ROME

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Bewegung entsteht durch Haltung

Jerome Reuter ist Gründer, Namensgeber (aus dem Vornamen abgeleitet – und nicht etwa von der Stadt), Sänger und Spiritus Rector von ROME und hat mit seinem Projekt eine einzigartige Nische zwischen Dark Folk, Industrial und – wie er es selbst treffend bezeichnet – Chanson Noir gefunden. Einfache und oft rein akustisch instrumentierte Soundscapes wechseln sich ab mit tragend-neoklassischen, von Streichern durchtränkten, schwermütigen Arrangements und über all dem dominiert stets die sehr dunkle und intensive Eindringlichkeit evozierende Stimme von Jerome. Das Duo ROME schafft auf diese Weise eine Stimmung, die sich am ehesten mit dem aktuellen Projekt THIS IMMORTAL COIL des ehemaligen COIL-Mitglieds Peter Christopherson vergleichen lässt.

Dennoch merkt man der Musik von Jerome Reuter deutlich die Einflüsse an von Genreprotagonisten der Achtziger Jahre wie DEATH IN JUNE und CURRENT 93. Aber im Grunde genommen ist ROME das Projekt eines musikalischen Grenzgängers. Thematisch kreist der gebürtige Luxemburger, der dreisprachig in Deutsch, Französisch und Englisch singt, mitunter fast in einen narrativen Tonfall gleitet, oft um politische Themen wie den Widerstand im spanischen Bürgerkrieg und dem daraus resultierenden Schicksal zahlreicher Freiheitskämpfer im Exil. Das Drehbuch zu seinen Songs – beispielsweise für das Album „Flowers From Exile“ von 2009 – stammt mitunter aus dem eigenen familiären Hintergrund. So lieferte sein Onkel mit der Geschichte seiner Mutter die Vorlage. Sie war Italienerin, die vor Mussolini nach Tunesien flüchtete, wo sie sich in einen spanischen Marinesoldaten der republikanischen Armee verliebt hat, der seinerseits vor Franco fliehen musste, weil ihm in Spanien wegen seines antifaschistischen Engagements die Todesstrafe drohte. Neben realen Lebensgeschichten verwebt Jerome seine Texte auch mit zahlreichen literarischen Einflüssen wie Bert Brecht, Thomas Mann oder Zitaten von Léo Ferré, einem der bedeutendsten Chansonniers des 20. Jahrhunderts. Kurz bevor Jerome sich mit ROME eine Auszeit nimmt, beantwortete er einige Fragen.

Jerome, nachdem du gerade das ROME-Album „Nos Chants Perdus“ herausgebracht hast, hast du kurz danach über dein aktuelles Label Trisol bekanntgegeben, ROME erst einmal auf Eis zu legen, um dich anderen Dingen zu widmen. Was steht da konkret an? Ich gehe davon aus, dass es ROME dennoch weiter geben wird.

Keine Sorge, ich habe nicht vor, mit dem Schreiben aufzuhören, aber aus persönlichen Gründen war ich gezwungen, die für 2010 geplanten Konzerttermine allesamt abzusagen. Mittlerweile denke ich, dass es auch für mein Projekt ROME ganz gut ist, mal etwas Abstand zu gewinnen und sich die Zeit zu nehmen, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Ich mag das Musikbusiness als solches nicht wirklich und bin froh, mich für eine Weile da raushalten zu können. Ich habe die Zeit auch genutzt, um wieder mal länger zu verreisen.

Die Alben von ROME sind oft konzeptioneller Natur. So war „Flowers From Exile“ 2009 thematisch dem spanischen Bürgerkrieg und dem anschließenden Exil der Kämpfer gegen den Faschismus gewidmet. Wie ist das beim aktuellen Album?

„Nos Chants Perdus“ ist sozusagen das Sequel zu „Flowers From Exile“. Die Protagonisten sind größtenteils dieselben geblieben. Ausgangspunkt war das französische Exil, in dem ideologisch gestrandete Randexistenzen um die eigene Daseinsberechtigung kämpfen und gleichzeitig versuchen, das Feuer zu bewahren, das sie einst zu ihren Entscheidungen bewogen hat. Es spielt im vom Existenzialismus geprägten Paris der Fünfziger und Sechziger Jahre. Zumindest war das mein literarischer Ausgangspunkt. Während der Recherche für „Flowers From Exile“ bin ich über vieles gestolpert, insbesondere über die libertären Organisationen des französischen Untergrunds von 1940 bis 1970, welche meist von alten Spanienkämpfern angeführt oder zumindest beeinflusst wurden. Ich habe dabei gespürt, dass es da eine vergrabene Welt zu entdecken gibt, die den Rahmen für „Flowers From Exile“ sprengen würde. So entstand das Konzept zu „Nos Chants Perdus“.

Deine Stimme ist außergewöhnlich und ein tragendes Element der Musik von ROME. Hast du mal daran gedacht, sie außerhalb des Kontexts von ROME einzusetzen, beispielsweise als Synchronsprecher oder für Lesungen?

Ja, ich habe in früheren Jahren, eigentlich bis zu Beginn von ROME, geschauspielert, und dabei viele wertvolle Erfahrungen sammeln können. Ich liebe die Welt des Theaters. Mein Vater war über 30 Jahre lang in Luxemburg als Regisseur tätig, ich bin da also sozusagen hineingeboren. Im Laufe der Jahre habe ich in dem Zusammenhang auch einige kürzere Passagen für Filme eingesprochen. Das ist auf jeden Fall ein Gebiet, welches mich interessiert. Vielleicht sollte ich das mal wieder machen.

Du bezeichnest, wann immer der Ruf nach dem musikalischen Genre laut wird, deine Musik als „Chanson Noir“ und es ist offensichtlich, dass in deinen Texten sehr viele literarische Quellen mit einfließen. Wie ist deine eigene musikalische Sozialisation verlaufen und was sind zentrale literarische Einflüsse?

Durch die Arbeit am Theater bin ich mit vielen verschiedenen Sachen in Kontakt gekommen. Ich habe auch mit Freunden viel Theatermusik geschrieben und eingespielt, und ich denke, ROME ist auch sehr stark von dieser Zeit geprägt worden. Aber parallel dazu war ich immer ein, wenn man so will, „Rockmusiker“. Ich habe in etlichen Punkbands gespielt und hatte erste Solo-Gehversuche im Singer/Songwriter-Bereich. Die Liste ist recht lang. Nach vielen Jahren habe ich dann durch ROME eine Möglichkeit gefunden, alle diese Einflüsse und Interessen zu verbinden. Die Welt des Worts, die des Klangs und die der Bühne.

Ihr erfreut euch auch einer gewissen Beliebtheit in der Neo-Folk-Szene, auch wenn ich euch dort schon rein inhaltlich nicht sehe. Für viele ist es auch ein nicht ganz unumstrittenes Genre. Wie geht ihr damit um?

Neo-Folk ist eine derart schwer zu fassende Nische, und ein äußerst verwirrender Begriff an sich. Es gibt viele Bands, insbesondere aus den Achtziger Jahren, die etwas Einzigartiges geschaffen haben, und jeder Musiker, der etwas auf sich hält, bleibt Einzeltäter und versucht, sich abzusetzen. Alles, was mit bestimmten „Szenen“ zu tun hat, ist mir suspekt. Ich möchte damit nicht wirklich was zu tun haben und es ist Zeitverschwendung, auf die Irrwege von vermeintlichen „Kollegen“ einzugehen. Ich habe das immer so gehandhabt, dass man bei ROME halt weiß, woran man ist – soweit ich das selbst weiß.

Ihr habt in Amerika auf Festivals gespielt und auf dem Wave-Gotik-Treffen in Leipzig. Um ehrlich zu sein, ist das für mich, bei der sehr introspektiven Musik von ROME, nicht der adäquate Rahmen. Ich sehe euch eher in kleinen, dunklen Clubs.

Stimmt, zur „I wanna hear you scream“-Abteilung gehört ROME sicherlich nicht und Open-Airs sind wirklich nur bedingt geeignet für das, was ich so schreibe. Aber man tut halt, was man kann. Festivals geben einem eben eine der wenigen Möglichkeiten, jüngere und unbekannte Bands in noch unerschlossenen Gegenden bekannter zu machen. Erstaunlicherweise schafft man es manchmal aber auch unter solch eigenartigen Bedingungen eine besondere Atmosphäre aufzubauen. Aber wir kommen sicher überzeugender rüber in einem kleinen Club oder Theater.