OI POLLOI

Foto

Auf Konfrontationskurs gegen Nationalismus

Angesichts der derzeit lebhaft geführten „Grauzonen“-Diskussion – es geht bei dieser um die Nähe oder Ferne von Oi!- und Deutschrock-Bands zu Rechten – gehen mir viele Oi!-Bands mittlerweile gehörig auf den Sack. Klare Stellungnahmen? Oft Fehlanzeige! Ganz anders verhält sich das bei OI POLLOI, die trotz ihres missverständlichen Namens allerdings weder Oi! noch unpolitisch sind. Sänger Ruairidh MacAllen, kurz Deek genannt, ist der Kopf und das einzige noch aktive Gründungsmitglied der 1981 in Edinburgh gegründeten Band und wird heute begleitet von seinen langjährigen Kollegen Olssen (Gitarre), Oigridh (Bass) und Tongs (Schlagzeug). Es tat gut, einen Schriftwechsel mit jemanden wie Deek zu führen, der meine Punk-Philosophie weitgehend teilt. Ab Februar ist das schottische Anarchopunk-Urgestein erneut auf ausgiebiger Europatour – geht hin! Und lest.

Deek, wer oder was ist OI POLLOI heute?

Es gab Zeiten, da schien OI POLLOI eher einer Fußballmannschaft zu gleichen, mit mir als Spielführer, so hoch war die Fluktuation in der Band. Seit etwa zehn Jahren, spielen wir in der heutigen, und wie ich finde, perfekten Besetzung. Um eines klarzustellen, OI POLLOI ist nicht eine dieser Bands, deren einziges Gründungsmitglied – in der Regel der Sänger – alle Entscheidungen fällt und den größten Teil des Geldes abkassiert, während die anderen Musiker nur so etwas wie „Angestellte“ sind. Bei uns läuft das wie bei jeder anderen Band auch: Ist irgendjemand mit irgendetwas nicht zufrieden, wird das anders gemacht. Jeder hat seine Aufgaben: Während ich die meisten Gigs klarmache, kümmert sich Olssen um das Artwork der Veröffentlichungen, während Tongs für die gesamte Kulisse verantwortlich ist.

Ihr tourt seit Ewigkeiten auf D.I.Y.-Niveau. Würdest du nicht endlich saubere Hotelzimmer mit funktionierenden sanitären Anlagen autonomen Zentren und besetzten Häusern vorziehen?

Viele besetzte Häuser und autonome Zentren sind sauber und keine Müllhalden, wenngleich ich dir auch jede Menge Horrorgeschichten erzählen könnte. Spannender aber sind die interessanten Geschichten hinter den faszinierenden Menschen, die in diesen verrückten Häusern leben und ihre Ideen umsetzen. Wenn man so tourt wie wir, lernt man ständig neue Leute an neuen Orten kennen, tauscht Informationen und Ideen aus. Gespräche dieser Art würden ganz bestimmt nicht in einem Hotelzimmer zustande kommen. Anders würde es für OI POLLOI auch keinen Sinn machen, auf Tour zu gehen. Um es in den Worten einer Booking-Agentur zu sagen: „Willst du’s richtig machen, mach’ es lieber gleich selbst.“ Ganz unsere Philosophie! Deshalb ist diese Tour auch wieder komplett von uns selbst organisiert.

Was wollt ihr als Anarchopunk-Band eurem Publikum vermitteln?

Unsere Botschaften und Gedanken spiegeln sich in den Texten und Sleevenotes wider, die wir praktisch so auch in unseren Lebensstil umsetzen. Wir spielen so oft wie nur möglich auf günstigen und kostenlosen D.I.Y.-Konzerten und -Festivals, die sich gegen Rassismus, Sexismus oder Schwulenfeindlichkeit richten. Unsere Platten verkaufen wir zu fairen Preisen. Die Band ist eine Art Transportmittel, um anarchistische Ideen unter die Leute zu streuen. Wir unterstützen Aktionen in Form von Solidaritätskonzerten und Beiträgen auf Benefiz-Samplern. Aber machen wir uns nichts vor, in einer Punkband zu spielen, ist sicher nicht der effektivste Weg, anarchistische Ideen zu verbreiten oder gar das System ins Wanken zu bringen, aber nur indem wir unsere Musik machen, tragen wir ein kleines bisschen dazu bei, diese positive Ideologie unter die Leute zu bringen.

Was ist an deinem Leben als Anarchist so anders?

Es ist lediglich der Versuch, kein Lebewesen auf diesem Planeten zu verachten und die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Darunter verstehe ich eine gesunde Autoritätskritik, Dinge zu hinterfragen und seinen kleinen Teil beizutragen, um den Mist zu bekämpfen. Und wenn es nur der Verzicht darauf ist, jeden Abend vor der Glotze zu sitzen, keine Soap und kein Chemiebier großer Brauereien zu konsumieren, die rechte Parteien unterstützen. Schreibe stattdessen an politische Gefangene ins Gefängnis und verzichte am Sonntag auf ein Steak und bereite dir leckeren veganen Linseneintopf zu. Seinen Lebensstil zu ändern bedeutet zwar noch lange nicht, das System zu stürzen, aber alle politischen Punks sind im gleichen Konflikt und wissen, was damit gemeint ist.

Was hat sich in deiner persönlichen Lebensweise seit der Bandgründung verändert?

1981 war ich ein Teenager und ging noch in Edinburgh zur Schule. Heute bin ich mit meiner festen Partnerin zusammen und wir haben eine gemeinsame Tochter. Ich lebe in einem anderen Land, Finnland, in dem ich viele Erfahrungen gesammelt habe. Als Veganer war ich schon immer instinktiv gegen das Ausbeuten von Tieren. Mit dem Älterwerden hat sich nur die Philosophie weiterentwickelt.

Wie denkst du heute über England und die Beziehung zu Schottland, die ja schon immer konfliktbeladen war und auch heute noch unter dem Zeichen von Autonomiebestrebungen steht?

England ist ein wunderschönes Land. Traurig bin ich über die steigende Umweltzerstörung. Hängt also nicht nur in London ab, sondern besucht die viel interessanteren Naturdenkmäler. Heute denke ich viel positiver über England. Zwischen England und Schottland wird es immer eine spannungsgeladene Beziehung geben. Engländer und Schotten haben viel gemeinsam, aber auf politischer Ebene ist leider nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen. Während ich Zuneigung für viele Engländer hege, muss ich traurigerweise gestehen, dass ich das von der englischen Regierung nicht behaupten kann. Die Geschichte Schottlands mit all ihren Opfern, die durch die Politik aus London verursacht wurde, ist entsetzlich. Als ich nach Edinburgh kam, wurde ich in der Schule als englischer Bastard bezeichnet, nur weil ich mit englischem Akzent sprach. Das passiert, wenn Menschen nicht zwischen einzelnen Individuen und Politik unterscheiden. Grenzen verlaufen nicht zwischen Ländern, die echten Grenzen verlaufen zwischen den Herrschenden und den Beherrschten. Erinnert euch daran, wer der echte Feind ist, und lasst euch nicht vom fremdenfeindlichen Patriotismus ablenken. Je schneller das United Kingdom zerfällt, desto besser. Hinter einem „Groß-Britannien“ steckt Größenwahn, das erinnert zu sehr an ein Reich. Je früher das alles ein Ende hat, umso besser für alle Beteiligten.

Ihr habt Texte in Gälisch, aber was bedeutet es dir, in Gälisch zu singen?

Gälisch zu singen ist für uns ein Menschenrechtsanliegen. In der Grundschule wurde ich geschlagen, weil ich statt Englisch Gälisch sprach, während die anderen Kinder in Edinburgh nie die Möglichkeit hatten, die Sprache zu erlernen. Das ist doch nicht richtig. Jede Sprache hat ihre Berechtigung. Tragisch und unmenschlich ist es, wenn eine Sprache erzwungenermaßen verschwindet. Repressionen gegen Gälisch sprechende Menschen gibt es seit Jahrhunderten. Deshalb wollen wir uns mit unseren Texten diesen Menschen gegenüber solidarisch zeigen. Alle Sprachen sind etwas Besonderes. Gälisch ist in unserer Gegend die Sprache, die am wenigsten gesprochen wird. Klar, dass wir uns dieser Sprache widmen, um sie zu erhalten. In Zusammenhang mit Sprachen und Menschenrechten sind wir sehr von der Arbeit von Dr. Tove Skutnabb-Kangas beeinflusst worden. Ich empfehle ihr Buch „Linguistic Genocide in Education or Worldwide Diversity and Human Rights?”. Die deutsche Punk-Szene könnte davon profitieren.

Ich nehme an, dieser Hinweis geht an gewisse bekloppte Typen in Deutschland, die euch wegen der Verwendung des Gälischen eine nationalistische Haltung vorwerfen.

Ja, und wir finden es bedenklich, dass sie damit Probleme hat, was unserem Wunsch nach einer multikulturellen Gesellschaft entspricht, in der alle Sprachen respektiert sind und Menschen nicht gezwungen werden, nur Englisch zu sprechen,. Da wird in deutschen Punk- und Politik-Foren über Gälisch als „völkischen Dreck“ gesprochen und dass wir verrückt wären, diesen „Dreck“ nicht aussterben zu lassen. Nicht die Sprache, sondern Kindern wird der „gälische Dreck“ herausgeprügelt. Wer entscheidet, ob Deutsch oder Englisch offensichtlich die Sprachen sind, die angewendet werden dürfen oder nicht? Eine der bewegendsten Geschichten, die ich jemals gelesen habe, ist die gälische Kurzgeschichte von Iain Mac a‘ Ghobhainn über Auschwitz. Mehr Menschen sollten die Gelegenheit haben, solche Geschichten zu lesen, und nicht weniger. Sowieso gibt es nur wenig Medien und Texte in Gälisch, und es gibt zwar auch ein paar gälische Fernsehprogramme, aber deren Budget ist so gering, und zudem werden die meisten Sendungen erst gegen Mitternacht oder später ausgestrahlt. Auch aus diesem Grund gibt es Punkrock-Bands, die gälische Texte haben, wie NA GATHAN, ATOMGEVITTER oder OI POLLOI.

Weshalb ist der Nationalismusvorwurf deiner Meinung nach so absurd?

Weder gibt es eine gälische Nation noch erheben Gälisch sprechende Menschen Anspruch auf ein eigenes Land, in dem wir unsere Sprache sprechen dürfen. Ich denke, dass dieser Vorwurf mal wieder so ein schwachsinniger antideutscher Mist ist. In Freiburg fragten sie uns bei einem Konzert sogar, warum wir nie die „Gälische Flagge“ anzünden. Nun, es gibt schlichtweg keine! Nicht, dass ich von Deutschen erwarte, dass sie sich in der schottischen Geschichte, Politik und Sprachforschung auskennen müssen, aber dann sollen sie doch bitte derart dumme Beschuldigungen sein lassen, wenn sie schon nicht wissen, wovon sie da sprechen. Mehr Beispiele gefällig? Als wir in Bremen ein Stück mit gälischem Text spielten, bekam unser Gitarrist eine Flasche ins Gesicht geschlagen und wurde als verdammter schottischer Nationalist beschimpft. Wir singen manche Lieder auf Gälisch, verwenden keltische Knotenmuster für Plattencover und spielen gelegentlich mit schottischen Kilts. Grund genug für irgendwelche Arschlöcher einer Zeitung aus Halle zu behaupten, dass wir schottische Nationalisten wären. Dabei haben wir Texte wie „The only flag we need is the black and red flag“ und unsere Website sollte unmissverständlich klarstellen, dass wir Anarchisten sind, was dann aber wieder so interpretiert wurde, dass wir „Nationale Anarchisten“ wären ... Ein anderes Mal verglich man uns mit einer Punkband aus Bayern, die in ihrem Dialekt singt und in Lederhosen und Dirndl auftritt. Lustige Vorstellung, aber derart absurde Vergleiche zeigen, dass wir total missverstanden werden. Bayrisch ist ein Dialekt einer großen Sprache – Deutsch – während Gälisch von einer schottischen Minderheit gesprochen wird. In Deutschland ist das vergleichbar mit Sorbisch, einer slawischen Sprache, die nur noch in einigen Regionen Ostdeutschlands von wenigen tausend Menschen gesprochen wird. Als wir die Anti-Deutschen fragten, ob denn eine Band, die Sorbisch singt, lieber auf Hochdeutsch singen sollte, fiel ihnen nichts mehr dazu ein. Wir sind Internationalisten! Es ist uns zwar nicht wichtig, aber unsere Herkunft ist ziemlich unterschiedlich: Olssens Familie stammt aus Schweden, Oigridh ist ein Nachkomme eines berühmten Generals des amerikanischen Bürgerkriegs, General Lee, und Tongs kommt aus einer jüdischen Familie – und meine Wurzeln sind irisch.

Gibt es deiner Meinung nach denn einen „gesunden Lokalpatriotismus“?

Das Wort „gesund“ in Verbindung mit „Patriotismus“ ist Blödsinn! Ich habe genug von diesem „stolz darauf sein, wo man lebt“, was lediglich zu sinnloser Gewalt führt – und das sogar innerhalb der Punk-Szene! Ich finde es interessant, verschiedene Dialekte zu erlernen: Yorkshire, Edinburgh, Aberdonian „Doric“ Schottisch. Ich versuche immer dort, wo ich gerade lebe, den Dialekt zu verstehen und zu erlernen. Das hat mit Patriotismus nun wirklich nichts zu tun.

Auch mit Antisemitismus-Vorwürfen musstet ihr in der Vergangenheit kämpfen, weil ihr Kritik an Israel wegen des Krieges im Gazastreifen übt.

Ja, aber solche Kritik äußern auch Attila The Stockbroker oder PROPAGANDHI. Wir spielten in Edinburgh mit PROPAGANDHI und sprachen mit ihnen darüber. Sie haben ein Stück über die Situation in Palästina geschrieben, weisen auf ihrer Internetseite auf „Electronic Intifada“ hin und bieten auf ihren Konzerten Literatur von Norman Finkelstein an. Der ganze Ärger für uns fing damit an, als wir im KTS in Freiburg ein ganzes Zimmer voll mit Plakaten für eine Pro-Israel-Demo fanden, auf denen unter anderem Slogans wie „Fuck The Palestinians“ standen. Derartiger Rassismus verursacht bei uns Übelkeit. Also gingen wir auf die Bühne und sprachen ausführlich und sehr kritisch über die Situation in Palästina und die „Solidarität mit Israel“. Dabei verbrannten wir eines dieser Plakate. Schon gingen Gerüchte durchs Internet, dass wir auf jedem Konzert Israel-Flaggen verbrennen würden, was definitiv nicht stimmt. Auf unseren Konzerten verbrennen wir die Flagge der Nation, in der wir gerade spielen und manchmal auch den Union Jack. Es gibt nichts Lächerlicheres als Leute in Europa, die Punk mit dem Union Jack in Verbindung bringen. Nationale Flaggen haben im Punk definitiv nichts zu suchen! Manchmal verbrannten wir auch das US-Banner, weil einige ehemalige Bandmitglieder vom Versprechen der Treue und dem Schwur auf die Flagge in ihrer Schulzeit angepisst waren. Ironischerweise forderten uns einmal israelische Punks in Deutschland auf, eine Israel-Flagge zu verbrennen, was wir jedoch verweigerten. Die meiste Kritik, die ich an den Anti-Deutschen übe, ist die simple Verweigerung, die Tatsachen zu akzeptieren. Diese decken sich nämlich nicht mit ihrer verzerrten Weltanschauung. So bezeichnen die Leute aus Halle die israelischen Massaker, die DIR YASSIN, QIBYA oder wir beschrieben haben, als „Halluzinationen“. Wir begeben uns einmal mehr auf einen sehr gefährlichen Weg, wenn wir diese Art Geschichtsrevisionismus betreiben.

Und wie denkst du über religiöse Entwicklungen wie in der Schweiz, in der man sich gegen den Bau von Minaretten entschieden hat?

Am liebsten wäre uns ein Ende all dieser Gebäude, egal, ob Minarett oder Kirchturm. Wäre es nicht längst an der Zeit, dass die Menschen endlich damit aufhören, sich lächerlichen Religionen zu unterwerfen? Organisierte Religionen sind sinnlos und gefährlich. Wir halten nichts von Extremismus, egal, von welcher Religion dieser ausgeht, befürchten jedoch, dass Entwicklungen wie in der Schweiz eher gewaltsam enden werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass Religionen in keiner Weise zur Menschlichkeit beitragen. Der Glaube an all diesen irrationalen Mist macht die Menschen für jegliche Art von Manipulation anfällig. Die Führer haben leichtes Spiel und missbrauchen die Leute für ihre „heilige Mission“. Sicher gibt es auch religiöse Menschen, die wirklich Gutes tun. Doch auch wenn es vernünftige Ansätze in all den Heiligen Schriften gibt, lässt es sich nicht verleugnen, dass in den großen Weltreligionen auch unglaublich viel Rassistisches, Frauen- und Menschenfeindliches existiert. Das macht es so einfach, Menschen gegeneinander im Namen der Religion zu mobilisieren. Die Welt wäre besser ohne diesen lächerlichen Aberglauben.

Inwieweit hat sich OI POLLOI den Gegebenheiten der Szene angepasst?

OI POLLOI appellieren an verschiedene Szenen und unterscheiden sich dadurch von vielen Punkbands. Manchmal spielen wir nur vor antifaschistischen Skinheads, dann wieder nur vor Straßenpunks oder auf Crust-Festivals. Da wir in all diese Szenen hinein passen, kümmern wir uns nicht um Mode, sondern interessieren uns viel mehr für die Musik und die Ideen, die dahinterstecken. Früher trug ich mal einen Iro, dann Dreadlocks oder rasierte mir die Haare ab. Heute sehen wir alle ziemlich normal aus. In Marseille sorgten wir bei den antifaschistischen Skinheads für große Verwirrung, als wir mit unseren Haaren und unserem ungepflegten Aussehen auftauchten. Alles verstummte. Später habe ich dann gehört, dass sie untereinander tuschelten: „Wie, das sind OI POLLOI? Sind die aber scheiße angezogen!“ Die Uniformierung der Szenen ist uns total egal. Jeder wie ihm beliebt. Leben und leben lassen!

Leider vermisse ich bei vielen alten Bands den Anspruch, sich weiterzuentwickeln. Mein Eindruck ist, sie drehen sich Jahr für Jahr nur um sich selbst. Was willst du mit OI POLLOI noch erreichen?

Wir haben noch einiges vor und ich glaube auch, dass wir uns musikalisch weiterentwickelt haben. Sicher gibt es auch andere Wege, sich als Band zu verwirklichen. Und es gibt Bands, die eine Parodie ihrer selbst geworden sind. OI POLLOI hingegen haben sich nie aufgelöst, blieben all die Jahre in der D.I.Y.-Szene aktiv. Es gab keine Reunion, um noch einmal unsere „Hits“ zu spielen. Sollte uns das Ganze irgendwann einmal keinen Spaß mehr machen, würden wir ganz bestimmt damit aufhören. Aber so lange wir daran glauben, dass sich Spaß und politisches Engagement vereinbaren lassen, bleiben wir aktiv. Unser nächstes Projekt wird eine Benefiz-Split-EP mit meiner anderen Band KANSALAISTOTTELEMATTOMUUS sein, deren Erlös für den Wiederaufbau des Stockholmer Anarchistenzentrums Cyklopen gedacht ist, das Ende 2008 durch einen Brandanschlag von Neonazis zerstört wurde. Mehr Infos unter kulturkampanjen.se.

Ich bin der Meinung, niemand ist unpolitisch und es gibt keine unpolitischen Bands. Diejenigen, die von sich behaupten, unpolitisch zu sein, sind mir unheimlich.

Das sehen wir auch so. Wer von sich behauptet, unpolitisch zu sein, und an keinerlei politischen Aktionen und Veränderungen interessiert ist, akzeptiert und unterstützt praktisch den politischen Status quo und den politisch konservativen Gedanken. Und dann gibt es noch diejenigen, die diesen Kontext als Deckmantel benutzen, nicht gegen Faschismus anzugehen, was auch absoluter Blödsinn ist.

In Deutschland macht sich eine Grauzone breit: Bands, Clubs, Labels, Mailorder, Veranstalter und so weiter arbeiten – aus welchen Gründen auch immer – mit Leuten zusammen, die mehr oder weniger offen mit „konservativem“ oder offensichtlich rechtem Dreck sympathisieren.

Ich beobachte das auch vermehrt in England. In Schottland ist das noch nicht ganz so schlimm. In Edinburgh achten wir etwas genauer darauf und versuchen, jegliche Aktivitäten diverser Bands zu stoppen. Ein Einzelkonzert mit einer Band, die politischen Mist vertritt, ob Grauzone oder extrem anti-deutsch, wird es mit OI POLLOI nie geben. Ein Festival mit einer oder zwei dubiosen Bands würden wir nicht zwangsläufig absagen, wenn die überwiegende Mehrzahl der Bands in Ordnung ist. Aber wir wissen auch, dass auf dem Force Attack-Festival die eine oder andere ziemlich dumme Band spielt, also sprechen wir mit Leuten aus Deutschland darüber, schmettern solchen Bands und ihren Fans direkt unsere politische Meinung ins Gesicht. Sicher gibt es Bands, die diese Entwicklung mit einer anderen Strategie begegnen, doch wir glauben, dass es manchmal Sinn macht, auf Konfrontationskurs zu gehen.

OI POLLOI haben jetzt fast dreißig Jahre auf dem Buckel. Was an Punk siehst du positiv, was negativ?

Das Beste an Punk war, dass der einfache und eingangs schockierende Slogan „Anarchy in the UK“ Leute wie CRASS – deren Wichtigkeit gar nicht überschätzt werden kann – animierte, sich ernsthaft mit Anarchismus zu beschäftigen. Daraus wurde eine eigenständige politische Musikrichtung, die zur aktiven und praktischen Umsetzung motiviert, was das Leben von so vielen Menschen positiv beeinflusst hat. Sicher lief auch einiges schief, aber Anarchopunk ist trotz allem etwas Positives. Für all diejenigen, die meinen, Punk würde nichts ändern: Bei all den Aktivistengruppen, egal, ob sie sich beispielsweise für den Umweltschutz oder gegen Faschismus engagieren, sind nach meinen Erfahrungen fast immer Punks oder ehemalige Punks dabei. Wenn das mal keine positive Leistung ist. Deprimierend hingegen finde ich, dass sich von der Musik, mit der ich aufgewachsen bin, mutierte Abspaltungen wie „Tough Guy Hardcore“ oder eine beschissene Neonazi-„Oi!“-Szene, mit „Rock Against Communism“-Mist gebildet haben.

 


Anti-Deutsche zum Interview!

Irgendwo da draußen müssen die Leute doch sein, die sich „Anti-Deutsche“ nennen. Seltsamerweise reden solche Menschen lieber über uns als mit uns, aber vielleicht lässt sich das ja ändern und wir können ergründen, warum wir so unterschiedlich ticken. Wer sich mit uns unterhalten will, muss bereit sein, das nicht anonym zu tun. Mail an redaktion@ox-fanzine.de genügt.