PUNK-TRADITIONEN - TEIL 20

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Werte

Es gibt in letzter Zeit so eine gewisse Tendenz, Punkrock für einen Hort des Bösen zu halten, voll von
Rassismus, Sexismus und weiteren -ismen und -phobien. Mein Bild von Punkrock ist ein anderes.


Damit wir uns nicht falsch verstehen: Jeder einzelne Vorfall, jeder einzelne Übergriff ist einer zu viel. Aber: Was Punkrock oder wegen mir auch Hardcore (oder wie immer jemand unsere Szene nun mit einem Genrebegriff bezeichnen mag) ausmacht, sind ganz grundsätzlich positive Werte, die ich im Teenageralter begierig aufgriff. Politisch? Links – was immer das im Detail für jede:n Einzelne:n bedeuten mag. Keinesfalls: konservativ oder rechts. Ganz klar gegen Faschismus eingestellt. Gegen Rassismus. Gegen Ausländerfeindlichkeit, besser: Menschenfeindlichkeit. Und als Anfang der Neunziger CHUMBAWAMBA auf ihrem „Anarchy“-Album mit „Homophobia“ gefühlt erstmals diesen Begriff in meine Gedankenwelt brachten, wurde die Sprache stärker reflektiert. Frauen? Männer? Divers? Na ist doch klar, wie wir miteinander umgehen: gleichberechtigt und auf Augenhöhe, ich kannte es nie anders. Dass auf Konzerten solidarisch und respektvoll miteinander umgegangen wird, war immer schon selbstverständlich. Machistisches Gepöbel? Unerwünscht.
Dass Tiere Rechte haben, dass ihre Ausbeutung zum Nutzen der Menschen inakzeptabel ist, sie eben kein Nahrungsmittel sind und keine Sache – ich lernte es aus den Texten von Punkbands. Dass Kriege scheiße sind, dass Gewalt, Ausbeutung, Unterdrückung, Kolonialismus bekämpft werden müssen – es waren Textblätter und nicht (oder erst später) Bücher, die uns das lehrten. Dass der Kapitalismus nicht das Gelbe vom Ei ist, der Kommunismus aber auch nicht – wir lernten es in der Punk Rock Academy. Dass internationale Großkonzerne boykottiert gehören – Punkrock schärfte dafür meine Sinne. Dass der Polizei nicht zu trauen ist – zig Beispiele haben es uns gelehrt. Dass Religion und Götter hier nichts zu suchen haben – selbstverständlich.
Dass Solidarität und Hilfsbereitschaft der Kitt ist, der unsere Community zusammenhält – ich habe das von Punk gelernt: Allein machen sie dich ein. Dass Selbstorganisation, dass DIY ein Schlüssel zu einem erfüllten, selbstbestimmten Leben sein kann, hier habe ich, haben wir das vermittelt bekommen. Dass Freiheit etwas ist, das einem zusteht, und nichts, was einem von irgendwem gnädig gewährt wird – hier habe ich es verstanden. Und auch, dass man über die Runden kommen kann und muss, ohne dafür über andere hinwegzutrampeln.
Punkrock hat mein Weltbild geprägt, meinen Blick in und auf die Welt. Und diese Gewissheit teile ich mit so vielen Menschen. Dass Punkrock wie der Rest der Gesellschaft nicht perfekt ist, ständig angepasst und optimiert werden muss, ist uns allen bewusst. Aber das ist nur mit Empathie möglich, nie mit aggressiver Konfrontation.