Das renommierte Berliner Label von THE OCEAN-Mastermind Robin Staps feiert dieses Jahr seinen 15. Geburtstag. Wir sprechen mit dem Musiker und Labelchef über diese Zeit, in der 275 Releases erschienen sind.
Robin, wenn du zurückschaust, gibt es Momente, die dir in all den Jahren besonders in Erinnerung geblieben oder Schlüsselmomente für das Label sind?
Der erste Vertriebsvertrag mit SPV, einer Firma, die ein paar Monate später pleite war. Das Signing von MONO, das ein Gamechanger war. Verrückte Boxsets aus Holz, Acryl oder Papier, die bis an die Grenzen des physisch Machbaren gehen. Plötzlich sieben Mitarbeiter haben, nachdem ich Jahre lang alles allein gemacht hatte, von Verträgen bis zum Pakete packen. Und natürlich die drei Pelagic-Feste in Berlin.
Gegründet hast du das Label, so weiß es Wikipedia, weil du ursprünglich ein altes THE OCEAN-Album rereleasen wolltest. Was hat dich damals dazu bewogen, mehr aus dem Label zu machen?
Es gab ein paar Bands, die ich geil fand und die niemand kannte, wie NEBRA oder ABRAHAM aus der Schweiz. Es war schon damals ein ziemlicher Aufriss, den Vertrieb auf die Beine zu stellen für ein neues Label, und als ich das dann geschafft hatte, wurde mir klar, dass ich das nicht nur für einen Release gemacht haben wollte. Und es hat mir natürlich von Anfang an Spaß gemacht.
Denkst du, dass sich deine Erfahrung als Musiker und Kopf hinter THE OCEAN auf das Geschäft als Labelchef vorbereitet hat? Oder gab es viele Dinge, die du dafür erst neu hast lernen müssen?
Ich musste alles neu lernen. Mein zweiter Release war ein totaler Flop, ich habe heute noch den Keller voll mit CDs davon ... Ich hatte halt absolut null Erfahrung und habe alles mühsam per „trial and error“ gelernt. Dann kamen aber GOD IS AN ASTRONAUT und die „Heliocentric/Anthropocentric“-Vinylbox von THE OCEAN, und da hat es dann angefangen, Spaß zu machen. Natürlich hat es geholfen, dass ich quasi die „Band-Seite“ der Label-Band Beziehung sehr gut kannte, durch THE OCEAN und unseren langjährigen Vertrag mit Metal Blade. Mein Wunsch war es, mit Pelagic nicht nur künstlerfreundliche, sondern auch leicht verständliche Deals anbieten zu können – Deals die eben nicht GEMA-Abrechnungen gleichen, die sowieso niemals irgendjemand versteht. Deswegen haben wir zum Beispiel von Anfang an Royalty Fix Rates angeboten, unabhängig von verschiedenen Territorien, Preisschemata, Großhandelsdiscounts und so weiter. Simple math.
Ich würde behaupten, dass Pelagic im Großen und Ganzen einen gewissen Labelsound entwickelt hat. Oft hört man eine Band, die bei euch ist, und denkt sich direkt: das passt. Was sind deine Kriterien, damit du mit einer Band zusammenarbeitest?
Mittlerweile gehört viel mehr dazu, als einfach nur ein gutes Album zu haben. Wir suchen aktiv Bands, die wir geil finden, die zu uns passen, die aber auch auf eigenen Füßen stehen und die man nicht babysitten muss. Heutzutage müssen Künstler nicht nur Musik abliefern, sondern eben auch viele andere Dinge in die Hand nehmen wie Artwork, Booking oder Social Media. Ich verstehe durchaus, dass das für viele eine Herausforderung ist, aber dabei können wir als Label nur bedingt helfen. Unser Job fängt eigentlich erst dort an, wo wir von den Künstlern gutes Material geliefert bekommen – Musik, Artwork, Videos. Unser Job ist es dann, das zu promoten, zu vertreiben und zu verkaufen.
275 Releases sind eine ganze Menge für 15 Jahre, das sind im Schnitt rund 18 Alben im Jahr. Wie bekommt man das als Independentlabel umgesetzt?
Am Anfang war es natürlich weniger, im ersten Jahr waren es nur drei Releases. Mittlerweile haben wir uns auf feste 24 Releases pro Jahr eingependelt, also sehr regelmäßig zwei pro Monat. Das hat vor allem zwei Gründe: Mehr als zwei pro Monat wollen wir nicht machen, weil unsere eigenen Veröffentlichungen sonst miteinander um die Aufmerksamkeit der Presse konkurrieren würden. Weniger als zwei pro Monat können wir aber auch nicht machen, wegen unseres Subscription-Modells: Wir bieten eine Art Abonnement in allen Formaten – Vinyl, CD, digital – an, mit dem unsere Subscriber zu einem monatlichen Festpreis alles bekommen, was wir veröffentlichen. Damit geht natürlich eine Erwartungshaltung einher, was die Regelmäßigkeit und die Anzahl von Platten, die die Leute für ihre Kohle bekommen, betrifft. Vor allem die Vinyl-Subscription ist für uns extrem wichtig geworden, weil sie dafür sorgt, dass wir nicht mehr nur sporadisch ein sehr hohes Arbeitsaufkommen haben, wie bei Pre-Ordern von großen Bands, und den Rest des Jahres fast nichts, sondern regelmäßig. Und weil zudem von jeder Pressung gleich 250 Stück weggehen an die Abonnenten. Das erlaubt uns, Risiken einzugehen und weiterhin unabhängig zu bleiben.
Was ist das Beste und was das Schlechteste daran, ein Label zu betreiben?
Das Beste ist mit guten Bands und angenehmen Leuten zusammenzuarbeiten und zu sehen wie sie ihre eigene Geschichte schreiben und wachsen, künstlerisch und bestenfalls auch in Bezug auf Erfolg. Das Nervigste ist die ganze Bürokratie. Verträge zu verhandeln und zu gestalten, das ist ja noch gewissermaßen interessant, aber Buchhaltung, Steuerfreistellungen für ausländische Künstler ... das ist der Hass.
Wenn ich das richtig sehe, spielen nur Bands von Pelagic auf dem Festival zum 15. Geburtstag – wie ein großes Familientreffen. Fühlt sich Pelagic mit all seinen Bands für dich auch wie eine Familie an?
Absolut. Da ist einfach eine wunderbare Community entstanden über die Jahre. Das wird wie ein Klassentreffen, aber mit den besten Klassenkameraden, wie man sie zur Schulzeit nie hatte – alles gute Dudes, alle mit gutem Musikgeschmack, alle Künstler, haha!
Schwierige Frage zuletzt: Was sind deine persönlichen Lieblingsplatten auf Pelagic – sei es musikalisch oder optisch/haptisch vom Vinyl her?
Musikalisch kann und darf ich das nicht beantworten, das ist wie die Frage nach dem Lieblingskind, haha! Optisch beziehungsweise haptisch sind es natürlich diejenigen, die die größte Herausforderung dargestellt haben. Da freut man sich wie ein kleines Kind, wenn man das fertige Teil endlich in den Händen hält und alles geklappt hat. Da wäre zum Beispiel die „Phanerozoic“-Holzbox von THE OCEAN mit vier Gatefolds mit zum Teil extrem filigranen Stanzungen, echten Fossilien und gravierter Schieferplatte, nebst 120-seitigem Fotobuch zu nennen, das war ein ziemlich wahnsinniges Projekt. Das LUSTMORD-Tribute-Boxset „The Other“ war ein ebensolches Mammutprojekt: Hier haben wir knapp zwanzig zeitgenössische Künstler verschiedenster Stilrichtungen, von ULVER über GODFLESH bis BOHREN & DER CLUB OF GORE und Zola Jesus dafür gewinnen können, ihre eigenen Interpretationen von LUSTMORD Stücken aufzunehmen. Das Ganze erschien dann als Neunfach-LP-Box mit metallischen Heißfolienprägungen auf schwarzem Karton. Das Projekt hat mich während der Pandemie komplett vereinnahmt, sowohl was die Kuration als auch was die Herstellung angeht.
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Geburtstagsfeier
Um den Geburtstag gebührend zu begehen, lädt Pelagic dieses Jahr am 24. und 25.08. in Maastricht zum Pelagic Fest ein. Dort werden neben THE OCEAN auch IHSAHN, AND SO I WATCH YOU FROM AFAR, OH HIROSHIMA und viele andere Bands des Labels auf der Bühne stehen.
© by Fuze - Ausgabe #106 Juni/Juli 2024 und Dennis Müller