RENO DIVORCE

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Heiraten in Las Vegas

RENO DIVORCE, die eben nicht aus Reno, Nevada kommen, sondern aus Denver, Colorado, sind schon seit 2001 unterwegs, alle paar Jahre kommt eine neue Platte, regelmäßig (zuletzt diesen Sommer) ist man in Europa auf Tour und tröstet all jene, die diese perfekte Mischung aus Punkrock und Spuren von Country und Rockabilly sonst (fast) nirgendwo mehr zu hören bekommen. Passend zur Tour erschien die „Fairweather Friends“-LP, auf der sich neben sechs neuen Songs noch die der „Ship Of Fools“-EP von 2016 als Bonus finden. Ich schickte Bandboss Brent meine Fragen.

Brent, ich habe kürzlich im Radio gehört, dass immer mehr Menschen lieber in Las Vegas heiraten als in einer Kirche. Angeblich halten aber nur 50% dieser Ehen. Was folgt dann nach einer Hochzeit in Las Vegas? Eine Scheidung in Reno? Wie funktioniert das?


Die Ehe selbst ist ein Glücksspiel, nicht wahr? Kannst du dir eine passendere Stadt als Las Vegas vorstellen, um so eine Wette zu platzieren? Ich würde sagen, eine 50/50-Chance ist viel besser als die Quoten an den meisten Spieltischen in Reno oder Vegas ... Aber um deine Frage zu beantworten, ja, ich habe den Bandnamen gewählt nach dem alten Zweiklang „Vegas wedding, Reno divorce“. Reno hatte einst eine Gesetzeslücke ausgenutzt, um eine Touristenattraktion daraus zu machen. Scheidungen waren und sind eine komplizierte Rechtsangelegenheit, aber in den Dreißiger Jahren verabschiedete Nevada ein Gesetz, wodurch es zu dem US-Bundesstaat wurde, in dem es am einfachsten ist, eine „Quickie-Scheidung“ durchzuziehen. Man nannte es damals sogar die „Reno-Kur“. Daher der Name, daher die Band, daher die Geschichte. Für mich ist eine „Reno-Scheidung“ das, was nach den Flitterwochen kommt, wenn das Champagnerprickeln verklungen ist und die Realität ihr hässliches Haupt erhebt. Ich dachte, der Begriff sei bekannter, aber im Laufe der Jahre ist das die Frage, die wir am häufigsten gestellt bekommen haben.

Die Band existiert seit 17 Jahren unterwegs seid, also erzähle uns bitte von euren Höhen und Tiefen und was dich nach all den Jahren noch immer bewegt.

Nun, wie fasst man 17 Jahre in einer einzigen Antwort zusammen? Konzentrieren wir uns zuerst auf die „Höhen“. Dazu zählt definitiv, die Bühne mit jedem einzelnen meiner früheren Punkrock-Helden geteilt zu haben. Ich habe buchstäblich schon mit allen gespielt, die mich zu dem Musiker gemacht haben, der ich bin, was Punkrock betrifft. Als Teenager standen diese Bands für mich auf einer Ebene mit Elvis oder den ROLLING STONES. So denkst du eben, wenn du jung und naiv bist. Und ich dachte: Himmel, so ein guter Musiker werde ich nie! Aber aus heutiger Sicht muss ich sagen: Heilige Scheiße, da habe ich ja eine der schlimmsten Musikrichtungen der Moderne vergöttert! Denn wenn man Punkrock auf seine einfachste Form runterbricht, ist es aus der Sicht eines Musikers betrachtet einfach schrecklich, es verlangt nicht unbedingt Talent oder Können. Doch seine Rohheit und Unfähigkeit faszinierte mich wie auch Millionen anderer Menschen. Es ist diese Attitüde. Es ist dieser Hauch von Rebellentum, der die schlecht gespielten und schlecht aufgenommenen Platten dieser jungen Bands auszeichnet. Wie auch schon Elvis Presley, Chuck Berry oder die ROLLING STONES, die in ihrer Zeit die gleiche Wirkung auf die Jugend hatten. Es klang nach Gefahr und sorglosem Leichtsinn. Deshalb waren diese Bands meine Helden. Mit ihnen die Bühne geteilt zu haben, und dass sie dadurch erfahren haben, was ihr Einfluss bei mir ausgelöst hatte, ist verdammt cool. Das hätte ich mir nie träumen lassen, als ich 12 oder 13 Jahre alt war und diese Musik für mich entdeckte. Auch zu sehen, dass aus ihnen mittlerweile begnadete Musiker geworden sind, war genauso fantastisch. Die zweite Sache, aber die wichtigste, ist der der Auftritt selbst. Das ist der ultimative Höhepunkt. Ganz gleich, ob du für 40, 400 oder 4.000 Leute spielst. Darin liegt das Glück, das dieser Lebensstil beinhaltet. Diese tiefe persönliche Verbindung zu einem Publikum herzustellen, ist der beste Rausch, den das Universum zu bieten hat. Dazu kommen noch all die abgefahrenen Orte, die man unterwegs zu sehen bekommt, und die unglaublichen Freundschaften, die man auf der ganzen Welt schließt. Du hast das Gefühl von Verbundenheit mit unterschiedlichsten Menschen, die verschiedene Sprachen sprechen, aber eine gemeinsame Liebe teilen, die Musik.

Dieser Lebensstil hat natürlich auch Schattenseiten ...

Vor allem bist du ständig getrennt von deiner Familie. Wenn du mal zu Hause bist, bist du in der Regel pleite, weil kein Arbeitgeber deinen Größenwahn teilt und bereit ist, einen Arbeitsplatz für dich zu freizuhalten, während du „deinem Traum“ nachjagst. Aber du bist sowieso in deinem Kopf so falsch verdrahtet, dass dich von vornherein niemand einstellen würde, also macht es eigentlich auch nichts, wenn du mal wieder weg bist. Natürlich werden die meisten deiner engen persönlichen Beziehungen leiden unter der Lebensweise, die du gewählt hast. So ist es wahrscheinlich, dass du auf Selbstmedikation zurückgreifst, was auf den ersten Blick wie ein Vorteil deines Berufes aussieht und worum dich andere, die malochen gehen, beneiden, aber letztendlich auf direktem Weg in die Sucht führt. Ob Drogen, Sex, Glücksspiel ... jeder lebt in seinem eigenen abgedrehten Film. Du musst erst alles verlieren, um etwas zu finden, heißt es. Falls du das Glück hast, nicht vorher auf dem Friedhof, im Gefängnis oder der Gosse zu landen.

Aber wer wird schon kurz vor dem möglichen Durchbruch aufgeben?

Da ist immer diese hartnäckige Stimme in deinem Kopf, die dich antreibt und dir einflüstert: Die nächste Platte ist diejenige, die „einschlägt“, und von jetzt an ist alles nur noch ein Klacks. Aber das ist es nie, egal wie gut du bist, egal wie weit du dich von deinen Vorbildern entfernt hast, egal wie viel Risiko du als Künstler eingegangen bist, egal wie viel Geld du dafür ausgegeben hast. Du wirst immer im Schatten der bekanntesten Band stehen, der du musikalisch am nächsten kommst, auch wenn du längst nicht mehr so klingst wie sie. Du bist ohnehin verloren, falls du nicht dem richtigen Booker den Arsch geküsst hast oder im Vorprogramm irgendeiner Band den Leuten hartnäckig auf den Geist gegangen bist. Du musst mitansehen, wie die Leute, die nie einen Ton gespielt haben oder je ein Instrument angefasst hätten, die Früchte im Showbusiness ernten, während du dich verzweifelt fragst, wie du die Miete bezahlen oder deine Lieblingsgitarre aus dem Pfandhaus holen sollst. Aber trotzdem gibt es etwas tief in dir, das dir sagt, dass dies das Leben ist, für das du bestimmt bist, und der Kampf geht weiter.

Dazu passt der Titel eurer aktuellen Platten, „Fairweather Friends“. In all den Jahren hast du bestimmt eine Menge solcher „Schönwetterfreunde“ kommen und gehen sehen. Wie wichtig ist Freundschaft für den Erfolg einer Band?

Am Anfang fühlt sich eine Band wirklich wie deine Familie an. Ihr seid wie eine Gang oder eine Militäreinheit, die gerade ein Feuergefecht überlebt hat. Ihr fühlt euch unbesiegbar und nichts könnte euch jemals auseinanderbringen. Aber du wirst älter und leider auch erfahrener und musst lernen zu akzeptieren, dass Bandmitglieder kommen und gehen. Manche Leute sind auch so toxisch für die ganze Band, dass man keine andere Wahl hat, als sich von ihnen zu trennen. Letztlich sind die Leute sowieso alle verrückt und es ist gar nicht so leicht, genau die Verrückten zu finden, die zu dir passen. Ich selbst habe nicht den besten Ruf, was Drogen und Alkohol betrifft. Ich war zweimal in Therapie und kann mit Stolz sagen, dass ich seit fast drei Jahren völlig runter bin von allem. Das ist eine echte Leistung für mich, aber es macht nicht automatisch alles wieder gut, was ich mir selbst und den Menschen um mich herum angetan habe. Es gibt auf beiden Seiten immer noch viel, das unaufgearbeitet ist, und noch eine Menge, womit ich alleine fertig werden muss. Freundschaft hilft sicherlich, um eine Band zusammenzuhalten, aber Respekt vor den Mitmenschen ist das Wichtigste. Die gleichen Ziele und Visionen zu teilen, ist zweifellos ein Muss. Manchmal hat man Glück und findet jemand, den man sich schon zehn Jahre früher in der Band gewünscht hätte. Leute, die an das glauben, was du tust, und du glaubst genauso an sie. An dem Punkt sind wir jetzt gerade. Ich liebe die Band, die wir heute sind. Ich hoffe auch, dass sie bis zum Ende unserer Karriere konstant bleibt, denn ich genieße es einfach, mit diesen Jungs Musik zu machen.

Es gibt Bands, die produktiver sind als ihr, wenn es um Aufnahmen und Veröffentlichungen geht ... Euer letztes „richtiges“ Album war 2012 „Lover’s Leap“, es gab 2016 die „Ship Of Fools“-EP und jetzt die „Fairweather Friends“-EP.

Wir sind nicht an ein „Majorlabel“ gebunden, das uns verpflichtet, jedes Jahr ein Album zu veröffentlichen. Wir arbeiten in unserem eigenen Tempo und wir respektieren unsere Fans genug, um nichts zu veröffentlichen, bloß um irgendwas rauszubringen. Wir wollen immer, wenn wir ins Studio gehen, ein perfektes Ergebnis haben. Mit perfekt meine ich, dass man nicht auch nur einen Song überspringen will. Über jedes Album muss ich sagen können: All killers, no fillers. Uns ging es immer um Qualität und nicht um Quantität. Wir haben auch keine Angst, Dinge zu unseren eigenen Bedingungen zu tun. Wir haben schon so viele Hindernisse überwunden, an denen andere Bands kläglich gescheitert wären, und das ohne die Hilfe irgendeines Labels. Wir besitzen die Rechte an unserer Musik und kontrollieren den kreativen Prozess. Sicher, wir haben gepokert und verloren, aber wir haben auch gepokert und gewonnen. Am Ende des Tages spielen wir auf den gleichen Festivals wie irgendwelche Labelbands oder der übliche Rest. Aber es gibt einen großen Unterschied: Die Leute hören uns nicht, weil man es ihnen gesagt hat, sie hören uns, weil sie es wollen. Wenn der Erfolg zu leicht kommt, versinkt man in Selbstzufriedenheit. Dazu kommt, dass wir über Jahre mit Besetzungswechseln und Drogenproblemen zu kämpfen hatten. In dieser Phase habe ich nur versucht zu überleben. Tolle Songs sind aus diesen harten Zeiten hervorgegangen, aber wir können nicht immer sofort alle im Studio umsetzen. Ich habe außerdem noch mein Soloprojekt BRENT LOVEDAY AND THE DIRTY DOLLARS, das ebenfalls Zeit erfordert.

Du bist den SOCIAL D-Vergleich wahrscheinlich leid, aber trotzdem, ich mag ich eure Musik und ich mag die alten SOCIAL D-Sachen – leider habe ich wenig Hoffnung, dass sie noch mal ein Album mit dem klassischen Sound rausbringen. Da ich annehme, dass ihr auch Ness-Fans seid, wie denkt ihr darüber?

Da muss ich dir leider recht geben, wir können den Vergleich mit SOCIAL DISTORTION echt nicht mehr hören. An diesem Punkt unserer Karriere ist es ungerecht, uns auf diese Weise abzutun. Sie haben mir viel bedeutet, als ich jung war, aber niemand bleibt für immer jung. Sie waren eine der Bands, über die ich vorhin gesprochen hatte, sie haben mich dazu inspiriert, Gitarrespielen zu lernen und zu singen. Dafür werde ich ihnen immer dankbar sein. Aber wenn es um unsere Musik geht, sind sie nur ein Aspekt eines größeren Ganzen. Eines Tages wurde mir klar, dass ich diesen Einfluss hinter mir lassen kann, und ich habe meine eigene Stimme gefunden. Wenn man uns unvoreingenommen zuhört, erkennt man viel mehr als SOCIAL DISTORTION. Wir sind uns bewusst, wie kurzsichtig Menschen sein können, also tun wir unser Bestes, uns klanglich so weit wie möglich von so was zu distanzieren. Diesen Einfluss zu leugnen, wäre allerdings falsch. Er wird immer irgendwie da sein, denn Orange-County-Punkrock ist meine erste musikalische Prägung. Wir sind als Band in diesem Genre einzigartig und wir haben kein Problem mit der Schublade, in die sich SOCIAL DISTORTION selbst gesteckt haben. Sie scheinen sich damit wohl zu fühlen, wo sie heute sind, und das ist auch okay. Sie hatten ihren Zauber und waren irgendwann wahrscheinlich die coolste Band der Welt. Ich werde ihre früheren Sachen und sogar ein paar der letzten Tracks immer mögen und respektieren, aber mein Geschmack hat sich geändert und ich bin sehr kritisch gegenüber Musik, weil ich schon so lange welche mache. Ich kann und will nicht für sie sprechen. Ich kann nur sagen, was ich jeden Abend nach unseren Shows von unseren Zuschauern höre, und die wünschen sich, SOCIAL DISTORTION würden so klingen wie wir. Fühlen wir uns dadurch besser? Auf keinen Fall. Wir wollen nicht SOCIAL DISTORTION 2.0 sein. Wir sind RENO DIVORCE!