Das Verhältnis von Punk zum Militärischen ist ... kompliziert: Einerseits werden abgelegte Springerstiefel, Parkas, Kampfjacken und Rücksäcke gerne zweitverwendet, andererseits ist der Gedanke an Uniformität (jenseits von Docs, Chucks, Lederjacken, Bandshirts ...) ein Graus.
In den Siebzigern und Achtzigern Punk zu sein und nicht den Militärdienst zu verweigern und stattdessen Zivildienst zu leisten (den Jüngeren zur Erinnerung: ja, es gab mal eine Wehrpflicht in Deutschland), war undenkbar. Ach ja? Tatsächlich gab es so einige aus der Punk-Szene jener Jahre, die a) zu faul, zu schlunzig und/oder zu verpeilt waren, ihre Verweigerung auf die Reihe zu kriegen, oder die b) wegen Elternhaus, aus Gleichgültigkeit oder Pragmatismus (15 Monate Bundeswehr versus 20 Monate Zivi) dann doch die olivgrüne Uniform anzogen. Außer in superlinken Kreisen wurde das eher gleichgültig hingenommen, garniert mit etwas Spott, Mitleid oder Misstrauen. Denn die Parolen der Bands jener Jahre waren klar, „Peace Punk“ ein eigenes Genre, unzählige Songs wurden geschrieben über den sinnlosen Soldatentod auf den Schlachtfeldern im Zweiten Weltkrieg, in Vietnam (manche aus der frühen US-Punk-Szene waren Anfang der Siebziger gerade mal 18, und als Punk losging, bereits Vietnamveteranen von Mitte zwanzig!) oder die Furcht davor, im Krieg NATO gegen Warschauer Pakt als Kanonenfutter draufzugehen. Bands wie UPRIGHT CITIZENS schrieben – siehe die „Bombs Of Peace“-LP von 1982 – eindeutige, wütende Songs wie „Fuck the army“.„Fuck the army“ vor Live-Publikum konnte in jenen Jahren am Niederrhein, Münsterland oder Ostwestfalen aber auch bedeuten, dass damit Mit-Punks vor oder auf der Bühne direkt angesprochen wurden. Andy Stillion etwa, der Sänger der Herforder Punkband AHEADS, war ein „Squaddie“, ein Soldat der britischen Armee. Und ohne die Sendung von John Peel im britischen Armeeradiosender BFBS wäre die Punk-Sozialisation Deutschlands ganz anders verlaufen.Im Süden Deutschlands, wo die US-Armee stationiert war (und ist), diente ein gewisser Lee Hollies. Auf fast jedem Konzert im süddeutschen Raum tauchten in der zweiten Hälfte der Achtziger – erkennbar an ihren kurzgeschorenen Schädeln und oft breiter Statur – amerikanische GIs mit Bock auf Punk auf. Hin und wieder gab es Stress, dann stand die Military Police vor dem AZ und fackelte nicht lange. So manche Disko mit Punk und Wave im Programm überlebte nur wegen der US-Armeeangehörigen (ich erinnere mich an das Violet in Neu-Ulm ...). Kurzum: Es wurde damals viel gegen Soldatismus und Armee krakeelt, getextet und polemisiert, im Alltag wurde das eher pragmatisch gesehen. In erster Linie waren die Leute dann eben Punks und erst in zweiter Linie Uniformträger.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #172 Februar/März 2024 und Joachim Hiller