Punk in Wien - Teil 2: KETTENHUND

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Wohin als drogenabhängiger Versager?

Punk und Wien – da fußt das Verhältnis auf einer arg morbiden Verbindung. In dieser Ausgabe könnt ihr noch zwei Interviews über die Wiener Punk-Historie lesen, einmal mit den Punk-Pionieren EXTREM und dann mit Thomas Reitmayer über seine Punk-Doku „Es is zum Scheissn“. Das möchte ich abrunden mit einem Interview mit einer jungen, aktuellen Band. KETTENHUND haben eine derbe Midtempo-Hardcore-7“ veröffentlicht, die krasser nicht sein könnte. Bei der Reunion-Show von EXTREM im Herbst 2019 in der Wiener Pankahyttn spielten sie als Opener, eine gute Gelegenheit für ein Gespräch mit Sänger Florian Korlath.

Wie ist es dazu gekommen, dass sich KETTENHUND gegründet haben?


Vor KETTENHUND gab es eine andere Band, DETERMINATION. Der Sänger wollte nicht mehr, wir schon. Ich wurde genötigt, mich am Mikrofon zu versuchen. Irgendetwas auf Englisch mit der gewohnten Stilrichtung. Das hat nicht funktioniert. Erst als ich wieder angefangen habe, Texte zu schreiben, und zwar in deutscher Sprache, ergab das Sinn. Sobald ich wusste, was ich sagen wollte, hatte ich eine Berechtigung, mich damit auf eine Bühne zu stellen. Jetzt war es auch egal, wie gut oder schlecht das klingt.

Wer spielt bei KETTENHUND?

Zwei Architekten, ein Sozialbetreuer und ich. Wir kennen uns schon sehr lange. Davor gab es ca. 15 Jahre lang besagte Hardcore-Punk-Band. Ich bin erst später als Gitarrist dazugestoßen, war aber immer schon irgendwie dabei, habe auf Tour geholfen, Flyer gezeichnet oder Ähnliches.

Musikalisch bewegt ihr euch zum größten Teil im mittelschnellen Hardcore-Punk-Bereich der Marke Dampfwalze. Habt ihr euch vorsätzlich für diese Stilart entschieden oder hat sich das zufällig ergeben?

Nach DETERMINATION hatte wirklich niemand mehr Lust auf Party. Die gute Laune war vorbei und Ernüchterung machte sich breit. Dazu FLIEHENDE STÜRME. Immer. Die Monotonie war eine bewusste Entscheidung. Irgendwie war klar, was wir wollten.

Hardcore-Punk und Wien. Ja, den hat es dort immer schon gegeben, wenn auch nicht als Massenphänomen wie in einigen anderen Metropolen in Europa. Wie seid ihr in diese Szene hineingeraten? Und wie würdest du den Zustand des Punk in Wien aktuell beschreiben? Gibt es noch andere Bands, die du empfehlen kannst?

Wir sind alle in kleinen Dörfern aufgewachsen und haben uns in der Schule kennen gelernt. Ich bin mit 34 Jahren etwas jünger als der Rest und war damals einfach scheiße drauf. Punk hat sich angeboten. Wohin sonst als drogenabhängiger Versager? Die anderen haben sich derweil den Arsch abgespielt, Platten rausgebracht und gesammelt und Konzerte veranstaltet. Zustand von Punk in Wien? Georg, er war früher bei RUIDOSA INMUNDICIA und SUICIDAS, und unser Gitarrist Tixo organisieren viele gute Shows, meist im Venster 99. Sonst gibt es noch das EKH, Arena Beisl und die Pankahyttn. Es gibt auch neue Bands: PAROLE 80 und THE OBESSIONS.

Eure 7“ hat mich regelgerecht niedergestreckt, als ich sie zum ersten Mal gehört habe. Vom Gesamteindruck fühle ich mich an HAMMERHEAD in deren guten Momenten erinnert. Wie seht ihr eure Musik selber?

Danke sehr! Der HAMMERHEAD-Vergleich fällt oft. Das Wort „stumpf“ hören wir auch des öfteren. Wir machen, was uns gefehlt hat: harter, monotoner, deutscher Punk ohne Extras und Show.

Das Cover eurer 7“ ziert ein S&M-Ledermaulkorb für Männer. Interessante Vorstellung, wie ihr vielleicht euren Bandnamen KETTENHUND definiert. Wie seid ihr zu dem Bild gekommen, wer hat das für euch gestaltet?

Der Maulkorb für Menschen kommt aus dem Fetischbereich. Ich habe eine Vorliebe für Fetisch-Masken und mittlerweile hat sich daraus eine kleine Sammelleidenschaft entwickelt. Genau diese besitze ich aber leider nicht. Es hat seinen Reiz, da es auf den ersten Blick wie ein Hundemaulkorb wirkt, bei genauerer Betrachtung merkt man, dass etwas anders ist. Das hat uns gefallen. Das Foto von besagtem Maulkorb haben wir an Heather Bailey von Cathedraloftears geschickt, eine großartige Tätowiererin aus L.A. mit Wurzeln in der Grufti/Fetisch-Szene. Das Cover unseres Demotapes ist im Prinzip ein Foto von einem schwulen PetPlay-Treffen in London.

In Bezug auf eure Texte seid ihr auch keine Waisenknaben. Eure Mitmenschen bezeichnet ihr im gleichnamigen Lied nur noch als „Zivilisten“, die man am besten alle mit einem Panzer platt machen sollte. Was war für dich der Anlass, einen solchen Text zu schreiben?

Ich bin angewidert von Menschen an sich, von der Gruppendynamik in verschiedenen „Szenen“ und von mir selbst. Von Teufelskreisen, den Spiralen, denen man so schwer entkommt, von meinem Scheitern, meinen Fehlern und wie manches im Leben gelaufen ist. Oft mischt sich ein Tropfen Neid in dieses Gefühlschaos, das von Wut dominiert wird. Meine Persönlichkeit kotzt mich an. Wahrscheinlich auch deine. Meine Realität ist manches Mal irre und von Diskrepanz durchwachsen. Deswegen schließe ich mich häufig in meiner Wohnung ein, errichte sogar Barrikaden hinter der Tür, damit mich niemand in diesem Zustand vorfinden kann. Diesen letzten Freiraum will ich mir erhalten, auch textlich. Persönlich mag es ein Safe Space sein, textlich das genaue Gegenteil davon. Angriff nach vorne. Viele Lieder sind Situationsbeschreibungen, handeln von der Dynamik zwischenmenschlicher Beziehungen. Von sich wiederholenden Zyklen, die mit steigendem Alter immer härter zuschlagen. Andere Menschen können mich verlassen, aber ich muss weiterhin mit mir leben. Ich denke Situationen gerne zu Ende.

Wie sieht es mit den anderen Texten aus? Worauf legst du den Schwerpunkt, was kotzt dich so an, das du den Zuhörern so kräftig den Marsch bläst?

Die Texte entstehen im Rauschzustand. Ich schließe mich zu Hause ein, trinke guten Wein und Grappa und konsumiere Drogen. Auf dem einen Bildschirm laufen Kriegsfilme oder Dokus, auf dem anderen harte Pornografie, bevorzugt irgendetwas im Bereich verbale Erniedrigung. Diese Soundcollage inspiriert mich.

Wenn man euch aus der Band so ansieht, dann merkt man gleich, dass ihr alle Fans der Hautverzierung seid. Was gibt euch das?

Schwierige Frage. Tattoos faszinieren mich einfach. Die Banalität und Ehrlichkeit hinter den meisten klassischen Motiven finde ich super. Ich habe schon früh viel gezeichnet und nie so ganz davon abgelassen. Mit Anfang zwanzig habe ich angefangen, mich für Graffiti zu interessieren, und bin sehr schnell in die Szene eingetaucht. Ich habe dann etwa sechs Jahre lang sehr intensiv gesprüht. Das Ganze ist etwas ausgeartet und ich war an einem Punkt angekommen, an dem Graffiti für meinen weiteren Lebensweg zu einem großen Problem werden könnte. Ich hatte bereits meine Arbeit gekündigt, um mehr sprühen zu können, Beziehungen sind daran zu Bruch gegangen und die Szene ist von Kriminalität durchsetzt. Am Ende wurde ich verhaftet und war bereit etwas zu ändern, da hat sich das Tätowieren wieder mehr in den Vordergrund gedrängt. Immerhin hatte ich mich über die Jahre stets tätowieren lassen und auch weiterhin ein paar Flashes gemalt. Während eines LSD-Trips wurde mir dann bewusst, dass ich mein Leben so weit ändern sollte, dass dem Tätowieren nichts mehr im Wege steht, und so habe ich mir einen Job gesucht und angefangen, extrem hart an der Erfüllung dieses Lebensweges zu arbeiten. Ich zeichnete ununterbrochen allerlei Motive, bis ich diese beherrschte, zeichnete noch mehr und konzentrierte mich unermüdlich auf dieses Thema. Es war eine sehr schwierige Zeit, ich hatte zwei Jobs gleichzeitig und begann eine klassische Lehre als Tätowierer. Ich arbeitete so viel, dass ich konstant unter starkem Schlafmangel litt. Im Nachhinein erfüllt mich meine Entschlossenheit jedoch mit Stolz. Außerdem habe ich sonst keine Ausbildung, bin von der Schule geflogen oder habe auf Grund meiner Lebensumstände abgebrochen. Dank dem Tätowieren habe ich trotzdem ein Einkommen und einen Lebensinhalt. Vielleicht bin ich aufgrund meiner eigenen Geschichte etwas sensibel, wenn Kids das Thema Tätowieren auf die leichte Schulter nehmen, von dieser schönen Kultur und Szene immer nur nehmen, anstatt auch etwas zurückzugeben, und sich auf sozialen Medien damit brüsten, Tätowierer zu sein, obwohl sie einfach nur Scheiße auf der Haut anderer Menschen verbreiten. Ihr wisst, wer ihr seid!

Seit wann arbeitest du in dem Tattooladen? Irgendwelche Vorlieben, was du gerne stichst?

Ich denke, ich arbeite jetzt das fünfte oder sechste Jahr als professioneller Tätowierer, immer noch in dem Laden, in dem ich meine Lehre abgeschlossen habe: Zur Stecherei. Der Inhaber, Marian Merl, hat mir alles beigebracht, was man wissen muss, ich hatte jedoch das Glück, dass das Team in der Stecherei enorm professionell ist und dort keinerlei Neid herrscht. Somit konnte ich auch von den anderen Jungs viel lernen. An dieser Stelle ein Dankeschön an meine Kollegen: Marian Merl, Kim Scheed, Stefan Halbwachs und Christoph Hafner! Ich biete fast alle Stilrichtungen an, am meisten Spaß habe ich jedoch mit Motiven, die man sich aufgrund der Konsequenzen eigentlich nicht stechen lassen sollte: negative oder nihilistische, Drogen oder Gewalt verherrlichende Motive. Dieser Moment, wenn der Bauch die Rationalität verschlingt, diese Energie zieht mich an. Ansonsten liebe ich die japanische Motivwelt oder dreckige Traditionals. Dazwischen auch gerne jeglichen anderen Scheiß.

Die Politik macht sich weltweit zum Affen. In Wien gab es zuletzt auch massiv unschöne Szenen. Inwieweit interessiert euch das? Anders gefragt, welche Kalibergröße würdest du im Falle einer freien Waffennutzung empfehlen?

Man kommt an diesen Wucherungen ja leider nicht vorbei und man merkt, dass das Klima wieder rauher wird. Der fehlende Wille zu lernen, bevor man eine Meinung lautstark vertritt, tut mir weh. Ich habe erst einmal geschossen, das war mit einer Pumpgun. Kaliber 17,5 mm würde ich deshalb sagen.

Was habt ihr als Nächstes vor?

Wir planen weitere Aufnahmen!