PUNK UND RELIGION TEIL 15: AZ Wuppertal vs. DITIB

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Die Rückkehr linker Kernkritik

In dieser Reihe zu Punk und Religion ging es bislang um Menschen, die sowohl im Punk/Hardcore verwurzelt und aktiv sind als auch einen religiösen Hintergrund in irgendeiner Form haben. Als nicht religiöser Mensch interessiert mich der von mir empfundene Widerspruch dieser beiden Lebenswelten. Der folgende Beitrag behandelt jedoch einen direkten Konflikt zwischen diesen zwei Bereichen, der sich derzeit in meiner Wahlheimat Wuppertal abspielt.

Worum es geht? Das Autonome Zentrum Wuppertal soll nach fünfzig Jahren seiner Existenz an der Gathe abgerissen werden, weil die Stadt das Grundstück, auf der es sich befindet, an den türkischen Moscheeverein DITIB verkauft hat. Auf dem Gelände soll außer einem Moscheeneubau auch ein Komplex mit Kindergarten, Altenheim, Student:innen-Wohnungen und Einkaufsmöglichkeiten entstehen – alles ausgerichtet auf die Bedürfnisse der Moscheegemeinde, so heißt es in den öffentlichen Verlautbarungen der DITIB. Der Rat der Stadt Wuppertal hat dem Bauvorhaben bereits mit großer Mehrheit zugestimmt. Bedenken aus den Fraktionen gab es nur vereinzelt. Die Stadt ist pleite, das Quartier dümpelt vor sich hin. Man verspricht sich eine Aufwertung des Stadtzentrums zum Nulltarif und hat Deutschtürk:innen als Wählerpotenzial im Blick.
Eine dem AZ in Aussicht gestellte Ersatzimmobilie hat die Stadt Wuppertal noch nicht gefunden, wodurch dieses nicht nur seinen historisch gewachsenen Platz an der Wuppertaler Gathe verliere, sondern komplett vor dem Aus stünde. Der Treppenwitz der Geschichte ist, dass damit auch ein Stück linken Lebens in Wuppertal einer traditionellen, religiösen und politisch rechts-konservativ geprägten Vereinigung weichen müsste. Das AZ Wuppertal und die Anwohner:innen des Quartiers Gathe wehren sich gegen diese Entscheidung des Wuppertaler Rats. Neben Protestaktionen wurde ein Bürger:innenbegehren initiiert, um mit einem Bürger:innenentscheid den Bau noch zu kippen und somit das Fortbestehen des AZ zu sichern und das Quartier im Stadtteil diverser zu erhalten. Es wurde unter dem Arbeitstitel „Gezi-Gathe-Park“ auch ein Gegenentwurf für eine Quartiersentwicklung antifaschistischer Prägung an der Gathe vorgestellt. Die Aktionen des Protestbündnisses fanden bundesweit viel mediale Resonanz, Zeitungen und Fernsehen berichteten. Über die Grenzen Wuppertals hinweg ist interessant, dass es sich um einen klar antifaschistischen Protest gegen eine migrantische religiöse Struktur handelt, der sich weder von der deutschen Rechten im Sinne der Abwehr einer „Islamisierung des Abendlands“ vereinnahmen lässt noch seitens der türkischen Rechten und identitären Linken mit dem Totschlagargument der Islamophobie abgekanzelt werden kann. Aber was genau ist jetzt problematisch an der DITIB, die ja jede:r kennt und die die größte muslimische Organisationsstruktur in Deutschland ist? Darüber sprechen wir mit Schmalle, der seit Jahren als Referent und Blogger mit konsequent antifaschistischer Ausrichtung über die Problematik der muslimischen Dachverbände und Organisationen aus linker Perspektive aufklärt und auch die Wuppertaler:innen bei ihrem Protest unterstützt. Im Zoom-Interview geht es um die Strategien religiöser Fundamentalist:innen, Schwachstellen in der linken Islamismuskritik und Bildung als Empowerment.

Schmalle, warum brennt dir als Nicht-Wuppertaler der Fall des AZ Wuppertal auf den Nägeln?
Mir ist der Erhalt antifaschistischer Räumlichkeiten eine Herzensangelegenheit. Neu an diesem Fall ist, dass ein explizit linker und antifaschistischer Raum für einen DITIB-Megakomplex weichen muss. Linke Räumlichkeiten, Bildungs- und Politikmöglichkeiten werden zugunsten einer völlig reaktionären Struktur verdrängt, in diesem Fall von einer Organisation, zu der ich seit Jahren recherchiere und über deren Verbindungen zum rechten Regime in der Türkei ich berichte.

Inwiefern ist die DITIB reaktionär? Was ist problematisch an ihr?
Die DITIB wurde Mitte der Achtziger Jahre in Deutschland als Moscheeverein durch die staatliche türkische Religionsbehörde Diyanet in Ankara eingerichtet. Das D in DITIB steht für Diyanet. Die Diyanet untersteht direkt dem türkischen Präsidialamt, also Präsident Erdogan. Recep Tayyip Erdogan kommt aus der Milli Görüs-Bewegung, einer islamistischen Bewegung in der Türkei. Er hat nie einen Hehl aus seiner Weltsicht gemacht. Schon in den Neunziger Jahren hat er offen gegen die Trennung von Religion und Politik Propaganda gemacht und auf politischen Veranstaltungen gesagt, dass man „nicht Muslim und gleichzeitig säkular“ sein könne. Diese Form des Islamismus hat auch immer einen stark antisemitischen Kern, das trifft insbesondere bei der Milli Görüs-Bewegung zu. Bereits in den Siebziger Jahren war Erdogan als Regisseur und Darsteller an einem landesweit aufgeführten antisemitischen Theaterstück beteiligt. Man wusste also schon lange, welche Agenda er verfolgt. Und dieser Mann ist heute Präsident der Türkei und ihm untersteht die Religionsbehörde direkt. In der Diyanet sitzen daher auch nur Leute, die Erdogan dort haben möchte. Also Leute, die so ticken wie er. Der jetzige Vorsitzende, Ali Erbas, ist ein Fundamentalist. Er hat beispielsweise Homosexualität für den Ausbruch des Corona-Virus mitverantwortlich gemacht. Die Diyanet entsendet den überwiegenden Teil der Imame der DITIB-Moscheen nach Deutschland. Diese Imame sind de facto Beamte des türkischen Staates. Die Diyanet entsendet auch Religionsattachés, die im Hintergrund aufpassen, dass die einzelnen DITIB-Gemeinden auf Linie bleiben im Sinne der AKP, also der Partei Erdogans.

Gibt es DITIB-intern auch progressive Kräfte?
Es gab kritische Leute wie Murat Kayman, der später aus der DITIB ausgestiegen ist. Diese Leute haben intern Kritik geübt. Hört man aber die Berichte Kaymans, dann haben eben diese Stimmen zumindest keine Chance auf verantwortliche Posten, ihre Karriere ist schnell vorbei. Wer Kritik üben will, wird auf Dauer mit der Struktur brechen müssen, genau das ist das Problem.

In Wuppertal und anderswo bringen Vertreterinnen und Vertreter der DITIB häufig das Argument, man agiere weitgehend unabhängig von der Diyanet.
Auch für Wuppertal gilt, dass die Gemeinde nur so lange ihr eigenes Ding machen kann, wie sie damit nicht der Linie der AKP widerspricht. Dann kann sie „eigenständig“ agieren. Aber letztendlich kann sie jederzeit seitens der Diyanet zur Fahne gerufen werden. Zum Beispiel wenn es um den Wahlkampf der AKP geht – diese Gefahr besteht immer, auch wenn sie nicht offen außerhalb der Struktur kommuniziert wird. Und wenn man mit Aussteigern aus diesem Milieu spricht, dann wird klar, dass in sehr vielen Gemeinden politische Propaganda verbreitet wird, AKP-Politiker gehen in bedeutenden Teilen der DITIB ein und aus. Der Vorsitzende der DITIB Wuppertal ist auch im Vorstand des DITIB-Landesverbandes NRW, er muss diese Struktur also kennen. Und er war auch schon im NRW-Vorstand, als 2016 ein riesiger Spionageskandal in DITIB-Moscheen in NRW vonstatten ging, als einige DITIB-Imame ihre eigenen Gemeinden und Mitglieder bespitzelt haben im Auftrag der Diyanet. Aus diesen Vorfällen wurde keine wirkliche Konsequenz gezogen. Bis heute hat keine transparente Aufarbeitung stattgefunden. Genau das wäre für mich schon ein absolutes Ausschlusskriterium für eine Zusammenarbeit mit der DITIB. Alleine wegen der Abhängigkeit von der Diyanet, einer fundamentalistischen Behörde, die wiederum einem Islamisten und Antisemiten untersteht, der zusätzlich seit Jahren in der Türkei eine Blut-und-Boden-Ideologie verbreitet. Derartig rechtsaußen verortete Strukturen können keine Partner einer progressiven Demokratie sein.

Du bezeichnetest die Baupläne der DITIB in Wuppertal eben als Megakomplex. Ich erinnere mich daran, dass es vor einigen Jahren in den ersten Planungen nur um eine Erweiterung der Moschee ging. In den neuen Plänen sind ein Kindergarten, ein Altenheim, Wohnungen für Studentinnen und Studenten sowie Einkaufsmöglichkeiten aufgeführt, die, schwammig formuliert, den „Bedürfnissen der Gemeinde“ entsprechen sollen. Für mich klingt das nach Segregation und keineswegs nach einem diversen Stadtviertel. Was hat die DITIB von solch einem Großprojekt?
Die DITIB verfolgt eben nicht nur religiöse und spirituelle Ziele, sondern auch ein soziales Programm und durch die Anbindung an die Diyanet natürlich auch politische Interessen Ziel im Sinne des türkischen Staates. Das heißt selbstverständlich nicht, dass alle Menschen, die in eine DITIB-Moschee gehen, islamistisch oder nationalistisch sind. Da werden auch viele Menschen hingehen, die einfach nur ihr Freitagsgebet machen wollen. Wir reden hier nicht über gläubige Menschen pauschal, das kann man bei Menschen sowieso nie. Aber die Struktur der DITIB ist eindeutig. Hier müssen sich die Gläubigen die Frage stellen: Wollen sie in einer Struktur sein, die seit Jahren immer wieder in Militarismus-, Islamismus-, Antisemitismus- und Nationalismusskandale verwickelt ist? Diese Dinge werden in der Regel extern aufgedeckt und selten intern aufgearbeitet. Aus der DITIB heraus werden keine wirklich nachhaltigen Konsequenzen aus diesen Skandalen gezogen. Zwischenzeitlich werden einige Posten neu besetzt, die Struktur als solche bleibt davon unberührt. Und diese Struktur ist derzeit nicht reformfähig, davon bin ich überzeugt.

Stichwort: soziales Programm der DITIB. Darunter würde ich auch die Arbeit mit und von Jugendlichen und jungen Erwachsenen verbuchen. Für den Neubau würde mit dem AZ Wuppertal ein Freiraum der linken Jugendarbeit in Wuppertal weichen müssen. Weißt du, ob die DITIB auch gezielt Jugendarbeit betreibt? Ich kenne das von den örtlichen arabischen Moscheen, die zum Beispiel ein Äquivalent zum CVJM betreiben, den IVJM (Islamischer Verein junger Menschen), bei dem es schon mehrfach Gastredner aus dem Umfeld der radikalislamischen Muslimbruderschaft gegeben hat.
Ich kann in diesem Zusammenhang etwas über eine DITIB-Gemeinde und ihre Jugendarbeit in Oberhausen sagen, die jahrelang ihre Inhalte online gestellt hat. In dieser Gemeinde war eine Art „Sozialarbeiter“ tätig, der mitunter auch bei der Türk Federasyon aufgetreten ist, der Deutschlandabteilung der neo-faschistischen Grauen Wölfe. Da wurden Jugendlichen reaktionäre bis fundamentalistische Geschlechter- und Sexualvorstellungen vermittelt, die man sonst aus Sektenstrukturen kennt. Wie gesagt – die strukturelle Verwebung der Diyanet und DITIB hat zur Konsequenz, dass auch das Gesellschafts- und Menschenbild einer islamistischen AKP in Gemeinden der Bundesrepublik einsickern. Dort wird kein Jugendprogramm angeboten werden können, das grundsätzlichen Weltanschauung und Interessen der AKP widerspricht. Eine staatliche Behörde, die mit derartigen Strukturen kooperiert, verrät ihren pluralistischen demokratischen Kern. Dann können die Jugendämter auch gleich mit Evangelikalen oder den Zeugen Jehovas zusammenarbeiten.

Hast du dafür ein Beispiel?
Ihr Geschlechter- und Gesellschaftsbild ist, wie gesagt, reaktionär. Die DITIB pflegt eine rigide Geschlechtertrennung. Das passt natürlich nicht zum pädagogischen Konzept einer staatlichen Schule und Jugendeinrichtung, in der Genderpluralismus, Geschlechtervielfalt und der Kontakt zwischen den Geschlechtern gefördert werden sollen. Diese Ideen stehen völlig konträr zu denen der DITIB. Und dann sehe ich, dass Sascha Schäfner von der Partei Die Grünen in Wuppertal ein leidenschaftliches Plädoyer für den DITIB-Moscheebau online stellt, während er Queer-Beauftragter seiner Partei in Wuppertal ist, so dass man sich fragt, welche queeren Interessen er durch eine derart reaktionäre Struktur berücksichtigt sieht? Ob Naivität oder Berechnung, beides stellt die Kompetenzen dieses Politikers in diesem Fall doch sehr infrage.

Wenn man die öffentlichen Stellungnahmen der DITIB-Funktionärinnen und -Funktionäre sieht, spielen die aber auch souverän auf der Klaviatur linker Identitätspolitik. Da ist die Rede von Teilhabe, Diversität, Dialog, Vielfalt, Antirassismus, Antilokolonialismus ...
Du kannst gern mal durch Wuppertal laufen und dich mit Kurd:innen oder Armenier:innen darüber unterhalten, inwiefern sie Antirassismus in einer DITIB-Moschee erleben. Wenn die Türkei ihre völkerrechtswidrigen Invasionen in kurdischen Gebieten startet, hat man de facto in Teilen der DITIB Kriegspropaganda gehört, begleitet von nationalistischer Rhetorik und Gebeten für den Krieg. Wie passt Derartiges zum Feld des Antirassismus? Wie passt die Glorifizierung eines Mannes wie Erdogan, der systematisch kurdische Gebiete überfällt, die dort lebenden Menschen vertreibt und dafür islamistische Meuchelmörder und ihre Familien ansiedelt, zum Feld des Antikolonialismus? Noch mal: die AKP ist in ihrer Milli Görüs-Tradition eine islamistische Partei, die ihren religiösen Fundamentalismus mit nationalistischen Blut-und-Boden-Elementen verbindet. An dieser Partei hängt die DITIB über die Diyanet in einer seit Jahren klaren Struktur. Also worüber redet man da noch?

Die Wuppertaler Ratsparteien, insbesondere die SPD, begründen die Zusammenarbeit mit der DITIB vor allem auch damit, dass sich über die Jahre ein Vertrauensverhältnis mit den Funktionärinnen und Funktionären entwickelt habe, man kenne sich gut. DITIB-Leute sind auch selber in den Parteien aktiv.
Dazu möchte ich vorab deutlich machen: Es ist mir wichtig zu betonen, dass ich nicht über einzelne Menschen urteile. Ich rede über die strukturelle Verbindung zwischen der DITIB, der Religionsbehörde Diyanet und dem türkischen Staat. Ich kenne diese Leute in Wuppertal nicht persönlich und als Menschen kritisiere ich sie auch nicht. Das können tolle und redliche Leute sein. Aber wenn man mit der DITIB kooperiert und diese Leute irgendwann aus ihren Ämtern ausscheiden, ist die Gefahr stets vorhanden, dass Personen nachrücken, die nicht so redlich sind. Dieser Zustand ist genau so auch in der Struktur angelegt. Deshalb ist es schön und gut, wenn die Wuppertaler Politik da momentan Kaffeekränzchen mit der DITIB abhält. Aber niemand kann gewährleisten, dass der türkische Staat nicht später wieder problematische Leute in die Entscheidungspositionen bringt. Das ist jederzeit möglich. Und darauf hat in Deutschland niemand Einfluss. Sich mit einer Organisation, die an einem protofaschistischen Regime hängt, an einen Tisch zu setzen, um eine Kooperation zu verhandeln, ist eine Bankrotterklärung für die Demokratie.

Auf der Infoveranstaltung und Podiumsdiskussion des AZ und der Anwohner:innen des betroffenen Quartiers ist mir eine Äußerung eines AZ-Vertreters besonders im Ohr geblieben. Er sagte, dass der Protest ihm wesentlich leichter fallen würde, wenn es sich nicht um eine migrantische, sondern eine deutsche, christliche Gruppe handelte. Und das finde ich symptomatisch für den Umgang großer Teile der deutschen Linken mit migrantischen Rechten. Warum tun sie sich mit Kritik so schwer? Die Reibungspunkte sind doch offensichtlich.
Linke Kräfte in Deutschland sind größtenteils in einer Fundamentalopposition zur Kirche, insbesondere zur katholischen Kirche. Das ist ein historisch gewachsener Konflikt. Jetzt ist mit den islamischen Verbänden eine Struktur aufgetaucht, die in der Auseinandersetzung komplett neu ist. Ein wichtiger Punkt für die eher verhaltene Kritik ist, dass es auch in Deutschland antimuslimischen Rassismus und Ressentiments gegen Muslim:innen gibt, bis hin zu rechten Gewalttaten, Terror und Mord. Hanau und Solingen sind uns allen bekannt. Daneben wird auch von Rechtspopulist:innen seit Jahren systematisch gegen Muslim:innen gehetzt und Stimmung gemacht. Dadurch können die betroffenen Menschen sich nicht sicher fühlen und sind einer realen Gefahr ausgesetzt. Und darum muss linke Kritik vor allem sprachlich schon sehr differenziert sein, damit Rechte sie nicht für sich instrumentalisieren können. Ganz kann man diese Instrumentalisierung leider nie ausschließen, denn dann müsste man komplett schweigen und damit wäre die Debatte tot. Dann fiele man zum Beispiel den durch türkischen Nationalismus betroffenen Gruppen in den Rücken oder ließe sie zumindest alleine. Linke Kritik muss solidarisch an der Seite betroffener Gruppen stehen und demokratische Kräfte unterstützen. Sie ist unbedingt notwendig, wenn man Antifaschismus wirklich ernst nimmt. Als Antifaschist:in sollte man gegen ausnahmslos jede Form des Faschismus aufstehen. Das ist die eine Sache. Aber es gibt auch in einflussreichen Teilen der Linken Sympathien für diese reaktionären Verbände.

Wie zum Beispiel innerhalb des Netzwerkes marx21?
Ja, deren Gründerin Christine Buchholz war neun Jahre lang religionspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke und hatte damit einen großen Einfluss auf die religionspolitische Ausrichtung der Partei. Auch Janine Wissler war früher bei marx21 aktiv. Das Netzwerk sucht seit Jahren den Schulterschluss mit den reaktionärsten Stimmen der muslimischen Communities, auch teilweise mit islamistischen Kräften, die der Muslimbruderschaft nahestehen. Sie relativieren Islamismus und stellen sogar in den Raum, dass die Hamas – als palästinensischer Arm der Muslimbruderschaft – theoretisch ein antiimperialistischer Verbündeter sein könnte. Und sie diffamieren ganz gezielt Leute, die darüber kritisch aufklären. Das ist nicht mehr hinnehmbar und beschädigt das Selbstverständnis linker, antiklerikaler Bewegungen auf unabsehbare Zeit.

Da greift dann auch bei der Linken wieder diese deutsche Verwaltungslogik, dass man sich anstelle von Individuen lieber eine organisierte Gruppe als Ansprechpartnerin sucht? Klassisches Vereinsdenken?
Genau! Und das haben reaktionäre Teile muslimischer Milieus schon in den Achtziger Jahren erkannt und sich dementsprechend organisiert. Liberale und säkulare Muslimin:innen haben lange gar nicht die Notwendigkeit gesehen, sich zu organisieren. Der Liberale Islamische Bund wurde erst 2010 gegründet. Dazwischen sind dreißig Jahre vergangen, in denen die reaktionären Kräfte sich schon vernetzt, Moscheen gebaut und finanzielle Mittel verschafft haben. Ich bezweifle stark, dass diese ganzen DITIB-Megabauten nur aus Spendenbeiträgen bezahlt werden. Die Kosten liegen zwischen 30 und 50 Millionen Euro. Ich vermute stark, dass da auch Gelder aus der Türkei fließen, insbesondere aufgrund der Anbindung an die Diyanet. Und diese Mittel haben liberale muslimische Strukturen nicht. Die haben keine staatliche Anbindung.

Was könnte man aus linker Sicht deiner Meinung nach besser machen in der Auseinandersetzung mit Strukturen wie der DITIB?
Das, was jetzt in Wuppertal an Widerstand und solidarischer Arbeit passiert, hätte schon vor zehn Jahren stattfinden müssen. Jetzt ist auf gut Deutsch schon die Kacke am dampfen. Notwendig ist Wissen – und zwar auch Detailwissen. Es muss klar sein, über wen wir reden, wie die Strukturen und die Leute miteinander zusammenhängen. Es braucht ein Problembewusstsein. Das fehlt in der Linken häufig. Rechte Strukturen gibt es nicht nur in Deutschland, die gibt es überall. Natürlich legt die linke Szene in Deutschland ihren Fokus völlig zu Recht auf die deutsche Rechte. Aber wenn man es ernst meint mit der Solidarität mit Minderheiten, sind diese migrantischen rechten Strukturen auch hochproblematisch. Die Angst vor Applaus von der falschen Seite darf nicht lähmend sein. Sie kann dazu genutzt werden, wachsam zu agieren und trennscharf zu argumentieren. Dann kann man auch eine emanzipatorische und klar antifaschistische Kritik äußern. Dieses Detailwissen muss an der Basis vermittelt werden. Da sehe ich vor allem linke Gruppen zukünftig viel mehr gefordert.

Wo und bei wem, außer in deinem Blog, kann man sich zu diesem Thema informieren?
Zum Beispiel bei Dr. Reyhan Sahin, besser bekannt als die Rapperin Lady Bitch Ray. Sie hat einiges über die Milli Görüs-Bewegung geschrieben. Oder bei Sineb El Masrar, die auch über die muslimischen Dachverbände Texte veröffentlicht hat. Und bei DITIB-Aussteiger Murat Kayman, der zusammen mit Eren Güvercin und Engin Karahan Gründungsmitglied der Alhambra Gesellschaft ist. Die Alhambra Gesellschaft ist heute wohl eine der glaubwürdigsten Quellen für einen kritischen Umgang mit dem Thema, weil sie zum Teil selber aus diesen Strukturen kommen, sich darin aktiv bewegt und ihnen dann den Rücken gekehrt haben. Wenn man diesen Aktivist:innen online folgt und ihre Texte liest, hat man einen guten innerislamischen Einblick. Es ist in erster Linie sowieso eine innerislamische Frage, inwiefern ein progressives Islamverständnis in der Breite anschlussfähig wird. Ein schwieriges Feld, denn konservative Positionen haben sich im Islam historisch schon sehr stark durchgesetzt. Das gilt es – meiner Meinung nach – aufzubrechen, wobei Nicht-Muslim:innen dies nur von außen unterstützen können. Und es muss auch ein feministischer Antrieb sein, weil in bedeutenden Teilen der Moscheegemeinden in Deutschland eine rigide Geschlechtertrennung herrscht. Das wird einen Bruch mit grundlegenden Traditionen bedeuten. Dieser wird irgendwann kommen und gerade da sollten sich Nicht-Muslim:innen fragen, auf welcher Seite sie in diesem Prozess gestanden haben.