Kyaw Kyaw von REBEL RIOT und Miguel Chen von TEENAGE BOTTLEROCKET haben in den Teilen 9 und 10 unserer kleinen Reihe zu Punk und Religion ihre Sicht der Welt aus buddhistisch geprägter Perspektive erläutert. In dieser Folge soll es ein paar Grundlagen zum spirituellen Überbau und den für Ox-Leser:innen interessanten Bezügen geben. Knapp und mit Mut zur Lücke, ein Fanzine ist ja kein Proseminar! Im Anschluss kommt mit Noah Levine der Gründer des „Against The Stream Meditation Center“ in Venice, Kalifornien zu Wort.
Buddhistische Basics: Wer? Was? Wo?
Der Buddhismus, insbesondere der Zen-Buddhismus, ist ein Glaube ohne Gott, was daran liegt, dass Buddha (oder Siddhartha Gautama oder Shakyamuni) als Glaubensbegründer ein Mensch war. Es gibt also keine determinierende Autorität in Form eines Schöpfers, keinen echten Schöpfungsmythos, kein klassisches Jenseits, geschweige denn Himmel und Hölle. Buddha selbst lehnte es sogar ab, ihn als Autorität zu betrachten, der Weg der Erkenntnis ist also ein sehr persönlicher und individueller. Daher ist auch umstritten, ob der Buddhismus eine Religion oder eine Philosophie ist, in der es einfach um den Zusammenhang aller Dinge geht. Kernaussage Buddhas: Eins ist alles und alles ist eins! Eine Art Pantheismus – „alle Dinge sind beseelt“ –, die aufgrund einer fehlenden Gottheit auch Anknüpfungspunkte für Atheist:innen und Agnostiker:innen mit spirituellem Selbsterfahrungs- und Erkenntnisinteresse bereithält.
Der Zen-Buddhismus hat keine fest vorgegebene Lehrmeinung, kein Dogma. Er trennt den spirituellen Bereich nicht von den Wissenschaften und kann daher auch – etwas lax formuliert – als fehlendes Glied zwischen religiösem Glauben und Atheismus betrachtet werden. Vermutlich erfreut er sich darum in der säkularen westlichen Welt auch einiger Beliebtheit. Eine seiner Grundlagen ist die Praxis des Zazen, dem meditierenden Sitzen mit gekreuzten Beinen in ansonsten aufrechter Haltung bei gleichmäßiger Atmung. Das dürfte auch jede:r Außenstehende kennen. Diese Form der Meditation dient der Aktivierung der angeborenen Intelligenz und Intuition und der Überwindung des gewöhnlichen limitierten Denkens. Ziel dieser Übung ist der Zustand der Erleuchtung, des Loslassen-Könnens und der Schaffung einer im Rahmen der individuellen Möglichkeiten jedes Einzelnen bestmöglichen Version seiner/ihrer selbst, Selbstoptimierung quasi. Es gibt keine „ewige Seele“, der Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt, wie man ihn im Buddhismus findet, ist sinnbildlich. Der Prozess des Entstehens und Vergehens passiert in jedem Augenblick, daher gibt es im Zen auch keine Erlösung durch einen Gott, der Mensch ist fähig, sich aus eigener Kraft zu befreien. Die „Erlösung“ findet im Hier und Jetzt statt, mit ihr verschwindet auch die Angst vor dem Tod.
Neben der Meditation helfen auf diesem Weg (Tao) dabei auch mehrere Künste wie die japanische Teezeremonie (Chado), die Kalligrafie (Shodo), das Blumenstecken (Ikebana respektive Kado) oder das Bogenschießen (Kyudo). Handwerkliche und geistige Fähigkeiten müssen für eine gut ausbalancierte Persönlichkeit gleichermaßen entwickelt werden (Hallo, Reformpädagogik!). Taoistisches Denken setzt voraus, dass der Mensch von Natur aus gut ist. Das westliche Misstrauen gegenüber der menschlichen Natur und die Überzeugung, man müsse den Menschen durch Erziehung und Gesetze zähmen, wird als widersprüchlich angesehen, weil das Gute dem Menschen ja schon immanent ist und nur gefunden beziehungsweise reaktiviert werden muss. Soweit in aller Kürze die wichtigsten Hintergründe. Schauen wir nun, warum dieses Konzept für Punks offenbar interessant sein kann.
Einzelprotagonisten
Noah Levine: „Being Buddhist is about as punk as you can get.“
Noah Levine ist sicherlich der bekannteste aktive Buddhist in der Punkrock-Szene. Er ist Buchautor und Gründer des „Against The Stream Meditation Center“, das nicht nur ein Ort der spirituellen Meditation ist, sondern auch eine Art Sucht- oder Entzugsklinik, die auch gerne von Promis besucht wird. Levine selber hat am Tiefpunkt seines Lebens inklusive Knast- und Drogenerfahrungen über seinen Vater zum Buddhismus gefunden und mit diesem aus seiner persönlichen Misere heraus. Seitdem versucht er, Menschen mit ähnlichen Biografien diese Möglichkeit der Suchtentwöhnung näher zu bringen. In seinen Memoiren „Dharma Punx“ (Dharma = Wahrheit) kann man das bei Interesse nachlesen. Levines Buch markierte für tausende von Punks in westlichen Ländern den Einstieg in buddhistische Praktiken. Seine persönliche Ethik von Punkrock, Spiritualität und innerer Rebellion schien bei vielen ein willkommener Zugang zu sein. Hierzu lohnt es auch, die Dokumentation „Meditate and Destroy“ anzusehen. Levine beschreibt den Kampf der inneren Unruhe gegen den Wunsch nach Meditation als Form der inneren Anarchie. Das Unterbewusstsein sagt: „Entspanne dich!“, der Verstand sagt: „Fick dich!“ Keine Autorität außer der eigenen, die einzige Regel heißt: keine Regel. Darin sieht und begründet Levine die seiner Auffassung nach starke Verbindung zwischen Punk und Buddhismus. Es geht um das Leben im Jetzt, den Moment, das Gegenwartsbewusstsein, nicht um die Projektion von zukünftigem Glück. Die Gegen-den-Strom-Attitüde entspricht demnach der Grundhaltung Buddhas. Levine spricht in dem Zusammenhang auch von der spirituellen Praxis als ultimativer Form der Anti-Establishment-Rebellion und Punk als Form der edlen Weisheit Buddhas. Es sei leicht, wütend zu sein, entrechtet zu werden und Probleme anzuprangern. Das Schwierigste und Wichtigste aber sei es, Lösungen für persönliche, kulturelle und gesellschaftliche Probleme zu suchen. Wut und Unzufriedenheit müssen auf eine positive Weise kanalisiert werden (Hallo, BAD BRAINS und PMA [Positive Mental Attitude]!). Selbst aktiv zu werden führe zu Erkenntnis und diese wiederum zu einer Befreiung von Leid, so wie es auch in Buddhas Sinn war. Somit schließt sich der Kreis.
Brad Warner: Hardcore Zen
Nur unwesentlich unbekannter als Levine ist bei buddhistischen Punks Brad Warner. Er spielte Bass bei ZERO DEFEX aus Ohio und lebte längere Zeit in Asien, wodurch er der – sagen wir – Kernmentalität buddhistischer Lebensweise nicht nur geistig, sondern auch räumlich sehr nah war. Er ist Zen-Meister, Autor und betreibt den Blog hardcorezen.com, in dem er regelmäßig Szenethemen und Alltagsgedanken aus buddhistischer Perspektive durchleuchtet (Tipp: eine ganze Reihe von Texten werden dort auch in deutscher Übersetzung angeboten). Seine Bücher „Hardcore Zen“ und „Sit Down and Shut Up“ sind ähnlich einflussreich wie „Dharma Punx“ und schaffen einen ähnlichen Spagat zwischen Punk und Buddhismus. Warner legt der Idee des Hardcore eine fundamentale Anarchie zu Grunde, in der alles infrage gestellt, keine Autorität akzeptiert wird, und die einzigen Regeln die eigenen sind. Für ihn ist Buddha nicht nur eine historische Figur, sondern wir alle sind Buddhas. Es ist nur so, dass das nur wenige wahrnehmen und noch viel weniger können ihr eigenes inneres Buddha-Sein verwirklichen.
Warner bezieht anders als Noah Levine buddhistische Sichtweisen auch auf aktuelle gesellschaftliche Kontroversen wie zum Beispiel der Frage nach der kulturellen Aneignung im westlichen Buddhismus. Seiner Meinung nach müsste dann das gesamte nicht originäre (nicht indische) buddhistische Spektrum unter Aneignungsverdacht stehen, inklusive des japanischen, chinesischen, tibetischen und thailändischen. Schon alleine die Herkunft Buddhas werfe dahingehend Fragen auf, da bei ihm als Mitglied des Clans der Shakya nicht genau rekonstruiert werden könne, ob er kulturell aus dem heutigen Indien oder Nepal kommt. Die Festlegung des Ur-Buddhismus als indischen Ursprungs sei also schon ein historischer Wackelkandidat. Darüber hinaus sei der Begriff Buddhismus eine Erfindung der Briten, vorher habe man von den Lehren Buddhas gesprochen.
Auch zum Thema Feminismus äußert sich Warner und kritisiert insbesondere die Tradition des tibetischen Buddhismus, der vorwiegend patriarchal gedeutet wird. Frauen können in der tibetischen Tradition keine höheren geistlichen Ämter übernehmen und müssen mehr leisten als Männer, um erleuchtet zu werden. Die Töchter des Buddha (Sakyadhita) sind ein weltweit aktiver Verbund aus Nonnen und Laienfrauen, der sich für eine religiöse Teilhabe von Frauen einsetzt. Interessanterweise sind die US-amerikanischen Zen-Buddhistinnen besonders erfolgreich im Ausbilden feministischer Strukturen. Es gibt zum Beispiel Zen-Priesterinnen und Zen-Meisterinnen, die lehren und Schüler:innen ausbilden. Kulturelle Aneignung als Modernisierungsmotor. Die jährliche buddhistische Frauenkonferenz der Sakyadhita findet immer in asiatischen Ländern statt. In Sri Lanka erreichte man, dass die Frauen-Ordination wiederbelebt wurde, was dazu führte, dass über 1.000 Frauen jetzt vollwertige Nonnen sind, wodurch sie geistliche Ämter übernehmen können wie Mönche. Als Meilenstein der Bewegung gilt, dass erstmalig tibetische Nonnen den Geshema-Titel erlangten, einer Art Doktorwürde der buddhistischen Philosophie.
Buddhistische Punkbands?
Obwohl zahlreiche Mitglieder von Punk- und Hardcore-Bands bekennende, praktizierende Buddhist:innen sind, hat sich keine erkennbare buddhistische Szene gebildet, ganz im Gegenteil zum Krishnacore oder Christcore der Neunziger Jahre. Man findet also viele Buddhist:innen in Bands, aber keine buddhistischen Bands. Ähnliches gilt auch für den Metal-Bereich. Zu möglichen Ursachen für diesen Umstand nimmt in diesem Heft auch Noah Levine vom „Against The Stream Meditation Center“ Stellung. Hier und da gab es Referenzen auf buddhistische Ideen, die bekannteste davon dürfte das zweite Album „Zen Arcade“ von HÜSKER DÜ von 1984 sein, das nicht nur die Symbiose von Hardcore und Indierock vollzog, sondern als inhaltliches Konzeptalbum den Selbstfindungsprozess eines jungen Mannes in einer beschissenen Welt beschreibt. Eine Ausnahme stellen RUIN aus Philadelphia dar (nicht verwechseln mit der gleichnamigen Death-Metal-Band!). RUIN waren zwischen 1980 und 1986 konstant aktiv, bis Ende der Neunziger sporadisch und 2016 gab es eine Wiederveröffentlichung der beiden Alben „He-Ho“ und „Fiat Lux“ als Doppel-Vinyl auf Southern Lord Records. Sie betrachteten sich selbst eher als Performance-Künstler, die künstlerische Grenzen überwinden wollen. Oldschool-Hardcore, Leonard Cohen-Coverversionen, spirituelle Inhalte und theatralische Elemente bei Live-Shows als scheinbar unvereinbare Ideenwelten für ein junges Publikum in Philadelphia, das angesichts des wirtschaftlichen und kulturellen Niedergangs der Stadt auf der Suche nach Sinn und geistigem Futter war. RUIN blieben aber immer ein Einzelphänomen, szenebildende Nachahmerbands gab es nicht.
So weit die kurzen Schlaglichter auf aus meiner Sicht für Ox-Leser:innen relevante Bezüge zum Buddhismus. Weiter geht es mit dem Interview mit Noah Levine.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #155 April/Mai 2021 und Daniel Schubert