Sebastian Kiefer ist so ein Musiker, der sein Herz auf der Zunge trägt. Ein Songwriter, der in seinen Texten ungewöhnlich viel von sich preisgibt. Schockierende Diagnosen, Drogenprobleme, der Verlust von Freunden. Und gleichzeitig klingt die Musik seiner Band RONG KONG KOMA unheimlich leicht und locker. „Delfine der Weide“ ist das zweite Album der Berliner und es hat natürlich die finsteren Vibes der Corona-Jahre aufgesaugt wie ein Schwamm. „Pop Colére“ nennt Sebastian selbst die Musik seiner Band, die eigentlich vor allem er selbst ist. Er hat alle Songs geschrieben, fast alle Instrumente gespielt, aufgenommen und gemischt, sowie das Artwork mitgestaltet.
Euer Debütalbum „Lebe dein Traum“ ist noch gar nicht so alt. Veröffentlicht vor etwa zweieinhalb Jahren. Was ist seitdem passiert?
Da ist so richtig alles nach hinten losgegangen. Unser Release war für Freitag, den 13. März 2020 geplant, und wir haben vorher noch gelacht, dass mit diesem Datum alles schiefgehen würde. Aber es kam dann wirklich so. An diesem Tag wurde die Ausgangssperre wegen der Pandemie verhängt und alle Konzerte und Festivals wurden abgesagt. Das war schon hart, denn ich hatte vier Jahre lang an dem Album gearbeitet. Dann haben wir noch versucht, ein paar Shows zu organisieren, aber das hat alles nicht geklappt. Unser Bassist Nils, der in Schweden lebt, durfte dann nicht mehr ausreisen. Vier Monate lang durfte er das Land nicht verlassen. Dann wurde unser Proberaum- und Studiokomplex aus hygienischen Gründen für sechs Monate geschlossen, weil ein paar Stockwerke darüber ein Fitnessstudio ist. Ich hatte genau einen Tag Zeit, unser ganzes Equipment herauszuholen und habe die Sachen alle in meiner kleiner Wohnung zwischengelagert. Amps, Boxen, Instrumente und Mischpult waren bis unter die Decke gestapelt. Und die Platten standen bei uns im Regal, bis dieses Jahr die Konzerte wieder losgingen. Wir hatten dafür 10.000 Euro Schulden gemacht, weil wir Platten und Merchandise vorfinanziert hatten.. Mit unserem inzwischen ehemaligen Gitarristen Benjamin hatte ich in der Zwischenzeit ein Kinderbuch namens „Auf dem Gipfel wachsen Chinanudeln“ geschrieben, um die Zeit zu überbrücken. Das sollte eigentlich ein Zweiteiler werden, aber nach dem ersten Teil haben wir uns verkracht, deshalb ist der zweite Teil nie herausgekommen.
Das neue Album hast du „Delfine der Weide“ getauft. Was steckt hinter dem ungewöhnlichen Titel?
Vor zwei Jahren saß ich an Weihnachten bei meinen Eltern vor dem Fernseher und da kam eben eine Dokumentation über Alpakas irgendwo auf einer Alm. Dann hieß es eben, dass man Alpakas auch „Delfine der Weide“ nennt und das hat mich nicht mehr losgelassen. Sie gelten als sehr freundliche Tiere, die sogar zu Therapiezwecken eingesetzt werden. Wir hatten vorher schon immer Witze darüber gemacht, wie es wäre, einen Biergarten mit einer kleinen Alpaka-Farm aufzumachen. Diese Tiere finde ich einfach unheimlich lustig und ihren Spitznamen auch. Meine Freundin kannte diesen Ausdruck sogar, ich hatte vorher noch nie davon gehört.
Wie und wo sind die zehn neuen Songs entstanden? Euer Label schreibt, auf den weiten Flächen des stillgelegten Flugfelds Tempelhof. Wie kann ich mir das vorstellen?
Ich wohne in Berlin direkt neben dem Tempelhofer Feld. Als man während des Lockdowns nirgendwo mehr hingehen durfte, ist mir natürlich die Decke auf den Kopf gefallen und dann habe ich angefangen, das Album zu schreiben. Dort gibt es ganz versteckt eine kleine Parkbank, weitab von dem Hipster-Bereich, der an Neukölln angrenzt, wo alle grillen, Skateboard fahren oder Techno-Musik hören. Ich bin ungefähr eine Stunde lang dahin gelaufen und hatte totale Ruhe. Da kommt höchstens mal ein Jogger vorbeigelaufen, sonst nichts. Vielleicht noch Füchse und Hasen. Da saß ich eineinhalb Jahre lang fast jeden Tag und habe Gitarre gespielt und Songs geschrieben. Abends habe ich immer die Sonnenuntergänge genossen und bin meistens bis zwei Uhr nachts geblieben. Dann ging es durch die absolute Schwärze nach Hause. Das war schon toll. So sind 120 Skizzen entstanden, von denen ich 50 dann als Songs aufgearbeitet habe. Daraus habe ich zusammen mit unserem Bassisten Nils die zehn Songs ausgesucht, die es letztendlich aufs Album geschafft haben.
Wie haben sich diese ganzen Rahmenbedingungen auf die Songs ausgewirkt? Du hast ja ganz schön krasse Themen in den Texten verarbeitet.
Da stecken teilweise so persönliche Dinge drin, so dass ich es erst mit verschiedenen Leuten abklären musste, ob ich überhaupt darüber singen darf. Der Song „Maschinenmensch“ zum Beispiel handelt von meinem vierjährigen Neffen, der an einem sehr aggressiven Krebs erkrankt ist. Das war für unsere Familie ein großer Schock und wir durften uns wegen Corona natürlich nicht treffen. Ich konnte mich nicht kümmern und fühlte mich total hilflos. Das war sehr schwer und wurde durch die Einsamkeit auf der Parkbank noch verstärkt. Zum Glück hat es der Kleine geschafft. Dann hat mich natürlich der große Streit mit unserem Gitarristen Benjamin sehr beschäftigt, und dann haben Menschen in meinem Umfeld im Lockdown angefangen, zu viel zu trinken und zu viele Drogen zu nehmen. Viele sind an der Einsamkeit zerbrochen und haben Psychosen entwickelt. Das war schon eine heftige Zeit, die ich da in den Texten gespiegelt habe. Dabei habe ich immer versucht, viel mit Metaphern zu arbeiten, um die sehr persönlichen Probleme nicht so direkt anzusprechen.
Trotz der ernsten und teils tieftraurigen Themen wirkt die Musik von RONG KONG KOMA immer sehr sonnig und poppig. Wie passt das zusammen?
Das habe ich natürlich bewusst so gewählt, weil ich den Gegensatz in den Songs möchte. Ich mag die Tiefe in der Texten, gleichzeitig fällt es mir wahnsinnig schwer, fröhliche Texte zu schreiben. Mich langweilen auch die fröhlichen Texte von anderen Musikern. Ich reflektiere gern und tauche in die tiefsten Ecken meines Kopfes ein und schaue, was da so herumliegt. Das ist natürlich auch mein persönliches Ventil, um solche Dinge loszuwerden. Ich selbst habe ja Jazz-Gitarre studiert, deshalb verspüre ich immer den Drang, komische Akkorde und schräge Harmonien zu schreiben. Früher resultierte daraus viel härtere Musik, wie in meiner alten Band DIVING FOR SUNKEN TREASURE. Aber ich hatte einfach Bock darauf, dass die Leute zu meinen Konzerten kommen, Spaß haben und tanzen wollen. Ich wollte einfach Musik zum Mitmachen schreiben, aber was die Texte betrifft, bin ich nicht für Parolen zu haben. Inspiriert haben mich dabei die frühen Songs der BEATLES, das erste Album der STROKES und Bands wie FUGAZI, SUPERGRASS oder MANDO DIAO. Von letzteren allerdings nur ein paar Songs.
Mit Apokalypse Vega von ACHT EIMER HÜHNERHERZEN hattest du zum ersten Mal auch einen Gast im Studio. Wie kam es dazu?
Vega ist schon seit Jahren eine gute Freundin. Als die mit ACHT EIMER HÜHNERHERZEN angefangen haben, haben wir uns mit denen einen Proberaum geteilt. Damals haben wir uns alle angefreundet und sind sogar zusammen in einen anderen Proberaum umgezogen. Und das ist nicht abgerissen, als sie mit ihrer Band so durchgestartet sind. Dann wollte ich den Song „Fanfare“ unbedingt als Duett aufnehmen und Vega war natürlich erste Wahl. Deshalb habe ich ihr Text und Melodie geschickt. Sie kam einfach im Studio vorbei und hat den Song binnen 15 Minuten eingesungen, weil sie krass gut vorbereitet war. Das war echt unglaublich. Dann hat sie natürlich noch beim Video mitgemacht. Darauf bin ich echt ein bisschen stolz, weil sie eigentlich sehr wählerisch ist und sich genau aussucht, was sie macht.
Auffällig ist auch das Foto auf dem Cover. Nicht so bunt und expressionistisch wie das von „Lebe dein Traum“, sondern monochrom und düster. Was ist das für ein Foto?
Das stammt von Alfred Stieglitz, einem Fotografen aus New York. Einige seiner Bilder gelten als die größten Fotografien aller Zeiten. Das Bild heißt „Sunlight and Shadows – Paula“ und stammt aus dem Jahr 1889. Seine Kompositionen sind einfach großartig und für dieses Motiv haben wir uns entschieden, weil dieser Moment einfach unheimlich zart und intim wirkt. Die Frau auf dem Stuhl, die ins Schreiben vertieft ist. Die Bilder an der Wand und natürlich das Spiel mit Licht und Schatten. Das strahlt einfach eine unheimliche Ruhe aus und gleichzeitig auch eine überwältigende Düsterheit. Das hat uns einfach fasziniert. Und es passt natürlich hervorragend zu meinem Songwriting.
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