Was macht HOT WATER MUSIC aus, was macht sie besonders? Und was sind das für Typen? Dazu habe ich einen befragt, der die Band seit über zwei Jahrzehnten kennt und vom Fan zu deren Tourmanager und nun auch Labelboss wurde. Stefan „Oise“ Ronsberger kommt unüberhörbar aus Bayern und lebt in Berlin, war vor der Corona-Pandemie quasi permanent mit US-Bands unterwegs und regelte auf Tour alles hinter den Kulissen. Seit Sommer 2020 ist er in seinen erlernten Beruf als Pflegekraft zurückgekehrt, blieb dem Musikgeschäft aber als Betreiber des End Hits-Labels erhalten, wo neben Bands wie BOYSETSFIRE, STICK TO YOUR GUNS, SHORELINE, EMPOWERMENT oder DUCHAMP eben auch HOT WATER MUSIC veröffentlichen. Oise erzählt uns, wie es ihm und der Live-Branche geht und was er mit HOT WATER MUSIC erlebt hat.
Vor der Corona-Pandemie warst du ungefähr die letzten 15 Jahre jeweils 364 von 365 Tagen im Jahr mit irgendeiner Band auf Tour.
Genauso war es. Ich habe 2020 das erste Mal seit meinem 16. Lebensjahr eine Bewerbung samt Lebenslauf schreiben müssen. Damals bewarb ich mich um eine Lehrstelle, seitdem hatte ich nie wieder eine Bewerbung geschrieben. Ich musste erst mal im Internet nachschauen, wie das geht. Und mein Lebenslauf war wirklich so, dass ich bis 2020 als selbstständiger „Tourmensch“ in verschiedensten Inkarnationen gearbeitet habe. Als Tourmanager, als Produktionsleiter und so weiter. Und es gab wirklich Jahre, wo ich zehn von zwölf Monaten unterwegs war. 2020 dann waren wir gerade mit der End Hits-Tour unterwegs, und dann kamen schon von überall Nachrichten zu Corona rein. Ich erinnere mich, dass wir gerade in Zürich waren, und eine Freundin war neben „unserem“ Club mit ANNENMAYKANTEREIT im Stadion nebenan beschäftigt. Die rief mich an: „Das Ordnungsamt hat gerade zwei Stunden vor Doors unsere Show dichtgemacht!“ Ich dachte mir nur: Oh Scheiße ... Wir konnten dann noch zwei Tourtage durchziehen, danach bin ich direkt ins Flugzeug gestiegen, denn ich lebte damals in Portland, Oregon in den USA. Und als ich in Chicago gelandet war und mein Handy anmachte, kam die Nachricht, dass die USA einen Tag später alle Grenzen dichtmachen. Das war eine Punktlandung.
Du warst dann zunächst mal in Portland.
Ja. Dass die nächste Tour im April 2020 nicht stattfinden wird, war schnell klar. Aber was ist mit den Sommerfestivals? Mir wurde dann bald bewusst, dass das was Längerfristiges ist und nichts, was im Herbst wieder okay ist. Spätestens als die Bayern das Oktoberfest abgesagt haben, war das für mich der Indikator, was los ist. Denn selbst als ein Nazi-Terrorist in den Achtzigern da ein paar Leute in die Luft gesprengt hat, haben die das Oktoberfest nicht abgesagt. Um zurückzukommen zu meiner ersten Bewerbung: Zum Glück hatte ich mit 16 eine Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht. Nun musste ich mir aber beim Bezirk Regensburg erst noch eine Kopie meines Pflegerexamens besorgen, um wieder als Krankenpfleger arbeiten zu können. Das Gute ist: Dieses Examen läuft nie ab , das gilt das ganze Leben, außer du wirst straffällig, was schwierig wäre bei meinem Lebensstil. Und dann habe ich angefangen, mich von den USA aus zu bewerben, denn es war klar, dass ich und meine Frau zurück nach Deutschland müssen, denn mein Arbeitsvisum besagte, dass ich nur im Entertainment-Bereich arbeiten darf. Also ich hätte nicht mal im Supermarkt nachts Regale einräumen dürfen. Es erschien mir die vernünftigere Entscheidung zu sein, da hinzugehen, wo man ein paar Rechte hat, als wenn man so halb geduldet in Amerika sitzt. Und so habe ich dann im Sommer 2020 angefangen, wieder als Krankenpfleger zu arbeiten.
Wobei es doch zumindest teilweise gar nicht möglich war, aus den USA überhaupt nach Deutschland zu kommen.
Das war eine Geschichte für sich. Fünf Flüge wurden uns abgesagt. Von Portland aus ging nichts. Also Seattle. Wurde abgesagt. Okay, wir probieren Vancouver, hinter der Grenze in Kanada. Nein, wir dürfen nicht mehr über die kanadische Grenze fahren. Dann also San Francisco. Der Flug wurde gecancelt. Und nun? Los Angeles. Der erste Flug gecancelt. Der zweite nicht. Versuch in so einer Situation mal mit einer Airline zu telefonieren, um dein Geld zurückzubekommen. Es war ein Desaster. Immerhin, all die Jahre als Tourmanager und meine Erfahrung, etwa irgendwelche Container mit Pyrotechnik nach Australien zu verschicken, hatten mich bestens darauf vorbereitet, mir selbst einen Flug von Amerika nach Deutschland in der Mitte einer weltweiten Pandemie zu organisieren, hahaha. Und so machten wir uns dann auf einen Roadtrip von Portland die Küste entlang runter nach Los Angeles, und als wir am Flughafen ankamen, war immer noch nicht klar, ob der Flug stattfinden wird. Als wir ins International Terminal kamen, war da niemand. Alle Geschäfte waren zu, und als wir zum Gate gingen, saß da eine Frau mit zwei Kindern, die auch nach Europa fliegen wollten. Wir saßen dann mit neun Leuten in so einer Boeing. Es war wirklich Zombie-Apokalypse zu dem Zeitpunkt, es war richtig beängstigend.
Und dann warst du zurück in Berlin und hattest das, was manch andere Leute aus der Punk-Szene nicht von sich sagen können: Dass sie zumindest mal irgendwas durchgezogen haben und irgendeinen Abschluss haben.
Hahaha, ja, Hauptsache, was Anständiges gelernt! Meine Mama hatte recht! Da kannst du mal sehen, wie desolat unser Gesundheitssystem ist: Die Tatsache, dass ich zu dem Zeitpunkt seit 16 Jahren nicht in dem Beruf gearbeitet hatte, hat niemanden gestört. Ich habe diese Bewerbung mit Lebenslauf zusammengestellt und online gestellt und ungelogen, zweieinhalb Minuten später hat das Telefon angefangen zu klingeln. Alle wollten mich nehmen, und das liegt bestimmt nicht daran, dass ich eine Arbeitskraft mit viel Erfahrung bin. Es war einfach egal. Die haben einfach menschliche Körper gebraucht, die Stellen besetzen. Der Rest kommt dann sozusagen später. Aber Hauptsache, da ist jemand.
Was hast du die letzten zwanzig Monate gemacht?
Sackviel gearbeitet. Es war eine enorme Umstellung. Als Tourmanager arbeitet man auch sehr viel, und die Leute haben ja immer ganz fantasievolle Vorstellungen, was das für ein toller Job ist. In Wirklichkeit ist es so, dass man den ganzen Tag im Büro sitzt und versucht, Löcher zu stopfen.
Man ist also Katastrophenverhinderer?
Verhinderer und Ausbader. Das ist viel Arbeit, und wenn man auf Tour ist, dann geht das auch mal 24 Stunden am Tag. Man kommt da nicht raus, das Telefon muss immer an sein, weil wenn irgendwas passiert, muss man erreichbar sein. Da kann man nicht das Handy abschalten, weil die Bürozeit vorbei ist. Und kommt man irgendwann nach Hause, ist das alles nicht vorbei, denn erst mal ist Nachbearbeitung angesagt oder die nächste Tour muss schon vorbereitet werden. Also da hängt viel dran. Worauf ich nicht vorbereitet war: Dieses „9 to 5“ oder besser „5 bis 15 Uhr“ oder Nachtschicht im Krankenhaus. Ich dachte: Acht Stunden am Tag? Kein Problem. Ich habe ja bisher 24 Stunden am Tag gearbeitet. Null Problem. Aber ... das ist nicht vergleichbar damit, wie heftig acht bis zwölf Stunden im Krankenhaus sein können.
Ist es die Verdichtung der Arbeit in dieser Zeit?
Genau. Ich habe letztes Jahr um Weihnachten und Neujahr herum auf der Corona-Isolierstation gearbeitet in 12-Stunden-Schichten. Das war brutalste Knochenarbeit. Ich dachte, ich kann arbeiten, ich stecke das weg, aber das war wirklich heftig, vor allem diese hohe Frequenz: fünf, sechs Tage am Stück arbeiten, dann ein, zwei Tage frei. Das war eine extrem große Umstellung.
Merkt man da als Mittvierziger auch schon, dass der Körper nicht mehr so fit ist wie bei einem Mittzwanziger?
Aber 100%. Also was ich früher gemacht habe, am Abend ein Konzert spielen in der Schweiz, nachts durchfahren, selbst am Steuer, und morgens in die Frühschicht ... das wäre nicht mehr möglich. Man merkt diese Arbeit körperlich, und auch mental war das extrem anstrengend. Die wirklich große Umstellung für mich war aber dieser gefühlte Freiheitsverlust: Ich war Freiberufler, und natürlich war meine Arbeit sehr dominiert vom Zeitplan von anderen. Aber ich konnte trotzdem entscheiden, wann will ich nicht arbeiten, wann habe ich was anderes vor. Nun war ich aber in ein sehr engmaschiges System eingebunden, wo die Tätigkeiten vieler Leute sehr eng ineinandergreifen. Und wo jemand anderes das für dich diktiert hat. Ich habe kein Problem damit, mich einer Autorität unterzuordnen, also vom Tourmanager zum kleinen Rad in der Pflegekette zu werden, das hat mich überhaupt nicht gestört. Aber dieser Freiheitsverlust war schon eine Herausforderung ...
Du warst, wenn ich das etwas salopp ausdrücken darf, also Teil der angeblichen „medical tyranny“, von der Armand von SICK OF IT ALL vor einigen Wochen in einem Instagram-Post schrieb. Wie geht man mit so einer Aussage um?
Ich versuche, ein bisschen Empathie für so jemanden zu haben und mich nicht in diese Polemik hineinziehen zu lassen. Wir Menschen haben folgendes Problem: Wir können immer nur aus unserem eigenen Erfahrungsschatz und unseren eigenen vier Wänden heraus Dinge beurteilen. Das ist manchmal positiv, aber es ist sehr oft sehr negativ. Und wenn nun jemand wie er so privilegiert da sitzt, keine Todesfälle in der Familie hat oder nur Leute kennt, die sehr milde Verläufe haben, dann freut mich das für diesen Mann. Aber er ignoriert die Tatsache, dass es da draußen hunderttausende Menschen gibt, die überhaupt nicht diese milden Verläufe haben und die extrem dringend auf medizinische Hilfe angewiesen sind. Wenn man mal auf so einer Isolierstation arbeitet und sieht, wie rapide es bergab gehen kann mit jemanden, der sich infiziert hat – innerhalb von ein bis zwei Tagen oder manchmal sogar innerhalb von wenigen Stunden –, dann muss man sich natürlich ans Hirn fassen bei so einer Aussage. Und ich stelle mir die Frage, wie konnte es dazu kommen, dass wir gesamtgesellschaftlich überhaupt in so eine Situation kamen, wo Menschen so wenig Vertrauen in menschliche Errungenschaften haben.
Evidenzbasierte Medizin kann eben auch mal anstrengend sein.
Diese Krankheit ist so schwer einzuordnen. Die Leute haben so unterschiedliche Verläufe, so unterschiedliche Erfahrungen und so unterschiedliche Symptome. Das ist ein unberechenbares Ding! Ich vergleiche es immer mit Religion und dieser Angst, was passiert, wenn wir sterben: Wir wissen es alle nicht. Wir wissen alle noch viel zu wenig über COVID-19 momentan. Ich sage: Schauen wir doch mal in fünf Jahren und dann können wir uns alle unterhalten, was gut und was schlecht lief. Und bis dahin versuchen wir immer wieder nachzujustieren. Wie sich manche Leute in Dinge reinsteigern, das macht mir Angst. Und es ist schade, wenn Leute, die man mag und persönlich kennt, so abdriften. Das ist wirklich schwierig. Solche Leute glauben höchstwahrscheinlich, ich bin total gehirngewaschen. Vielleicht sitzen die zu Hause und empfinden Mitleid für mich, weil ich mich dem System so unterordne, hahaha. Wir müssen irgendwann versuchen, uns wieder zusammenzuraufen. Also versuche ich, da wirklich mit mehr Empathie ranzugehen und mich nicht durch dieses Clickbaiting hochpushen zu lassen und Dinge persönlich zu nehmen. Es geht ja immer um diesen Push, um das Agitieren und darum, Leute anzustacheln. Angestachelt und aufgeregt zu sein, ist meistens ein schlechter Ratgeber. Aber manchmal ist man schon aufgeregt, ich gebe es zu, haha.
Wie ist dein Ausblick für 2022, so ab dem Frühjahr? Hast du schon deine Kündigung vorbereitet, um wieder als Tourbegleiter und „Mädchen für alles“ mit Bands unterwegs zu sein?
Also ich habe noch keine Kündigung vorbereitet. Es ist einfach zu fragil momentan. Daran leidet die Branche, und sie hat die letzten zwei Jahre extrem gelitten, das weiß ja jeder, der das Ox liest. Leute, die nicht das Glück und das Privileg hatten, wie ich auf so eine genau in diese Situation passende frühere Ausbildung zurückgreifen zu können, für die war und ist es hart. Ich habe vorher mit Leuten zusammengearbeitet, die extrem gut ausgebildet sind. Beim Spazierengehen traf ich neulich einen Bekannten, der war einer der gefragtesten Videotechniker im Live-Bereich. Ein genialer Mann, der vorher Probleme gelöst hat, die sonst niemand lösen konnte, der hatte plötzlich null Aufträge. Der wusste vorher nicht, mit welchem Superstar er als Nächstes arbeiten wird, er konnte es sich aussuchen, und der sagte mir: „Ich habe keinen Auftrag.“ Wenn diese Leute sich alle Alternativen suchen mussten, wird die ganze Branche extrem darunter leiden. Speziell die Solo-Selbständigen wurden ja nur sehr unzureichend unterstützt. Das war eine lange Antwort auf deine kurze Frage. Nein, keine Kündigung, weil ich noch nicht sehe, dass wir eine gesicherte Situation haben, in der arbeitstechnisch so viel passiert, dass ich wieder davon leben könnte. Vielleicht halb/halb, aber bisher ist alles mit sehr, sehr großen Fragezeichen versehen.
Wer wird dann mitfahren, wenn BOYSETSFIRE, Nathan Gray, HOT WATER MUSIC wieder auf Tour kommen? Wenn die Leute, die die Touren jahrelang mit großer Erfahrung begleitet haben, das nicht mehr machen können oder wollen? Um so eine Tour überhaupt durchführen zu können, muss man doch einen guten Tourbus-Fahrer haben, einen erfahrenen Tourmanager. Was tun, wenn der langjährige Mercher jetzt als Busfahrer einen geregelten Job angenommen und den zu schätzen gelernt hat?
Die Leute, die versuchen, diesen Neustart zu organisieren, verschicken einen Haufen E-Mails und bekommen natürlich sehr unzureichende oder unbefriedigende Antworten. Weil alle anderen, die zuvor so einen Job gemacht haben, natürlich genauso wie ich die Kündigung auch noch nicht geschrieben haben. Alle in der Branche sind extrem traumatisiert durch diese die existenzbedrohende Situation. Die mussten erleben, dass sie gut oder auch sehr gut von ihrem Job leben konnten, und dann wussten sie von einem Tag auf den anderen überhaupt nicht mehr, wie sie über die Runden kommen sollen. Ich glaube, das wird alles noch sehr schwierig und zieht einen extremen Fachkräftemangel nach sich. Wer hätte gedacht, dass dieser Begriff im Kontext von Punkrock und Rock’n’Roll mal fallen würde? Und das wird alle in dem Bereich treffen. Ich bekomme mit, dass lokale Veranstalter schon Angst davor haben, keine Stagehands mehr zu finden. Wir reden von Fachkräftemangel bei Stagehands! Ich weiß nicht, wie viele von denen, die das früher mal gemacht haben, wieder da rein wollen und darauf warten, um drei Uhr nachts vom Produktionsleiter einer großen Band angeschrien zu werden, während sie im strömenden Regen 17 Trucks beladen. Vielleicht haben die längst einen Weg heraus gefunden aus dieser Situation und jetzt vielleicht ein besseres, geregelteres Leben.
Den entscheidenden Punkt sehe ich darin, dass da eine Menge Menschen entdeckt haben, dass das Tourleben zwar ein spannendes Abenteuer sein kann, aber einen Job zu haben, bei dem man jeden Tag mit der Familie und/oder Partner:in zusammen sein kann, auch ein Vorteil ist.
Ich muss sagen, dass all das auf einer ganz persönlichen Ebene für meine Entwicklung und in Ermangelung eines besseren Wortes in „spiritueller Hinsicht“ das Beste war, was mir passieren konnte. Also einfach mal eine Bremse reingehauen zu bekommen. Dieser Perspektivenwechsel weg von dieser sehr Ego-getriebenen Branche. Wobei dieses Ego-Ding ja in der Natur der Sache liegt, das meine ich wertfrei. Es geht da ja um jemanden, der etwas Künstlerisches schafft. Da stellt sich jemand auf eine Bühne, und Leute kommen und schauen sich das an. Diese Dynamik, die da entsteht, hat sehr viel mit Ego zu tun. Das hat natürlich auch einen Einfluss auf das, was hinter den Kulissen abläuft. Sich mal rauszunehmen aus dieser Welt und sich hineinzubegeben in eine ganz andere, wo jedem total egal ist, wer ich bin, Hauptsache, ich bin da. Und wo es um existenzielle Probleme geht, also um das Überleben. Diese Erfahrung empfand ich als erfrischend, denn ich kam aus einer Welt, wo alles schon so gut lief, dass man sich die Probleme selbst gemacht hat. Mein Lieblingsbeispiel: „Das ist die falsche Sorte Kokosnuss-Wasser. Wie soll ich heute ein Konzert spielen?“ Und jetzt war die Situation: „Ich hänge an einer Beatmungsmaschine, ohne die ich nicht mehr atmen kann.“ Und das war für mich auf menschlicher, ja spiritueller Ebene ein ganz grundsätzlicher Blick aufs Leben und damit eine positive Erfahrung – jenseits der menschlichen Schicksale, die damit verbunden waren und sind. Die Frage ist: Wie nimmt man das mit in die andere Welt? Oder stolpert man wieder genau in die gleichen Fallen rein, in die man vorher schon getappt war? Man entwickelt eben als arbeitende Kraft in diesem Bereich wie manche Künstler auch ein Ego: Man ist auf großen Produktionen, arbeitet mit zig Leuten, fährt mit sieben Bussen herum und glaubt irgendwann, man sei selbst ein „big shot“. Man kommt irgendwo an, kommandiert Leute herum, die Sachen für einen erledigen, und wenn man drei Flaschen Schnaps braucht, dann kommen die natürlich sofort. Das eigenes Ego wird immer mit aufgeblasen mit der ganzen Operation. Und da war es für mich sehr gut, dass mir das Universum mal so einen Nackenschlag verpasst hat. Womit ich nicht kleinreden will, was anderen Leuten aus der Branche da Dramatisches und für ihr Leben Einschneidendes passiert ist.
Kommen wir mal zum eigentlichen Anlass unseres Gesprächs – unsere Titelstory über HOT WATER MUSIC. Kannst du rekapitulieren, wann deine erste Begegnung mit denen war?
Das war das „Forever And Counting“-Album. Da waren die noch in einem Rechtsstreit um ihren Namen und mussten als THE HOT WATER MUSIC BAND auftreten. Kannst du dich daran erinnern?
Ja, ich hatte mir vor dem Interview mal die Ox-Rezensionen rausgesucht und war dabei auf die Besprechung von „Fuel For The Hate Game“ gestoßen, erschienen in Ox #27 von 1997: „Das Majorlabel Elektra setzte alles daran, dieser Band aus Gainesville in Florida ihren Namen abspenstig zu machen, weil sie wohl eine Formation mit dem gleichen Namen unter Vertrag haben. Und obwohl die Majorschweine ihre ganze Anwaltsmaschinerie in Bewegung setzten, mußten sie letztendlich einen Rückzieher machen. Gratulation! Doch zur Musik: Die ist im Falle der einzig echten HOT WATER MUSIC wunderschöner, eher behäbiger Emo-Hardcore à la AVAIL oder SAMIAM, und wegen mir auch JAWBREAKER. Kein verzagtes Gepiepse und Gezitter, sondern laute Gitarren und eher gröligen als verzagten Gesang gibt’s hier, und das ist mal eine sehr willkommene Abwechslung vom ewigen New Emo-Einerlei.“
Aaaaaahhhh ... Ich hätte noch FUEL genannt. Ja, das war wirklich ein Mix aus FUEL, AVAIL und SAMIAM. Ich hatte diese Platte auch. Meine erste visuelle Erinnerung an die Band verbinde ich mit dem JUZ Kirchheim, wo Julia Gudzent, die ja auch mal fürs Ox geschrieben hat, die Shows gemacht hat. Julia war die Szene-Queen von Kirchheim, das ist etwas außerhalb von München. Die Münchner Emo/Punk/Hardcore-Szene war ja immer schon a bissl posher. Eine reiche Stadt zeigt sich natürlich auch in der Subkultur. Wir waren eher so die Bauern vom Lande, a bissl dreckiger und a bissl proletarischer. Wir standen da im JUZ so herum und dann kamen diese sophisticated Münchner Emos mit ganz vielen Halsketten und so an. Die waren alle schon ein bisschen weiter als wir. Wir waren noch ganz schön „bauerig“ und die waren auf der Szene-Leiter schon weiter nach oben geklettert. Es war eine Show mit HOT WATER MUSIC, PROMISE RING und noch einer Band. HOT WATER MUSIC hatte Burkhard von Green Hell dazugebucht, das war deren erste Europatour, das muss 1997 gewesen sein. Jedenfalls kamen HOT WATER MUSIC da rein und alle: „Boah, die stinken!“ Und, hahaha, die haben wirklich gestunken! Und wir so: Das ist unsere Band! Die sind wie wir! Die stinken! Das war eine Instant-Lovestory. Wir haben die Band angesprochen, uns mit denen unterhalten, angefreundet. Und haben erfahren, dass sie sich eigentlich schon aufgelöst hatten, weil sie sich am Tag vorher auf einem Autobahnrastplatz gegenseitig auf die Fresse gehauen haben. Die Band war also aufgelöst, aber hatte noch vier Wochen Tour vor sich und konnte sich nicht leisten, vorher nach Hause zu fliegen. Letztlich haben sie sich dann innerhalb dieser vier Wochen wieder zusammengerauft und blieben eine Band. Aber in Kirchheim an diesem Tag war das „dead man walking“, da stand eine tote Band auf der Bühne.
Alle haben sich gehasst und sie haben trotzdem irgendwie gespielt.
Und wie die gespielt haben! Das weiß ja jeder, wie diese Band spielen kann und konnte. Immer schon. Ja, das ist meine „origin story“ zu HOT WATER MUSIC.
Was hat für dich diese Band musikalisch ausgemacht? Was war daran anders, neu? Das war ja letztlich das Fundament, auf dem der spätere Erfolg aufgebaut hat. Dass die Band dann 2002 während der Kölner Popkomm-Messe mit GET UP KIDS die Live Music Hall voll machte, dass ein Label wie Epitaph sie gesignt hat. Dass klar war: Okay, das ist nicht irgend so eine normale Band von vier Typen, die sich aufs Maul hauen und die nicht gut riechen, sondern da ist mehr dahinter.
Ich kann das insofern nachvollziehen, als dass die Band so ein genialer Melting Pot aus Sachen war, die ich gut fand. Und du hast in Gesprächen mit der Band gemerkt, das sind Musikliebhaber. Wenn du mit Chris Wollard gesprochen hast, mit Chuck Ragan, mit Jason Black, da spürtest du das. Die kannten jede Szeneband, klar, aber die haben jede Art von Musik angetestet und angehört, von Jazz über BB King bis zu RUSH. Aber die wussten auch als Amerikaner damals schon, wer LEATHERFACE sind, die kannten die erste SAMIAM-7“ – das waren richtige Musikliebhaber. Und du hast die spielen gesehen und wusstest, das ist organisch. Die sind wegen der Musik da. Und das ist ein Riesenunterschied zu vielem, was später passiert ist. Zu Bands, wo Musik quasi eine „carrier choice“ war, eine Karriereentscheidung. Wo Leute eine Band gegründet haben, weil sie das oder das haben wollten, wo die Musik zweitrangig war. Bei HOT WATER MUSIC war das nie so. Die wollten Musik machen, und die wollten alles, was sie gut fanden, da reinpacken und haben es trotzdem geschafft, dabei stringent zu klingen. Das ist ja die große Herausforderung, dass ein roter Faden drin ist. Den ganzen Platten hört man an, dass da immer dieser rote Faden vorhanden ist, aber auch viel Raum außen herum. Und sie haben sich nie selbst verloren dabei.
Die Besonderheit der Band macht für mich diese Kombination aus rauhen und melodiösen Elementen aus, und dazu die beiden Gesangsstimmen. Wobei ich ehrlich gesagt schon immer Probleme hatte auseinanderzuhalten, wer da gerade singt, Chuck oder Chris. Schaffst du das?
Ich konnte es ab dem Punkt, wo ich mit denen getourt habe. Da konnte ich bei den Gesprächen backstage irgendwann die Nuancen heraushören. Dann konnte ich plötzlich bei den Songs auseinanderhalten, wer wer ist. Aber man muss schon sehr genau hinhören. Was auch wieder ein Indiz dafür ist, wie sehr das alles ineinander verwoben ist. Bei HOT WATER MUSIC wird meiner Meinung nach extrem unterschätzt, wie gut die beiden Gitarristen sind, also auch Chuck und Chris. Es ist für jeden offensichtlich, wie wahnsinnig gut die Rhythmus-Sektion ist. Was George am Schlagzeug und Jason am Bass machen, da ist unbestritten, dass das eine der besten Rhythm Sections ist, die es im Rock gibt – nicht nur im Punkrock. Die beiden sind genial, aber die Leute unterschätzen, wie gut Chuck und Wollard an den Gitarren sind und wie sich das ineinander fügt. Wenn du mal auseinanderfummelst, was die spielen, das sind so wirre Sachen ... Aber in dem Moment, wo die zwei das zusammenbringen und man die Spuren übereinanderlegt, ist es genial.
Wenn man mit denen auf Tour ist, reden die untereinander über solche Aspekte, über ihre Musik? Oder spielen die das einfach und dann ergibt sich diese Genialität? Wird das reflektiert oder verbalisiert?
Gar nicht. Bei denen wird nicht gelabert, sondern es wird bei jedem Soundcheck gejammt. Aber es wurde nie darüber geredet. Hingegen wurde immer über andere Musik als die eigene geredet. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so Fan von Musik ist wie Chris Wollard. Wie begeistert der darüber spricht! Ich fand es auch immer spannend zu beobachten, wie es war, wenn HOT WATER MUSIC auf andere Bands trafen. Wollard wusste immer genau, wer das ist, er kannte jede Kassette von denen und war sich nie zu schade, das denen auch zu sagen. Der kennt dann auch Songs und Textzeilen. Ganz besonders ist mir das aufgefallen auf der gemeinsamen Tour mit SAMIAM und THE DRAFT. Wie begeistert Wollard davon war, mit SAMIAM auf Tour zu sein, wie sehr er die Band liebt, das war wunderschön zu beobachten. Und ihm zuzuhören, wie er über die Band spricht, mit der er gemeinsam auf Tour ist – auf Augenhöhe ist. Er hat sich nie unterworfen, so als Fanboy, sondern auf Augenhöhe und sehr inspiriert. Mich hat das sehr beeindruckt, dass jemand so über Musik spricht, so unzynisch und so unprätentiös.
Unprätentiös ist, finde ich, generell ein guter Ausdruck, um diese Band zu beschreiben. In meiner Rezension von 1997 tauchte ja das Wort „Emo“ auf, das längst eine ganz andere Bedeutung hat. Bands, die damals aus diesem Kontext kamen, wurden in der Folgezeit zu Popstars, aber HOT WATER MUSIC machen bis heute den Eindruck, eher so hemdsärmelige Typen zu sein, die mit einem alten, rostigen Handwerker-Van beim Konzert vorfahren.
Das ist bis heute 100% wahr. Authentizität kann ja auch ein Gimmick sein, eine Inszenierung. Sich authentisch zu inszenieren kann genauso künstlich sein wie David Bowie, der sich als Ziggy Stardust inszenierte. Also beides kann sehr authentisch sein, oder beides kann sehr inszeniert sein – selbst die Authentizität an sich. Es gibt kaum eine andere Band neben HOT WATER MUSIC, etwa STRIKE ANYWHERE, wo die Außenwirkung der Band so nah an der Wahrheit ist. Wo es so wenig Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität gibt. Es gibt Bands, da liegt zwischen dem Auftreten und der Realität ein Grand Canyon, und dann gibt es solche wie HOT WATER MUSIC. Keine Ahnung, was andere Leute noch in die hineinprojizieren, da gibt und gab es bestimmt Fehlinterpretationen.
Welcher Art?
Viele Leute waren damals sehr enttäuscht von diesem Wechsel zu Epitaph. Im Nachhinein, zwanzig Jahre später, lacht man darüber, dass das mal ein Thema war, dass die zu Epitaph gingen. Damals war das noch eine große Sache, da wurde fast schon von Verrat gesprochen. Dabei hatte damals der Typ von dem Label, wo sie zuvor waren, Doghouse, sein Label an Warner Brothers verkauft, aber das wusste niemand. Es hat niemanden interessiert. Aber HOT WATER MUSIC waren öffentlich und angreifbar. Und da wurde denen „Szene-Verrat“ vorgeworfen, denn die waren ja sehr DIY und im Untergrund verwurzelt. Der Sprung von da auf die Bühnen von großen Festivals und auf die Popkomm-Stage, der kam nicht überall gut an. Das wurde denen übel genommen, da wurde viel reinprojiziert, die Leute hätten die gerne länger im besetzten Haus gehabt. Da wurde nicht gesehen, dass das eine Arbeiterklasse-Band ist, die es sich nicht leisten kann, künstlich klein zu bleiben. Um es mal mit FUGAZI zu vergleichen, mit denen es ja musikalisch viele Überschneidungen gibt, also die „dual vocals“ und die Gitarrenarbeit und die Rhythmussektion. HOT WATER MUSIC hatten nie den finanziellen Background eines Ian MacKaye mit seiner jahrelangen Labelarbeit, um zu allem rigoros nein sagen zu können. Wie immer bei solchen Diskussionen haben die Leute die Feinheiten nicht so genau betrachtet, da wurde in HOT WATER MUSIC viel hineininterpretiert. Heute lachen die allermeisten Leute aber wohl darüber, was damals diskutiert wurde, und finden genau diese Platten geil.
Wie wichtig waren – und sind – für eine Band wie HOT WATER MUSIC diese Europatouren, um unterm Strich das Jahr über seine Rechnungen bezahlen zu können?
Das ist für die ein großer Anteil. Sie sind eine der Bands, die international sehr gut funktionieren, also auch in den USA. Das ist ja nicht bei allen Bands so. Wir erinnern uns alle an die SLAPSHOT- und SHEER TERROR-Europatouren – die haben ein Konzert im Jahr in Amerika gespielt. HOT WATER MUSIC funktionieren hingegen international und in ihrem Heimatland hervorragend. Die verschiedenen Möglichkeiten sind alles Bausteine, um übers Jahr zu kommen. Für viele Bands ist der Festival-Markt in Europa ganz, ganz wichtig. Hier ist es möglich, in kürzester Zeit auf diesen Festivals sein Geld zu verdienen.
Nun ist es so, dass Bands ihre verschiedenen Phasen haben. Für mich waren HOT WATER MUSIC immer eine herausragende Band, sonst wären sie jetzt nicht wieder auf dem Ox-Cover. Aber bisweilen stelle ich fest, dass meine Maßstäbe, was eine „angesagte“ und „große“ Band ist, sich nicht immer mit der Realität decken. Da füllen andere Bands, die ich gar nicht so recht auf dem Schirm hatte, plötzlich die großen Hallen, und bei anderen Bands findet verblüffenderweise das Konzert in einem kleineren Club statt als noch ein paar Jahre zuvor. Eine Band, die immer eine „Nummer“ war, ist Menschen, die zwanzig Jahre jünger sind, nur noch dem Namen nach bekannt. Wie geht eine Band damit um? Wie erlebst du das?
Das ist bei vielen Bands dieser Generation so, etwa auch bei BOYSETSFIRE. Wobei da interessanterweise die Kurve immer noch so leicht nach oben ging die letzten Jahre, anstatt nach unten. Ich glaube, die Bands lernen ein paar Sachen über die Jahre, das habe ich beispielsweise bei BOUNCING SOULS gesehen. Etwa, dass weniger mehr ist, im Sinne von live spielen. Das heißt, die rücken ab von diesem extremen, vielen wochenlangen Touren. Und es geht hin zu weniger spielen, das aber besser bezahlt wird. Das ist einerseits dem geschuldet, dass die meisten von denen mittlerweile ein Leben neben der Musik haben, Familie, vielleicht sogar einen anderen Job nebenbei. Und so spielen die nicht eine Woche lang in Kalifornien, sondern einmal beim Punkrock Bowling-Festival in Las Vegas. Und dazu vielleicht noch eine Show davor. Damit verdienst du genauso viel, als wenn du eine ganze Woche unterwegs bist. Das sieht man in Europa auch, die Touren werden kürzer, die Zeiten sind vorbei, als man vier bis sechs Wochen am Stück unterwegs war. Als ich in dem Job anfing, war das normal. Heutzutage würde man sich an den Kopf fassen. Da würde jeder sagen, du „überspielst“ den Markt. Deshalb also mehr punktuelle Auftritte, und dadurch ist der eventuelle Rückgang der Besucherzahlen nicht so groß, weil die Leute dann zu diesen wenigen Shows von weit her kommen.
Es geht also darum, aus den wenigen Konzerten stärker ein Event zu machen.
Genau. Nimm diese anstehende Tour mit SAMIAM, HOT WATER MUSIC und BOYSETSFIRE, das wird genau so was sein. Kannst du dich noch erinnern, wie das früher auf dem Land war oder heute vielleicht noch ist? Wo in der Kleinstadt in der Mehrzweckhalle drei Acts spielen wie STATUS QUO, Suzi Quatro und der Hausmeister von T. REX, der sich den Namen erschlichen hat? Wenn da so was stattfindet, ist die Halle voll! Und ich merke, dass wir auch in unserer Szene, in unserer Subkultur eine Stufe erreicht haben, wo Bands ab einem gewissen Alter auf so einer Event-Basis sehr, sehr gut funktionieren. Wo sich die Leute im Vorfeld überlegen, ob sie zu einer Show mit HOT WATER MUSIC und einer jungen Band überhaupt hingehen sollen. Aber SAMIAM, HOT WATER MUSIC und BOYSETSFIRE ...? Boah ...! Und dann kommen die alten Kumpels auch mal wieder mit auf ein Konzert. Und wenn man diese Entwicklung dahin würdevoll macht, kann ich nicht viel Schlechtes daran finden. Von den HOT WATER MUSIC-Fans wären wahrscheinlich kaum welche beleidigt, wenn die ein paar Jahre keine neue Platte machen. Dass die neue Platte so gut ist, ist natürlich großartig. Vor allem für mich, weil ich die rausbringen darf auf meinem Label. Aber ich glaube, es waren EARTH CRISIS, die vor ein paar Jahren einmal gesagt haben, sie werden keine neue Musik mehr veröffentlichen, weil sie der Meinung sind, die Leute wollen sowieso immer die gleichen drei Songs hören, „Firestorm“ und noch zwei. Wenn sie zweimal im Jahr bei so einem Hardcore-Festival spielen, bräuchten sie keine neue Platte. Das fand ich sehr erfrischend und ehrlich, dass das mal eine Band sagt. Umso schöner finde ich es da, wenn HOT WATER MUSIC sagen, wir haben aber eine neue Platte. BON JOVI machen ja auch immer noch neue Platten, obwohl niemand eine neue BON JOVI-Platte braucht. Aber BON JOVI wollen wieder im Olympiastadion spielen, und das funktioniert besser, wenn Plakate rumhängen für eine neue Platte. Wir haben eine Situation erreicht im Musikmarkt, wo eine neue Platte der Flyer für die Tour ist, mit der die Band dann wirklich Geld verdient. Wenn wir mal ehrlich sind: Mit der Platte verdient kein Schwein mehr Geld. Man erreicht den Breakeven oder macht ein paar Hundert Euro plus. Geld verdient man live und mit dem T-Shirt-Verkauf. Da stehen wir mittlerweile. Bei HOT WATER MUSIC finde ich es schön, dass die Platte zwar der Flyer ist für die Tour, aber es ist ein verdammt guter Flyer. Oder wie findest du das neue Album?
Gut! Ich gestehe aber auch, dass ich bei manchen Bands ein naiver Fanboy bin und mich einfach freue, dass da ein neues Album ist.
Ich muss ehrlich sagen, dass mir die letzten zwei HOT WATER MUSIC-Platten nicht so gut gefallen haben wie jetzt die neue. Man merkt der Band den frischen Wind an, und das liegt an verschiedenen Faktoren. Man merkt den Einfluss von Chris Cresswell, der hat da frisches Blut reingebracht. Man merkt der Platte und den Videos an, dass die Band Spaß hat an dem, was sie da macht.
Wir hatten letztes Jahr ein Interview mit Chris Wollard im Heft und da konnte man schon herauslesen, dass er harte Zeiten hinter sich hatte. Man muss ja als Musiker nach so vielen Jahren auch noch wollen. Die Typen, die sich damals auf Tour aufs Maul gehauen haben, warum wollen die heute immer noch zusammen eine Band haben und eine Band sein? Wenn der finanzielle Aspekt nicht mehr allein ausschlaggebend sein kann.
Alchemie ist nicht ersetzbar. Jeder von denen macht ja noch was anderes. George Rebelo spielt auch bei den BOUNCING SOULS. Jason hat schon bei allen möglichen Bands gespielt, lustigerweise sogar mal bei MODEST MOUSE. Was Wollard und Chuck so machen, weiß ja jeder, SHIP THIEVES und so weiter. Die Chemie, die HOT WATER MUSIC ausmacht, die kannst du durch nichts ersetzen. Wenn man diese vier Tinkturen miteinander vermischt, hat man was Magisches. Ich glaube, das kann für Musiker zur Sucht werden. Wenn du das einmal erlebt hast und weißt, wie das ist, dann nimmst du auch auf dich, dass die Zeit im Labor anstrengend ist. Denn du weißt ja, das Ergebnis ist sehr befriedigend. Also das muss es sein, denn was soll es sonst sein? Da sind wir wieder bei der Liebe zur Musik, denn das Geld kann es nicht sein. Wenn die wollten, könnten sie bessere Jobs mit besseren Benefits haben.
„Amour fou“ nennen das die Franzosen, wenn Menschen nicht voneinander lassen können, auch wenn es zwischenzeitlich destruktiv ist. There’s a fine line between pleasure and pain ...
Wenn am Ende der Pleasure-Part prozentual über dem Pain-Level liegt, dann funktioniert es, ja. Ich erlebe das oft, dass Menschen künstlerisch tolle Sachen machen. Aber nur in gewissen Konstellationen machen sie etwas richtig Großartiges. Damit will ich bei HOT WATER MUSIC keine Solosachen runtermachen, aber es ist was super Besonderes, wenn die vier Typen aufeinandertreffen. Übrigens merkt man auch, wenn jemand von denen nicht da ist. Also wenn zum Beispiel George mal nicht bei einer Show Schlagzeug spielen konnte. Dann saß da zwar auch ein großartiger Schlagzeuger, aber es es war eine andere Band.
Auf was freust du dich am meisten, wenn die Band wieder rüberkommt?
Ich freue mich darauf, mit Wollard über irgendwelche obskuren Bands zu sprechen, die nur wir beide abfeiern. THE JONES oder eine andere seltsame englische Band mit Dickie Hammond an der Gitarre, hahaha. Das ist es meistens, worauf es rausläuft. Und ich freue mich darauf, wenn sie diesen neuen Song „Turn the dial“ mit Chris Cresswell am Mikro spielen. Nach all den Jahren hat die Band da noch mal was komplett Neues gemacht. Es ist nur diese einzige kleine Komponente, dass die beiden mal nicht singen, sondern Cresswell – wie anders und doch gleich die Band da klingt. Das ist der Moment, in dem ich weiß, warum diese Band noch mal eine Platte machen musste. Das Album hat viele vertraute Momente, aber wenn sie, wie der Amerikaner sagt, einen Curveball werfen, dann wird es spannend. Weil das Lied zunächst so total komisch klingt, sich dann aber doch wieder einfügt. Ich bin mega gespannt auf die Reaktionen und wie der Song live kommt.
HOT WATER MUSIC waren in der zweiten Hälfte der Neunziger der Nukleus einer ganzen Szene. No Idea Records aus der Universitätsstadt Gainesville in Florida hatte damals ja kaum jemand auf dem Plan. Und plötzlich gab es gefühlt zig Bands mit diesem HOT WATER MUSIC-Sound. Ja „Gainesville-Sound“ war eine Genre-Bezeichnung. Und das „Fest“ wurde als Festival zum weltweiten Treffpunkt eine bestimmten Teils der Punk-Szene. Und im Zentrum von all dem stehen HOT WATER MUSIC ...
... als Schirmherren, ja. Und man könnte sogar sagen, man weiß, wie 99% der Fans da angezogen sind und aussehen, hahaha. Das ist faszinierend. Aber ich fürchte, so ein Phänomen wie dieses haben wir hier leider zum letzten Mal erlebt. Nämlich wie extrem kraftvoll und schön lokale Szenen sein können. Ich glaube, das werden wir so nicht mehr sehen. Und ja, klar, da klangen viele Bands wie HOT WATER MUSIC, aber genauso wie sie von HOT WATER MUSIC beeinflusst wurden, haben diese Bands auch wieder HOT WATER MUSIC beeinflusst. In diesen Bands waren ja nicht nur Leute, die zehn Jahre jünger, sondern auch welche, die zehn Jahre älter sind. Die haben HOT WATER MUSIC zu dem gemacht. Und dass man das an so einem kleines Nukleus festmachen kann, das fasziniert mich. Und Gainesville, die College-Stadt, die hat ja auch noch all diese kleinen Städte drumherum, daher kommen zum Beispiel AS FRIENDS RUST.
ANN BERETTA und AVAIL hat man auch gerne da reingepackt, dabei sind die aus Richmond, Virginia, ein paar hundert Kilometer die Ostküste hoch.
Ja, das war dann durchaus auch so ein Ostküstending. Aber wie gesagt, ich glaube, das haben wir damals in den Neunzigern das letzte Mal gesehen.
Weil das Internet alles nivelliert hat und solche lokalen Szenen damit an Bedeutung verloren haben?
Ja, jetzt kannst du in Zwiesel sitzen oder in Solingen oder in Alaska und du kannst, wenn du auf japanischen Grindcore stehst, deine Band auch so klingen lassen. Du bist nicht mehr hauptsächlich von dem beeinflusst, was um dich herum stattfindet, sondern worauf du Zugriff hast – und du hast auf alles Zugriff und pickst dir alles raus, was du haben willst.
Ich bin Weintrinker, und da ist immer von „Terroir“ die Rede: Die Erde, der Boden, die Felsen bestimmen den Geschmack eines Weines von einem speziellen Hang, der ist einzigartig. Und demgegenüber stehen billige Mischweine, die unter einem gängigen Markennamen zu einem jahrein, jahraus gleich schmeckenden Wein zusammengemischt werden, der dem Massengeschmack entspricht.
Terroir ... wie schön das sein kann. Es ist eine traurige Entwicklung, dass uns das verlorengehen wird. Daran führt kein Weg vorbei. Und das mag ich an HOT WATER MUSIC, dass sie für die subkulturelle Eigenart einer Region stehen. Eine Band als letztes Überbleibsel einer Sache, die einst so beschworen wurde. Ian MacKaye war es einst, der Discord mitgegründet hatte, um die Szene von Washington zu dokumentieren, und zu den Bands aus Detroit sagte, die sollten lieber was eigenes machen, auf Touch & Go veröffentlichen. Und SST soll die Bands aus L.A. machen und dann wollten die in Detroit, die sollen das machen. Wir haben aber nur Bands von uns rausgebracht. Einerseits dieses Regionale, aber trotzdem mit anderen zusammenarbeiten – das war ein ganz toller, wunderschöner Gedanke, der uns aber leider wohl abhandenkommen wird.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #133 August/September 2017 und Wolfram Hanke
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #161 April/Mai 2022 und Joachim Hiller