NO SHAME

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Fuck the system

Klar, Finnland ist voll von guten Bands, aber eben auch vielen, die nicht einfach straighten Punkrock spielen. Nun habe ich rein gar nichts gegen seltsame, eigenwillige Musik, aber manchmal ist mir auch einfach nur ein simples Riff und ein eingängiger Refrain wichtig. Und da kommen NO SHAME ins Spiel, die schon seit Ende der Neunziger aktiv sind und ihren eingängigen Mix aus Crustpunk einerseits und Postcore andererseits stetig perfektioniert haben. Mit „Ironing Day“ hat die Band um den hager und asketisch wirkenden Sampsa Sarparanta, der neben seiner „Karriere“ als Sänger und Gitarrist einer Punkband auch als Maler gewissen Erfolg hat, ein weiteres vorzügliches Album eingespielt, zu dem er ein paar Fragen beantwortete.

Sampsa, du warst schon immer ein Kritiker der Globalisierung und hast bereits vor der Weltfinanzkrise dazu Texte geschrieben wie „Take the money and run“. Wie fühlst du dich jetzt, da die Kacke am Dampfen ist?

Das war sie in diesem System doch schon immer, und es trifft jeden. Das sollte keinen mehr überraschen, die Krise ist schließlich ein integraler Bestandteil des Systems. Ich sehe es aber als eine Chance, dass die Krise den Leuten die Augen öffnet, dass sie vielleicht merken, dass es so nicht funktioniert und sie zumindest bewegt auf individueller Ebene eine neue Richtung einzuschlagen. Aber wahrscheinlich hoffe ich vergebens ...

Inwieweit beeinflusst die Krise dich und deine Band? Ich weiß, dass deine Heimatstadt Salo sehr abhängig ist von Nokia. Was schlecht für Nokia ist, ist also auch schlecht für Salo?

Ich denke auf irgendeine Weise beeinflusst diese Krise – ich würde es gar nicht Krise nennen – jeden, weil wir alle Teil des Systems sind, ob wir wollen oder nicht. Aber für uns in dieser Band ist das nicht so sehr von Bedeutung, da wir alle keine normalen Jobs haben. Vielleicht ist es ein wenig schwerer geworden, an Auftritte zu kommen, weil die Clubs vorsichtiger geworden sind. Salo hat es sehr heftig getroffen. Eine Menge Leute haben ihre Jobs verloren, darunter viele aus meiner Familie und von meinen Freunden, und für die ist das natürlich extrem hart. Gerade die ältere Generation, die immer noch der Auffassung ist, Arbeit sei sehr wichtig, und die nicht viel anderes haben in ihrem Leben. Viele sind so gewöhnt an die Arbeitsroutine, dass sie ohne sie nichts anderes mit sich anzufangen wissen als fernzusehen oder zur Flasche zu greifen.

Im Booklet findet sich der Satz „life is war“ ... bist du also kein Pazifist?

Ich bin Pazifist, aber nur bis zu einem bestimmten Grad. Was ich gemeint habe ist, dass Kapitalismus wie Krieg ist. Und weil er uns wie eine Religion eingetrichtert wird vom Kindergarten über die Schule bis hin zur Arbeit, fangen wir an, in allen Bereichen des Lebens und zwischenmenschlichen Beziehungen in den gleichen Mustern zu denken. Deshalb heißt es „life is war“.

Der Titel des Albums „Ironing Day“ wirkt witzig und seltsam zugleich. Auf dem Cover sieht man ein Bügelbrett, daneben eine Maschinenpistole, eine Vase mit Blumen und einigen anderen Kram, den du im Eingangsbereich eines Einfamilienhauses finden kannst. Wer hat dieses Foto aufgenommen, was ist der Hintergrund – und was bedeutet „ironing“ in diesem Zusammenhang?

Das Foto stammt von dem sehr guten finnischen Fotografen Harri Pälviranta, der sich in vielen seiner Arbeiten mit dem Thema Gewalt beschäftigt hat. Das Foto bringt die großen Zusammenhänge von Krieg und Frieden in den sehr banalen Kontext des alltäglichen Lebens, was genau das ist, worum sich das aktuelle Album dreht – wie schon die vorherigen. Die Veränderungen müssen im Alltag beginnen, um von Dauer zu sein. Du kannst „ironing“ also auf verschiedene Art lesen, im Sinne vom Bügeln mit dem Bügeleisen, auf Englisch „ironing“, oder jemand mit einer Pistole platt machen, das nennt man dann auch „ironing“, oder einfach als die Ironie des Lebens oder die Ironie von uns als Band.

Die erste Singleauskopplung aus eurem Album, „Better drunk than part of the machine“, wurde viel in Finnlands größtem Radiosender gespielt und wird – wie ich gehört habe – von den Eishockey-Fans im Stadion gesungen. Wie fühlst du dich damit, dass der Durchschnittsbürger offensichtlich die sozialkritische Message des Songs gar nicht verstanden hat? Und warum wird der Refrain auf Finnisch gesungen?

Der Refrain wird auf Finnisch gesungen, weil es besser klingt. Normalerweise schreibe ich alle Texte in beiden Sprachen, einfach um irgendwelche Dummheiten zu vermeiden, oder dass ich mich hinter netten Slogans verstecke. Und es ist einfach nur der Songtitel noch mal auf Finnisch. Dass viele Menschen die Aussage des Song nicht verstehen oder nicht verstehen wollen, das kann ich nicht ändern. Das ist einfach die Art, wie manche Menschen sind, und das gibt es auch immer wieder, man denke nur an „Born in the USA“ von Bruce Springsteen. Die Hauptsache ist doch, dass ich weiß, was ich meine, und dass ich hinter meinen Worten stehe, dann besteht auch die Chance, dass es jemand dazu bringt genauso zu denken. Über das Herz gelangst du in den Kopf, nicht andersherum.

Auf eurem neuen Album sind im Vergleich zu „White Of Hope Turning Black“ mehr unterschiedliche Musikstile zu hören. Songs wie „Light of my life“ or „Empty promises“ sind weniger aggressiv und beinahe schon poppig. Liegt das an Altersmilde oder ist das ein neuer Weg, eure Gedanken auszudrücken?

Beides, denke ich. Punk bedeutet für uns, mach was du willst, kümmere dich nicht darum, was andere denken, und nicht Vorschriften zu folgen, wie ein Punkrock-Song klingen sollte. THE CLASH sind ein großartiges Beispiel dafür.

Euer Album wurde mit Jürgen Hendlmeier aufgenommen, der als Produzent einen guten Namen hat, speziell für Bands mit einem Sixties-Garage-Sound. Wie lief eure Zusammenarbeit?

Wir wollten mit jemandem außerhalb der Band zusammenarbeiten, der eine Menge technisches Know-how im Studio hat, und Jürgen hatte schon vor einigen Jahren gesagt, dass er interessiert sei, mit uns zusammenzuarbeiten. Am Anfang war er etwas skeptisch, alles live in dem selben Raum aufzunehmen, aber dann begriff er es als Herausforderung und zum Schluss funktionierte es wirklich gut.

Es gibt eine Promo-Single zu „Better drunk ...“, auf deren Cover ihr komplett nackt seit, Schwänze und Eier inklusive. Brauchte es große Überwindung, um so ein ungeschöntes Foto von sich selbst zu veröffentlichen? Das ist ja durchaus ein Gegensatz zu durchgestyleten Bandfotos.

Das Foto entstand spontan während der Foto-Sessions zum vorherigen Album. Wir wussten dass wir auf das Titelbild eines finnischen Rock-Magazins kommen würden und wollten dieses Foto auf dem Cover, aber sie hatten nicht den Mumm, das zu tun, weil es gegen das Gesetz verstoßen hätte. So entschieden wir uns, es für die Promosingle zu verwenden, weil es irgendwie zum Titel passte. Das Härteste daran, sich öffentlich nackt auszuziehen, ist der Moment, in dem du es tust, doch danach ist es eine Art Befreiung. Danach ist die Aussage einfach „Nun hast du nichts mehr, was du gegen mich benutzen kannst.“. Wir haben auch darüber nachgedacht, das Foto auf das Album zu packen, haben uns dann aber dagegen entschieden, weil wir nicht wollten, dass man, besonders außerhalb von Finnland, einen falschen Eindruck von der Band bekommt. Wir wollten nicht, dass jemand denkt, wir wären nur eine weitere lustige Show-Band aus Finnland. Und du hast Recht, einer der Hauptgründe für dieses Bild ist auch die Stupidität der meisten „normalen“ Promo-Fotos. Die meisten Band-Fotos sind doch einfach lächerlich und total abgedroschen. Ach, und was unsere Schwänze betrifft: die sind natürlich mit Photoshop hinterher verkleinert worden ...

Im Programm eures Labels, dem finnischen Indie-Riesen Fullsteam, seid ihr die einzige Punkrock-Band neben ABDUKTIO und I WALK THE LINE und Labelmates erfolgreicher Bands wie RUBIK, DISCO ENSEMBLE oder LAPKO. Wie ist eur Verhältnis zu diesen Bands? Spielt ihr Shows zusammen oder bleibt ihr in eurer Punkrock/D.I.Y.-Nische?

Ein kleines bisschen von beidem denke ich. Wir kennen die Jungs von DISCO ENSEMBLE und LAPKO und haben mit ihnen zusammen Konzerte gespielt. Wir haben sogar eine Europatour mit DISCO ENSEMBLE zusammen gemacht, bevor sie so groß wurden. Aber wir haben schon eine andere Art Dinge anzugehen als andere Bands auf dem Label. Das bedeutet, dass wir es auch mögen, in kleineren Städten und kleineren Clubs oder auf Benefiz-Veranstaltungen zu spielen, oder Shows, die mehr in die Richtung D.I.Y.-Punk gehen, auch wenn das oft bedeutet, dass wir damit kein Geld machen. Wir sind daran gewöhnt, alles um die Band herum selbst zu machen und sind immer noch etwas erstaunt, dass es da heutzutage Leute gibt, die für uns arbeiten. Das ist sonderbar, aber nett.

Und was ist der größte Unterschied zwischen dem Touren in Finnland und im skandinavischen Raum und dem europäischen Festland?

Ich denke, der größte Unterschied ist, dass außerhalb Finnlands die Veranstalter die Bands mehr anerkennen und sich bewusst sind, dass diese auch ihren Job machen. In Finnland gibt es immer noch diese alte Einstellung, dass eine Band ein notwendiges Übel ist. Glücklicherweise ist das eine verschwindende Angewohnheit. Aber du kannst nicht wirklich die finnische Szene mit dem „skandinavischen Raum“ zusammenpacken, weil nach unseren Erfahrungen die ganze Live-Musik-Szene in Finnland um einiges besser ist als in Schweden oder Dänemark, vor allem auf der Punkrock-Ebene.

Zum Schluss: Wie steht es um dein Leben als Maler?

Sehr gut. Danke der Nachfrage. Ich versuche einiges gemalt zu bekommen, wenn wir gerade nichts mit der Band machen. Aber derzeit sieht es eher so aus, dass ich in nächster Zeit eine Menge mehr Punkrock spielen als Punkrock malen werde.