In dieser Artikelreihe stellen wir Menschen aus der Punk- und Hardcore-Szene vor, die sich im weitesten Sinne grafisch betätigen und Poster, Flyer und Cover gestalten. Diesmal sprechen wir mit Guckert von artless.prints.
Bitte stell dich vor.
Ich bin Guckert, 37 Jahre alt und ich lebe und „arbeite“ im AK44 in Gießen. Neben der Siebdruckwerkstatt organisiere ich bei uns im Haus Konzerte, Lesungen und andere Veranstaltungen. Ansonsten spiele ich in mehreren Bands, die alle mehr oder weniger im Punk/Hardcore-Bereich angesiedelt sind. Zu Punk und Hardcore kam ich mit ca. 16, da es in der eher ländlich geprägten Gegend, in der ich aufgewachsen bin, neben Kühen und Nazis dankenswerterweise auch ein autonomes Jugendzentrum gab, wo ich in den Genuss meiner ersten Konzerte kam und schnell merkte, dass ich nicht nur Gast, sondern aktiver Teil von all dem sein wollte.
Seit wann betätigst du dich künstlerisch, wie fing das an, wie ging es weiter?
Gezeichnet habe ich schon als Kind gerne und tue es immer noch. Entscheidend war, glaube ich, die Teilhabe an einer politischen DIY-Struktur und die quasi endlosen Möglichkeiten, die sich mir durch diese Kontexte eröffneten. Mit meinen ersten Bands auf dem Dorf war es selbstverständlich und unumgänglich, dass wir alles von Flyern über Merch bis Aufnahmen selbst gemacht haben. Anfangs noch mit Stencils und Sprühdosen, später dann mit den ersten selbstgebauten „Siebdruckmaschinen“. Im AK44 in Gießen, wo ich seit zehn Jahren wohne und wirke, hatte ich dann die Möglichkeit, eine eigene, kollektiv genutzte Siebdruckwerkstatt quasi aus dem nichts aufzubauen, mich mit vielen extrem begabten und engagierten Menschen von quasi überall her zu vernetzen und auszutauschen, und coole Projekte und autonome Gruppen mit meiner Arbeit zu unterstützen, was mir auch heute noch die größte Motivation liefert.
Wie arbeitest du? Klassisch mit Papier und Farbe, oder digital am Rechner?
Ich mache grundsätzlich beides sehr gerne. Früher arbeitete ich noch ausschließlich analog und hauptsächlich mit selbstgebauten Werkzeugen, was mir auch heute noch wichtig ist. Seit ein paar Jahren zeichne ich jedoch viele Motive auf einem gebrauchten Tablet, was die Arbeit unglaublich erleichtert, und ich versuche, es als legitimes Hilfsmittel anzusehen und zu nutzen, auch wenn es den Charme und die Haptik analoger Medien keineswegs ersetzen kann.
Bist du Autodidakt oder kannst du auf eine klassische künstlerische Ausbildung verweisen?
Ich habe keinerlei künstlerische Ausbildung oder einen akademischen Zugang dazu genießen können und musste mir alles durch viel Herumprobieren und noch mehr Fehler machen selbst aneignen, was zwar müßig ist, aber den Reiz an der DIY-Kultur ja letztlich auch ausmacht. Dieser Prozess ist natürlich noch lange nicht abgeschlossen und ich bin gespannt, was alles noch so möglich ist.
Hast du Vorbilder, welche Stile beeinflussen dich?
Vorbilder im klassischen Sinne habe ich keine, ebenso wenig gibt es eine bestimmte Stilrichtung, die mich interessiert. Was mir jedoch immer enorm weitergeholfen hat und mich auch immer noch am meisten motiviert und inspiriert, sind der Austausch und gemeinsame Projekte mit anderen „Künstler:innen“, Bands und Freund:innen. Was mich gerade im Siebdruck extrem inspirierte und weiterbrachte, war die Möglichkeit, Freund:innen wie zum Beispiel Ruben von Brookesia Studio bei manchen früheren Projekten, damals noch im Baskenland, begleiten und unterstützen zu können, wodurch ich viel lernen und neue Perspektiven entwickeln konnte. Dies gilt natürlich auch für eine Vielzahl von anderen Menschen in meinem weiteren Umfeld.
Gibt es deine Kunst zu kaufen?
Grundsätzlich ja. Ich habe zwar keinen offiziellen Webstore oder Ähnliches, aber mensch kann mir einfach eine Nachricht schreiben und ich schicke die Sachen zu. Außerdem bin ich hin und wieder auf kleineren Festivals und Konzerten mit einem Stand anzutreffen, was natürlich schöner und persönlicher ist. Da ich häufig Drucke und Artwork für verschiedene Solikampagnen mache, verkaufe ich die Sachen oft auf freier Spendenbasis und lasse die Leute selbst entscheiden, was ihnen die Kunst oder der „gute Zweck“ wert sind.
Arbeitest du völlig frei oder auch im Auftrag, etwa für Bands oder Konzertveranstalter?
Beides. Wenn ich eine Idee habe, die ich unbedingt umsetzen will, dann tue ich das und produziere Artprints, einfach des Prozesses wegen, falls ich die Zeit habe und mir das Material leisten kann. Ich arbeite aber auch gerne für Bands, die ich mag, und kleinere Konzertveranstalter:innen, da es immer spannend ist, sich auszutauschen und zu versuchen, die Stimmung einer Band in einem Motiv einzufangen. Grundsätzlich war und ist es mir enorm wichtig, subkulturelle und emanzipatorische Projekte und Strukturen zu unterstützen und auszubauen, weshalb es mir immer eine besondere Freude ist, diese Projekte und unbekannte Bands zu unterstützen, die sich sonst kein „professionelles“ Design und dessen Ausfertigung leisten könnten.
Was ist mit Ausstellungen?
Ausstellungen gab es bisher im klassischen Sinne noch nicht und sind auch vorerst nicht geplant, auch wenn ich im passenden Kontext nicht abgeneigt wäre. Aber grundsätzlich bin ich eher faul und ziemlich öffentlichkeitsscheu, weshalb es wahrscheinlich auch fast acht Jahre gedauert hat, bevor ich mich zu einer Social-Media-Präsenz durchringen konnte, und mich auch immer noch sehr schwer damit tue, genauso wie mit diesem Interview ...
Was gibt dir deine Kunst emotional?
Das kurz zu beantworten, ist schwierig. Zum einen hilft es mir oft, zur Ruhe zu kommen und meine Gedanken treiben zu lassen, ohne im Chaos zu versinken. Es erdet mich unglaublich, die ganze Nacht Musik zu hören und in einem Motiv zu versinken, als wäre der Rest der Welt weit weg und weniger bedrohlich. Zum anderen ist es natürlich auch ein gutes Gefühl, wenn eine Band sich über ihr Artwork freut oder ein Motiv von mir bei Freund:innen und teils auch völlig fremden Menschen in der Wohnung hängt und zum Teil ihres Lebens wird. Oft ist es natürlich einfach nur „Arbeit“, aber das ist auch okay.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #164 Oktober/November 2022 und Joachim Hiller