Punk ist wie viele andere Subkulturen auch ein dankbares Beobachtungsfeld für Soziolog:innen. Im Kleinen kann man hier beobachten, wie Dinge im Großen laufen.
„Die“ Punk-Szene ist, das wird immer wieder etwa in Interviews thematisiert, ein Abbild der Gesellschaft. Dabei will man, will frau ja ganz anders sein. Als die Normalos, die Spießer, die anderen. Punk weiß, was Punk ist. Und vor allem: was nicht. „Ist das noch Punk?“, wird da mit nur halb ironischem, leicht besorgtem Unterton gefragt, und es ist in dieser Äußerung zweierlei erkennbar: zum einen die Angst, den oft nicht genauer formulierten Erwartungen „der Szene“ nicht zu entsprechen, und zum anderen, das Erkennen des Widerspruchs, dass genau dieses „sozialadäquate Verhalten“, das sonst vehement abgelehnt wird, auch im eigenen subkulturellen Kontext ein Thema ist.
Nein, ich bin keine Soziologe, kein Psychologe, ich hantiere hier mit aufgeschnapptem Viertelwissen. Aber so einzigartig und individualistisch unsere Subkultur auch gerne sein mag, sie funktioniert nun mal im analytischen Blick von außen wie alle anderen, sich abgrenzenden Gemeinschaften auch. Von „urban tribes“ wurde im englischen Sprachraum auch immer wieder mal gesprochen, wobei es ein ganz neues Thema wäre zu untersuchen, wie kolonialistisch geprägt etwa in den Achtzigern die Theorien und das Handwerkszeug womöglich noch waren, wenn eben von „Stämmen“ gesprochen wurde.
Das Grundprinzip der Abgrenzung also ist ein wichtiges im Punk, schon immer. Hier sind wir, da die anderen. Bist du drin oder bist du draußen? Gehörst du dazu oder nicht? Nicht nur in Kleinstadtszenen war Punk oft sehr cliquenhaft, die „richtige“ Kleidung, Schuhe, Frisur reichten nicht aus, auch hier wurde abgegrenzt, ausgegrenzt. Und erst in den AZs, JZs, Squats, wenn da „Fremde“ auftauchten: Was sind das für welche, wo kommen die her, kennt die jemand? Es musste sich beschnuppert werden, vorsichtige Gespräche waren nötig, Fürsprecher:innen mussten sich auftun: „Die kenne ich, die sind okay.“ Checkliste im Kopf abgehakt? Dann gehörst du dazu.
Wobei die Offenheit gegenüber Neuankömmlingen in der Punk-Szene von jeher größer war als die für Neuzugezogene etwa in einem schwäbischen Dorf. Punk ist in seiner Abgrenzung von der „normalen“ Gesellschaft eben immer schon ein Sammelbecken für Freaks, Outcasts und Unangepasste gewesen. Eine Schicksalsgemeinschaft mindestens so sehr wie eine Wertegemeinschaft. „Allein machen sie dich ein“ – bei allem Individualismus will und muss mensch eben irgendwo dazugehören. Nähe und Distanz sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Wer das eine sucht, denkt immer auch das andere mit. Spätestens seit Corona spüren wir aber, wie sehr wir die Nähe „unserer Leute“ brauchen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #163 August/September 2022 und Joachim Hiller