Selbst Hitler streichelte seinen Schäferhund. Honecker liebte Pornos und Gandhi nervte seine Frau. Das ist alles nichts Neues. Jeder Mensch hat zwei Gesichter mindestens. Bei manchen Menschen ist es kaum ausgeprägt, bei anderen mehr. Bei einigen Wenigen geht es sogar noch weiter: Sie werden wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Sarah Blackwood hat Glück. Sie ist keiner dieser Fälle, sondern kann sich durch ihr künstlerisches Alter Ego ausleben. Sarah Blackwood ist Sarah Sin und in dieser Rolle Sängerin der Psychobillyband THE CREEPSHOW. Aber Sarah ist auch die Sängerin „Sarah Blackwood“. Sarah Blackwood ist als Musikerin erstmals ins Licht der Öffentlichkeit getreten, als sie ihre schwangere Schwester Jennifer (alias Hellcat) bei der kanadischen Psychobilly-Band THE CREEPSHOW ersetzte. 2008 spielte sie dann ihr zweites Album „Run For Your Life“ mit ein. Noch im gleichen Jahr veröffentlicht sie auch ihr erstes Soloalbum „Way Back Home“ mit Americana-, Folk-, Singer-/Songwriterstücken. Von CREEPSHOW ist noch kein weiteres Album erschienen. Dafür stellt sie ihr zweites Soloalbum „Wasting Time“ vor. Doch zurück zur Ausgangsfrage: Wer ist Sarah Blackwood wirklich?
Was denkt Sarah Sin über Sarah Blackwood?
Ich denke, zuerst einmal hat der Name Sarah Sin mir ein Alter Ego verschafft, durch das ich eine andere Person sein konnte. Im Laufe der letzten Jahre sind diese beiden Persönlichkeiten stärker zu einer Person verschmolzen. Aber Sarah Blackwood ist nicht aggressiv.
Ist „Sarah Blackwood“ auch eine Rolle oder bist du das?
Das bin einfach ich. Mein Solokram ist etwas, was ich lange vor der Band gemacht habe, aber ich hatte einfach meinen Platz nicht gefunden. Über die paar Jahre, in denen ich getourt habe und als Musikerin gewachsen bin, habe ich diese Persönlichkeit finden können. Ich wollte immer Musik machen. Auf beiden Seiten des Spektrums. Außerdem ist Sarah Blackwood auch mein echter Name. Alleine deshalb ist es authentischer.
Reichen dir die beiden „Persönlichkeiten“ oder Rollen?
Ich glaube, wenn ich einen weiteren Charakter erschaffe, verliere ich komplett meinen Verstand und werde ganz irre. Ich habe keine weiteren Pläne oder andere Projekte oder Rollen für die nahe Zukunft geplant. Aber man weiß ja nie. Wir Frauen sind ja alle etwas verrückt geboren. Vielleicht überrasche ich ja noch alle!
Und wie siehst du dich: als Rock’n’Roll-, Folk- oder Country-Sängerin oder sonst etwas?
Ich bin einfach eine Musikerin. Eine Musikerin, die ihr Bestes gibt, um davon leben zu können. Ich bin Sängerin. Und ich spiele auch irgendwie Gitarre. Und ich mag einfach verschiedene musikalische Stile, deshalb versuche ich auch, mich bei allem, wo es geht, zu beteiligen. Ich bin ständig Gastsängerin bei verschiedenen anderen Bands, um neue Herausforderungen zu bekommen und den Bereich dessen, was ich mache, zu erweitern.
Du bist beinahe ständig auf Tour. Wie hat das deine Art Musik zu machen verändert?
Es macht es so echt, wie es nur geht! Ich bin eine bessere Musikerin geworden. Ich habe außerdem viel gelernt und Dinge erlebt, die nicht viele Menschen so erfahren. Es beeinflusst meine Musik grundlegend, da alles, worüber ich schreibe, echt ist. Da ist nichts gestellt oder handelt von Dingen, von denen ich keine Ahnung habe. Meine Musik handelt von meinem Leben und allem, was ich durchgemacht habe. So wie sich das weiterentwickelt hat und mehr zu einem Roman wurde, ist es auch meiner Musik ergangen. Ich genieße jeden einzelnen Moment, in dem ich Musik für Menschen machen kann, weil man ja nie weiß, wie lange es gehen wird. Ich habe elf Jahre damit zugebracht, in Bars zu jobben, um irgendwie über die Runden zu kommen. Jetzt kann ich Konzerte geben und Alben aufnehmen, um davon zu leben. Du musst jede Show genießen, als ob es die letzte wäre. Es hat außerdem meine Augen für eine ganze Welt geöffnet, die man braucht, um von Musik leben zu können. Als ich jünger war, habe ich immer gedacht, ich müsste „groß“ und berühmt und reich sein, um „es zu schaffen“. Jetzt weiß ich, dass es einfach harte Arbeit und Erfahrung ist. Das ist es, wo man dazulernt, wo es sich auszahlt. Ich weiß jetzt, dass man von Musik leben kann, ohne ein Superstar sein zu müssen ...
Dein neues Soloalbum „Wasting Time“ hat sich im Vergleich zu deinem Debüt „Way Back Home“ deutlich verändert. Es scheint mir countrylastiger – und auch etwas „modischer“ zu sein. Gleichzeitig wirken die Lieder „erwachsener“... Was meinst du dazu?
Na, das will ich hoffen! Ich hatte „Way Back Home“ in meinem Apartment auf Band aufgenommen. Dieses Mal habe ich meine Labels um etwas Geld gebeten, um es in einem richtigen Studio aufnehmen zu können, und auch mit mehr Musikern. Ich wollte, dass dieses Album eine bessere Qualität hat, auch wenn ich das Rohe von „Way Back Home“ sehr mag. Und ich ich wollte die Möglichkeit haben, nun etwas wirklich Großartiges zu machen, auf das ich stolz sein kann, und es fühlt sich einfach so an, als ob ich mich weiterentwickle. Ich denke, ich bin auch eine bessere Songschreiberin geworden.
Auf mich wirken die Lieder zum Teil etwas „flauschiger“, aber auch intensiver. Ist da was dran?
Flauschig!? Haha. Einige Stücke sind euphorischer, weil es mir im Leben auch gerade so geht. Ich bin jetzt in einer besseren Situation als zu der Zeit, als ich „Way Back Home“ geschrieben habe. „Wasting Time“ repräsentiert meinen Wachstum als Künstlerin, Musikerin und als Mensch.
Dein erstes Soloalbum war sehr persönlich. Und dieses?
Das ist genauso persönlich, aber auch etwas spaßiger. Mein Leben hat sich seit meinem ersten Album stark verändert. Ich wollte etwas machen, dass das verdeutlicht. Die Stücke sind immer noch unglaublich persönlich.
Wie entstehen deine Lieder?
Manchmal entstehen sie in meinem Kopf. Manchmal sitze ich auch einfach mit meiner Gitarre da und irgendwas beginnt. Ich schreibe über Dinge, die am Herzen liegen, und über Erfahrungen, die ich gerade zu der Zeit mache. Es ist alles ein echter Prozess. Wie Tagebuchschreiben ... nur in Liedern, ha! Alles, worüber ich schreibe, ist eine Art Geschichte, die ich erzählen will. Eine Erfahrung, die ich teilen möchte oder einfach mein persönlicher Ratschlag für Menschen in bestimmten Situationen. Die Themen ändern sich von Stück zu Stück. Es ist alles drin, wenn man zuhört.
Auf deinem ersten Album haben verschiedene Gastmusiker wie dein Partner Daniel Flamm und sogar dein Vater mitgewirkt. Hat dein Vater jetzt wieder mitgespielt?
Daniel hat beim ersten Album nicht mitgespielt, aber er hatte großen Anteil an „Wasting Time“. Und mein Vater hat wieder Mundharmonika gespielt. Ich nutze jede Chance, um meinen Vater in meine Musik einzubeziehen. Ohne ihn wäre ich nicht hier oder würde Musik nicht so lieben, wie ich es tue.
„These are the days“ wird von Daniel gesungen, zum Teil als Duett von euch beiden. Um was geht es bei dem Stück?
Daniel hat auch den größten Teil von „These are days“ geschrieben. Ich habe mit ein paar Zeilen geholfen, aber es ist das Stück, das er geschrieben hat, was ich sehr liebe. Und als wir zwei uns als „Band“ etabliert hatten, habe ich ihn gefragt, ob wir es aufs Album nehmen könnten. Das Lied handelt vor allem davon, wie unsere Beziehung aus unserer Sicht ist. Es ist sehr schwierig, zusammen zu sein, wenn man sich kaum sehen kann. Das ist es, was es so besonders für uns macht. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der meine Musik so versteht wie oder der mit meinem Scheiß so umgehen kann wie er. Er ist unglaublich geduldig. Wir haben eine unglaubliche Chemie, die sich mit nichts vergleichen lässt. Es ist sehr selten und ich bin sehr glücklich, so eine talentierte und unglaubliche Person gefunden habe, mit der ich nicht nur musikalisch, sondern auch mit dem Herzen verbunden bin.
Hat Daniel auch andere Stücke beeinflusst?
Ja, hat er. „I’ll keep on waiting“ ist ein Duett, das ich extra für uns beide geschrieben habe. Es ist über uns. „Coming home“ ist auch durch die Beziehung beeinflusst. Daniel und ich haben zwei intensive und innige Jahre miteinander verbracht. Da ist sehr viel auf dem Album alleine dadurch beeinflusst, dass er ein Teil meines Lebens ist.
Wie geht’s weiter?
Musik, Touren, Musik, Touren, Musik ... Außerdem will ich mal einen echten Urlaub machen. Ich würde sehr gerne mal irgendwo ohne meinen Computer und mein Telefon hinfliegen und einfach zwei Wochen an einem völlig friedlichen Traumstrand sein und gar nichts arbeiten müssen. Ich habe den besten Job auf der Welt und ich komme auf der ganzen Welt herum. Aber es ist als tourende Indie-Musikerin tatsächlich hart, einmal wirklich Urlaub machen zu können. Vielleicht in einem Jahr, nach dem ganzen Tourwahnsinn, solo und mit THE CREEPSHOW, einem weiteren CREEPSHOW-Album und all dem geht es eventuell ... Bevor es wieder von vorne losgeht!
Wirst du jetzt wieder mehr mit CREEPSHOW beschäftigt sein?
Jetzt bin ich erst mal mehr denn je mit meiner Solomusik beschäftigt. Ich kümmere mich darum, dass ich mindestens zweimal jährlich touren kann. Und ich werde weiter Alben machen, wenn ich das Gefühl habe, dass es richtig ist. „Wasting Time“ hat mich beim Touren mit CREEPSHOW im Oktober/November regelrecht überkommen. Auf einmal hatte ich einen Moment der Inspiration, der zu einem Anruf bei meinen Labels und dazu geführt hat, dass ich mir im Januar, nach meiner zweiten Solo-Europatour Zeit nehmen konnte, um es aufzunehmen – vor einer weiteren großen CREEPSHOW-Tour. Das ist alles so schnell passiert, aber ich wusste, dass es der richtige Zeitpunkt war. Deshalb habe ich es gemacht. Offensichtlich gehört das alles zusammen, was ich fühle und ich schaffe. Beide Sachen haben deshalb große Bedeutung für mich.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #90 Juni/Juli 2010 und Igor Eberhard
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #89 April/Mai 2010 und Igor Eberhard
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #80 Oktober/November 2008 und Joachim Hiller