Seit über vier Jahren gibt es „My Little Drummer Boy“ nun schon im Ox und jetzt ist es endlich soweit: Mit Sally Disaster ist das erste Drummer Girl am Start und ich hoffe, damit ist der Bann gebrochen und es werden noch viele weitere folgen. Sally ist seit so vielen Jahren im Punkrock-Zirkus auf Tour, dass die Voraussetzungen für ein aufschlussreiches Gespräch über ihre Leidenschaft als Drummerin nicht hätten besser sein können. Zudem befanden sich FABULOUS DISASTER im Frühjahr auf offizieller Abschiedstour, so dass wir bei unserem relaxten Plausch auf dem Groezrock Festival auch darüber ein Wort zu verlieren hatten.
Sally, hast du bereits als kleines Mädchen auf den Pfannen und Töpfen deiner Mutter getrommelt?
Nein, eigentlich nicht, aber es gibt von mir eine lustige Geschichte aus dieser Zeit. Ich bin als junges Mädchen viel auf Bäumen herumgeklettert und da habe ich immer Äste abgebrochen und auf den Bäumen herumgetrommelt. Das ist eine wahre Geschichte und ich war damals so um die fünf Jahre alt. Irgendwie muss diese Trommelleidenschaft wohl schon in mir dringesteckt haben, denn von diesem Zeitpunkt an habe ich meine Eltern jedes Jahr zu Weihnachten gefragt, ob ich jetzt ein Schlagzeug bekommen könnte. Meine Eltern haben dann immer geantwortet: „Oh nein, bloß das nicht! Das ist viel zu laut!“ Wahrscheinlich hätten es alle Eltern gern, wenn ihre Kinder zunächst mit einem leisen Instrument ihre ersten musikalischen Erfahrungen machen. Meine Eltern haben dann ihren Widerstand durchgehalten, bis ich zehn war und endlich doch mein erstes Drumset bekam.
Hast du dann auch gleich Unterricht genommen?
Nein, ich hatte eine Cousine, die ein paar Jahre älter war und Schlagzeug in der Schulband gespielt hat. Bei dieser Cousine habe ich die Sommerferien verbracht und da hat sie mir dann alle grundlegenden Techniken beigebracht. Sie hat mir damals erklärt, wie ich die Sticks zu halten habe und wie man einfache Rhythmen hinbekommt.
Hast du dich mit zehn wirklich schon für Musik interessiert oder wolltest du einfach Krach machen?
Mit zehn noch nicht. Da wollte ich einfach nur irgendwie trommeln. Aber als ich zwölf war, das war 1980, wurden gerade die GO-GO’S bekannt. Ich komme aus einer kleinen Stadt in Texas und als ich das erste Mal „We got the beat“ hörte, bin ich total durchgedreht. Die hatten diese tolle Schlagzeugerin und waren eine All-Girl-Band und ich wußte sofort, dass ich auch in einer Band spielen wollte. Ich habe dann zu Hause in meinem Schlafzimmer gesessen und von dem Debütalbum „Beauty And The Beat“ jeden Song auswendig gelernt, bis ich die ganze Platte spielen konnte. Ich kam von der Schule nach Hause und das Erste, was ich tat, war mich an das Schlagzeug zu setzen und zu üben.
Hat es dann auch gleich mit der eigenen Band geklappt?
Tatsächlich dauerte es mit der ersten richtigen Band, bis ich 15 war und mit Freundinnen aus der Schule eine Band gründete. Da haben wir dann auch schon unsere eigenen Songs geschrieben und unsere ersten Shows gespielt. Wir hießen damals RATED X, waren noch kleine Mädchen und mussten uns von unseren Eltern zu den Shows fahren lassen. Immerhin hatten wir einige Supportshows für nur in Texas bekannte Punkbands und so kam ich dann mit der Punk-Szene in Kontakt. Das war so um 1985, und zu dieser Zeit spielten auch Bands wie BLACK FLAG oder CIRCLE JERKS bei uns in der Stadt. Zu deren Shows bin ich dann natürlich hingegangen und durchgedreht.
Wie lange hat es dich dann noch in Texas gehalten?
Als ich 25 war, bin ich nach Kalifornien gezogen und habe da die Mädels getroffen, mit denen ich 1998 FABULOUS DISASTER gegründet habe. Das ist jetzt schon so lange her und heute macht es mir immer noch riesigen Spaß, mit ihnen zusammen zu spielen.
Hast du jemals den Wunsch gehabt, ein anderes Instrument zu lernen oder zu singen?
Als ich 18 war, habe ich mir selbst das Gitarrespielen beigebracht, aber ich habe immer nur für mich selbst gespielt. Ich hatte nie das Verlangen auf der Bühne vorn zu stehen und Gitarre zu spielen. Ich habe auch meine eigenen Songs geschrieben, aber immer nur für mich gespielt. Wenn ich auf der Bühne vor Publikum spiele, dann bin ich der Drummer. Ich mag es einfach, die Band vorwärts zu treiben, und muss nicht vorn im Rampenlicht stehen.
Warst du bei FABULOUS DISASTER auch in das Songwriting involviert?
Oh ja, bei den meisten Songs war ich als Songwriter beteiligt. Linda, Laura und ich haben eigentlich die Songs immer zusammen geschrieben. Es lief immer so ab, dass eine von uns mit einer Idee in den Übungsraum kam und wir dann zusammen einen neuen Song gebastelt haben. Diese Band war schon ein sehr gemeinschaftliches Ding und wir haben uns alle eingebracht.
Hast du mal davon geträumt, dein Geld als professionelle Schlagzeugerin zu verdienen?
Sicher. Wer würde nicht gern um die Welt touren und damit seinen Lebensunterhalt verdienen? Wir hatten es als Band bis zu einem bestimmten Level geschafft und dann haben wir uns aufgelöst. Für uns war die Band eigentlich immer nur ein Hobby und so ist es auch heute noch. Für diese eine Abschiedstour haben wir uns alle noch einmal getroffen, um unseren Fans und Freunden auf Wiedersehen zu sagen. Das ist an manchen Abenden schwer zu glauben, denn wir haben so viel Spaß, aber so ist es nun mal. Andererseits, never say never ...
Sally treibst du eigentlich irgendeinen Sport oder Fitnessübungen, um jeden Abend Höchstleistungen bringen zu können?
Nein, mache ich nicht und bisher war es auch nicht nötig. Ich spiele nur Schlagzeug und das alleine hält mich schon fit genug. Ich sitze lieber rum und trinke gemütlich ein Bier. Die Vorbereitungen für diese Tour waren allerdings wirklich sehr hart. Als wir in Kiel angekommen waren, hatten wir vor der Tour nur noch vier Tage Zeit zu proben. Das war sehr anstrengend, denn wir hatten ja für ungefähr acht Jahre nicht zusammen gespielt. Aber als es dann endlich losging und wir in Berlin auf der Bühne standen, war alle Müdigkeit wie weggeblasen.
Wie würdest du deinen ganz persönlichen Drum-Stil beschreiben?
Als Erstes fällt mir ein: leidenschaftlich, schnell und hart. Direkt aus dem Herzen, könnte man auch sagen oder besser: Solid beat with tasteful fills.
Gab es irgendwann in deiner Karriere mal Schlagzeuger, die dich inspiriert haben?
Eric Sandin von NOFX war ein sehr großer Einfluss für mich und wenn ich genauer hinschaue fällt mir auf, dass eigentlich viele der Bands auf Fat Wreck sehr gute Drummer haben. Dave Raun von LAGWAGON gehört natürlich auch dazu und ich muss sagen, dass diese Typen technisch einfach Weltklasse sind. Großartige Drummer scheinen Pflicht zu sein, um bei Fat Mike unter Vertrag genommen zu werden. Das spricht natürlich auch für seinen guten Geschmack. Gina Schock von den bereits erwähnten GO-GO’S darf ich natürlich nicht vergessen und ich bin ein großer Fan von Bill Stevenson von den DESCENDENTS. Als ich mit 17, 18 Jahren auf der Highschool war, war Bill für mich der größte Einfluss überhaupt. Ich habe damals versucht, so viele DESCENDENTS-Songs wie möglich zu lernen. Aber an manche Grooves kam ich einfach nicht heran. Ich habe ihn dann in den Neunzigern mal in San Francisco getroffen, als wir da einen Gig hatten und er mit Fat Mike zu Gast war. Ich war so nervös wie ein Teenager, weil ich so ein großer Fan war und hatte wirklich Schiss, dass er mir beim Spielen zuschauen würde. Er war aber so super nett und hat mein Trommeln gelobt, dass ich mich hinterher wirklich toll gefühlt habe.
Bevorzugst du es, live oder im Studio zu spielen?
Definitiv live. Die Arbeit im Studio kann auch Spaß machen, aber live spielst du wirklich mit dem Herzen. Da macht es nichts aus, ob du mal einen Fehler machst oder einen Stick verlierst. Alles kein Problem, solange du mit vollem Einsatz dabei bist und Vollgas gibst. Da hast du keine Zeit viel nachzudenken, sondern es geht einfach immer nur vorwärts und das macht schon viel mehr Spaß, als sich im Studio immer auf den Klick im Ohr konzentrieren zu müssen.
Was hast du für musikalische Pläne, wenn FABULOUS DISASTER sich jetzt endgültig auflösen?
Ich mache bei mir zu Hause in Austin schon länger mit einem Freund Singer/Songwriter-Sachen. Ich glaube, es ist sehr gut, wenn man verschiedene Sachen macht und sich nicht so sehr auf einen Stil festlegt. Abwechslung ist sehr wichtig, damit man nicht anfängt, sich zu langweilen. Eine neue Punkband mit mir an den Drums ist jedenfalls erst mal nicht in Sicht.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #116 Oktober/November 2014 und Christoph Lampert