert. Es gibt definitiv einige eklatante Missstände, die immer wieder angesprochen werden müssen. Also ja, leider.
„Mutual masturbation“ ist auch ein sehr interessanter und harter Song. Du sprichst über die Erfahrungen als Frau, die als Musikerin oder allgemein in der Live-Musikbranche arbeitet. Nach #MeToo gab es in der Punk-Community kurzzeitig auch eine #PunkToo-Bewegung – glaubst du, dass sich das in irgendeiner Weise auf die Branche ausgewirkt hat? Hat es etwas daran verändert, als Frau in diesem Business zu arbeiten?
Ich habe diesen Song geschrieben, um aufzuzeigen, wie es sich anfühlt, als Frau eine tourende Musikerin zu sein und irgendwo hinzukommen und das Gefühl zu haben, die letzte Person zu sein, mit der man ein Gespräch anfängt, weil die Leute einfach Vorurteile über dich und deine Fähigkeiten und was auch immer haben. Ich habe den Song auf der Grundlage von vielen Rückmeldungen geschrieben, die ich von meinen Freundinnen bekommen habe, die selbst tourende Musikerinnen sind, egal ob sie Bass spielen oder etwas in der Art, die bei Veranstaltungen auftauchen und bei denen die Leute annehmen, dass sie nur da sind, um Merch zu verkaufen, und nicht wirklich Teil der Band sind. Es geht auch darum, sich ein bisschen über Männer lustig zu machen, bei dem Ego-Fest, das mit dem Touren einhergeht, denn sobald sich Männer ein bisschen Bekanntheit verschafft haben, nehmen sie das gerne und stolzieren durch die Gegend, während Frauen ihr ganzes Leben lang um ein bisschen Anerkennung kämpfen müssen. Ich habe den Song an 15 Mädels geschickt, mit denen ich auf Tournee war, und sie gefragt, ob sie mir da zustimmen oder nicht, und sie alle meinten: Endlich sagt es mal jemand!
© by Fuze - Ausgabe #106 Juni/Juli 2024 und Isabel Ferreira de Castro
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