Traditionen hinterfragt man nicht, bei Traditionen reicht die Begründung, dass „man das eben so macht“. Dosenbier saufen zum Beispiel.
Ob nun von KACKSCHLACHT, ILLEGAL 2001, BILDUNGSLÜCKE, ABFLUSS, DAILY TERROR oder ZK, in Dosen abgefülltes Bier wurde schon von zig Bands verewigt. Dosenbier, das in Deutschland seit den Fünfzigern angeboten wird, entwickelte spätestens mit Punk in den späten Siebzigern seinen Kultcharakter: Spießer trinken ihr „gepflegtes“ Pils am Tresen, blöde Pfand-Ökos Bier aus der Flasche, der in der Fußgängerzone krakelende Punk hingegen nippt an der Dose, gekauft (oder geklaut!) im Lidl oder Aldi um die Ecke. Bei Lidl gab es damals in den Achtzigern nämlich auch Hansapils in Dosen, was nicht unwesentlich zum gustatorisch unbegründeten Hype um das Dortmunder Bier beitrug. Aber gegen (erinnert) 39 Pfennig für die Dose im Lidl auf der anderen Seite des Schulhofs gab es eben kein gutes Gegenargument. Zudem ließ sich für Auswährtsfahrten der BW-Rucksack mit einem Zweitagesvorrat befüllen – bruchsicher, ohne Leergutlast.
Dosenpfand, das kam erst später, und es trug sicher nicht unwesentlich zum Niedergang der Dosenbiertradition bei, die jenseits von Praktikabilitätserwägungen ja kein eigenständiges Narrativ hat. Punk trinkt Bier, wie es eben kommt, die Verkultung und die Ironie-Ebene, die kam durch Legendenbildung später, wobei ZKs „Dosenbier – wollen wir“ dem fast schon widerspricht. Aber auch die DTH-Vorgänger grölten das ja bereits mit einem verschmitzten Grinsen. Dosenbier, das war in der Zeit lange vor der Umweltdiskussion um die Blechzylinder wohl unbewusst auch ein proletarisches Statement. Dosenbier war billig(er), es machte schönen Müll (Punks lieben es Müll zu hinterlassen, um der Gesellschaft ihre eigene Verrottetheit deutlich zu machen), man konnte so eine Dose mit männlichem Imponiergehabe „stechen“, man konnte sie nach Leeren zerquetschen (Machtdemonstration!) und (leer) werfen, ohne von den Cops wegen Scherben eingesackt zu werden. Was freilich bei anderer Gelegenheit für die Glasflasche spricht.
So stillos die Bierdose heute auch wirken mag (so man denn überhaupt noch welche zu kaufen bekommt), so untouchable für echte Punks war und ist Bier aus der Plastikflasche. Diese dürfte als popkulturell unbeachtet gebliebene Getränkverpackung in die Geschichte eingehen. Was das seit BLACK FLAG so wichtige „Sixpack“ betrifft, so gab (gibt?) es dieses nicht nur mit Flaschen, sondern einst auch als Dosen-Sechserträger mit so einem Plastikdingens zum Verbinden der Dosen. Der Spaß daran verging dem letzten Punk aber seit den ersten Bildern von verendeten Tieren mit Plastikdingens um den Hals. Meine letzte Dose trank ich vor Jahren – ich bin Biergourmet, ich will die Flasche.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #148 Februar/März 2020 und Joachim Hiller