Ich habe Chuck von THE PLOT TO BLOW UP THE EIFFEL TOWER bis jetzt einmal getroffen, als er mit seinem Nebenprojekt SOME GIRLS auf Tour war. Dieser Abend beinhaltete Alkoholexzesse, viel Musik und Tanz, und war der Beginn mehrerer wunderbarer Freundschaften. Es war mir also eine Ehre, ihm zu seiner Hauptband einige Fragen zu stellen, und es ist immer wieder inspirierend und aufbauend, sich mit intelligenten und aufgeschlossenen Menschen zu unterhalten, die auch wirklich etwas zu sagen haben. Und trotz aller Kritik und Feinde, die sie sich unerklärlicherweise durch ihr Anders-Sein gemacht haben, oder vielleicht genau weil sie anders sind als der Rest der Welt, werden wir sicher noch sehr viel von dieser Band hören. Und wer vorhat, ihnen mit seiner Intoleranz auf ihrer anstehenden Europa-Tour irgendwelche Schwierigkeiten zu machen, bekommt es erstens mit mir zu tun, und sollte zweitens zuvor erst mal dieses Interview lesen. Denn dies ist eine Band, die sehr viel zu sagen hat, leider aber sehr oft missverstanden wird, da sie einfach zu klug für den Rest der Welt ist.
Ihr neues Album, „Love In The Fascist Brothel“, das diesen Januar in die Läden kam, ist hauptsächlich von Punkbands der ersten Stunde wie BAUHAUS, DEAD BOYS, den SEX PISTOLS und BIRTHDAY PARTY beeinflusst. Bands, die laut Chuck „den Leuten Angst machten, als sie herauskamen. Und diese Einflüsse haben unsere Platte mehr als alles andere geformt.“ Denn für ihr erstes Album „Dissertation Honey“ schämen sie sich etwas. Seitdem es herauskam, sind sie laut eigener Aussage sehr viel gemeiner und düsterer geworden. Ein Mitglied stieg aus der Band aus, und mit ihrem neuen Album wollen sie die Bezeichnung „Jazz-Punk“ endlich abschütteln, die sie seit besagtem ersten Album verfolgt.
Auf den Namen ihres neuen Albums angesprochen, meint Chuck, dass es für die faschistischen Metaphern darauf mehrere Gründe gibt. Alle Songs auf der Platte wurden geschrieben, um „extreme Beispiele für Unterwerfung und Dominanz aufzuzeigen. Liebe ist die totale Unterwerfung des Herzens, Faschismus ist die totale Unterjochung des Körpers, des Geistes und der Psyche. Es gibt mehrere Parallelen zwischen Faschismus und Liebe, und auf dem neuen Album weicht der Fokus niemals von dieser Tatsache ab“, erklärt Chuck. Die faschistischen Outfits, die THE PLOT auf der Bühne und ihren Promo-Fotos tragen, wurden entworfen, um die Thematik des Albums aufzugreifen, aber, in einem ernsteren Kontext gesehen, auch, um das Verhalten ihres Landes, den USA, im Moment widerzuspiegeln. Weiter erzählt Chuck, dass sich nach der letzten Wahl in der Linken ein schreckliches Gefühl der Unterdrückung breit mache, und dass in der heutigen Punk-Szene und all seinen Trillionen Unter-Genres sogar auch Uniformität ermutigt werde und die Norm darstellt, während Individualität missbilligt werde.
„Und wenn wir dann in diesen Outfits die Bühne betreten, ist dies für uns ein Weg, den Menschen auf schockierende Art zu zeigen, worum es im Punk im Grunde immer ging“, sagt Chuck.
Wie seiner Einschätzung nach die Leute in Europa, insbesondere Deutschland, auf diese Faschismus-Thematisierung reagieren werden, frage ich ihn.
„Also, wir sind ja Gäste in jedem Land, außer unserem eigenen, also werden wir in Europa nicht mit diesen Outfits einmarschieren.“
Er denkt, dass zu viele Leute die Ironie oder den Witz des Ganzen missverstehen könnten, und die Band möglicherweise sogar körperlich verletzt werden könnte.
„Das Letzte was wir wollen“, meint Chuck, „ist, herauszufordern, dass die Leute in Europa uns abartig finden.“
Allerdings werden sie schon Armbinden tragen, aber wohl in einer anderen Farbkombination.
„Ich weiß noch nicht so genau“, lacht er, „ich war bis jetzt nur einmal in Europa, und da hatte ich keine Binde am Arm, haha. Wir sind eine Punkband und ein Teil unserer Live-Performance ist schockierend und ironisch, aber ich will in Europa wirklich nichts aufs Spiel setzen, sondern die Tour lieber reibungslos durchziehen.“
Zum Teil liegt dies wohl auch daran, dass ihre letzte Europa-Tour aufgrund von Gerüchten gekippt wurde.
„Unsere letzte Europa-Tour wurde von Florian von Trap Door gebucht“, erklärt Chuck.
„Und ungefähr einen Monat nachdem er angefangen hatte, die Tour zu buchen, schickte er uns eine E-Mail, in der er erklärte, dass er von Freunden, denen er vertraue, zu viele schlechte Sachen über uns gehört habe, und er deswegen unsere Tour nicht mehr machen würde. Also antworteten wir ihm freundlich, und meinten, warum wohl Bands wie THE LOCUST oder DAS OATH oder Labels wie Happy Couples oder Revelation uns unterstützen würden, wenn wir, wie er gehört hatte, Arschlöcher wären. Aber anscheinend hatte er seine Entscheidung da schon getroffen. Ich denke eben nicht, dass unser Ruf in unserer Hand liegt. Leute reden eben gerne, und mit dem Internet ist es so einfach, ein Gerücht an drei, vier andere Leute weiter zu geben, und wenn das Gerücht schlecht angefangen hat, dann weiß man schon, dass es nur noch schlimmer werden kann.“ Er denkt aber, dass die ganze Sache im Endeffekt, obwohl es sie damals schon sehr getroffen hatte, nicht im ersten Anlauf nach Europa kommen zu können, gar nicht mal so schlecht war. Der Tour schaut er mit Zuversicht entgegen, vertraut darauf, dass die Leute sie mittlerweile etwas durchschaut haben und wissen, dass sie „good kids“ sind, aber auch mal gerne ein bisschen aus der Reihe tanzen.
Als ich von dieser ganzen Geschichte gehört hatte, und auch insbesondere nachdem ich Chuck selber getroffen hatte, traf mich die ganze Geschichte schon etwas. Es ist immer wieder erstaunlich, dass Menschen, die scheinbar nichts Besseres zu tun haben, wirklich so viel Einfluss auf das Leben anderer Leute haben können. Und diesen Leuten wirklich Gehör geschenkt würde. Insbesondere wenn diese Gerüchte wirklich nur Bullshit waren. Chuck sagt, dass auch ihn die ganze Sache sauer gemacht hat, insbesondere weil er einige der Leute, die diese Gerüchte erzählt hatten, kannte. Aber nun sei ihm das egal, denn diese Band hat sich aufgelöst, und THE PLOT überlebten die ganze Sache. Solche Dinge sind sehr frustrierend, aber die Punk/Hardcore-Szene hätte sowieso ihre Individualität und liberalen Ansichten verloren. „Nicht liberal als Definition, welche Politiker man unterstützen sollte, sondern liberal als Realisierung, dass Punk eine schockierende, spaßige Sache für JEDEN ist, Außenseiter, Nerds, hässliche Menschen und jeden, der keine fade Performance sehen will.“
Auf vorher erwähnten Ruf angesprochen, meint Chuck, dass sie eben, wie er schon vorher meinte, eine Punkband seien, und Teil ihrer Live-Performance schockierend und ironisch gemeint ist.
„Sehr oft stehen wir auf Tour einem Publikum gegenüber, die dies nicht lustig finden und versuchen, uns zu verprügeln. Uns wurden sogar schon mal die Reifen aufgeschlitzt. Aber ich denke, dass es großartig ist, eine starke Reaktion von Leuten zu bekommen. Dann konzentriert sich das Ganze mehr auf die Kunst der Performance als auf die Musik. Wir tendieren dazu, unser Publikum widerzuspiegeln.“
Wenn sie an der Westküste der USA touren, dann ziehen sich die Leute aus, steigen zu ihnen auf die Bühne, tanzen und singen mit ihnen mit. Bei diesen unglaublich intensiven Shows machen sie auch garantiert niemanden blöd an, meint Chuck, sondern geben dem Publikum soviel Zuneigung und Hingabe, wie sie nur können. Andere Male spielten sie schon vor Leuten, denen sie total egal waren, oder die sie mit Zwischenrufen unterbrachen.
„Ich denke“, wie vorher schon erwähnt, „dass unser Ruf nicht länger unserer Kontrolle unterliegt. Unsere Performance ändert sich auf Tour von Tag zu Tag, also liebt uns jeder, der die Show verlässt, oder wünscht uns den Tod an den Hals. Und ich finde das auch okay so. Man kann nicht immer jeden zufrieden stellen, und ich bin nicht der Typ, der nur auf der Bühne steht und nett lächelt, als würde es Spaß machen, wenn das Publikum gar nicht oder sogar gewalttätig reagiert.“
Anscheinend knutscht der Sänger von THE PLOT auch immer mal wieder gerne wildfremde Typen aus dem Publikum ab. Daraufhin angesprochen, erklärt Chuck, dass Brandon, der Sänger, eben ein Performer sei und dies seine Performance. Und dass sie definitiv eine Band seien, die das Ausprobieren verschiedener sexueller Dinge unterstützt. Und dass Punk-Shows der letzte Ort seien sollten, an dem man schüchtern und introvertiert mit seiner Sexualität umgeht.
„Ich denke schon“, meint er weiter, „dass Brandon schockt, aber er gibt jungen Leuten auch die Chance, ihre Hemmungen fallen zu lassen, und zu tun, wozu sie Lust haben: Einen Jungen zu küssen, ein Mädchen zu küssen. Wie schon gesagt, bei vielen unserer Shows tanzen die Kids und ziehen ihre Shirts aus. Es ist eine Punk-Show, y’know, not a middle school dance.“
Aber manche Leute hassen es auch, Brandon so nahe an sich dran zu haben, also stellen sie sich nach hinten oder gehen raus und zerstechen die Reifen ihres Vans.
„Whatever!“, ist Chucks Kommentar dazu. „Wenigstens wurde dieser Typ dann mal mit einer Situation konfrontiert, in der er noch nie zuvor war. Hattest du denn bei deiner ersten Punk-Show keine Angst?“, fragt er.
„Und unsere Eltern würden sagen, dass es total lächerlich ist, was unser Sänger tut, aber geht es bei Punk nicht darum, gegen unsere Eltern zu rebellieren?“
Was ihm denn ansonsten so am Touren gut und schlecht gefällt, will ich wissen. Allerdings kann er zu THE PLOT TO BLOW UP THE EIFFEL TOWER nur etwas über Touren in den Staaten sagen. Die Bezahlung ist scheiße, sagte er. Die Band isst beschissenes Fast Food, da das alles ist, was sie sich leisten kann. Die lokalen Veranstalter geben einem nie die Garantie, die sie vereinbart haben, und sie müssen im Van schlafen, und zwar sitzend.
„Aber“, sagte Chuck, „jeden Abend mit meinen besten Freunden Musik zu machen, und Kids mitsingen zu sehen, und Leute zu haben, die nach der Show auf uns zukommen und uns sagen, wie wunderschön die war, und wie toll es war, dass man in ihrer Stadt gespielt hat. All diese Dinge entschädigen einen für die schlechten Erfahrungen, die wir hatten und immer wieder haben.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #59 April/Mai 2005 und Julia Gudzent
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #67 August/September 2006 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #59 April/Mai 2005 und Julia Gudzent