Endlich mal wieder eine Band, die wirklich mitreißende Musik macht: Mittelschneller Hardcore mit düsterer Grundstimmung, aggressivem Gesang, Texten zum Nachdenken, einem geheimnisvollen Cover und einem seltsamen Bandnamen. Da hat das Krisenjahr 2009 also doch noch etwas Gutes geschaffen. Dass ich nicht der Einzige bin, der so denkt, zeigen die Verkaufszahlen des Debütalbums „Deathinteresse“: die erste Auflage war ratzfatz ausverkauft. Genug Gründe also, sich mit dieser Band zu beschäftigen.
Hassan, wer, wie, wann, wo, weshalb und wieso fing es an mit PATSY O’HARA?
Hassan: PATSY O’HARA sind Michbeck, Chris, Jonas, Tim und ich. Wir kannten uns alle schon länger und jeder spielte vorher noch in einigen anderen Bands. Etwa im Sommer 2006 kam uns die Idee, eine neue Band zu gründen. Anfang 2007 hatten wir dann das erste Mal geprobt. Zu diesem Zeitpunkt fehlte uns jedoch noch ein eigener Proberaum zum kontinuierlichen Proben und der oder die Fünfte im Bunde, für die zweite Gitarre. Das Problem wurde aber gelöst und Kai aka Knaifel stieg ein und einen Proberaum gab es auch – mit Holzkamin! Im Winter 2007 spielten wir dann unsere erste Show im heimischen AJZ Bielefeld, wo wir derzeit auch unseren Proberaum haben. Nach der ersten D.I.Y.-EP „Pariahs“ gingen wir im Spätsommer 2008 auf Tour mit unserem jetzigem Gitarristen Michbeck. Die Motivation der Band war natürlich primär, Musik zu machen, die all unsere Einflüsse vereint und unsere Persönlichkeit reflektiert. Zum Bandnamen: Patsy O’Hara war ein nordirischer Terrorist/Freiheitskämpfer und Mitglied der INLA, 1981 starb er im Hungerstreik wie auch Bobby Sands und andere.
So weit, so gut, denn in Deutschland genießt/genoss der Kampf gegen den britischen Imperialismus im Norden der irischen Insel einen hohen Grad an Sympathie. Allerdings hat auch die RAF ein Kommando nach ihm benannt, welches sich 1985 zu einem Mordanschlag auf Ernst Zimmermann bekannte. Wieso habt ihr diesen Namen für die Band gewählt?
Chris: In der Tat ist mir der Name Patsy O’Hara das erste Mal im Zusammenhang mit dem Anschlag der RAF begegnet. Ich habe mich eine zeitlang intensiv mit Themen wie den sozialen Bewegungen und Veränderungen der 60er und 70er Jahre, mit der damit einhergehenden Befreiungsbewegung und bewaffnetem Widerstand beschäftigt. Der Name Patsy O’Hara klang so untypisch und das hat meine Neugier geweckt. Die Geschichte des Nordirland-Konfliktes ist ebenso interessant wie umfangreich. Der Hungerstreik als fortgesetztes Mittel des Widerstands hat mich irgendwie erschreckt, aber auch gleichzeitig fasziniert. Wie bedrückend müssen Verhältnisse real sein oder subjektiv wahrgenommen werden, wie verzweifelt ist man, dass man seinen eigenen Körper als Waffe einsetzt? Aber auch: Wie überwältigend oder manipulativ kann eine Idee sein, dass man dafür einen derart qualvollen Tod in Kauf nimmt?
So faszinierend es ist – das Covermotiv erschließt sich nur schwer. Im Mittelpunkt ist ein Schwan zu sehen, ein Schmetterling, das Blatt eines Baumes, und zwei Hände, die entfernt an Michelangelos „Die Erschaffung Adams“ erinnern, allerdings in der Version der Körperwelten-Ausstellung. Und auch eine auf den Kopf gestellte Pyramide – oder ein stilisierter Amboss? – mit einem Auge, also das vermeintliche Illuminaten-Zeichen. Das sind die Einzelheiten, die zu sehen sind. Was steckt hinter dem Cover?
Hassan: Mir ging es bei der Gestaltung gar nicht so sehr um Vergleiche oder Zitate anderer Künstler, schließlich sollte das Artwork für sich selbst sprechen. Ausgehend von der Idee, den Titel visuell umzusetzen, war es wichtig, die Doppeldeutigkeit hervorzuheben, die ja gesprochen im Deutschen eine völlig andere Aussage hat. In diesem Fall orientierten wir uns aber tatsächlich an „Swan Song“, welcher die Bedeutung „Schwanengesang“ hat. Hierbei soll es nicht nur um den letztendlichen Schluss oder Abschied gehen, sondern auch die Veränderung und den Neuanfang symbolisieren, für die der Schwan ebenfalls steht. Das Dreieck spielt eine zentrale Rolle, da es sich auch auf den Labels der LP wieder findet. Inhaltlich stellt das umgedrehte Dreieck ein Synonym zu dem umgedrehten Kruzifix dar. Ersteres wurde etwa auch im Alten Testament für die Darstellung der „Dreifaltigkeit“ genutzt, aber natürlich in der positiven Variante, mit der Spitze nach oben. Wobei man in diesem Kontext noch erwähnen sollte, dass wir keinen persönlichen Bezug zu Religion haben, sondern mit den bekannten Zeichen-Codes viel mehr experimentieren und so ein neues Sinnbild erschaffen.
Das Schwan-Cover, der Albumtitel, der Bandname – das alles deutet auf den Tod hin. Verfolgt ihr mit der Band ein Konzept, in dem es um den Tod geht, oder deute ich zu viel hinein in die äußere Erscheinung der Band?
Hassan: Es geht vielmehr ums Leben, wozu der Tod nun mal auch gehört. Zwangsläufig setzt man sich dann logischerweise mit selbigem auseinander. Ich würde das nicht als Konzept bezeichnen, sondern eher als Ventil.
Euer Sound hört sich altmodisch frisch an, ungefähr wie früher 1990er Punk/Crust wie ANTIPRODUCT, FROM ASHES RISE, CWILL – nicht nur, aber auch wegen des Cellos. Nicht zu viel Produktion, eher roh belassen. War das geplant oder ergab sich das zufällig?
Chris: „Altmodisch frisch“ hört sich gut an. Also dieser ganze Portland-Kram, das war schon eine tolle Sache und hatte mit Sicherheit auch einen nicht unerheblichen Einfluss auf uns. Mit der Produktion sind wir in Anbetracht dessen, dass alles sehr chaotisch war, echt zufrieden. Teilweise hat Hassan die Texte erst im Studio auf die Tracks gepackt und Jonas hat die Sachen dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion noch mit Robin gemischt. Na ja, beim nächsten Mal sind wir hoffentlich etwas strukturierter.
Jonas: Obwohl wir ja deutlich hörbar auch von moderneren Hardcore-Bands beeinflusst wurden, war uns bei den Aufnahmen von Anfang an klar, dass wir die Songs in einem eher punkigen, ursprünglichen Soundgewand erklingen lassen wollten. Und mit diesem Wunsch waren wir bei Robin Völkert in Münster einfach auch bestens aufgehoben. In Robins Studio sind ein paar schöne alte Verstärker vorhanden und er selbst nimmt sich zusammen mit den Bands sehr viel Zeit bei der Suche nach dem richtigen Sound für jedes einzelne Instrument. Somit konnten wir viel ausprobieren und trotz der schon erwähnten chaotischen Rahmenbedingungen ohne Zeitdruck arbeiten, was dem Ergebnis sicherlich sehr gut tat.
In eurer Band spielen angeblich Leute von NOW-DENIAL, NOT NOW NOT EVER und LOVIS.
Jonas: Stimmt nicht ganz. Bei NOW-DENIAL spielt niemand von uns, sondern Rob, der – wie oben bereits erwähnt – das Album und im Übrigen auch schon das vorhergegangene Demo mit uns aufgenommen hat. Der musikalisch recht große Unterschied zwischen NOT NOW NOT EVER – melodischer Oldschool-Hardcore – und LOVIS – deutschsprachiger Indie-Punk – zeigt, dass wir alle uns in stellenweise doch ziemlich unterschiedlicher Art und Weise für Musik interessieren und jeder von uns in den letzten Jahren einiges an Einflüssen gesammelt hat, die er halt mitbringt. Dennoch gibt es da auch große Überschneidungen und eine davon spiegelt sich eben im Sound und Songwriting von PATSY O’HARA wider. Ich bin auch der Überzeugung, die Tatsache, dass wir alle uns schon lange vor dem Anfang dieser Band zum Punk/D.I.Y.-Sektor hingezogen fühlten und uns in ihm bewegt haben, das jedoch mit ganz unterschiedlichen musikalischen Vorlieben und innerhalb verschiedener Freundeskreise, kam der Entwicklung der Band letztendlich sehr zu Gute.
Tim: Wie Jonas es schon formuliert hat, was die Bands vereint, ist einfach ein Punk/D.I.Y.-Background! Ich glaube, das spiegelt sich sowohl in dem musikalischen Output der Bands, Live-Auftritten, dem Buchen von etwaigen Touren, den Entstehungsgeschichten von Songs als auch vor allem in Bezug auf alle Bandmitglieder selbst wider.
Was hat es mit dem Songtitel „Agenda 1980“ auf sich?
Hassan: Ich bin 1980 geboren. Der Song steht für mich als kritische Auseinandersetzung mit all den Traditionen und Werten, die einem im Leben eingeredet werden. Manchmal ändert man diese, wirft sie weg oder nimmt sie nie an und denkt sich: „Wie konnte ich nur?“ Für mich ist das ganz oft ein Hin und Her, da jeder immer „Nur das Beste“ für einen will. Erwachsen werden in der heutigen Welt ist irgendwie anders als das zum Beispiel unsere Eltern noch erlebt haben.
Wie wichtig sind generell die Texte für die Musik von PATSY O’HARA?
Hassan: Wenn ich mir Musik anhöre, dann sind 50% des Gesamteindrucks die Texte. Genauso sehe ich das mit meinen eigenen Texten auch. Die Texte kommen von so einem Endzwanziger-Typen, der 21 Jahre auf dem Dorf gewohnt hat und nach dem Zivildienst in die Stadt gezogen ist.
Ihr habt euch für Vinyl mit Download-Code entschieden. Wird es eure Alben auch auf CD geben oder seid ihr Vinyl-Fetischisten?
Chris: Wir stehen schon alle sehr auf Vinyl. Es ist einfach ein viel stilvolleres Gesamtprodukt, das man für sein Geld bekommen kann. Die Band und der Künstler, der ja bei uns praktischerweise Teil der Band ist, haben ganz andere Möglichkeiten. Ich glaube, dass die CD in dem musikalischen Bereich, in dem wir uns bewegen, keine wirkliche Rolle spielt. Aber die Vorzüge von mp3s und iPod genießen wir selbst ja auch, und so ist der Download-Code eine gute Möglichkeit, beiden Ansprüchen Rechnung zu tragen.
„Deathinteresse“ hat bisher durchweg positive Kritiken bekommen und die erste Palette ist bereits ausverkauft. Palette Nummer zwei kommt in blauem Vinyl. Wie fühlt es sich an als „Big Seller“?
Chris: Danke für das Sträußchen. Was wirklich nervt, ist der Sozialneid ... auch hier auf Sylt. Gerade und insbesondere die „Jack Wolfskin“ tragende, Bündnis90/Die Grünen wählende, Tina Turner hörende Bionaden-Bourgeoisie.
Michael: Aber Spaß beiseite: Als „Big Seller“ fühlen wir uns natürlich nicht, das sind wir ja auch gar nicht. Wir sind einfach superzufrieden damit, wie die Platte am Ende geworden ist, weshalb wir uns an dieser Stelle auch noch einmal bei allen Beteiligten bedanken wollen, die uns den Release überhaupt erst ermöglicht haben. Wenn dann jetzt auch noch andere Leute Gefallen daran finden können, freut uns das natürlich.
Hassan, du entwirfst als Künstler auch Plattencover, Videos, Promo-Fotos. Was mir dabei auffiel: Ähnlich wie beim „Deathinteresse“-Cover arbeitest du wenig mit Farben, eher mit Schattierungen beziehungsweise Schwarz-Weiß-Kontrasten. Welche Idee steckt dahinter?
Hassan: Ich würde es eher als Vorliebe bezeichnen. Ich mag reduziertes und rauhes Design. Es muss für mich eine gewisse Haptik beinhalten. Der Gedanke dahinter ist, eine Klarheit in den Illustrationen herzustellen. Früher sahen meine Sachen zum Beispiel undifferenzierter aus. Ich denke, die reduzierte Herangehensweise kommt mit dem Alter. Man versteht irgendwann, was einem wichtig ist und was eben nicht – so wie im Leben halt auch. Inspiriert bin ich sehr durch Dadaismus, Bauhaus, Schweizer Grafikdesign und Graffiti, um die Herleitung der Gedankengänge mal zu erläutern.
Und wie lange musste Karl Lagerfeld um eine PATSY O’HARA-Tasche betteln?
Jonas: Unser Bassist Tim ist eine Zeit lang auf Modenschauen für Matrosenuniformen gelaufen und hat dort auch den Karl kennen gelernt. Der war begeistert von der Idee einer Zusammenarbeit. Leider hat Tim den Job mittlerweile verloren, da sein Körpergewicht nicht mehr deutlich genug unter dem Normalbereich liegt, und somit fehlt uns nun auch der Kontakt zu den Größen der Modewelt.
Wie geht es weiter, kann man bald mit neuen Songs rechnen?
Michael: Um ehrlich zu sein, haben wir es in den letzten Monaten leider nicht geschafft, einigermaßen regelmäßig zu proben, was aber auch hauptsächlich daran lag, dass wir so ziemlich jedes Wochenende mit der Band unterwegs waren. Zudem ist unser Schlagzeuger Chrissy im Oktober stolzer Vater geworden und hatte daher natürlich wichtigere Dinge im Kopf, als sich im Proberaum einzuschließen. Neue Ideen sind auf jeden Fall vorhanden, es kann also gut passieren, dass es in nächster Zeit den einen oder anderen neuen Song zu hören geben wird. Da lassen wir uns einfach selber mal überraschen.
Jonas: ... und spielen erst mal ein paar Shows, auch in Gefilden, in denen wir seit dem Release von „Deathinteresse“ wenig bis gar nicht live zu sehen waren. Wir freuen uns immer darauf, neue Zentren kennen zu lernen, in denen sich Menschen engagieren, um nach politischen und kulturellen Alternativen zu suchen. Genauso natürlich auch auf weitere verrückte Leute, die die Mühen nicht scheuen, Shows für crappy Punkbands wie uns auf die Beine zu stellen und uns damit immer ein bisschen das Leben retten.
Chris: Ich denke, dass wir da auch mit aller Gelassenheit rangehen werden. Die Platte ist ja jetzt gerade mal ein halbes Jahr draußen. Wir haben schon alle Bock, was Neues zu machen, aber wir wollen uns auch nicht wiederholen. Wenn ich mehr als eine Platte von einer Band kaufe, dann will ich auch nicht, dass sie mir den gleichen Scheiß immer und immer wieder anbietet.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #89 April/Mai 2010 und Matilda Gould
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #88 Februar/März 2010 und Joachim Hiller