Selten habe ich mich über eine Compilation so gefreut wie über diese jüngst erschienene Doppel-LP aus Norwegen. Dabei handelt es sich doch „nur“ um ein paar Bands aus den frühen Achtziger Jahren aus der kleinen norwegischen Stadt Molde. What the fuck ist daran so interessant? Der Original-Tapesampler war in der Sammlerszene in höchstem Maße gesucht, so dass kaum noch einer dachte, dass er überhaupt existiert. Nun ist eine Neuauflage von „Then Molde Punx Go Marching Out“ erschienen und sie ist überwältigend ausgefallen: Die rumplige Musik, der Sound, das umfangreiche Booklet und das auf alt getrimmte Layout – alles ist absolut stimmig. Verantwortlich für diese Veröffentlichung ist Trond Sættem.
Kannst du uns erklären, was an dem „Molde Punx“-Sampler von 1983 so besonders war? Er war in der norwegischen wie auch in der internationalen Tapetrader-Szene fast so was wie der „Heilige Gral“ der guten alten Compilation-Tapes. Wie ist es dazu gekommen?
Der „Molde Punx“-Sampler war eine völlig obskure Zusammenstellung von Bands wie BANNLYST, ANFALL, NEVROSE, PSYKISK TERROR ... Selbst für uns Norweger waren das Bands, die in der „Blütezeit“ der Molde-Punk-Szene Anfang der Achtziger Jahre meistens noch nicht einmal fünf Jahre existierten. Auch einige Mitglieder der darauf enthaltenen Bands wussten nichts von diesem Sampler. Einige hatten ihre eigenen Songs noch nie aufgenommen gehört – bis jetzt! Der Sänger von MAKK sagte zum Beispiel: „Äh, wir sind uns nicht sicher, dass wir das sind. Ich kann mich nicht mehr an den Song erinnern. Habe ihn noch nie gehört. Klingt aber nach meiner Stimme ...“ Hahaha! Viele der beteiligten Musiker haben sich ab Mitte der Achtziger schnell in diverse andere Richtungen entwickelt, die meisten sind auch aus Molde weggezogen. Die Szene brach zusammen und nur einige wenige Bands wie BANNLYST und PSYKISK TERROR machten noch eine Zeit lang weiter, bevor sie nach Oslo zogen und andere Bands wie KAFKA PROSESS oder SO MUCH HATE gründeten. Anders Eide von ANFALL war später etwa bei SVART FRAMTID und STENGTE DØRER aktiv. Andere gingen nach Bergen und betätigten sich in einer mehr künstlerischen Richtung. Ich glaube, dass die meisten beteiligten Leute, als der „Molde Punx“-Tapesampler herauskam, bereits woanders lebten oder es war ihnen egal. Die Kassetten waren einzeln nummeriert und ich habe nie eine Kopie gesehen mit einer höheren Nummer als #24.
Wo genau liegt Molde? Kannst du uns sagen, welche Bands oder Musiker aus der Stadt kamen?
Molde liegt an der norwegischen Nordwestküste und ist vor allem für das internationale Jazzfestival bekannt sowie für Ole Gunnar Solskjær und seine Fußball- und Managementfähigkeiten. Nur zwei der Bands, die auf dem „Molde Punx“-Sampler waren, haben während ihrer aktiven Zeit auch eine EP veröffentlicht, beide im Jahr 1981, ANFALL und HJERN & MENTAL, wobei letztere auf dem Sampler unter ihrem alten Namen LYDMYR auftauchen, aber es ist fast die gleiche Besetzung. Die„La Dem Ikke Lure Deg“-7“ von BANNLYST erschien erst 1985, als sie schon nach Oslo umgezogen waren. Später war unsere Szene in Molde stark vom US-Hardcore beeinflusst, da gab es etwa LAST STRAW, deren Mitglieder später bei ONWARD und LASH OUT spielten.
Hast du irgendwie an ein gut erhaltenes Exemplar gefunden? Soweit ich weiß, kursierten fast ausschließlich Kopien in schlechter Tonqualität.
Es kursierten Gerüchte, dass es noch Kopien des „Molde Punx“-Samplers geben würde und auch noch weitere Aufnahmen von den Molde-Bands, aber es dauerte ewig, bis ich die endlich zu hören bekam. Das ist jetzt vielleicht zehn Jahre her. Man konnte direkt heraushören, dass es ein guter Sampler war, aber die Soundqualität war geprägt von einer niedrigen Aussteuerung als auch reichlich Zischen und Staub. Es existierten nur noch sehr wenige nummerierte Originaltapes und es war fast unmöglich, sich durch diesen Soundschlamm zu ackern, um es wirklich genießen zu können. Dann stieß ich auf einige andere Kassetten, wo die gleichen Songs drauf waren, und ich merkte, dass sie von denselben Aufnahmen stammten. Das waren aber qualitativ hochwertigere Bänder, die jedoch fast niemand jemals gehört hatte. Ich habe sofort angefangen, nach weiteren solcher Demo- oder Studiotapes zu suchen. Ich dachte mir, wenn die auch nur halb so gut sind wie die ANFALL-Songs, die ich zuvor gehört hatte, wäre es cool, sie zu veröffentlichen. Ab diesem Zeitpunkt ging die Jagd los!
Wie viele Songs befanden sich ursprünglich auf dem „Molde Punx“-Tape?
Der Original-Sampler war eine C90-Kassette und umfasste 52 Songs. Das Doppel-LP dagegen enthält jetzt acht Stücke mehr. Von LYDMYR gibt es vier Extrasongs, dazu kommen weitere Bonustracks von PERMAFROST, STYGGE FØT und ANFALL. Ich habe die meisten ANFALL-Lieder durch die besseren Versionen von ihrem Studiotape ersetzt. Abgesehen davon ist die Wiederveröffentlichung stark an der ursprünglichen Version von Geir Danielsen angelehnt. Geir war derjenige, der damals den „Molde Punx“-Sampler gemacht hat, zudem war er auch der BANNLYST-Schlagzeuger.
Wie lange hat es gedauert, sämtliche Aufnahmen aufzutreiben? War es schwierig, die alten Bandmitglieder ausfindig zu machen?
Ich denke, es hat gut acht Jahre gedauert. Das Projekt hing von vielen Faktoren ab, wobei es Zeiten gab, wo ich mal mehr und mal weniger hinterher war. Das meiste habe ich definitiv während der dunklen und regnerischen Monate des Jahres gemacht. Ich habe intensiv nach Musik-Kassetten gesucht und habe alles, was ich finden konnte, digitalisiert. Oftmals habe ich auch Duplikate der gleichen Aufnahmesession digitalisiert, nur um die am besten klingende zu finden. Irgendwann hatte ich dann um die 600 Songs auf meiner Festplatte zusammengetragen. Es war nicht leicht, nach den ganzen Leute zu fahnden und letztendlich habe ich nicht alle wiedergefunden. Aber ich habe sichergestellt, dass ich die Unterstützung von allen hatte, die ich kontaktieren konnte. Ich habe mit mindestens zwei Leuten von jeder Band gesprochen, bevor die Entscheidung getroffen wurde, welche Songversion wir verwenden. Letztlich waren alle begeistert und ich denke, dass die Wiederveröffentlichung niemanden enttäuscht. Einige der Beteiligten sind bereits gestorben, ich denke daher, in der jetzigen Veröffentlichungsform ist es auch ein cooles Zeitdokument ihrer Jugend. Auf dem Sampler waren ein paar wirklich sehr talentierte Musiker.
Sind alle Lieder für den Vinyl-Release neu gemastert worden?
Ja, das hat Audun Strype in seinem Studio in Oslo übernommen. Er war sehr interessiert an dem Projekt, gab mir Ratschläge, wie man richtig digitalisiert, und dann saßen wir zwei Tage lang zusammen . Wir haben sogar einige Bearbeitungen vorgenommen. Es war ein Haufen Arbeit und ich glaube, dass Audun den Deal, den wir vereinbart hatten, schwer bereut hat ... aber er war super cool!
Du hast die Doppel-LP in Eigenregie auf deinem Label Cease Fire! veröffentlicht.
Ich wollte schon immer solche Sachen machen, habe es aber zu einem früheren Zeitpunkt nie gewagt oder mir fehlte das nötige Geld. Das hatte ich jetzt aber und auch ausreichend Mut, um es durchzuziehen. Außerdem hatte ich schon so viele Stunden mit der Produktion verbracht, dass es für mich klar war, dass ich den Sampler selber rausbringen werde. Ich bekam zwar ein Angebot für das gesamte Projekt, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich die notwendigen Mittel beisammen und alles war für das Presswerk fertig vorbereitet. Es fühlte sich einfach nur richtig und gut an, es selbst zu machen.
Du hast der Wiederveröffentlichung ein umfangreiches Booklet beigefügt.
Ich wollte es nicht im Stil eines Rückblicks aus heutiger Sicht gestalten. Ich wollte, dass es so aussieht, als wäre es 1983 erstanden. Deshalb sind die Intro-Seite und die Rückseite in Farbe und der Inhalt ist in grobkörnigem Schwarzweiß, damit es wie von früher wirkt. Das Booklet hat mich ein kleines Vermögen gekostet, aber ich war entschlossen, es ordentlich zu machen, so wie es die Veröffentlichung verdient hat. Es war schon ein ziemlicher Aufwand, das gesamte Druckmaterial zusammenzustellen.
Hast du weitere Pläne oder Projekte für die Zukunft?
Ja, die habe ich! Wir haben auf der Suche nach dem ursprünglichen Quellenmaterial einige gut versteckte Klassiker gefunden, die ich wirklich gerne ebenfalls veröffentlichen möchte. Sagen wir mal so, es gibt aus dem Jahr 1985 noch einige weitere heiße Eisen, die wiederentdeckt werden wollen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #150 Juni/Juli 2020 und Helge Schreiber