Wer und wie viele spielen eigentlich welche Instrumente in Deutschland? Bis jetzt hat es keine umfassenden Daten darüber gegeben, wie viele „Amateurmusizierende“ es in Deutschland tatsächlich gibt. Der Deutsche Musikrat und das Deutsche Musikinformationszentrum haben in Kooperation mit dem Institut für Demoskopie in Allensbach eine Umfrage in Auftrag gegeben, um genau diesen Fragen auf den Grund zu gehen. Im Frühjahr 2021 wurden die Daten vorgestellt, die einen tieferen Einblick in die Amateurmusikszene in Deutschland gewähren.
Besonders interessant sind die gewonnen Erkenntnisse über die Geschlechterunterschiede, die es beim Amateurmusizieren gibt. Für unsere Recherche zu dem Thema „Frauen in der Rockmusik“ hatten wir zu Beginn die These aufgestellt, dass das Ungleichgewicht von Frauen in Bands bereits bei der Wahl des Instruments beginnt. Angesichts der Ergebnisse der Studie kann man diese These als bestätigt betrachten.
Zunächst ist festzuhalten, dass immerhin insgesamt 19% der Bevölkerung in Deutschland ab sechs Jahren in ihrer Freizeit musizieren. Hier gibt es bereits den ersten Geschlechterunterschied: Bei den Kindern und Jugendlichen musizieren Mädchen deutlich häufiger als Jungen. Allerdings verschwinden diese Geschlechterunterschiede im Erwachsenenalter fast vollständig, so dass sich 16% der Männer und 15% der Frauen als Hobby-, Amateur- oder Freizeitmusizierende bezeichnen, während es bei Kindern und Jugendlichen 39% der Jungen und 58% der Mädchen sind. Wo es allerdings auch im Erwachsenenalter einen gravierenden Geschlechterunterschied gibt, ist bei der Art der Musik. Die Umfrage hat ergeben, dass der Gesang eindeutig eine Frauendomäne ist, während deutlich mehr Männer als Frauen ein Instrument spielen. Diese Erkenntnis überrascht nicht, wenn man nur einen kurzen Blick in die Pop-Charts oder die Punk-Szene wirft. In Zahlen ausgedrückt singen 56% aller Frauen, die in ihrer Freizeit Musik machen. Dem stehen die Männer mit nur 24% gegenüber. Andersrum ist es bei den Amateurmusizierenden, die ein Instrument spielen: da sind es ganze 92% der Männer und 68% der Frauen.
Auch die als „typisch männlich“ und „typisch weiblich“ geltenden Instrumente bestätigen sich in der Umfrage: Männer neigen demnach eher zu Musikinstrumenten wie der E-Gitarre oder dem E-Bass. Der Anteil der Frauen liegt bei diesen Instrumenten sogar unter 0,5%. Dahingegen spielen Frauen deutlich häufiger Blockflöte oder Klavier.
Nicht nur bei den Erwachsenen, auch bei den Kindern und Jugendlichen war dieser Trend zu erkennen. Weitaus mehr Jungs spielen Gitarre, E-Gitarre, E-Bass und Schlagzeug, während die Mädchen vor allem Klavier und Blockflöte spielen.
Zuletzt war auch von Bedeutung, wo musiziert wird. In erster Linie ist der private Rahmen für Männer und Frauen gleichermaßen der am häufigsten genutzte Ort. Aber auch die bereits vorhandene Wahrnehmung in der Gesellschaft und in unserer Szene wird noch einmal durch Zahlen bestätigt: Frauen musizieren ansonsten in Chören oder der Kirche, während Männer vor allem in Bands musizieren, wo sie auf 29% kommen und der Frauenanteil bei unter 0,5% liegt.
Begründungen für die einzelnen Ergebnisse gibt es im Rahmen dieser Erhebung nicht, da es sich um eine quantitative und nicht um eine qualitative Umfrage handelt. Soll heißen: es ging hier nicht um das Warum. Dennoch bieten die Ergebnisse eine Grundlage für weitere Diskussionen, Recherchen und Umfragen zu diesem Thema.
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Kommentar: Auf der Suche nach dem Warum
Zwar bestätigen sich mit der Umfrage einige Vermutungen, die die meisten Leute sowieso schon hatten, zum Beispiel dass Frauen vor allem singen und in erster Linie Männer in Bands spielen. Am Ende bleibt aber dennoch die Frage nach dem Warum. Auch die Umfrage kann das nicht beantworten. Was bleibt, ist Schlüsse ziehen und Vermutungen anstellen.
Der größte Verführer unter den Instrumenten ist wohl die Blockflöte: nicht besonders sexy und für eine Band kaum vorstellbar, dafür aber simpel und für viele das Einstiegsinstrument. Es ist also kein Wunder, dass viele später zu anderen Instrumenten übergehen. Frauen gehen Richtung Gesang – brav im Chor singen oder vielleicht sogar einem Popstar nacheifern. Denn da ist die Auswahl an weiblichen Vorbildern verdammt groß, zum Glück. Es darf also nicht alles negativ gesehen werden. Zwar ist es rückschrittlich und schade, dass im Punk weibliche Vorbilder fehlen, dafür gibt es im Pop Idole wie Lady Gaga und die ist mehr Punk als manche Punkband!
Die Frage nach dem Warum bleibt trotzdem. Es gibt also großes Interesse am Singen, weil viele Vorbilder im Pop, aber was ist mit denen, die in der Punk-Szene als Sängerinnen aktiv sind? Es ist naheliegend, dass auch Rollenbilder ein großer Faktor sind und da wären wir wieder bei einem grundsätzlichen gesellschaftlichen Problem: Wir alle tragen verinnerlichte Sexismen in uns, auch der/die größte Feminist:in, die so tief in uns verwurzelt sind, dass wir jeden Tag dagegen ankämpfen müssen.
Sei selbstbewusst, aber nicht zu selbstbewusst. Sei laut, aber nicht lauter als die Männer im Raum. Stark, aber nicht zu stark. Durchsetzungsfähig, aber nicht hysterisch. Streng, aber auf eine zarte, liebevolle Art und Weise. Weder zu sensibel noch gefühlskalt. Setz deinen weiblichen Charme ein, aber sei dabei weder schlampig noch prüde. Zum gesellschaftlich vorgegeben Bild einer Frau passt einfach das Laute, Explosive, „Hier bin ich!“-Auftreten von Punkmusiker:innen nicht. Sängerin einer Punkband zu sein, scheint da die sicherere Wahl: Einerseits durchbrichst du gesellschaftliche Erwartungen, weil Punk ungleich weibliches Rollenbild, andererseits ist der Bruch nicht so extrem, weil wir an Sängerinnen aus der Pop-Welt bereits gewöhnt sind.
Nun zeigt die Umfrage aber genau das, was wir im Jahr 2021 eigentlich nicht mehr haben wollen: Rollendenken und sexistische Erwartungshaltungen. Die sanfte, hübsche Sängerin und der rebellische, laute Rockstar. Nach einigen ereignisreichen und erfolgreichen Jahren für den modernen Feminismus sollte man eigentlich erwarten, dass keine endlosen Diskussionen über Frauen in Bands mehr geführt werden müssen.
Als Teil der jüngeren Generation wäre meine erste Einschätzung, dass wir wesentlich offener, toleranter, hemmungsloser sind als Generationen vor uns, zumindest was den Mainstream betrifft. Wer hätte denn vor zwanzig Jahren gedacht, dass ein schwarzer, schwuler, amerikanischer Rapper wie Lil Nas X an einem Sonntag das Musikvideo „Montero“ rausbringt, in dem er Satan einen Lapdance gibt? Da wird selbst Lady Gaga große Augen gemacht haben und die hat vor zehn Jahren ihren Song „Judas“ zu Ostern veröffentlicht.
Und dennoch, auch wir bedienen weiter die von uns erwarteten Rollenbilder, anstatt endlich die Instrumente in die Hände zu nehmen und einfach loszurocken. Das ist aktuell auch gut zu sehen am Phänomen TikTok. Auf der Videosharing-App gibt es allen möglichen Content, aber was besonders oft geklickt wird, sind Tanzvideos. Junge Mädchen stellen sich vor die Kamera, tanzen und bewegen die Lippen zu Song-Ausschnitten. Damit wird das Bild der Pop-Sängerin weiter verstärkt. Das sind die modernen Vorbilder, TikTok-Stars, die täglich Millionen von Klicks generieren, einzig und allein durch Tanzvideos.
Und was wollen junge Mädchen heute auch mit alteingesessenen Punkbands anfangen, die aus alten weißen Männern bestehen, mit denen sie sich nicht identifizieren können, und deren Fanbase ihnen erst mal komische Blicke zuwirft und fragt: „Was weißt du überhaupt über diese Band? Du bist doch viel zu jung, um die zu kennen.“ Gleichzeitig scheint der Weg für junge, von den Medien als Punk beschriebene Bands eher steinig. Ein Künstler wie Yungblud, der allen Geschlechterrollen und Erwartungshaltungen mit seinem hemmungslosen Auftreten trotzt, findet Anklang im Pop. Bands mit größtenteils weiblichem Publikum werden belächelt und als „Boygroup“ abgestempelt. Wenn also sowieso immer alles nur belächelt, versüßlicht und darüber hinweg geschaut wird, was jungen Mädchen gefällt, was sollen sie dann in der Punk-Szene? Vor allem wenn sie im Pop starken und erfolgreichen weiblichen Vorbildern wie Taylor Swift, Ariana Grande oder Billie Eilish begegnen.
Die Szene müsste offener, toleranter und moderner werden, um nicht nur junge Mädchen für „in einer Band spielen“ zu begeistern, sondern generell die junge Generation abzuholen. Aber zugleich sind wir doch an einem Punkt angekommen, an dem wir, Frauen und junge Mädchen, unser Schicksal selbst in der Hand haben. Mit Riot Grrrl wurde schon in den Neunzigern feministische Punk-Geschichte geschrieben. Worauf also warten wir?
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #156 Juni/Juli 2021 und Isabel Ferreira de Castro