PUNK UND RELIGION TEIL 18: ZANJEER

Foto© by Piotr Krolikiewicz

Punkrock als globale Kultur

Neulich stolperte ich bei „Arte Tracks“ über eine Doku namens „Punk und Islam“, in der die Band ZANJEER vorgestellt wurde. Die international besetzte Punkband kritisiert Islamismus und Islamfeindlichkeit gleichermaßen und Sänger Hassan Amin hat als gebürtiger Pakistaner seine eigene Geschichte mit den pakistanischen Taliban. Zudem singt Hassan, der seit fünf Jahren in Deutschland lebt und studiert, auf Urdu, Panjabi und Persisch und bezeichnet sich selbst als „kulturellen Muslim“ und „philosophischen Agnostiker“.

Im Vorfeld einigen wir uns auf eine schriftliche Variante des Interviews, um genügend Zeit für die Vorbereitung und Reflexion zu haben. Außerdem erfordert mein Halbwissen in Bezug auf die Kultur Pakistans einige Erklärungen. Im Verlauf unserer Korrespondenz stellt sich heraus, dass wir in einigen Punkten komplett kontroverse Ansichten vertreten. Wir sehen das aber nicht als Hindernis, sondern als Herausforderung. Punkrock ist keine Komfortzone. Kommunikation trotz Divergenzen geht also noch – zumindest in unserer Szene.

Hassan, du lebst seit fünf Jahren in Deutschland, deine Punkrock-Sozialisation begann also in Pakistan. Wie oder durch wen bist du auf Punkrock aufmerksam geworden?

Die großen urbanen Zentren Pakistans waren bereits mit Rock- und Popmusik vertraut, und Städte wie Islamabad, Lahore und Karachi hatten in den 1990er Jahren mit die interessantesten Rockszenen der Region zu bieten. Dies wiederum eröffnete den Menschen im Land ein Tor, sich auch mit Metal und Punk zu beschäftigen. Von Ende der 1990er bis Mitte der 2010er Jahre war es keine Seltenheit, Hunderte von Menschen bei Underground-Rock und -Metal-Shows in Amphitheatern zu sehen. Sie wurden teilweise sogar von Marken wie Colgate gesponsort. In einer so lebendigen musikalischen Atmosphäre will man natürlich mehr entdecken. Punk-Klassiker wie die RAMONES und die SEX PISTOLS waren in der Rockszene ein Begriff, aber diese interessierte sich mehr für die technischeren Aspekte von Metal und Rock. Ich entdeckte lieber Sachen auf eigene Faust. Ich hörte viele Punksongs in den „Tony Hawk’s“-Videospielen und kaufte auch CDs von SUM 41 und SIMPLE PLAN in einem örtlichen Buchladen. Aber erst in meiner späten Teenagerzeit entdeckte ich durch Thrash-Metal-Bands ein Genre namens Hardcore-Punk, und kurz darauf sah ich den Dokumentarfilm „American Hardcore“. Ich stellte fest, dass ich trotz der geografischen Entfernung, der Unterschiede in Kultur und Politik sowie des großen Wohlstandsgefälles letztlich dieselben Ideen hatte wie einige Bands in dem Film. Seitdem habe ich mich intensiv mit dem Thema beschäftigt.

Deine frühen Einflüsse waren schwedische, japanische und südamerikanische Bands – wahrscheinlich auch aus dem D-Beat- und Crust-Bereich. Gerade in diesen Subgenres geht es oft um sehr offensive Kritik an Religion, Staat und traditionellen Werten. Inwieweit hat dich das als junger Mensch in Pakistan angesprochen?
Davor waren meine Einflüsse Black, Death und Thrash Metal. Von da an waren es UK- und US-Punk, und so habe ich das globale Punk-Universum betreten. Kritik am pakistanischen Staat ist in allen Schichten der Gesellschaft in meiner Heimat ganz normal und die Leute bringen sie auf jede mögliche Art und in jedem denkbaren Medium zum Ausdruck. Zu der Zeit, als ich in der Mittelschicht von Lahore aufgewachsen bin, waren Debatten über Themen wie Militär, Patriotismus, den wachsenden religiösen Extremismus und andere Fragen eine Seltenheit. Die Kühnheit der Punkbands und der Szene, die um sie herum entstand, inspirierten mich. Insbesondere das ideologische Engagement und die Organisation auf DIY-Basis. Ich wollte die Missstände in Pakistan aufdecken und dabei mit guten Leuten Spaß haben. Als ich DISCHARGE zum ersten Mal von zwei Lagern mit abschussbereiten Atomraketen singen hörte, dachte ich an Indien und Pakistan. Und bei den CRO-MAGS hatte ich das Gefühl, dass sie über Lahore sprechen. Als Teenager in einem Land ohne Punk-Szene setzt man sich ständig damit auseinander und stellt sich vor, was man mit diesem Genre in seinem eigenen kulturellen Umfeld anfangen kann. Das hat mich dazu gebracht, die DIY-Szene in Lahore zu begründen.

Du bezeichnest dich selbst als kulturellen Muslim und philosophisch als Agnostiker. Worin siehst du den Unterschied zwischen einem kulturellen und einem gläubigen, praktizierenden Muslim?
William L. Rowe spricht von Agnostizismus im engeren Sinne und meint damit die Ansicht, dass die menschliche Vernunft nicht in der Lage ist, ausreichende rationale Gründe zu liefern, um entweder den Glauben an die Existenz Gottes oder den Glauben an die Nichtexistenz Gottes zu rechtfertigen. Das ist mein Standpunkt. Die gesamte Argumentation rund um die Existenz Gottes ist für mich ehrlich gesagt bedeutungslos. Es ändert nichts in meinem Leben, ob jemand das eine oder andere irgendwie beweist. Deshalb verwende ich den Ausdruck „philosophischer Agnostiker“. Ich spreche Gebete, ich faste, ich erweise den Heiligen meinen Respekt, ich nehme an religiösen Ritualen und Festen teil, die mit dem Islam zu tun haben. Selbst wenn ich einen Aspekt der islamischen Kultur kritisieren muss, kann ich auf Beispiele aus der islamischen Geschichte zurückgreifen. Zum Beispiel verweisen pakistanische Linke wie ich auf das Beispiel von Hussain R.A., dem Enkel des Propheten, der Friede sei mit ihm, wenn es darum geht, einen Diktator oder sogar Islamist:innen zu bekämpfen. Die Art und Weise, wie ich die Welt wahrnehme, ist von den verschiedenen Strömungen des Islams in meiner Familie und meiner Heimatstadt beeinflusst. Zu meinem Wortschatz gehören Formeln wie „insha’Allah“ oder „Ya Ali madad“, und manchmal, wenn ich wirklich glücklich bin und feiern möchte, berühre ich mit meiner Stirn den Boden und sage „Allahu akbar“. All das macht mich zu einem kulturellen Muslim. Andere Menschen sehen das anders. Ich kenne auch Menschen, die Atheisten oder Hindus sind, sich aber mit demselben Begriff identifizieren, den ich verwendet habe. Ich kenne Menschen, die nicht wissen, ob sie Sunniten oder Schiiten sein wollen, die denselben Begriff verwenden. Wie überall auf der Welt ist das Verhältnis der Menschen zur Religion komplex und erstaunlich vielfältig. Ich glaube nicht, dass es sich dabei um ein exklusiv muslimisches Phänomen handelt, denn wenn man hinter die Fassade des glühendsten europäischen Marxisten oder des antichristlichen Satanisten schaut, wird man feststellen, dass beide kulturell stark christlich geprägt sind. Das war eines der ersten Dinge, die mir am Marxismus aufgefallen sind, als ich selbst in einer marxistischen Partei war. Und heutzutage, als Student der Anthropologie, ist es ziemlich offensichtlich, dass der gesamte sogenannte säkulare Westen kulturell christlich ist, und offen gesagt ist daran auch absolut nichts auszusetzen.

Wenn ich es richtig verstanden habe, stehst du dem Sufismus nahe. Sufis suchen ihre Verbindung zu Gott durch Meditation, oder?
Es handelt sich nicht um einen separaten Zweig des Islam, wie viele fälschlicherweise behaupten. Einer meiner bevorzugten akademisch geprägten YouTube-Kanäle, „Let’s Talk Religion“, beschreibt ihn als einen Aspekt, der der Theologie oder der Jurisprudenz ähnelt. Man kann es auch als „mystisch“ bezeichnen, aber das erfasst es auch nicht in Gänze. Historisch gesehen waren Sufi-Praktiken die Hauptströmung im Islam und sind es in vielen Kulturen mit muslimischer Mehrheit immer noch. Es kann auch politisch sein, selbst Reiche wie die iranischen Safawiden sind aus Sufi-Bruderschaften hervorgegangen. Es gab auch „Krieger-Sufis“, die in den heiligen Krieg zogen. Im Sufismus geht es im Allgemeinen darum, eine Art Intimität mit dem Göttlichen zu erreichen, und so haben verschiedene Sufi-Orden ihre eigenen Rituale, Methoden und dergleichen entwickelt. Jede Sufi-Bruderschaft ist einzigartig und entwickelte sich zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten – und es gibt viele, in die man eintauchen kann. Was mich anspricht, ist genau das: die Suche nach Intimität mit dem Göttlichen und die Vielfalt der Wege dorthin. Ich glaube, der Islam gibt mir das Gleiche: Disziplin, Ethik, eine besondere ästhetische Sensibilität und eine Wertschätzung des Lebens.

Durch meine westliche, säkulare Brille betrachtet scheinen Punk und Religion nicht viel miteinander zu tun zu haben. Punk steht für Individualismus versus Kollektivismus, Nonkonformismus versus Konformismus, ist mehrheitlich pro-schwul und pro-feministisch, häufig atheistisch. Alles in allem scheint es mir, dass die Ursprünge des Punk in säkularen Gesellschaften zu finden sind. Was, glaubst du, zieht religiöse Menschen zum Punkrock?
Ich mag Fragen wie diese gar nicht, weil sie zwei nicht existierende getrennte Zivilisationen voraussetzen, deren Grenzen kaum definiert sind und sich ständig ändern. Die Griechen, auf die viele moderne Europäer ihre Identität gründen, waren mehr mit dem Nahen Osten als mit Europa verbunden und das reichte während der indo-griechischen Periode sogar bis in meinen Teil der Welt, und um das zu sehen, müsste ich nur vier Stunden von meinem Zuhause wegfahren. Ganz zu schweigen von der islamischen Philosophie, die im Wesentlichen auf der griechischen Philosophie beruht. Was ist also der Westen überhaupt anderes als ein Konstrukt, das sich in der Kolonialzeit entwickelt hat? Edward Said hat ausführlich über diesen Irrtum geschrieben und gesprochen – es gibt auch einen tollen Vortrag auf YouTube von dem großen Mann zu diesem zivilisatorischen Diskurs, falls jemand daran interessiert ist. Außerdem ist die deutsche Kultur unglaublich konformistisch – das war das Erste, was mir auffiel, als ich meinen ersten Monat hier verbrachte. Das war mein Kulturschock. Es ist, als ob man in einer Gesellschaft lebt, die aus Robotern besteht. Sie ist auch zutiefst homophob und frauenfeindlich – das sind Dinge, die ich aus eigener Erfahrung und auch von meinen queeren Freunden gelernt habe. Die deutsche Männlichkeit ist viel „steifer“ und davon besessen, „heterosexuell“ zu sein, als die Männlichkeit in Pakistan und den umliegenden Ländern. Ehrlich gesagt ist Pakistan viel „schwuler“ als Deutschland, ungeachtet der Gesetze aus der britischen Ära, die jetzt die Schwulen- und Trans-Gemeinschaften unterdrücken. Ich würde den Lesern empfehlen, sich über die Khwaja Sira-Gemeinschaft, die einheimische transmuslimische Gemeinschaft Pakistans, zu informieren. Auch der Atheismus, auf den du dich beziehst, existiert unter einem Teppich von Protestantismus und Katholizismus, der für jeden Ausländer ziemlich offensichtlich ist. Auch der vermeintliche Säkularismus hält keiner wirklichen Prüfung stand, die über eine oberflächliche Ebene hinausgeht. Ganz zu schweigen von der Nonkonformität des Punk: Ich zum Beispiel falle auf, nur weil ich keine Tattoos habe und mich nicht so kleide wie alle anderen.

Progressive Muslime in Europa wie Bassam Tibi sagen, dass ein innerislamischer Diskurs auf eine Art Euro-Islam hinarbeiten sollte, der westliche und traditionelle Werte verbindet und die Scharia und die Geschlechtertrennung ablehnt. Hältst du das für realistisch?
Bassam Tibi ist eine sehr gelehrte Persönlichkeit, und Stimmen wie seine sind im Kampf gegen die Islamisten sehr wichtig. Für mich ist er jedoch nicht relevant. Ich sehe Europa nicht so wie er – diese Festung der Aufklärung, der Meinungsfreiheit, der guten Werte usw. Ich sehe es eher auf eine völlig entgegengesetzte Weise. Was den Euro-Islam anbelangt, so hatten wir das wohl schon, als die Briten und Franzosen in vielen muslimischen Ländern das Sagen hatten und ein komplettes Social Engineering betrieben, das konservative Elemente verstärkte – ganz nach ihrem eigenen Bild. Es gibt reichlich Literatur darüber, wenn man sich damit befassen möchte. Was Sexualität betrifft, kann ich „Desiring Arabs“ von Joseph Massad und „Governing Gender and Sexuality in Colonial India“ von Jessica Hinchy als Lektüre empfehlen.

In deinen Songtexten sprichst du dich sehr deutlich gegen religiösen, muslimischen Extremismus aus, insbesondere gegen die Taliban, die in Afghanistan und Pakistan sehr präsent sind. Ist das für dich eine Art von Vergangenheitsbewältigung? Oder willst du mit Songs wie „Taliban murdabad“, also „Tod den Taliban“, junge Menschen in Pakistan erreichen und ihnen Mut machen?
Für mich ist das nichts Neues, ich habe das in Pakistan schon mit meiner Grind/Hardcore-Band MULTINATIONAL CORPORATIONS gemacht. Und die Menschen in Pakistan schreiben schon seit Jahrzehnten gegen den islamistischen Extremismus an, schon seit den 1960ern. Es gibt reichlich Poesie, Literatur, Musik und andere künstlerische Medien, die die Menschen ständig zu diesem Thema inspirieren, und ich bin nur einer von Millionen, die sich dahingehend engagieren.

Zwei Begriffe werden sowohl von Teilen der europäischen Linken als auch von Vertreter:innen des politischen Islam/Islamismus häufig verwendet, um Kritik am Islamismus zu delegitimieren: „antimuslimischer Rassismus“ und „Islamophobie“. Mit diesen Begriffen kann ich wenig anfangen. Religion ist kein unveränderliches Geburts- oder Herkunftsmerkmal, sondern eine persönliche Einstellung, so dass Religion meiner Meinung nach nicht unter die klassische Definition von Rassismus fällt. Das ist meine persönliche Ansicht als Europäer ohne Migrationsgeschichte. Ist deine Sichtweise ähnlich oder anders?
Keiner dieser Begriffe ist etymologisch perfekt, aber ich sehe das ganz anders als du. Islamophobie ist, wenn wir Opfer einer bestimmten Art von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind. Islamophobie gibt es in Ländern, in denen Menschen Muslime als eine rassische Kategorie betrachten, die in verschiedenen Lebensbereichen eine negative Behandlung verdient. Wenn ich unterdrückt werde, weil jemand meint, ich sähe aus wie ein Dschihadist, dann ist das Islamophobie. Wenn mein jüdischer Bruder unterdrückt wird, weil er Jude ist, dann ist das Antisemitismus. Die negative Behandlung der christlichen Armenier, Griechen und Assyrer in der Türkei vor hundert Jahren? Das ist antichristliche Gesinnung. Da die Islamfeindlichkeit darauf beruht, dass sich die Menschen Muslime als eine bestimmte Ethnie vorstellen, wirkt sie sich auch negativ auf Nicht-Muslime aus, die vielleicht ähnlich aussehen, wie ein Rassist sich Muslime vorstellt. Zum Beispiel Punjabi-Sikhs oder arabische Christen. Erstere sind in Nordamerika sogar ständig islamfeindlicher Gewalt ausgesetzt.

Rechtsextreme und faschistische Tendenzen unter Migrant:innen werden von der deutschen Linken oft nicht als solche wahrgenommen oder als unabhängig vom deutschen Rechtsextremismus gesehen. Meiner Meinung nach ist dies ein Ausdruck dafür, dass Migrant:innen nicht als fester Bestandteil der deutschen Bevölkerung wahrgenommen werden. Aber genau dieser integrative Ansatz ist das Ziel eines linken Weltbilds. Bringt eine vielfältige Gesellschaft nicht auch einen vielfältigen Extremismus mit sich?
Ja, natürlich. In Pakistan leben mehrere ethno-linguistische Gruppen, und alle haben rechtsextreme Parteien, die diese politischen Ideen vertreten. Aber egal, ob in Deutschland oder Pakistan: Der Extremismus innerhalb von Minderheiten, benachteiligten oder unterdrückten Gemeinschaften muss genau untersucht werden, und die eigenen Privilegien müssen reflektiert werden. Ich finde, dass deutsche Punks zu oft über die Grauen Wölfe oder andere türkische faschistische Gruppen schimpfen, aber nicht eine Sekunde lang die Ereigniskette analysieren, die Migrant:innen in den Faschismus treibt, und die nackte Mitschuld ihres eigenen Systems an der Entmenschlichung und Entfremdung, der Migrant:innen ausgesetzt sind. Erinnere dich, dies ist ein Land, das seine eigene Version des N-Worts, nämlich „Kanake“, für türkische Migrant:innen erfunden hat, ein Wort, das jetzt durch den HipHop wiederbelebt wird. Und das in Deutschland, einem Staat, der im 20. Jahrhundert einen rassistisch motivierten Völkermord begangen hat. Das Gleiche gilt für mich als pakistanischer Punjabi – wie kann ich mit offenem Visier militante Belutschen anprangern, ohne den von Punjabi dominierten Staat zu dekonstruieren, der die Menschen zu solchen Taten treibt?

Hast du in Deutschland Diskriminierung aufgrund deiner Religion erlebt?
Wenn ich anfange, detailliert über die Erlebnisse in Deutschland zu schreiben, werde ich verrückt und bekomme extreme Depressionen, wenn ich Flashbacks von Menschen jeden Alters höre, die mich mit Affen- und Schafsgeräuschen anmachen, von einem Neonazi-Angriff, von der Polizei, die mir sagt, dass sie mich zurückschicken wird. Ich werde mich an die Leute und Firmen erinnern, die mich wegen meines Namens abgelehnt haben. Ich werde mich an all die hasserfüllten Gesichter erinnern, die mich ansehen, als wäre ich Dreck, ganz zu schweigen von dutzenden kleinen und großen Alltagserlebnissen. Es ist eine tägliche Erfahrung, Bruder. West- und Ostdeutschland sind gleichermaßen betroffen. Ich glaube nicht an das Gerede, dass der Osten fremdenfeindlicher ist. Wenn ich mich mit Einwanderern der zweiten und dritten Generation über all das unterhalte, fühle ich mich verstanden, denn diese Menschen und ihre Familien haben schon viel länger damit zu kämpfen als ich. Deutsche sollten nie vergessen, wie grundlegend rassistisch ihre Gesellschaft ist. Das ist ein Land, das nie wirklich entnazifiziert wurde.

In Pakistan ist seit 1986 das „Blasphemiegesetz“ in Kraft, nach dem Gotteslästerung und abfällige Bemerkungen über den Propheten zu Geld- und Gefängnisstrafen oder zur Todesstrafe führen können. Ist es aufgrund deiner Bandaktivitäten gefährlich für dich, dich in Pakistan aufzuhalten? Immerhin hast du seit dem Arte-Bericht größere Aufmerksamkeit erhalten.
Die Doku auf Arte ist nicht das erste Mal, dass ich medial präsent war. Tatsächlich ist Arte für Pakistan völlig irrelevant, da dort kein Französisch gesprochen wird. Meine alten Bands DEAD BHUTTOS, DARANTI GROUP und MULTINATIONAL CORPORATIONS hatten viel Presse in Pakistan, bei Vice, BBC, NBC und sogar in indischen Zeitungen. Für mich und meine Bandkollegen war das nie ein Problem, denn weder gab es bei uns Blasphemie noch waren wir daran interessiert. Ehrlich gesagt lese ich die Biografie des Propheten Muhammad, Friede sei mit ihm, wirklich gerne – er ist eine äußerst inspirierende Figur. Dieses Gesetz betrifft Christen, Schiiten und Ahmedi in Pakistan weit mehr als Sunniten wie mich. Jedes Jahr gibt es einige Vorfälle, bei denen Wohnviertel niedergebrannt und unschuldige Menschen getötet werden. Fast in jedem Fall, ob es sich um einen Christen oder einen Schiiten handelt, steckt ein schändliches Motiv dahinter – jemand will sich rächen und spielt die Blasphemie-Karte aus. Die Wurzeln dieses Gesetzes haben ironischerweise mehr mit dem britischen Kolonialismus zu tun als mit irgendeinem islamischen Gesetz, das zuvor auf dem indisch-pakistanischen Subkontinent praktiziert wurde.

Die Konflikte zwischen Indien und Pakistan sind immer noch stark vom britischen Kolonialismus beeinflusst. Pakistan entstand 1947 als unabhängiger Staat aus den überwiegend muslimischen Teilen des „britischen Indiens“. War, zynisch gesagt, nach der ganzen Katastrophe der Kolonialzeit später der durch England mitgeprägte Punkrock schließlich doch mal eine kulturelle Bereicherung?
Ich betrachte die Punk-Szene als eine globale Kultur, da sie sich nicht nur in Großbritannien entwickelt hat, sondern zeitgleich in verschiedenen Teilen der Welt. Großbritannien war Pionier bei bestimmten Aspekten, aber auch Japan oder die USA. Außerdem war Punk-Kultur in Großbritannien eine Reaktion auf die britische Gesellschaft, seien es Kriege, der Imperialismus oder die Monarchie. Besonders der Punk, der uns beeinflusst hat – die 1980er D-Beat-, Hardcore- und Crust-Bands –, steht für eine völlige Ablehnung von allem Britischen. Die Einzige, was die Briten in unseren Ländern verbreiteten, waren Hunger, Tod, Zerstörung, Feudalismus und Kapitalismus. In einem Ausmaß, dass man es noch immer kaum glauben kann.

Hast du eine eher optimistische oder pessimistische Vision für die nächsten zwanzig Jahre?
Die Welt geht den Bach runter. Wir werden mehrere wirtschaftliche und ökologische Krisen durchleben. Wir nähern uns einer Zeit, in der die Fassaden der herrschenden Klassen fallen, Ideologien bedeutungslos werden und jeder sich entscheiden muss, auf welcher politischen Seite des Zauns er steht.