In dieser Artikelreihe stellen wir Menschen aus der Punk- und Hardcore-Szene vor, die sich im weitesten Sinne grafisch betätigen und Poster, Flyer und Cover gestalten. Diesmal sprachen wir erneut mit Jochen „Fritte“ Mönig, diesmal aber in seiner Funktion als Mitbetreiber des Posterkünstler-Portals „Posterkrauts“.
Was hat es mit den „Posterkrauts“ auf sich hat. Wer steckt dahinter, wer darf dabei sein, wer nicht?
Posterkrauts.de wurde gemeinsam von den Gigposter-Artists Antje „Grace Helly“ Schröder, Bernd „Señor Burns“ Hofmann, Lars „Douze“ P. Krause, Torsten „Mitchum D.A.“ Jahnke und mir aus der Taufe gehoben. Das Ganze ist ein Webportal, entstanden aus der Idee, Gestaltern von limitierten Konzertpostern eine Plattform zu bieten, ihre Arbeiten zu zeigen und die Öffentlichkeit auf diese besondere Art der Originalgrafik aufmerksam zu machen. Aktuell sind 22 Krauts an Bord. Hauptvoraussetzung ist, dass man im deutschsprachigen Raum tätig ist, die Muttersprache ist Nebensache. Wenn jemand Mitglied werden möchte, müssen die Gründungsmitglieder zustimmen und er sollte wenigstens 15 Gigposter produziert haben. Hört sich wenig an, hat sich aber bewährt, um zu sehen, wer wirklich am Medium interessiert ist und nicht nur ein weiteres Schaufenster für seine sonstigen grafischen Arbeiten sucht. Posterkrauts.de steht und fällt mit dem Engagement der Mitglieder, wenn diese nicht selbst aktiv werden, passiert auch nichts. DIY heißt auch hier wieder mal das Zauberwort.
Gefühlt fristet eure Form der Kunst immer noch ein Schattendasein, ist „neu“, wohingegen sie in den USA da schon seit Haight-Ashbury, GRATEFUL DEAD und Co. ein etablierter Teil der Kunstszene, aber mindestens der Rock/Pop-Kultur ist. Trifft diese Einschätzung zu, und was sind deine vermuteten Gründe?
Richtig, das Phänomen, spezielle Plakate für ausgesuchte Konzerte hochwertig zu entwerfen und in limitierter Form in aufwendigen Druckverfahren herzustellen, kam zu erster Blüte in den späten Sechziger Jahren, vor allem in den USA und England. Obgleich noch Ankündigungsmedium, waren diese Poster weit entfernt von banaler Werbung. Sie wandten sich an Eingeweihte und gelten zu Recht als Ikonen der Popkultur der Sechziger Jahre. Daran hat sich im Prinzip bis heute nichts geändert. Das Ganze läuft mittlerweile unter dem Begriff „Gigposter“, wobei diese kaum noch in freier Wildbahn anzutreffen sind, da es sich vom Ankündigungsmedium zum Merchandise-Artikel gewandelt hat, der als Erinnerung an ein tolles Konzert gegen Tonträger und Shirts um die Gunst des Fans kämpft. Die Auflagen sind in der Regel eher klein, 50 bis 100 Exemplare, was den Verbreitungs- oder Bekanntheitsgrad einschränkt und sich natürlich auch im Preis widerspiegelt. Trotzdem wächst die Szene über die Jahre kontinuierlich, wenn auch sehr überschaubar und langsam. Strukturen wurden aufgebaut und man kann schon von einem funktionierenden europaweiten, im Grunde weltweiten Netzwerk sprechen. Ein kurzlebiger „Boom“ wäre aber auch nicht wirklich in unserem Interesse. Das Gigposter sitzt ein bisschen zwischen allen Stühlen und fliegt als kleine grafische Nische meist unter dem Radar von etablierten Poster- oder Grafik-Wettbewerben und klassischer Werbung. Artikel in Fachzeitschriften und örtlicher Presse sind eher die Ausnahme und die Museen haben uns auch nicht wirklich auf dem Schirm, wobei sich da gerade in Hamburg einiges zum Positiven ändert.
Ihr nennt euch „Posterkrauts“, damit stellt ihr die deutsche Herkunft im Namen durchaus heraus. Gibt es eine „deutsche Schule“ oder ist diese Kunstrichtung völlig international?
Ja, das ist eine internationale Sache mit Schwerpunkt USA. Posterkrauts ist nur ein Name, der klar macht, dass die Mitglieder aus dem deutschsprachigen Raum kommen. Rund um das Flatstock Hamburg und die Colored-Gigs-Veranstaltungen bildete sich über die Jahre ein kleiner Kreis von Wiederholungstätern. Der Austausch wurde intensiviert, das Equipment zunehmend professioneller und der Anspruch an die eigenen Arbeiten stieg. Gleichzeitig sah sich die internationale Anlaufstelle Gigposters.com zunehmenden Problemen gegenüber, wie steigendem Arbeitsaufwand, Spam-Attacken, Facebook, und die Gestalter aus dem deutschsprachigen Raum suchten nach einer Alternative, sich stärker zu vernetzen, ähnlich wie die Kollegen von der Insel, die zwischenzeitlich die UK Poster Association/UKPA gegründet hatten. Und so ging 2013 Posterkrauts.de online.
Wie verschieden sind eure Arbeitsweisen? Oder andersrum: Verbindet euch das Thema Musik beziehungsweise Bands eher als die jeweilige Technik?
Die Arbeitsweisen sind mehr oder weniger ähnlich. Als Drucktechnik hat sich der Siebdruck etabliert, da er die Möglichkeit bietet, trotz kleiner Auflagen farbenstarke Designs umzusetzen und technisch nicht allzu aufwendig ist. Einige Posterkrauts haben sich mittlerweile professionelle Siebdruck-Werkstätten eingerichtet, in denen teilweise auch Workshops für Einsteiger angeboten werden.
Wie sieht die Szene in anderen europäischen Ländern und weltweit aus, gibt es da ähnliche Zusammenschlüsse?
Die Szenen in den einzelnen europäischen Ländern schwanken sehr stark, was Größe und Austausch angeht. Die größten Szenen haben die Briten mit UKPA, die Deutschen , die Spanier und die Niederländer. In Italien, Polen, Skandinavien, Belgien etc. sind es mehr oder weniger Einzelkämpfer*Innen, die man aber auch regelmäßig auf den diversen Postershows und Festivals trifft. Weltweit haben natürlich die Nordamerikaner schon zahlenmäßig die Nase vorn, mit dem American Poster Institute, aber auch in Mexiko City tut sich eine ganze Menge.
Ihr habt eine Wanderausstellung, die man mieten kann – wie funktioniert das?
„Poster-O-Rama“ geht zurück auf die Initiative von Alex von Zum Heimathafen, Hamburg, Torsten von Spiegelsaal, ebenfalls Hamburg, und Joris von Handprinted Stuff, aus dem niederländischen Utrecht. Es gab immer wieder Anfragen von Veranstaltern, die Gigposter präsentieren wollten, wo aber eine richtige Postershow mit Anwesenheit der Künstler leider nicht realisierbar war. „Poster-O-Rama“ ist als Wander- und Verkaufsausstellung konzipiert, die mit 300 Postern von ca. 30 Künstlern einen guten Überblick darüber ermöglicht, was sich in der europäischen Gigposter-Szene aktuell so tut. Das Ganze kommt in einem unkaputtbaren Flightcase und wird idealerweise vor Ort von einem Posterkraut betreut, der den Aufbau und den Verkauf übernimmt und natürlich für Fragen rund um das Thema Gigposter zur Verfügung steht. Genauer Infos sind auf poster-o-rama.com zu finden.
Wo kann man eure Arbeiten sonst so sehen, außer im Internet?
Live kann man die Poster natürlich auf dem jeweiligen Konzert/Tour sehen und in geballter Form im Rahmenprogramm diverser Musikfestivals, wie beim Reeperbahn Festival, Rolling Stone Weekender, Le Guess Who?, Maifeld Derby, A Summer’s Tale, Primavera Sound, bei Poster/Grafik-Veranstaltungen, wie Colored Gigs, Graphic Days, Flatstock Europe oder Illustrade, manchmal in Museen, Ausstellungsräumen und natürlich bei Atelier- oder Werkstattbesuchen. Außerdem hat eigentlich jeder der beteiligten Künstler eine Webpräsenz und meist auch einen Webshop.
Mir scheint, es gibt bei den Bands, für die ihr Poster macht, einen klaren Schwerpunkt in Richtung Punk/Rock – oder täuscht das und ich bekomme HipHop, R&B und Techno nur nicht mit?
Richtig, HipHop, R&B und Techno finden diesbezüglich eigentlich gar nicht statt. Diese Gigposter-Sache ist schon sehr stark verbunden mit Rock, Metal oder Indie. Wobei auch hier Unterschiede festzustellen sind. Wie schon erwähnt, ist das Gigposter mittlerweile in der Hauptsache ein Merchandiseartikel. Es hilft also, wenn die Band eine loyale Fanbase hat, die immer schon gerne Geld am Merchtisch gelassen hat. Newcomer und reine Punkbands fallen da meist raus. Die einen ziehen schlicht zu wenig Leute, um den Druck zu refinanzieren, und dem Publikum der anderen ist sowieso meist alles zu teuer.
Wer kauft eure Drucke? Auch die Menschen, die Musik der entsprechenden Bands kaufen beziehungsweise hören? Und ... taugen die Drucke als Geldanlage?
Natürlich in erster Linie Fans der jeweiligen Bands. Aber es kommt auch immer wieder vor, das gerade bei Postershows die Käufer die Bands überhaupt nicht kennen. Und natürlich Sammler. Geldanlage? Das klappt vielleicht mal bei einigen wenigen amerikanischen Künstlern – wobei es auch immer die „richtige“ Band sein muss –, aber da gibt es vermutlich 47.923 bessere Arten, sein Geld zu verbrennen. Obwohl, wer weiß, kauft also weiterhin tüchtig Poster und lasst sie einfach fünfzig Jahre liegen – vielleicht klappt’s.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #139 August/September 2018 und Joachim Hiller