RED DONS

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Punk aus aller Welt

London, Chicago, Amman, Portland: Entfernung ist eine Konstante in der mittlerweile zehnjährigen RED DONS-Bandgeschichte. Warum darin eine ihrer zentralen Melancholiequellen liegt, erläutern Daniel „Hajji“ Husayn (Bass), Richard Joachim (Drums) und Douglas Burns (Gitarre/Gesang).

Die Mitglieder der RED DONS leben, wenn sie nicht gerade auf Tour sind, über den ganzen Globus verstreut. Wie wirkt sich das auf das Bandleben aus?

Daniel:
Das ist ein zweischneidiges Schwert. Klar ist es sehr schwierig für uns, die ganzen üblichen Bandsachen durchzuziehen, Proben, Auftritte und so. Andererseits ist vielleicht gerade die Tatsache, nicht jede Woche proben zu müssen, der Grund dafür, dass wir nun schon zehn Jahre zusammen sind. So verstreut zu sein bewirkt, dass wir immer ganz scharf darauf sind, zusammen zu spielen. Wir freuen uns das ganze Jahr darauf. Jede Show fühlt sich an, als wäre sie die Einzige, die wir jemals spielen. Es gibt uns eine Art Glücksgefühl und das mündet in einem extremen Drang, wirklich alles reinzulegen, was geht.

Richard: Manche Leute können nicht nachvollziehen, wie wir mit diesem Druck und den damit verbundenen zeitlichen Einschränkungen arbeiten können. Dass wir diese Band über diese Entfernung am Leben erhalten, ist schon ein bisschen verrückt. Für die meisten ist der Normalfall ja in derselben Stadt zu leben und so viel zu proben und aufzutreten, wie sie gerade Lust haben. Das hatten wir auch für eine extrem kurze Zeit. Wenn wir es überhaupt wirklich jemals hatten. Die RED DONS waren für mich nie diese Art Band.

Daniel: Meiner Meinung nach befeuert das auch das Songwriting. Lieder über Trennung oder Reisen oder Emigration existieren bei uns auf gleich mehreren Ebenen. Die Band ist wie eine Familie und von deiner Familie getrennt in einem anderen Land zu leben, ist hart.

Der Nahe Osten ist ein wichtiger Aufhänger für eure Musik und eure Texte.

Daniel:
Ja, der Nahe Osten ist ein sehr wichtiger Punkt. Für mich ist es ein Teil meines Backgrounds, der mein Leben noch immer stark beeinflusst. Noch wichtiger ist, dass es etwas ist, das uns alle in Nordamerika und Europa betrifft. Nachdem ich aus Jordanien zurückgekehrt bin, haben Doug und ich viel über meine Erfahrungen dort gesprochen. Wir waren beide erstaunt, wie wenig Amerikaner über diese Region wissen. Besonders im Hinblick darauf, dass die Vereinigten Staaten stark in zahlreiche Vorgänge dort und damit auch in die Zukunft des Nahen Ostens involviert waren und immer noch sind. Das ist der Grund, warum wir, als wir angefangen haben Musik für die Band zu schreiben, oberflächliche Punk-Klischees wie zum Beispiel über Krieg im Allgemeinen zu singen, vermeiden wollten. Wir wollten unsere Musik zum Vehikel für Diskussion und Wissen, Bildung machen. Darum haben wir das Arabische auf das Cover unseres ersten Albums gepackt – was sich im Nachhinein tatsächlich als sehr kontrovers erwiesen hat. Zu dieser Zeit haben viele Amerikaner den Nahen Osten durch die „Fox News“-Brille gesehen. Bei Konzerten wurde deswegen immer wieder nachgefragt, was das alles bedeuten solle. Aber auf unsere Haltung zu Israel wurden wir auch ganz besonders in Deutschland oft angesprochen. Das führte natürlich zu langen Diskussionen. Ein zentraler Teil des Problems im westlichen Diskurs ist, dass die Menschen im Nahen Osten immer als „die Anderen“ angesehen werden. Wir scheinen uns selbst nur durch das definieren zu können, was wir nicht sind. Tatsächlich sollten wir dieses „Andere“ humanisieren. Menschen sind Menschen, überall. Wir bemühen uns alle, unser Leben zu leben, und können erst in einer sicheren Umgebung richtig aufblühen. Die Macht von Politik und Religion sind die Feinde, nicht andere Menschen. Das begreifen manche Amerikaner nicht. Deswegen und auch wegen meiner persönlichen Vorgeschichte habe ich das Gefühl, dass die RED DONS genau da ansetzen sollten.

Aktuell ist Europa sehr stark mit den Auswirkungen der Lage im Nahen Osten konfrontiert. Daniel, wie hast du die Situation der Menschen vor Ort erlebt?

Daniel:
Als ich in Jordanien gelebt habe, gab es einen riesigen Ansturm von Flüchtlingen aus dem Irak. Sie schliefen überall. Manche von ihnen hatten Jobs, während sie auf ihre Weiterreise warteten. Ich kann mich an einen Typ erinnern, der Hausmeister in dem Verbindungszentrum war, in dem ich gearbeitet habe. Er war fleißig, freundlich und voller Enthusiasmus. Er wartete auf die Bewilligung seines Ausreiseantrags nach Deutschland. Für Flüchtlinge an einem Durchgangsort kann die Hoffnung, bald ein sicheres Land mit Arbeit oder einer Familie zu erreichen, wie ein Betäubungsmittel gegen die Schmerzen des Krieges wirken. Jordanien ist zwar etwas entfernt von dem eigentlichen Konfliktherd, aber für viele noch immer zu dicht dran. Als Flüchtling hast du dort einen schweren Stand. In den Augen der anderen wirst du immer einer von „denen“ bleiben. Darum musst du ein neues Leben irgendwo weit weg beginnen. Deutschland wird von der Jugend Europas als florierendes demokratisches Land wahrgenommen. Und nicht nur dort, die ganze Welt sieht das ähnlich. Für Außenstehende ist Deutschland ein Ort, der schon in der Vergangenheit mit Flüchtlingen klargekommen ist – allerdings auch selbst Flüchtlinge geschaffen hat. Ein großer Teil seiner Bevölkerung hat bei genauerer Betrachtung auf der einen oder anderen Ebene einen Flüchtlingshintergrund. Wegen dieser historischen Tatsache gibt es in Deutschland wohl auch ein gewisses Grundmaß an Sympathie für Flüchtlinge. Das wiederum verstärkt die Aussicht auf Stabilität und Wohlstand noch. Es besteht die Hoffnung darauf, dass man sich als Flüchtling in Deutschland ein Leben aufbauen kann.

Zurück zu den RED DONS: Auch „The Dead Hand Of Tradition“ beschäftigt sich mit der Trennung von Menschen, Orten oder Dingen. Allerdings weniger hoffnungsvoll, sondern eher auf eine düstere, melancholische Art.

Doug:
In Interviews werden wir oft auf unseren „Portland-Sound“ angesprochen. Die WIPERS werden häufig als Referenz herangezogen. Dann fragt der Interviewer im Normalfall nach dem Wetter. Wir sagen so etwas wie: „Ja, es regnet viel im pazifischen Nordwesten.“ Schließlich stimmen Band und Interviewer überein, dass Portland-Bands melancholische Musik machen, weil es draußen grau und nass ist. Aber diese Interviewer übersehen, dass ein Großteil der RED DONS-Melancholie aus der Distanz zwischen uns erwächst. Was ist schon melancholischer als ein Flughafen? Wie wirkt es sich aus, getrennt von den Leuten oder Dingen zu sein, die du liebst? In eine Stadt zu ziehen, in der du niemanden kennst? Oder noch schlimmer, in die Stadt zurückzugehen, aus der du kommst, und festzustellen, dass du dort eigentlich auch keinen mehr kennst. Portland ist für mich gerade deprimierend wie Hölle und ich kann dir versichern, das hat rein gar nichts mit dem Wetter zu tun.

Daniel: Platten sind nicht nur eine Ansammlung von Songs. Sie spiegeln auch – gewollt oder ungewollt – wider, was die Personen, die sie schreiben, gerade erleben. Je älter wir werden, je öfter wir reisen oder umziehen, desto mehr wirken diese Gefühle auf unser tägliches Leben zurück. Im Portugiesischen gibt es ein Wort, das den Prozess des Älterwerdens und des Verlierens geliebter Dinge zusammenfasst: „Saudade“, eine Art tiefer Melancholie kombiniert mit der Sehnsucht nach etwas Geliebtem, das im Laufe der Zeit verloren gegangen ist. Das ist wie das Gefühl, das du hast, wenn du weiterziehst. Du weißt, dass du eigentlich niemals zurückkehren kannst, weil nichts so sein wird wie früher.

Ihr macht nahezu alles selbst: Artwork, Mixen, Mastern. Ist das Teil des großen RED DONS-Masterplans?

Daniel:
Ich glaube nicht, dass Kunst etwas ist, das isoliert stattfindet oder sauber getrennt. Musik, Literatur, visuelle Kunst verschmelzen idealerweise zu einem Einzigen. Genauso leben wir das. Plattenmachen sollte ein Amalgam all dieser Dinge sein, seine Bestandteile sollten nicht voneinander getrennt werden. Je stärker wir uns in jeden Teil des Projekts einbringen können, desto besser. Die neue Welt der Kommunikation hat es Künstlern ermöglicht, den Mittelsmann außen vor zu lassen und zu jedem Teilstück des Prozesses selbst beitragen zu können. Ich finde, diesen Vorteil sollte man sich zunutze machen. Jedes Mitglied der RED DONS arbeitet daran, sich selbst und seine handwerklichen Fertigkeiten weiterzuentwickeln, um bessere Platten machen zu können. Dadurch haben wir, glaube ich, alle quasi nebenbei neue technische Fähigkeiten erworben. Ich würde es nicht als Masterplan bezeichnen, aber es war schon immer unsere Intention, alles unter einen Hut zu bringen, interdisziplinär zu sein, wenn du es so nennen willst.

Doug: Interdisziplinär ist ein großartiges Wort dafür. Manche werden es auch einfach nur neurotisch nennen. Ha! Wir sind definitiv bis ins Detail zwanghaft genau. Ob ich das einen Masterplan nennen würde, weiß ich auch nicht sicher. So hat es sich eben entwickelt. Aber ich glaube, wir sind alle froh darüber, dass es sich so entwickelt hat.

Stichwort Entwicklung: Wie würdet ihr eure Bandgeschichte in fünf Platten zusammenfassen?

Doug:
Eine großartige Frage für eine Band auf Tour. Daniel und ich haben kürzlich erst im Tourbus darüber diskutiert. Wir haben versucht, fünfzig für RED DONS essentielle Alben zusammenzustellen. Das sind Alben, die uns beeinflusst haben oder etwas über die Band aussagen, können aber auch einfach nur Platten sein, die wir oft zusammen hören. Wenn ich die Top-5-Alben auflisten sollte, die für die Gründung der RED DONS verantwortlich sind, wären das wohl, ohne spezielle Reihenfolge: MISFITS „Static Age“, THE STRANGLERS „Rattus Norvegicus“, Fela Kuti „Music Of Many Colours“ oder „Expensive Shit“, Dave Brubeck „Time Out“ und THE ADVERTS „The Wonders Don’t Care: The Complete Radio Recordings“. Die nächsten fünf sind THE ADOLESCENTS „Blue Album“, BIG YOUTH „Dreadlocks Dread“, „Play Bach“ von dem JACQUES LOUSSIER TRIO, BEACH BOYS „Smile“ und „Happy Jack“ von THE WHO. Gepfuscht, aber ich habe noch immer einige wirklich wichtige ausgelassen ...

Daniel: Für mich sind das THE STRANGLERS „No More Heroes“, Fela Kuti „Music Of Many Colours“ oder „Beasts Of No Nation“, BIG YOUTH „Dreadlocks Dread“, THE KINKS „Something Else“, Thelonious Monk „Genius Of Modern Music: Volume 1“.

Doug: Erkin Koray „I“, DESMOND DEKKER AND THE ACES „Israelites“ und ... ahhh, diese Frage ist einfach zu schwer.

Zu guter Letzt: Die Frage, die ihr schon immer mal gefragt werden wolltet – aber nie wurdet. Mit Antwort versteht sich.

Daniel:
Ich wünschte, ich würde nach der Literatur gefragt, die in unsere Platten einfließt. Es gibt Autoren und Bücher, die uns genauso stark beeinflussen wie andere Musiker. Fünf Bücher, die unsere Bandgeschichte widerspiegeln sind „Der Geheimagent“ von Joseph Conrad, „Satiren“ von Juvenal, „Die Pest“ von Albert Camus, „Die Enden der Parabel“ von Thomas Pynchon und „Orientalismus“ von Edward Said. Auf die Mehrzahl dieser Bücher wird auf die eine oder andere Weise in unseren Platten Bezug genommen. Manchmal in den Texten, manchmal spielt das Artwork auf sie an. In der Vinylmatrix haben wir oft die Hinweise darauf versteckt, welches Buch diese bestimmte Platte wesentlich beeinflusst hat.

Doug: Ich wollte schon immer gefragt werden, wer meine aktuellen Lieblings-Songwriter sind. In erster Linie, weil ich der Meinung bin, dass Songwriting nicht genügend gewürdigt wird. Einen großartigen Song zu schreiben, ist extrem schwer und diese Typen scheinen immer und immer wieder dazu in der Lage zu sein. Justin Maurer, Greg Cartwright und Peter Bonneman sind sehr talentiert. Sie verdienen ein hohes Ansehen und mehr Anerkennung, als sie derzeit erhalten. Wenn es Gerechtigkeit auf der Welt gäbe, würde ihnen ein Haufen Geld dafür gezahlt werden, dass sie zukünftig alle Top-40-Radio-Songs schreiben.

Richard: Meine Frage würde zurück zu dem führen, über das wir zu Beginn des Interviews gesprochen haben. So etwas wie Beispiele für die Hindernisse, die wir im Zuge der extremen zeitlichen und räumlichen Entfernung, unter der wir arbeiten, überwinden müssen. Als ich 2007 in die Band einstieg, waren die Vorbedingungen wahnwitzig. In weniger als zwei Wochen musste ich mir ganz alleine den gesamten RED DONS-Katalog inklusive ein paar OBSERVER-Sachen aneignen. Nach diesen zwei Wochen kam Doug nach Portland und wir beide studierten zusammen das Material ein, aus dem „Death To Idealism“ hervorging. Doug und ich probten etwa eine Woche lang zehn Stunden pro Tag. Daniel und Justin traf ich zum allerersten Mal im Studio. Sie waren vorher fünf Wochen mit den CLOROX GIRLS getourt. Die beiden haben sich direkt nach dem letzten CLOROX GIRLS-Konzert in San Francisco auf den Weg gemacht und sind die ganze Nacht durch nach Portland gefahren, damit sie rechtzeitig zum ersten Aufnahmetag der neuen RED DONS-LP ankommen. Auf dieser ersten LP gibt es einen Song namens „Everyday distraction“. Die Aufnahme auf dem Album ist das erste Mal überhaupt, dass wir alle vier diesen Song zusammen spielen. Kein Probelauf, wir haben einfach das Tape mitlaufen lassen und geguckt, was dabei rauskommt. Justin verabschiedete sich ein paar Tage später für eine weitere Tour und Doug, Hajji und ich beendeten die Aufnahmen. Justin habe ich erst zu Beginn der RED DONS-Tour gegen Ende des Jahres in Amsterdam wiedergesehen. So ist diese Band. Keine Zeit für irgendwas außer „Los!“ Ich würde gerne sagen, dass sich etwas geändert hat, aber bei „The Dead Hand Of Tradition“ war es wieder genauso. Doug flog nur zweimal nach Portland, wo er und ich ein paar Tage lang Demos aufnahmen. Kein Hajji und nicht wirklich viel Zeit, um die Songs zusammenzuzimmern. Doug hat diese Songs mehr oder weniger alleine in Providence und Chicago geschrieben. Dann haben wir uns alle in Portland getroffen, um sie aufzunehmen. Als Band hatten wir nur ein kleines Zeitfenster, um jeden neuen Song, die Melodie, die Botschaft, den Gesamteindruck hinzubekommen. Das war, wie immer, eine ganz schön anstrengende Angelegenheit.

Doug: Dazu passt auch, dass unsere Gitarristin Ruby Sparks nicht an diesem Interview teilnehmen konnte, weil sie schon wieder auf Europatournee mit ihrer „anderen“ Band THE STOPS ist. Ihr neues Album „Nameless Faces“ auf Sabotage ist eine der besten Veröffentlichungen 2015. Das sollte wirklich jeder entdecken, ihr werdet nicht enttäuscht sein.