Die Band von John Congleton existiert seit 1998, hat fünf Alben veröffentlicht (zuletzt „Someday This Could All Be Yours Vol. 1“), spielt regelmäßig auch in Europa, doch an ihrem Geheimtip-Status hat sich bis heute nichts geändert. Und die Situation ist bisweilen sogar so absurd, dass Congleton zwar in den Bios anderer Bands (wie etwa THE POLYPHONIC SPREE, MODEST MOUSE, THE THERMALS, SMOG, EXPLOSIONS IN THE SKY, THE MOUNTAIN GOATS oder ANTONY AND THE JOHNSONS) als deren Produzent Erwähnung findet, aber oft genug dort dann jeder Verweis auf seine eigene Formation fehlt. Auch auf dem aktuellen Album, einem Konzeptwerk zum Thema Naturkatastrophen, präsentieren sich THE PAPER CHASE als düster-dramatische Goth-Horror-Band ohne jeden Bombast-Kitsch, als Missing Link zwischen Nick Cave und THE BLACK HEART PROCESSION, und da wundert es nicht, dass Congleton auch schon CDs mit Halloween-Soundeffekten veröffentlicht hat.
Du wirst oft als Produzent in Band-Bios genannt, doch selten taucht da der Name deiner Band auf. Nervt dich das?
Ehrlich gesagt kümmert mich das nicht. Und es stört die anderen in der Band auch nicht, dass meist nur mein Name im Zusammenhang mit THE PAPER CHASE genannt wird – Hauptsache es hilft uns weiter. Ich hatte das Glück, an einer Menge guter Platten arbeiten zu dürfen, in deren Folge auch über mich geschrieben wurde – und manchmal wird meine Band erwähnt, manchmal nicht. Wer wirklich interessiert ist, kann ja herausfinden, was ich sonst noch mache, und hin und wieder bekommen wir auf diesem Wege die Chance, eine Show zu spielen, an die wir sonst nicht herangekommen wären. Wir leiden also sicher nicht unter der Nichterwähnung, auch wenn es natürlich schön wäre, etwas bekannter zu sein. Und letztlich machen wir zusammen Musik, weil es uns Spaß macht.
Die Arbeit des Produzenten ist für mich als Nicht-Musiker immer noch ein Mysterium. Kannst du mir erklären, was du tust, wenn du mit einer Band im Studio bist, wo und wie du auf einer Platte deinen „Fußabdruck“ hinterlässt?
Das ist eine gute Frage, und die Antwort ist für jede Platte eine andere. Ganz allgemein würde ich sagen: Mein Job ist es, immer das zu sein, was die jeweilige Situation für ein Album erfordert, damit die Aufnahme so umgesetzt werden kann, dass die Band zufrieden ist. Und so messe ich auch meinen Erfolg: Wie glücklich und zufrieden ist eine Band mit den Aufnahmen? Wie gut das Album dann angenommen wird ist für mich zweitrangig, da achte ich gar nicht drauf. Wenn ich mit einer Band ins Studio gehe, versuche ich zuerst zu ergründen, was die jeweilige Band eigentlich erreichen will, was ihr künstlerischer Ansatz und was ihr Ziel ist. Und dann versuche ich, ein Vehikel zur Erreichung dieses Ziels zu sein. Manchmal ist mein Job, nur dafür zu sorgen, dass eine Band auf CD genauso klingt wie live, da bin ich dann gar nicht involviert in die Arbeit an den Songstrukturen, dem eigentlichen Sound der Lieder. Da bin ich dann recht passiv, und in anderen Fällen wiederum bin ich sehr aktiv involviert, arbeite mit der Band an Akkorden und Texten – je nachdem, was die Band von mir verlangt.
Das setzt ein großes Einfühlungsvermögen deinerseits voraus.
Ach, ich finde das sehr leicht. Es hilft auf jeden Fall sich erst mal mit dem bisherigen Schaffen der jeweiligen Band vertraut zu machen, sie mal live gesehen zu haben. bevor man zusammen ins Studio geht. Der Rest ist eine Sache des Dialogs: Man redet einfach miteinander, stellt Fragen à la „Wie soll die Platte klingen, was für einen Drum-Sound wollt ihr? Wie sollen die Gitarren sich anhören? Welche Gefühle soll dieser Song rüberbringen?“ Ich höre einfach nur zu, wenn die Band erzählt, und wenn du deinen Job verstehst, ziehst du daraus die richtigen Schlüsse.
Die richtigen Fragen zu stellen – das hört sich an, als habe dein Job auch einen durchaus journalistischen Aspekt.
Absolut! Als Musikjournalist muss man über ein gewisses musikalisches Verständnis verfügen, und so muss auch ich wissen, was die Band meint, wenn sie sagt, sie wolle einen Sound wie John Lennons PLASTIC ONO BAND. Meine Fragen unterscheiden sich von denen, die ein Journalist einer Band stellt, dahingehend, dass sie persönlicher sind. Und die Antworten, die mir jemand im Studio in einem privaten Gespräch gibt, sind sicher ehrlicher und offener als die in einem Interview, das für die Öffentlichkeit gedacht ist. Ich erfahre viel mehr von einem Musiker, was ihm Angst macht, was ihn an seiner Band stört, was er vermeiden, was verbessern will.
Wie hast du die Fähigkeit zur Arbeit als Produzent erworben? Einfach durch genaue Beobachtung und Erfahrungen mit deiner eigenen Band?
Ich hatte nie eine formale Ausbildung, aber ich habe schon in sehr jungen Jahren angefangen, andere Bands aufzunehmen und seitdem mit so vielen Bands gearbeitet, dass ich meine Lektion in vielerlei Hinsicht gelernt habe.
Nach was für Kriterien wählst du die Bands aus, mit denen du arbeitest?
Glücklicherweise bin ich heute in der Situation, dass ich mir aussuchen kann, mit wem ich arbeite. Das ist sehr angenehm, dafür bin ich wirklich dankbar, denn vor nicht zu langer Zeit war es noch so, dass ich mit jedem arbeiten musste, der mit mir arbeiten wollte. Ich war darüber nicht unglücklich, aber heute habe ich so viele Anfragen, dass ich auswählen muss, und so gehe ich danach, wo ich das Gefühl habe, dass ich der Aufgabe gewachsen bin. Meist ist es aber so, dass ich von der Band, die mich haben will, schon gehört habe, ich bereits mit ihr vertraut bin. Dazu kommt dann noch, den richtigen Zeitpunkt zu finden, und außerdem muss mich auch was an der Band anziehen – sie muss irgendwie schräg, seltsam oder „anormal“ sein.
Betrifft dich die Krise des Musikbusiness, mit schrumpfenden Studio-Budgets von Bands und Labels?
Oh ja. Ich versuche aber, mich nicht zu sehr mit dem Thema zu beschäftigen, denn ich habe mich noch nie als Teil der normalen Musikindustrie gesehen. Ich höre nicht auf A&R- und Label-Leute, ich höre nur auf die Bands. Die Studio-Budgets sind kleiner geworden, aber ich habe damit kein Problem, denn ich habe Bands schon immer ermutigt, so effizient wie möglich aufzunehmen, um Geld zu sparen. Und so gesehen haben sich die Verhältnisse in der Branche eher zu meinen Gunsten gewandelt.
Sprechen wir über THE PAPER CHASE. „Someday This Could All Be Yours Vol. 1“ ist im Frühjahr erschienen, und dem „Vol. 1“ entnehme ich, dass Vol. 2 bald folgt. Ist das schon im Kasten?
Größtenteils, wir müssen da nur noch ein paar Sachen mischen. Ansonsten haben wir alle Songs in einem Schwung aufgenommen. Das Album kommt aber erst nächstes Jahr raus.
Erklär mir doch mal das Konzept des Albums: Es geht da um Naturkatastrophen.
Als Songwriter fällt es mir leichter, wenn ich innerhalb einer gewissen Struktur arbeiten kann. Und so kam ich schon vor langer Zeit auf die Idee, Songs über Naturkatastrophen zu schreiben – nicht in konkretem Sinne, sondern eher metaphorisch. Und so habe ich mit diesen Ideen herumgespielt, wann immer ich Zeit hatte. Ich singe auch nicht über die eigentliche Katastrophe, ich will ja auch nicht mit den Gefühlen von Leuten spielen, die beispielsweise unter einem Erdbeben zu leiden haben. Es geht mir, insgesamt gesehen, um das Gefühl der Machtlosigkeit im Leben, darum, dass wir unsere Umwelt nicht kontrollieren können. Ich bin jemand, der nur schwer loslassen kann, und ich fand es deshalb eine enorm friedliche Vorstellung, dass wir über die Natur keine Kontrolle haben. Wenn man das mal akzeptiert, ist das eine angenehme Erfahrung. Das mag jetzt krank klingen, aber für mich ist das Album beinahe schön fröhlich, auf jeden Fall aber friedlich. Das kann jemand Außenstehendes wohl kaum verstehen, aber so sind eben meine Gefühle.
Hast du denn selbst schon mal Naturkatastrophen miterlebt?
Klar, ich habe drei Tornados miterlebt, auch Hurricanes, und in Dallas, wo ich lebe, bebte vor zwei Wochen die Erde. Das war eine seltsame Erfahrung, das gab es dort noch nie.
Naturkatastrophen haben für manche Menschen ja auch eine gewisse biblische Dimension, von wegen gottgesandter Plagen und so was. Spielte diese Thematik bei dir auch eine Rolle?
Ich bin in einer recht christlichen Familie aufgewachsen, aber mir bedeutet das alles nichts, ich bin kein Christ oder so. Aber mit dieser Thematik, die du erwähnst, hatte ich schon in sehr jungen Jahren zu tun, und diese ganze biblische Bilderwelt ist natürlich eine extrem effektive Beeinflussung und hat sicher dazu beigetragen, meine Persönlichkeit zu formen. Und so kommt so was dann natürlich wieder zu Tage, wenn man solche Texte schreibt. Ich bin da ganz ehrlich, ich verstecke die Tiefen meiner Persönlichkeit nicht, wenn ich schreibe. Wenn man dir als Kind solche Dinge erzählt, stellst du die nicht in Frage, du glaubst sie erstmal.
All diese Geschichten von einem rachsüchtigen Gott, der die Menschen für irgendwas bestrafen will ...
Das war der Punkt, weswegen ich beschlossen habe, dass das Christentum nichts für mich ist. All diese Geschichten von einem dich liebenden Gott, der dich zu ewiger Verdammnis verurteilt, wenn du an ihm zweifelst. Ich bin auch der Meinung, dass die Menschheit an sich so was wie eine Naturkatastrophe ist, weshalb ich ihr einen der Songs auf dem Album gewidmet habe: Die Menschen kommen untereinander nicht klar, zerstören den Planeten, sind auf dem besten Wege dazu, die Menschheit von diesem Planeten zu fegen. Mir wurde zu dieser Platte auch schon die Frage gestellt, ob sie insgesamt eine Anspielung auf das drohende ökologische Desaster durch die Erderwärmung sei. Und die klare Antwort darauf ist nein.
Beeindruckt hat mich das Cover-Artwork: Ein Mensch wird von einem Tornado mitgerissen. Ist das ein echtes Foto oder eines aus Photoshop?
Das Tornado-Foto ist echt, aber der Mensch ist hineinretuschiert. Ich hatte die Idee dazu, der Grafiker hat sie umgesetzt, und meine Idee war zu illustrieren, wie hilflos wir angesichts solcher Katastrophen sind.
Was erwartet uns bei Volume 2 des Albums? Mehr Katastrophen?
Die Songs werden langsamer und freundlicher sein, ansonsten ist es eine klar erkennbare Fortsetzung. Das aktuelle und das nächste Album sind meiner Meinung die bislang am wenigsten gothic-mäßigen PAPER CHASE-Alben, aber ich denke da nicht so viel drüber nach. Ich mache immer, was sich für mich gut anfühlt.
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