„Quiet As Death“, die erste EP des ursprünglich fünfköpfigen Dortmunder Musikerkollektivs RED APOLLO, heimst gute Kritiken und Sympathiepunkte bei den Fans ein, die erste LP umso mehr – und dann steigt der Sänger aus. Es hilft nichts, das Studio ist gebucht, Bassist Christoph übernimmt wie auch bei seiner anderen Band SUNDOWNING den Gesangspart, die Aufnahmen der „Transgression“-Trilogie mit unterschiedlichen Split-Partnern finden zu viert statt. Dann gibt einer der drei Split-Partner seine Auflösung bekannt. Ziemlich viel also, was da in etwas mehr als zwei Jahren über RED APOLLO hereingebrochen ist. Christoph und Gitarrist Björn wirken jedoch sichtlich entspannt. Warum auch nicht, läuft doch jetzt alles besser als vorher.
Christoph, du bist nicht nur bei RED APOLLO, sondern auch mit SUNDOWNING aktiv. Wie trennst du zwischen den beiden Bands?
Christoph: Darüber habe ich mir viele Gedanken gemacht. Wir bewegen uns im selben Genre, die Unterschiede liegen eher in den Details. SUNDWONING sind für mich schleppender, dissonanter, zäher. RED APOLLO haben die krasseren Melodien und gehen mehr nach vorne. Ich versuche, das auch von den Texten her zu trennen.
Björn: SUNDOWNING ist Christophs Band, er hat sie mitgegründet. Anfangs, selbst noch, als wir „Marche Funèbre“ schrieben, war RED APOLLO keine richtige Band, bis er 2011 dazukam. Als unser Sänger ausstieg, bedeutete das natürlich einen Rückschlag. Jetzt aber läuft es besser als je zuvor, vor allem mit der musikalischen Entwicklung.
Christoph: Wir haben uns bewusst entschieden, mit RED APOLLO zu viert weiterzumachen, anstatt eine neue Person als Sänger dazu zu holen. Wir sind mittlerweile ein eingespieltes Team. Obwohl ich bei beiden quasi der Frontmann bin, sind meine Aufgaben innerhalb der Bands verschieden, die Arbeitsweise unterscheidet sich. Während ich mich bei SUNDOWNING gemeinsam mit Pascal aktiv am Songwriting beteilige, kommt bei RED APOLLO der Großteil von Björn.
Du betonst die inhaltlichen Unterschiede. Wie gestalten sich die?
Christoph: Ich finde es schwierig, das nach den jeweiligen Bands zu trennen, da ich eher versuche, von Release zu Release andere Themen zu behandeln. Die „Transgression“-Songs zum Beispiel behandeln etwas völlig anderes als die auf der SUNDOWNING-Debüt-LP„Seizures Of The World“. Die wiederum dreht sich um andere Themen als die beiden Songs, die wir danach aufgenommen haben. Bei „Transgression“ geht es um den Konflikt, dass die eigene Wünsche im Kontrast stehen zu den Erwartungen, die die Gesellschaft an einen stellt. Heruntergebrochen und etwas polemisch formuliert: Man geht zur Schule, macht seine Ausbildung, arbeitet, gründet eine Familie, stirbt. Vielleicht will man aber lieber etwas völlig anderes machen. „Seizures Of The World“ liegt eher ein Gesamtkonzept zugrunde. Da geht es darum, dass es in der gesamten Gesellschaft Eindrücke gibt, die auf einen wirken und in der eigenen Entfaltung behindern.
Wie ist die Trilogie inhaltlich aufgebaut?
Christoph: Der erste Song, der auf der Split-Platte mit GOTTESMORDER erschienen ist, beinhaltet die Feststellung, der Gesellschaft nicht gerecht zu werden und andere Vorstellungen zu haben. Der zweite Song, auf der SUNDOWNING-Split, befasst sich mit dem Konflikt selbst und dem Prozess des Versuchs, die an einen gestellten Erwartungen und die eigenen Vorstellungen zu vereinbaren. Der letzte Song stellt die Lösung dar, quasi das Happy End.
Bietet eine Subkultur wie die Punk- und Hardcore-Szene eine solche Lösung?
Björn: Ich sehe es eher als Flucht aus dem Alltag. Wir gehen regulär zur Arbeit oder zur Uni und nutzen unsere Proben oder Touren, um ein wenig herauszukommen. Für einige Menschen ist das sogar der richtige Lebensweg, eine Möglichkeit, Menschen zu treffen, die das Gleiche denken, die die gleiche Idee vom Leben haben und ähnliche Ansichten. Viele gehen darin auf und fühlen sich so wohler, als in ihrer Rolle gefangen zu sein.
Könnt ihr euch damit auch identifizieren?
Christoph: Auf jeden Fall. Momentan wird mir aber klar, dass es eben nur eine Flucht ist. Wir sind gerade auf Tour und alles ist total cool. Man muss sich aber bewusst machen, dass man in zwei Wochen nach Hause kommt und dort immer noch dieselbe Scheiße vor einem liegt.
Das wiederum klingt nicht so, als wären beide Lebensentwürfe zu vereinbaren.
Björn: Das gestehen sich viele vielleicht nicht ein. Vereinbar ist es eventuell schon, aber wir wissen auch, dass es mal ein Ende haben wird.
Christoph: Man muss realistisch bleiben. Zu denken, man käme groß raus, könnte das mit der Musik für immer machen und davon leben, ist utopisch. Beide Lebensentwürfe koexistieren zwar, wir müssen aber einen Mittelweg finden. Klar würden wir das gerne hauptberuflich machen, die Realität sieht nun mal so aus, dass wir arbeiten müssen, damit wir am Monatsende etwas zu essen haben.
Warum verteilt ihr eure Ideen auf drei Split-Releases? Sie werden dadurch auseinander gerissen und in einen neuen Kontext gestellt.
Christoph: Nachdem wir im Mai „Marche Funèbre“ aufgenommen hatten, haben wir im Oktober wieder angefangen, Songs zu schreiben, ohne konkretes Ziel. Irgendwann kam der Gedanke auf, die neuen Stücke auf Splits zu veröffentlichen. Die Idee für das Konzept und der Überlegung, die einzelnen Songs aufeinander aufbauen zu lassen, kamen später auf.
Wie habt ihr die jeweiligen Split-Partner gefunden?
Björn: Da GOTTESMORDER ebenfalls auf Alerta Antifascista veröffentlichen, wir sie echt abgefeiert haben und die Band Bock hatte, haben wir die Gelegenheit gleich beim Schopf ergriffen.
Christoph: Das mit SUNDOWNING wurde bereits entschieden, als ich bei RED APOLLO nur Bass gespielt habe. Es mag unglücklich wirken, dass meine Stimme bei beiden Songs zu hören ist. Aber es war immer schon so, dass sich beide Bands gut verstanden haben.
Björn: Ebenso mit DEAD FLESH FASHION. Musikalisch sind die natürlich chaotischer, der Sound ist aber ebenso erdrückend wie unsere Musik.
Christoph: DEAD FLESH FASHION hatten einen Song aufgenommen, sich aber zur Auflösung entschieden und wollen ihn nicht mehr zu veröffentlichen. Wir müssen also jemand Neuen suchen. Das funktioniert nur, wenn eine gewisse Verbindung zu der jeweiligen Band besteht.
Obwohl die Musik dem grundlegenden Konzept und damit auch den Texten vorausging: Spiegelt sich der Inhalt auf musikalischer Ebene wider?
Björn: Da Christoph nach dem Ausstieg unseres Sängers das erste Mal als Sänger und Texter dabei war, haben wir uns abgesprochen, das spiegelt sich definitiv wider. Vor allem im dritten Song wird zu hören sein, was Christoph mit seinen Texten ausdrücken will. Das versuchen wir in der Stimmung zu transportieren.
Christoph: Bei den nächsten Veröffentlichungen wird sich das deutlicher zeigen. Es kam ja alles recht spontan, ich musste das Set lernen, der Studiotermin stand an und es war noch nicht alles fertig. Teilweise habe ich die Texte im Studio geschrieben.
Die ersten beiden Songs erwecken den Eindruck, als würdet ihr das Format für musikalische Experimente nutzen.
Björn: Absolut. Wir wollten herausfinden, in welche Richtung wir gehen können. Weil wir auf der LP verschiedene Stimmungen transportieren wollten, haben wir versucht, alles schneller, düsterer, an manchen Stellen wiederum etwas langsamer zu spielen, damit es vielfältiger wird. Die „Transgression“-Songs hingegen gehen ziemlich nach vorne. Das würde sich aber auf einem neuen Album eher die Waage halten, da gäbe es beide Extreme.
Ihr scheint stark durch die Literatur und Kunst der Romantik und des Proto-Horrors beeinflusst zu sein. Wie passt das auf eine Hardcore-Platte?
Christoph: Liebe, Tod, große Gefühle – das sind Sachen, die grundlegend für die Menschheit sind, aber auch gute Metaphern, um bestimmte Sachen auf den Punkt zu bringen. Ich benutze relativ viel religiöse Symbolik und wurde dafür auch kritisiert. Ich fordere das heraus und mag es, die Leute zu verwirren. Es sind für mich aber in erster Linie starke Metaphern.
Bleibt dabei nicht die Verständlichkeit auf der Strecke?
Christoph: Die Frage stelle ich mir beim Schreiben natürlich auch. Aber muss Musik verständlich sein? Ich mag es, wenn Leute sich ihr eigenes Bild machen, eine eigene Erklärung daraus ziehen. Die meisten meiner Texte lassen sich auf zwei, drei Zeilen beschränken, der Rest hat eine eher ästhetische Funktion. Ähnlich verhält es sich mit den Artworks. Das alles zusammen soll stimmig sein. Wenn ich „One life, one chance“-Texte schreiben würde, würde sich das beißen.
Wer fertigt euer Artwork an? Wie hängen die Bilder von einem mit Blumen geschmückten Sarg, einem Rehkitz auf weiter Flur und dem Halbgott Pan mit eurer Musik zusammen?
Björn: Unser Drummer Sascha ist für den Großteil verantwortlich. Meistens nimmt er die Texte und reißt sich einen prägnanten Teil heraus. Wie zum Beispiel der Sarg auf dem Cover von „Marche Funèbre“: Wir hatten eine Textzeile, da ging es um Blätter, die auf einen Sarg fallen.
Christoph: Gerade dieses Album behandelt die Themen Tod und Vergänglichkeit und deshalb mochten wir dieses romantische Motiv sehr gern. Es war natürlich auch von Vorteil, die zuständige Person in der Band zu haben und direkt darauf einwirken zu können. Die Cover der Split-Platten haben nicht so viel mit den Texten zu tun. Es ist schwierig, wenn zwei verschiedene Bands aufeinandertreffen. Das Cover der GOTTESMORDER-Split ist auch von Sascha. Beim anderen hat es uns gereizt, die Sache aus der Hand zu geben, und mit dem Ergebnis sind wir auch sehr zufrieden.
Björn: Es ist natürlich schön, auf der einen Seite ein Black-Metal-Logo zu sehen und auf der anderen ein Rehkitz. Es gibt eine Bewegung, die sich langsam von diesen Konventionen löst, also dass es um Mord, Tod und Satan gehen müsse. Es geht um Musik und nicht nur Inhalte. Wenn man Bock auf Black Metal hat, muss man nicht zwangsläufig darüber schreiben, wie man den Kopf seines Bandkollegen abgeschlagen hat.
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