RUINED FAMILIES

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Utopien, D.I.Y. und Krisen – Hardcore in Griechenland

Erfreuliche Nachrichten aus Griechenland sind in den letzten Monaten rar geworden. Hauptsächlich wird das Land mit dem Wort „Krise“ assoziiert. Doch zumindest für alle, die ein Ohr für düsteren Hardcore haben, sollten die zunehmende Präsenz der griechischen Band RUINED FAMILIES ein Lichtblick sein. Nach der Veröffentlichung ihrer 7“ von namenhaften Labels wie Adagio 830 und Halo Of Flies und der dazugehörigen Tour Anfang des Jahres, schlugen sich die Heroen der olympischen Disziplin „Krach“ im späten Herbst an der Seite der Leipziger THROWERS wieder durch das Herz Europas. Das erscheint umso erstaunlicher, wenn man sich die Widrigkeiten vergegenwärtigt, die eine Band aus Griechenland zum Touren überwinden muss. Das und wie es um Hardcore in Griechenland steht, gibt es in folgendem Interview zu lesen.

Wie ergeht es einer Hardcore-Band in Griechenland? Könnt ihr einen kleinen Einblick in die griechische Szene liefern?


Giorgios: In den Achtzigern gab es eine richtig gute Punk-Szene mit inspirierenden Bands, die einen eigenständigen Sound entwickelten. Manche hatten auch Texte in griechischer Sprache, was vielleicht der Grund sein kann, dass sie außerhalb des Landes nicht sonderlich populär waren.

Takis: Auch in den Neunzigern gab es Bands wie STRESS, GENERATION OF CHAOS, NEGATIVE STANCE und CHAOTIC END, die ziemlich groß waren. Vor einiger Zeit tauchten wieder viele gute Bands auf, wie MY TURN, ANTIMOB oder SARABANTE, die sogar eine Platte auf Southern Lord Records rausgebracht haben, was für eine griechische Band eine ziemlich große Sache ist. Zu erwähnen wären auch noch DESPITE EVERYTHING, die sogar auf US-Tour waren und auf dem The Fest in Gainsville spielten. Das Gute ist, dass die Bands, die touren können und Platten veröffentlichen, dadurch auch Aufmerksamkeit auf andere griechische Bands lenken, ohne dass zurzeit ein bestimmter „Sound“ aus Griechenland kommt. Um deine ursprüngliche Frage zu beantworten, wie es einer Punkband in Griechenland ergeht: Ich glaube, dass die Griechen nicht wirklich eine Ahnung von Punk-Musik, von subkultureller Musik haben. Die traditionelle Volksmusik ist so populär und vereinnahmend, dass die subkulturellen Genres nicht wirklich bekannt sind. Und vor allem, was das Touren betrifft, ist man sehr eingeschränkt. Die geografische Lage steht einem oft im Weg, denn will man nach Mitteleuropa, heißt das immer, dass man lange Strecken über den Balkan oder durch Italien zurücklegen muss.

Vor allem in Deutschland ist man ziemlich privilegiert, was Konzerte betrifft. Ich schätze, dass Griechenland seltener von tourenden Bands besucht wird.

Takis:
Genau, und wenn sich dir nur selten die Möglichkeit bietet, Konzerte zu besuchen, ist es auch unwahrscheinlicher, dass du anfängst, dich für Musik zu interessieren. In Deutschland kommst du früher oder später irgendwie mit Punk in Kontakt und hast die Möglichkeit, einen Haufen tourender Bands zu sehen, verschiedene Genres zu entdecken und alles, was dazugehört. In jedem Fall hast du mehr Einflüsse und einen größeren Zugang zu Informationen.

Punk, Hardcore und subkulturelle Musik generell steht in Deutschland oft in Verbindung mit selbstverwalteten Läden, AZs und ähnlichen Räumen. Wie ist das in Griechenland, finden Shows hauptsächlich in Kneipen und Clubs statt?

Giorgios:
Es gibt beides. Zum einen gibt es Club-Shows mit populäreren Hardcore-Bands. Dann gibt es aber auch eine starke D.I.Y.-Bewegung, die sehr politisch, linksradikal und anarchistisch ist. Diese beiden Sphären kommen in keiner Weise miteinander in Kontakt und das ist nicht vergleichbar mit vermeintlich ähnlichen Verhältnissen in anderen Ländern. Bands, die in Clubs spielen, sind in jeglichen autonomen Läden verboten. Kein Squat in Griechenland wird es solch einer Band gestatten, in ihren Räumen zu spielen. Dazu reicht es, wenn du als Band in deiner gesamten Geschichte ein einziges Mal in einem kommerziellen Laden gespielt hast. Nie wieder wird ein Squat ein Konzert für dich organisieren, selbst wenn du eine D.I.Y.-Band bist, deine Platten selbst rausbringst und die Touren mit deinem Ersparten finanzierst. In den letzten Jahren haben zwar einige Squats diese Richtlinie aufgeweicht, da es ehrlich gesagt sehr engstirnig und konservativ ist, so zu handeln. Hier widerspricht sich das libertäre Selbstverständnis, da Freiheiten stark eingeschränkt werden.

Takis: Das Absurdeste ist, dass diese Regeln nicht für ausländische Bands gelten, die dürfen nämlich sowohl kommerzielle Läden als auch Squats bespielen. Griechischen Bands wird dieses Recht aber abgesprochen. Die Argumentation ist, dass ausländischen Bands die Situation in Griechenland nicht bekannt ist, den griechischen Bands aber sehr wohl, die deswegen die Regeln befolgen müssen.

Wie erklärt ihr euch diese strikte Reglementierung? Für mich hört sich das sehr übertrieben an.

Giorgios:
Nun, du musst sehen, dass, wenn du etwas verändern willst, erst einmal Kritik an Verhältnissen geübt werden muss. Die D.I.Y.-Szene in Griechenland ist so etwas wie die letzte Bastion subkultureller Musik in Griechenland. Nur wenige stellen die Regeln in Frage, da sie das Letzte sind, an dem festgehalten werden kann.

Takis: In Griechenland gibt es nichts außer dieser Art von D.I.Y. Wenn du dich generell für D.I.Y. interessierst, musst du dich den Geboten fügen.

Letztendlich steckt also kein böser Wille dahinter?

Giorgios:
Nein, aber manchmal schießen sie einfach über das Ziel hinaus. Denn das Spielen von Club-Shows bedeutet nicht zwangsläufig, dass du Geld verdienen willst.

Takis: Ich halte nichts von Pauschalisierung und glaube, dass jede Band differenziert betrachtet werden sollte. Die Denkweisen sollten nicht so starr sein, vielmehr sollte die Entscheidung, ob eine Band spielen darf oder nicht, davon abhängig gemacht werden, wofür diese Band steht und welchen Ansatz sie verfolgt. Wir leben in keiner Utopie, aber Anarchismus ist eine Art Utopie. Sich der Frage, ob eine Band Club-Shows spielt oder nicht, mit utopischen Idealen zu nähern, führt nicht immer weiter. Schließlich unterliegen wir gegenwärtig bestimmten Verhältnissen. Innerhalb dieser sollte Verhalten zuerst überdacht, verändert und Kritik geübt werden, die einen hier und jetzt weiterbringt.

Giorgios: Ein weiteres Problem mit D.I.Y. in Griechenland ist, dass die meisten Shows keinen Eintritt kosten. Viele Menschen kommen nur zu Konzerten, um sich zu besaufen, ohne der Musik, der Band, den Texten und Inhalten auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Sie amüsieren sich ein wenig und hauen wieder ab. Den politischen Ansatz von D.I.Y. unterstützen wir im Grunde sehr, doch manchmal zerstört sich dieser Ansatz selbst, er ist einfach selbstzerstörerisch.

Ich bin der Meinung, dass Hardcore an gewisse emanzipatorische Ideen geknüpft ist, wie seht ihr das?

Takis:
Erst kürzlich habe ich mit Giorgios darüber diskutiert, dass es viele unpolitische Bands im Hardcore und Punk gibt. Hierbei muss man jedoch unterscheiden. Auf der einen Seite gibt es Bands, die provozieren wollen, indem sie mit der Ästhetik der extremen Rechten oder rechtsradikalem Gedankengut spielen oder sich damit sogar identifizieren. Das andere Ding ist dann, einfach total unpolitisch zu sein, einfach nur „Hardcore“ zu sein, Teil einer „Szene“ zu sein, ohne sich auch nur ansatzweise über Politik Gedanken zu machen.

Giorgios: Unpolitisch zu sein, kann manchmal ganz schön nach hinten losgehen, weil du dich mit beiden Seiten einlässt. Oft hört man dann so was wie, dass du kein Problem mit Linken hast, aber dich Rechtsradikale ebenso wenig stören. Doch es gibt einfach Grenzen, die nicht überschritten werden sollten. In Griechenland waren Hardcore und Punk ursprünglich sehr politisch geprägt, aber viele neue Bands vergessen das. Uns sind die politischen Ansätze jedoch wichtig, auch wenn wir diese in unserer Musik nicht ständig proklamieren. Mit Bands, die homophobes oder rassistisches Gedankengut äußern, wollen wir nichts zu tun haben. Ich finde, dass das Schlimmste im Hardcore zur Zeit diese Macker-Attitüde ist. Das alles ist so konträr zu dem, was Hardcore eigentlich bedeutet. Ich will nicht über andere Menschen urteilen, weil jeder kann und machen darf, was er will, aber ich glaube einfach, dass so ein Verhalten nichts im Hardcore verloren hat. Hier geht es um Gleichberechtigung, Freiheit und Solidarität.

Griechenland leidet seit Jahren unter einer ökonomischen Krise. Hat diese Krise bereits Auswirkungen auf die D.I.Y.-Szene gezeigt?

Giorgios:
Die radikale Linke war in Griechenland schon immer sehr aktiv. Die demokratischen linken Parteien sorgen sich zur Zeit nicht zu sehr um das Wohl des Landes. Sie versuchen lediglich, aus der Krise einen Vorteil bei den Wahlen zu ziehen. Menschen aus subkulturellen Strukturen mit einer politischen Affinität sind jedoch schon immer bemüht, bestimmte Themen in die Öffentlichkeit zu tragen, um auch eine Kritik der Verhältnisse anzuregen. So gesehen, hat die Krise nicht auf die D.I.Y.-Szene oder die linke Szene abgefärbt, da hier Kritik am Kapitalismus schon immer auf der Tagesordnung stand.

Takis: Die öffentliche Meinung über Anarchisten oder Linksradikale ist durch die Medien sehr negativ geprägt. Die Proteste und Aktionen der Menschen finden selten Beachtung in Berichterstattungen, viel eher wird die Kamera auf brennende Gebäude gerichtet. Die „bösen“ Anarchisten, die mit Molotowcocktails werfen, stehen in den Schlagzeilen und die Millionen Menschen, die leiden und deshalb jede Woche, täglich auf die Straße gehen, bleiben unbeachtet. Sie zeigen nur die Flammen, die Molotowcocktails und versuchen, die Anarchisten, die das Land und all seine „hübschen“ Gebäude zerstören wollen, als das Übel darzustellen.

Könnt ihr einen direkten Einfluss der Krise und der Proteste auf die Musik im Hardcore und Punk erkennen?

Giorgios:
Mag sein, dass dieser düstere Sound neuer Bands dadurch beeinflusst ist.

Takis: Ja, es gibt gerade einen Haufen düstere Bands in Griechenland, damit meine ich aber nicht düster im Sinne von umgedrehten Kreuzen oder einer Schwarz-Weiß-Ästhetik.

Giorgios: Ja, haha, also düster im Sinne von Traurigkeit und Depression.

Takis: Ich denke, wenn Menschen im Punk eine Art Antwort finden oder Punkrock mit seinen Idealen als Notwendigkeit für ein besseres Leben entdecken, könnte sich aus den Bands, die bereits jetzt aktiv, sind eine großartige Szene entwickeln. Im Moment gibt es durchaus herausragende und engagierte Individuen, die sehr bemüht sind, aber es ist kein größeres gemeinsames Ziel zu erkennen.

Giorgios: Bei den Kids aus der Mittelklasse, die sich für Hardcore interessieren, lässt sich ein Wandel erkennen. Bis vor ein paar Jahren begeisterten diese sich ausschließlich für die Musik, mittlerweile entwickeln sie verstärkt auch ein Interesse an der Politik, die an Hardcore und D.I.Y. geknüpft ist.

Takis: Ich finde es nicht gut, wenn erst solch radikale Verhältnisse, wie wir sie gegenwärtig in Griechenland erleben, Menschen dazu bringen, ein politisches Verständnis zu entwickeln. Ich meine, wir sind hier gerade in der Oetinger Villa in Darmstadt, in Deutschland, und hier gibt es gerade keine Probleme, verstehst du. Deutschland ist ein wohlhabendes Land und trotzdem machen sich die Menschen Gedanken, haben ein politisches Verständnis und engagieren sich, halten solch einen Laden wie diesen hier am laufen. Ich muss wirklich sagen, dass mich das beeindruckt.

Könnt ihr selbst einen Einfluss der Geschehnisse der letzten Monate in Griechenland auf eure aktuelle 7“ erkennen?

Takis:
Die 7“ ist, was die Texte betrifft, eher eine persönliche Platte geworden. Es geht darum, wie ich gewisse Dinge im Leben betrachte und bewerte. Sicherlich schlägt sich hier auch ein Einfluss meiner Umwelt nieder, also auch Politik, aber ich drücke das eben durch meine subjektive Perspektive aus. Manche Texte sind wohl auch abstrakter, nicht jede Zeile hat eine klare Bedeutung, doch selbst das Fehlen einer Bedeutung ist im Grunde etwas Bedeutsames. Im Grunde ist es eine sehr persönliche Platte, die Themen, die uns unmittelbar betreffen, thematisiert, wie zum Beispiel Beziehungen, Scheitern oder Menschen, die du vermisst.

Giorgios: Es ist schon ein Mittel, dem ganzen Wahnsinn zu entkommen. Ein mentales Ventil, um alles hinter dir zu lassen. Ich meine das nicht egoistisch, nicht in dem Sinne, dass wir nicht teilhaben wollen, nicht kämpfen wollen, doch manchmal braucht man einfach eine Auszeit.

Takis: Uns wird oft nachgesagt, dass wir düstere Musik spielen. Um ehrlich zu sein, kann ich mich dieser Ansicht nicht anschließen. Zwar sehe ich auch nichts Positives oder ähnliches darin, es ist mehr etwas Esoterisches, in einem guten Sinn. Ich versuche, meine Gefühle auszudrücken, doch die Musik als Ganzes ist von sehr vielen unterschiedlichen Dingen geprägt. Wir stehen alle ziemlich auf Hardcore, aber eher die punkige Schiene. Hoch im Kurs steht auch Screamo, auch Indie, einfach ziemlich viel unterschiedlicher Kram. Ich finde, dass unsere Musik vieles mischt, das in der Regel nicht in einen Topf geschmissen wird, und wir versuchen, alles zu vereinen und in eine gute Richtung zu lenken.