Streetpunk ist als Begriff auf dem Weg, genauso ausgelutscht zu werden, wie die Spartenbezeichnungen Rock´n´Roll oder auch Emo. Was aber erfreulicherweise daran liegt, dass cooler Punkrock älterer Schule wieder an Popularität gewinnt. Wie bei der Schweden-Schweinrock-Welle, bleibt auch hier der „schöne“ Effekt nicht aus, dass es sich bei 9 von 10 Kapellen um Trittbrettfahrer und Wannabees handelt. Um so guter tut es dann, wenn ein Label, auf das in der Regel Verlass ist, dann Bands wie PISTOL GRIP aus Walnut, CA aus dem Hut zieht. B.Y.O. heisst das Label, fast Garant für grandiosen Punkrock und die YOUTH BRIGADE-Betreiber um „Papa“ Shawn Stern haben einmal mehr fett zugeschlagen. Das erste Album der Californianer „The Shots from the Kalico Rose“ ist gepflastert mit hymnischen Grölorgienverbrechen, bei denen es wieder Sinn macht, mehr Bier zu trinken als je nötig und schön dreckig und verkotzt heimzukommen. Die Enge Beziehung zu den Göttern von den GENERATORS spricht schon für sich. Deren „Yankeeboy“-Doosky schrubbte die Akustikklampfe im Studio und singt im Background hier und da schon mal mit. Der von mir via Elektronenpost verhörte Chase Revenge, seines Zeichens zweiter Sänger, erster Guitarrero, Hauptsongwriter und auch ansonsten wohl kreativste Kraft im PISTOL GRIP-Fünfer, war extreeem redseelig, auch wenns nur´n E-Mail-Interview war.Hört euch an, was den Punkrocker von heute so bewegt...
Erst mal ein paar trockene Fakten für die Mädels und Jungs da draussen. Wie alt seid ihr, was hört ihr für Musik, den ganzen Quatsch, den jeder Arsch in einem Interview so fragt halt. All your dirty little secrets...
Ich bin 22 Jahre alt, Stax ist 21, Hollywood ist 21, Slowey ist 23 und Boxcar ist auch 23. Wir kommen alle aus der Stadt Walnut im Los Angeles-County. Wir haben die Band 1997 gegründet. Slowey, Stax und Hollywood spielten in einer Skinhead-Oi!-Band namens UNDERACHIEVED und ich jammte zu der Zeit lediglich mit ´nem Kumpel ein bisschen rum. Ich hab eine grossartige Party in meinem Haus geschmissen und UNDERACHIEVED spielten. Seit dem hab ich viel mit den Jungs rumgehangen. Irgendwann kam das Gespräch auf´s Thema Musik und so wurden aus unseren zwei Bands schliesslich eine: PISTOL GRIP. Wir kannten einander alle schon recht gut von der Highschool... Wir sind alle wie Brüder. Wir würden alle für einander töten. Wir sind alle mit der gleichen Art Musik großgeworden, sowohl bei Platten als auch bei Shows. Wir sind alle mit dem Verkaufen von Drogen aufgewachsen und haben uns zusammen mit Nazis geprügelt. Wir waren zusammen auf Shows, gingen zusammen zur Schule und haben zusammen gefeiert. Viele Gemeinsamkeiten, wie du siehst. Die musikalischen Einflüsse an sich differieren dabei schon ein wenig. Hollywood steht mehr auf Johnny Thunders, die STOOGES, NEW YORK DOLLS und RAMONES. Du hörst das in allem, was er so spielt. Ich steh eher auf BAD RELIGION, THE CLASH und die DEAD KENNEDYS. Boxcar ist mehr so der Rockbeeinflusste und seine Drummerei kommt eher von THE CULT oder Chuck Biscuits. Stax schwört am meisten auf THE CLASH und BAD RELIGION, Slowey steht mehr auf METALLICA und die MISFITS. Querbeet also, wie du siehst. Alles dabei.
Sieht für mich so aus, als wärst du der Kopf der Band. Du hast fast alle Songs geschrieben, und auf den neuen Aufnahmen spielst du mehr als ein Instrument. Hält dich die Band als ihren Sklaven, der alles zu erledigen hat, oder bist du eher der Band-Diktator, der sagt wie´s zu laufen hat?
Hehehe... Kommt darauf an, wen du fragst... Ich denke, es ist von beidem etwas. Ich bin schon so, dass ich meinen Mund nicht halten kann und Druck mache, sobald ich das Gefühl habe, dass härter gearbeitet werden muss oder an der Performance irgendwas geändert werden sollte. Andererseits kommt es mir manchmal auch so vor, als ob ich der Laufbursche sei. Ich erledige eben meistens auch den Kram, auf den einfach keiner so richtig Bock hat. Was auch immer überwiegen mag, ich geniesse es auf jeden Fall! Ich bin der Aktivste bei PISTOL GRIP, aber PISTOL GRIP wäre natürlich nichts ohne meine Brüder. Jeder leistet seinen persönlichen Beitrag. Auf diesem Album war mein Beitrag dann mal das komplette Songwriting...
Eure überwiegenden Einflüsse kommen ja aus der klassischen Punkrock-Ecke. Immer wieder fallen Namen wie BAD RELIGION, die MISFITS oder die DEAD KENNEDYS. Waren die Stern-Brüder nicht ´n bisschen beleidigt, dass niemand YOUTH BRIGADE angeführt hat?
Oh no, haha... Wir lieben alle YOUTH BRIGADE. Wir sind auch mit denen und ihrer Musik aufgewachsen. Musikalisch sind sie sicherlich kein so grosser Einfluss wie z.B. THE CLASH gewesen, aber wenn ich nur für mich spreche, waren sie die Band und die Menschen, die mich beeinflussten, ein Punkrocker zu werden und eine Band zu haben! Ich habe mir „Another state of mind“ ständig angeschaut. Momentan seh ich ihn mir auch wieder öfter an. Der grossartigste Punkrock-Film, der je gedreht wurde! Die Tour im Film war ja schon sehr inspierierend und anspornend, aber jetzt, da die Jungs Freunde von uns sind, wirkt das alles noch intensiver auf mich! Ich meine, die sind seit 1980 unterwegs und spielen und produzieren nach wie vor großartige Musik! B.Y.O. is still going strong... still D.I.Y. and still strong as ever! Diese Einflüsse sind viel stärker, viel prägender als die musikalischen. Wenn ich niemals was von den Stern-Brüdern gehört hätte, bin ich mir sicher, dass ich schon vor langer Zeit die Gitarre und das Unterstützen der Musik an den Nagel gehängt hätte.
Wie kam es eigentlich, dass ihr bei der Better Youth Organization unterschrieben habt? Wie kam die Verbindung zustande?
Als ich 18 Jahre alt war, habe ich mal eine Art Praktikum bei B.Y.O. gemacht. Ich habe damals nie versucht, auch nur unser Demo mal abzugeben. Ich dachte, wir wären einfach zu schlecht, als dass sich irgendwer für uns interessieren könnte - wir waren echt scheisse!. Ich konnte dann irgendwann nicht mehr dort arbeiten, weil ich einen Job gefunden habe. Ich hab dann Stax´ Bruder die Sache bei B.Y.O. weitermachen lassen. Er hat den Job dann auch etwa ein Jahr lang gemacht und bevor er aufgehört hat, gab er dort unser „Sound of the street“-Splitrelease ab. Mark hat ihn dann angerufen und gesagt, sie möchten gerne was mit uns rausbringen. Zwei oder drei Monate später haben wir dann für einen Dreier-Plattendeal unterzeichnet. Sie haben uns unglaublich unterstützt, Mark Stern ist sozusagen unser Booking-Agent/Manager/Mentor... Alle diese Rollen auf einmal! Sie haben sich wirklich sehr gut um die neue Platte gekümmert. Wir alle lieben B.Y.O und haben vor, noch ´ne Weile hier zu bleiben.
Ihr spielt in den USA demnäxt ja noch diverse Shows mit THE UNSEEN und den LOWER CLASS BRATS. Seid ihr mit diesen Bands auch befreundet? Ich meine, ist in L.A. und Umgebung ein gutes Netzwerk innerhalb der „Szenen“ oder auch aller Gruppierungen gegeben, oder kocht da eher jeder sein eigenes Süppchen und die Labels und Booker bringen die Bands erst zusammen?
Die LOWER CLASS BRATS kennen wir leider noch gar nicht, THE UNSEEN haben wir vor kurzem kennengelernt, als die hier tourenderweise mit ANTI-FLAG durchkamen. THE UNSEEN sind ein Haufen verdammt cooler Typen! Wir haben vor, demnächt mit ihnen zu touren und ordentlich zu feiern. Um den anderen Teil zu beantworten: Ja. Es gibt ein cooles und recht gut ausgebautes Netzwerk in Kalifornien, aber das besteht dann eher aus jüngeren und Newcomer-Bands. Ohne Hilfe ist es hier ziemlich schwer für kleinere/jüngere Bands mit den größeren/bekannteren Bands in Kontakt zu treten. B.Y.O. hat das alles für uns mit THE UNSEEN (Die neue THE UNSEEN-Platte „the anger and the truth“ ist auch auf B.Y.O.) klargemacht. Ehrlich gesagt, ohne B.Y.O. wäre es, denke ich, für uns nicht möglich, solch große, intensive Touren zu machen.
Was für Typen seid ihr PISTOL GRIPs eigentlich? Jobs? „Reiten, lesen, schwimmen“ ? Sexuelle Neigungen? Freizeit?
Wir sind nur ein Haufen Workingclass-Kids. Wir haben schon Drogen vertickt, Pizzas ausgeliefert, bei anderen kleinen Labels gearbeitet, als Fahrradkuriere gejobbt, all dieser Kram den man macht um sich über Wasser zu halten bis man die Schule abgeschlossen hat und auf Tour gehen kann. Also Stax und ich sind immer noch in der Schule. Boxcar, Hollywood und Slowey arbeiten in Vollzeit-Jobs. Wir hängen in unserer Freizeit zusammen rum und trinken zusammen. Schule, Arbeit und die Band nehmen eigentlich den grössten Teil unserer Zeit in Anspruch. Die sexuellen Vorlieben? Tja, ich persönlich mag Teenies, Stax mag thailändische Nutten, Hollywood steht auf Transvestiten, Boxcar ist ganz heiss auf so richtig eklige Frauen und Slowey liebt Dirt-Bikes auf Moto-Cross-Shows. Über Drogen sprech ich nicht so gerne öffentlich... Und was die Träume so angeht, kann ich natürlich nicht für die anderen sprechen, aber ich persönlich will so lange gute Musik machen wie es mir möglich ist und irgendwann überall in der Welt touren...
Was bedeutet dir persönlich der Begriff „Punkrock“ bzw. was ist „Punk“ für dich?
Ach, jeder interpretiert diese Begriffe anders. Jeder sollte dabei die Ansichten des anderen, naja, nicht unbedingt gutfinden, aber eben auch nicht klugscheissen! Hier ist es ausserdem gerade vier Uhr morgens und ich will mich nicht rechtfertigen. Vielleicht heisst Punk ja auch bloss „Piss off“ mit englischem Akzent ausgesprochen. Wen kümmert´s? Ich will einfach nur ein bisschen guten Rock´n´Roll spielen.
Seid ihr mehr D.I.Y.–Fans, oder findet ihr es besser ´nem Label angeschlossen zu sein, evtl. auch um etwas mehr zu reissen und vielleicht sogar davon leben zu können?
Ich, oder ich kann, denke ich, sogar sagen, wir, sind wohl eher Freunde des D.I.Y.-Gedankens. Aber ich finde es völlig in Ordnung, bei einer gewissen Größenordnung Teilbereiche wie Tourbooking, Vertrieb und so weiter einem Label zu übertragen. Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, Geld zu verdienen und/oder wenigstens von der Musik leben zu können. Nur bitte keine Major-Deals. RANCID und NO FX sind für mich ja auch stets ehrlich und auf dem Boden geblieben. Wenn GREEN DAY oder OFFSPRING den Schritt zur aggressiven Popmusik machen wollen, bitte. Die Musik gefällt mir immer noch, sie sind für mich halt nur nicht mehr im Punkbereich anzusiedeln. Ist aber deren Sache. Jeder der sich darüber beschwert, soll erwachsen werden. Ich höre gerne diversen Mainstream-Pop. Schöne Musik, mehr nicht eben. Die Dinge und Meinungen können sich ändern, so ist das nun mal...
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