NO LIFE LOST

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Ska und Fußball, aber nicht schwarz-weiß

NO LIFE LOST und das Ox sind Institutionen, die auf eine vergleichbar lange Geschichte zurückblicken können, und doch ist dies hier ihr erstes Zusammentreffen im Rahmen eines Interviews. Da fragt man sich, was einer früheren Begegnung im Wege gestanden haben mag. Es muss wohl an jenen dunklen Mächten im Ox gelegen haben, denen die Schlagworte "Ska-Punk" und "Fußball" genügen, um die faire Repräsentation einer Band im Heft zu sabotieren. Doch nicht einmal diese kamen dauerhaft gegen die musikalisch bestechenden Hamburger an und so findet sich hier nun dieser kleine Einblick in die Welt von NO LIFE LOST. Die Fragen beantworteten Tim (Aushängeschild, Rockröhre) und Ron (Drahtzieher, Bassmann).


Zunächst der historische Teil: Wie sind NO LIFE LOST entstanden?

Tim: Wir haben uns tatsächlich 1989 auf der Rückfahrt von einem St. Pauli-Auswärtsspiel in Kaiserslautern gegründet. Leckeres Stadionbier, schlechte Stadionwurst und eine unglückliche Niederlage taten ihr Übriges. Der Plan war eigentlich, durch permanente Charterfolge an viel Geld zu kommen, dann alles in den Verein zu pumpen, um ihn in den europäischen Spitzenfußball zu führen.

Wie sah der weitere Werdegang aus?

Tim: Na ja, hat dann alles doch nicht so geklappt, wie geplant. Die Charterfolge blieben dummerweise aus irgendwelchen uns nicht bekannten Gründen aus. Dabei haben wir wirklich unser Bestes versucht. Sei's drum, zwischenzeitlich hätten wir uns eh nicht mehr einigen können, welchem Verein unsere Millionen zugestanden hätten: St. Pauli oder doch lieber Altona 93.

Ihr habt etwa 1994 angefangen, Ska-Punk zu spielen. Das war noch, bevor der Stil sich richtig etabliert hatte. Wie kamt ihr damals darauf und an wem habt ihr euch orientiert?

Tim: Der Übergang von einer Punkband zu einer Ska-Punkband war eher ein schleichender Prozess. Ich würde das auch nicht an dem Jahr 1994 festmachen. Unsere Vorliebe galt eigentlich schon immer neben dem Punk den 2Tone-Bands. SELECTER, THE SPECIALS und MADNESS haben wir geliebt. Auch OPERATION IVY war damals einer unserer Favoriten. Als unser damaliger Gitarrist und ich 1993 auf Einladung der Band POOPSHOVEL vier Wochen den Nordosten Amerikas betourten, sind wir durch Zufall auf die MIGHTY MIGHTY BOSSTONES gestoßen, damals eine supergute Live-Band mit einzigartigem Sound. Ab da war klar, wo unser musikalischer Weg hinführen sollte. Auf dem 1995er Album "Überbeast" gibt es dann auch die ersten Ska-Punk-Nummern.

Glaubt ihr an eine Ska-Punk-Szene in dem Sinne, dass es, außer den stilistischen Eigenheiten des Genres, weitere Elemente gibt, die eine solche Szene zusammenhalten?

Ron: Vieles an dieser Szene ist mir fremd geblieben, obwohl ich schon seit mittlerweile sechs Jahren bei NO LIFE LOST bin. Wenn du dir die Ursprünge des Ska-Punk anschaust - MADNESS, SPECIALS - dann vereinten diese Szene neben dem Spaßfaktor, nämlich sich bei Konzerten ordentlich den Arsch abzutanzen, auch recht klare Aussagen zu politischen Themen. Die schwarz-weißen Karos kommen ja nicht von ungefähr und neben diesem antirassistischen Statement wurden in vielen Texten auch typische Arbeiterklasseproblematiken thematisiert - Leben in tristen Wohnblocks, sich in Fabriken ausbeuten lassen und so weiter. Ob solche Themen heute noch für die Ska-Punk-Szene relevant sind, bin ich mir nicht so sicher. Aber das ist eben auch ein Zeichen der Zeit, denn was haben beispielsweise die TOTEN HOSEN bitte noch mit Punk zu tun?

Hamburg scheint ein ganz gutes Pflaster für Ska- und Punk-Bands zu sein. Wie ist das Verhältnis zu anderen Hamburger Größen wie den SKATOONS oder RANTANPLAN?

Ron: Mit den SKATOONS verbindet uns seit Jahren eine ganze Menge, wir haben uns ja hier und da selbst schon scherzhaft als "SKATOONS-Außenstelle" bezeichnet. Henning, unser Gitarrist, ist bekanntermaßen ein SKATOON und Tobe, der SKATOONS-Posaunenmann, hat auch schon sehr oft ausgeholfen. Saxofon-Frau Inga spielt auf der neuen CD ein paar Rhodes-Parts und hat uns auch bei der Gestaltung des Covers geholfen. Viele Konzerte haben wir zusammen gespielt und das verbindet natürlich. Außerdem habe ich in meinem Tonstudio die SKATOONS-Platten produziert und auch darüber die ganze Gang sehr gut kennen gelernt.

Ihr habt offensichtlich eine starke Fußballaffinität. Wo seht ihr Schnittmengen oder Unterschiede bei Fußball- und Musik-Fantum und wie ist das bei euren Fans?

Ron: Überspitzt gesagt: Jede Band hat das Publikum, das sie verdient. Spiel öde Musik, schreib Scheißtexte und schon hast du dementsprechende Fans. Keine Ahnung, ob bei unseren Konzerten ein höherer Anteil Fußballfans ist als bei Gigs anderer Bands. Wir erleben durchaus auch Reaktionen wie: "Geile Band, aber müsst ihr denn immer so viel über Fußball singen?" Aber wenn sich wiederum andere darüber freuen, dass wir eine der wenigen Bands sind, die über Amateur- oder Frauenfußball singen, dann kann das ja nicht so verkehrt sein, oder?

Stadion- und Konzertatmosphäre ähneln sich doch insofern, als sie für viele Menschen einen Ausbruch aus dem Alltag darstellen, in dem sie ausgelassen sein können. Woher kommt diese besondere Rolle eurer Meinung nach?

Ron: Je trister du deinen Alltag erlebst, desto mehr sehnst du dich nach einem Ausbruch daraus. Eigentlich traurig, aber doch so oft Realität. Wochenende, Partytime, saufen, Mädchen oder Jungs kennen lernen oder auch nicht und eben nachmittags Stadion und abends Konzert oder Kneipe - das bekommt schnell etwas Beliebiges. Kopf ausschalten und Hauptsache, ich werde gut unterhalten. Ist jetzt vielleicht etwas sehr pauschal und plakativ beschrieben, aber oftmals läuft das so oder so ähnlich. Wenn dabei dann zumindest noch ein wenig hinterfragt wird: "Was mache ich hier eigentlich und warum?", dann ist mir das lieber, als sich nur blind zuscheißen zu lassen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob du es mit Fußball-, Rock- oder "Wasweißichwasfür"-Fans zu tun hast. Ein paar gute Leute, die mit offenen Augen durchs Leben rennen, und eine ganze Menge Spinner findest du aber in allen Lagern.

Wie ist es mit negativen Entwicklungen im Bereich des Ballsports und der Musik. Seht ihr da Parallelen?

Ron: Parallelen sind ganz klar die Kommerzialisierung, der zunehmende Eventcharakter, mit Fußballlegionären zusammengekaufte Teams, siehe Chelsea oder Hoffenheim, mit denen die Identifikation immer schwerer fällt, einerseits und gecastete Boy- und Girlgroups und Bands andererseits. Wobei man dazu sagen muss, dass es einem damit auch leichter gemacht wird, mal wieder klare Feindbilder zu entwickeln und sich davon abzugrenzen - auch nicht verkehrt!