ONE STEP CLOSER

Foto© by Spencer Chamberlain

Straight-Edge-Retro-Vibes

Wenn man von einer Band der Stunde sprechen möchte, muss es definitiv um ONE STEP CLOSER gehen. Die Band aus Wilkes-Barre, Pennsylvania veröffentlicht mit „All You Embrace“ ein Album, auf dem sie so viel richtig machen, dass Fans von GORILLA BUISCUITS über UNDEROATH bis hin zu ihren Quasi-Nachbarn TITLE FIGHT nichts anderes mehr hören wollen. Dabei schafft es die junge Straight-Edge-Band nicht nur, sowohl an die goldene Ära des Hardcore zu erinnern, sondern zugleich auch, am Puls der Zeit zu sein. Wie es kommt, dass eine Band, deren Mitglieder gerade mal Anfang zwanzig sind, so weit in die 1990er Jahre lugt und dabei trotzdem authentisch und frisch klingt, erzählt Sänger Ryan im Interview.

Nach der Veröffentlichung eures starken Debütalbums „This Place You Know“ 2021 war ich wirklich gespannt, in welche Richtung ihr euch auf dem Nachfolger „All You Embrace“ bewegen wollt. Ihr habt es damit jedenfalls geschafft, zugleich Hardcore-, Pop-Punk- und Emo-Fans sehr glücklich zu machen.

Ich würde sagen, dass wir all unsere Inspirationen in diese Platte haben einfließen lassen, anstatt zu denken, dass wir allein im Hardcore oder welchem Genre auch immer verhaftet bleiben müssen. Wir haben uns stattdessen mal so richtig ausgetobt, was sich in gewisser Weise befreiend anfühlt, denn ich hatte immer ein wenig Angst davor, die Grenzen zu weit zu verschieben, so dass die Leute am Ende doch nicht wirklich glücklich mit unseren neuen Songs sind. Jetzt sind wir jedoch an einem Punkt angelangt, an dem wir einfach eine melodische Band sind, die all ihre Einflüsse zu ihrem eigenen Sound zusammengefügt hat.

Mit „All You Embrace“ reitet ihr die aktuelle Emo- oder Post-Hardcore-Welle an vorderster Front mit. Dabei wird das Genre dominiert von Reminiszenzen an die 1990er und 2000er Jahre, in denen Emo sich vorsichtig an den Mainstream herangetastet hat. Gleichzeitig klingt euer Sound auch sehr frisch. Was genau macht eure Faszination für diese Zeit aus?
Als wir diesen Plattenzyklus begannen, waren wir definitiv von älteren Sounds fasziniert. Hauptsächlich waren es jedoch Bands wie GORILLA BISCUITS, die bei mir für einen Deep Dive in die Musik der 1990er Jahre gesorgt haben. Ich bin dann über DEFTONES und ein paar weitere in einen richtigen Sog geraten. So ganz aus dem Nichts kam das jedoch nicht. Wir sind schon in jungen Jahren, beim Skateboardfahren mit Hardcore in Berührung gekommen, so dass wir schon lange in der Subkultur der 1990er und frühen 2000er Jahre verankert sind. Wir lieben auch den Hardcore der 1980er und 1990er Jahre. Gleichzeitig haben wir aber auch eine Vorliebe für UNDEROATH oder SAOSIN, also die Bands aus der Warped-Tour-Emo-Phase. Als wir die Platte geplant haben, haben wir uns lange darüber unterhalten, wie wir die Ästhetik für „All You Embrace“ gestalten wollen und sind irgendwann bei der 1990er-Jahre-Ästhetik gelandet. Es hat sich letztlich ganz organisch zusammengefügt.

Lass uns über deinen ersten Kontakt zur Hardcore-Szene sprechen.
Ich war so etwa zwölf Jahre alt. Bands wie TITLE FIGHT kannte ich zu der Zeit schon durch den älteren Bruder eines Freundes. Dass die eine Hardcore-Band sein sollen, davon hatte ich überhaupt keine Ahnung. Ich wusste nur, dass es sich um eine lokale Band handelt, die coole Sachen macht und hier in der Nähe Konzerte spielt. Zu der Zeit habe ich dann auch mit ein paar älteren Kids geskatet. Wir haben uns einfach eine Rail und eine Ramp auf einem Parkplatz aufgebaut, der in der Nacht von so fetten Laternen beleuchtet wurde, die die ganze Zeit angeschaltet waren. Da kamen dann immer mehr Leute zusammen und hingen dort ab. Einer von ihnen hat mich mal nach meinem Musikgeschmack gefragt und ich habe ihm von TITLE FIGHT erzählt. Er meinte, dann seien Bands wie COLD WORLD, GORILLA BISCUITS und DOWN TO NOTHING genau das Richtige für mich. Wir waren auch direkt zusammen auf einer Show in einem Laden hier bei uns in Wilkes-Barre. So hat das damals angefangen. Und ab da ging alles ganz schnell.

Wahrscheinlich bist du auch über diese Szene zum ersten Mal mit Straight Edge in Kontakt gekommen, oder?
Ich weiß noch, dass ich mich zu der Zeit mit ein paar Straight-Edge-Kids unterhalten habe und mir klar wurde, dass ich in vielen Punkten mit ihnen übereinstimme. Ich hatte mich schon immer so gefühlt, wusste aber nicht, dass es einen Begriff gibt, der diese Art zu leben beschreibt. Die Straight Edger, die etwas älter waren, haben mir damit eine Tür aufgestoßen, um erwachsen zu werden. Es war ein tolles Gefühl, zu Shows zu gehen und Ned von TITLE FIGHT dabei zuzuhören, wie er über Straight Edge, die Leidenschaft für unsere Community und unsere Szene redet. Das hat mich als jungen Menschen wirklich beeindruckt.

Wie ist aktuell der Zustand der Straight-Edge-Szene, gibt es die noch?
Heutzutage gibt es zwar verhältnismäßig viele Veganerinnen und Veganer, aber sie spielen weniger in klassischen Straight-Edge-Bands. Daran fehlt es vielleicht zur Zeit, könnte man sagen, wobei ich zugleich den Eindruck habe, wieder mehr jüngere Leute auf den Shows zu sehen, die ein „X“ auf ihrem Handrücken tragen. Wir sind hier auch nicht weit entfernt von Syracuse und New York, wo die Hardcore-Szene im Moment sehr jung und aktiv ist. Bands wie MAGNITUDE sprechen ganz offen über ihren Lifestyle und sind im Moment zumindest hier in der Region so etwas wie Vorreiter.

In diesen unruhigen Zeiten, in der ein dystopischer Blick auf die Zukunft überwiegt, geben sich viele Menschen offenbar lieber einem hedonistischen Lebensstil hin. Straight Edge ist aber das komplette Gegenteil.
Was die Szene hier in Wilkes-Barre angeht, beobachte ich derzeit zum ersten Mal seit langem wieder ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl. Das bezieht sich jetzt nicht nur auf die Hardcore-oder Emo-Szene. Ich würde sagen, dass wir jüngeren Leute in vielem der gleichen Ansicht sind und Rassismus und ähnliche Dinge verabscheuen. Wir versuchen, unser Leben grundsätzlich so positiv wie möglich zu gestalten. Es tauchen gerade wieder viele junge Bands auf, die den Finger genau in die Wunde legen. So was stärkt unsere Szene ungemein.

Auf „All You Embrace“ geht es anscheinend viel um persönliche Opfer sowie den Verlust von Freunden und Bekannten, die ihr nicht in dem Maße treffen könnt, wie andere Menschen in eurem Alter, weil ihr auf Tour seid oder Musik schreibt. Muss gute Musik immer auch mit Leid verbunden sein?
Ich weiß es nicht. Tatsächlich würde ich aber sagen, dass Musik für mich nur dann richtig funktioniert, wenn ich mich verstanden fühle und ich merke, dass die Künstlerinnen oder Künstler eine Verbindung über Dinge, die ihnen widerfahren sind, zu mir herstellen. Wir sind mit ONE STEP CLOSER in den letzten Jahren sehr viel getourt. Wir sind alle gerade erst Anfang zwanzig und ich habe jetzt schon das Gefühl, dass wir zu anderen Menschen heranwachsen als viele der Leute in unserem Alter. Wir verpassen viele Dinge, die für andere ganz selbstverständlich sind und haben viele Freunde und Bekannte auf dem Weg verloren, weil wir einfach nicht so viel Zeit mit ihnen verbringen konnten, weil wir das tun, was wir so sehr lieben. Am Ende des Tages habe ich aber das Gefühl, dass ich es gar nicht anders möchte. Ich denke, es gehört einfach zum Wachsen und Lernen dazu, diese Erfahrung zu machen und in der Lage zu sein zu sagen: Ja, meine Beziehungen zu diesen Menschen sind vielleicht gescheitert, aber die Beziehungen zu vielen anderen Menschen, die mir sogar noch näher sind, sind dagegen viel stärker geworden. Letztlich möchte ich mit den Menschen zusammensein, die mich unterstützen und das supporten, was ich tue.

Würdest du sagen, dass „All You Embrace“ als Leitfaden dafür dienen könnte, wie man am besten mit dir umgeht?
Ich habe schon das Gefühl, dass viele der Texte, die ich schreibe, sehr persönlich sind und vor allem damit zu tun haben, was bei mir und meinen Freunden gerade passiert. Daher könnte es tatsächlich eine Möglichkeit für jemanden sein, der oder die mich nicht so gut kennt oder gar zum ersten Mal trifft, mit mir in Kontakt zu treten. Grundsätzlich versuche ich, mir selbst und den Leuten um mich herum gegenüber so ehrlich wie möglich zu sein. Manchmal bin ich sogar ein bisschen nervös, wenn es an die Veröffentlichung der Texte geht, und frage mich. ob ich nicht zu viel von mir preisgegeben habe. Aber bei „All You Embrace“ hatte ich das Gefühl, dass alles, worüber ich geschrieben habe, dringend mal ausgesprochen werden musste.