NO ALTERNATIVE gehörten zur zweiten Generation der ersten Punk-Welle San Franciscos. Nachdem Ende 1976 mit THE NUNS und CRIME die ersten Punkbands im Mabuhay Gardens auftraten, folgten kurze Zeit später Bands wie THE AVENGERS, THE OFFS, THE MUTANTS, DEAD KENNEDYS und NO ALTERNATIVE. Die Band existierte zwischen 1978 und 1983 und konnte sich mit ihrem unverwechselbaren Stil, einer Mischung aus klassischem 77er Punk und Rock'n'Roll/Rockabilly, mit politischen Texten nicht unähnlich den DILS oder RED ROCKERS, einen wichtigen Platz in der Punk-Geschichte Kaliforniens erspielen.
Zur am längsten bestehenden Besetzung gehörten: Johnny Genocide, Gesang und Gitarre, Jeff Rees, Bass, und Greg Langston, Schlagzeug. Während ihres Bestehens veröffentlichten sie ein Stück auf dem "SF Underground"-Sampler und eine eigene EP, beide auf Subterranean Records; auf dem legendären ersten Maximum Rock'n'Roll-Sampler "Not So Quiet On The Western Front" findet sich mit "Dead men tell no lies" ein weiterer Kracher. Vor NO ALTERNATIVE sang Johnny Genocide bei KGB, welche mit zwei sehr guten Stücken auf dem "Live From The Deaf Club"-Sampler vertreten sind, neben anderen Bands wie DEAD KENNEDYS, OFFS und TUXEDOMOON. 1983 lösten sich NO ALTERNATIVE auf, 1989 gab es noch ein kurzes Comeback, das nach ein paar Auftritten und einer raren Split-Mini-LP aber ziemlich schnell wieder vorbei war. 1999 erschien bei Wingnut Records eine großartige CD mit (fast) allen veröffentlichten und einer Menge unveröffentlichten Stücken: "Johnny Got His Gun '78-82". Bei Bacchus Archives wurde diese Platte in leicht abgeänderter Version unter dem Titel "Nights In S.F." drei Jahre später noch mal veröffentlicht. Dank MySpace konnte ich vor einigen Wochen Kontakt mit Johnny Genocide aufnehmen, der inzwischen mit neuer Band MINUS BETTER wieder auf der Bühne steht und nebenbei auch NO ALTERNATIVE ein zweites Mal reformiert hat. Nicht sehr viele Leute werden NO ALTERNATIVE hierzulande (noch) kennen, ich hoffe aber, dass sie es diesmal schaffen, eine neue LP rauszubringen, denn NO ALTERNATIVE gehörten immer zu einer meiner Lieblingsbands und Fans von THE DILS, CLASH, (frühen) SOCIAL DISTORTION und RED ROCKERS werden mich da verstehen ... Ich interviewte Hugh Patterson aka Johnny Genocide im April per eMail.
Wie kam es zur Gründung von NO ALTERNATIVE?
Vor Punk, also so Anfang 1976, sang ich bei mehreren Bands, leider ohne viel Erfolg. Wir hatten nicht viel drauf und hatten zu wenig Erfahrung mit Musik. Ich konnte zwar Klavier spielen, aber vom Singen und Gitarrespielen hatte ich wenig Ahnung. Eine der ersten Bands hieß JUMPING JESUS AND BABY RAPERS, da spielte auch Bruce Loose von FLIPPER mit. Dann bekam ich das Angebot, bei THE OFFS Gitarre zu spielen - das war eine der ersten US-Bands, die mit Ska und Soul experimentierten. Leider bekamen der Sänger Don Vinyl und ich uns immer öfter in die Haare, und obwohl ich seinen Gesang und Humor mochte, wurde ich vor die Tür gesetzt. Ein paar Monate später wurde ich als Sänger für KGB angetestet. Bei KGB spielten Ron Ramos und Jeff Reese von den ASSASSINS und Zippy Pinhead, später bei den DILS. Ich wurde angenommen und dieses Line-up hielt ungefähr ein Jahr. Mein großes Vorbild als Sänger war damals Iggy Pop - du kannst dir also vorstellen, was bei den Konzerten ablief! Nebenbei lernte ich Gitarre zu spielen, und als KGB sich auflösten, übernahm ich auch den Gitarrenpart, wir nannten uns NO ALTERNATIVE und nach einiger Zeit fanden Jeff und ich Greg Langston als Drummer. In unseren besten Zeiten spielten wir viermal die Woche, Kalifornien rauf und runter. Wir hatten eine loyale und wüste Fangemeinde, weil wir einfach anders waren als die Durchschnitts-Punkbands. Wenn X in San Francisco spielten, waren wir fast immer Support.
Was brachte 1983 das Ende?
Mein Ego stand unserer Entwicklung im Weg und brachte Streit in die Band. Starke Egos können die Musik und Gigs bereichern, können aber auf die Leute um sie herum verletzend wirken ... Jahre später fand ich im Buddhismus den Weg, dieses Problem zu lösen. Jetzt steht allein die Musik im Mittelpunkt.
1989 gab es ein Comeback, das aber nur von kurzer Dauer war ...
Es ist kein Geheimnis, dass ich zu der Zeit ein Drogenproblem hatte. Ich hatte einen schweren Unfall, bei dem 30 Prozent meiner Haut mit Verbrennungen dritten Grades verletzt und mein rechtes Fußgelenk zerschmettert wurde. Ich musste zwei Jahre lang Morphium nehmen. Natürlich fand ich auch noch andere Substanzen, um den Schmerz zu betäuben ... und das ruinierte die Band. Jeff und Greg gaben sich alle Mühe, aber meine Sucht brachte das endgültige Aus. Heute nehme ich keine Drogen mehr. Nicht, dass ich sie nicht mag; sie mögen mich zu sehr! Ich interessiere mich für Kendo, japanischen Schwertkampf, und habe gelernt, meinen Körper zu respektieren. Ab und zu ein paar Biere oder Whiskey sind okay, aber ich halte Maß.
2006 kehrst du zurück, diesmal mit zwei Bands: NO ALTERNATIVE und MINUS BETTER ... Wie kam es dazu? Was hast du in der Zwischenzeit gemacht?
Vor ein paar Jahren nahm ich aus einer Laune heraus an einem Sommerseminar des örtlichen SOCAL-Colleges teil. Ich entschied mich für den Grundkurs Chemie und es brauchte nur zwei Wochen, um mich total für Chemie zu begeistern. Ich machte meinen Abschluss so gut, dass man mir eine Stelle als Lehrer und ein Forschungsstipendium anbot. Ich forsche im Bereich organischer und anorganischer Brennstoffzellen-Abläufe. Ich hab sogar ein kleines Labor zu Hause. Im Moment experimentiere ich an verschiedenen Arten von Kunststoffherstellungen und bastle an einer Gitarre aus Acryl für meinen alten Freund Jimmy von CRUCIFIX. Während ich also als Chemielehrer arbeitete und meinen Schülern "oldschool" Punkrock nahe brachte, fiel mir auf, dass ich mich über die öde und kommerzielle aktuelle Musik aufregte, aber nichts dagegen unternahm. Es ist leicht zu meckern, aber schwerer, gegen die Sachen anzugehen. Ich beschloss, das Lehren aufzugeben und wieder Musik zu machen. Nebenbei fand ich nach Jahren meine Ex-Freundin bei MySpace wieder; wir schrieben uns und leben jetzt wieder zusammen in San Francisco. Nach Jahren, die ich in eher kleinstädtischen Gegenden gelebt habe, hatte ich die Nase voll von all den Rechten und Konservativen in solchen Gegenden. Ich ziehe Großstädte vor, gerade San Francisco hat sich musikalisch wieder zu einer sehr interessanten Stadt entwickelt. Nachdem wir hergezogen waren, traf ich Jonathan - Nosmao King - von TOILING MIDGETS und wir gründeten MINUS BETTER. Dann traf ich auch Greg Langston wieder und wir beschlossen auch, NO ALTERNATIVE wieder zu beleben, mit Josh Levine von THE INSAINTS am Bass. Es hat sich also eine Menge getan ...
Was unterscheidet die beiden Bands?
NO ALTERNATIVE ist "in your face" Oldschool-Punkrock, aggressiv und politisch. MINUS BETTER ist dagegen langsamer, atmosphärischer, mehr auf persönliche Themen eingehend - man kann sagen, beide Bands spiegeln mein Inneres wieder, meine Yin- und Yang-Seiten. Vom Sound her sind beide total unterschiedlich. Das einzige Gemeinsame ist die Coverversion "Meathouse" von NEGATIVE TREND, die ich mit beiden Bands spiele. Im Moment arbeiten wir am ersten richtigen NO ALTERNATIVE-Album. Jetzt, wo ich in den Vierzigern bin, kann ich schneller und besser spielen als damals, auch meine Texte sind ausgefeilter - ich hoffe, dass wir mit beiden Bands Ende des Jahres was veröffentlichen werden.
Hattest du die ganzen Jahre Kontakt zu den alten NA-Mitgliedern?
Mal mehr, mal weniger. Leider hat Jeff Rees, der ehemalige Bassist, den Kontakt zu mir komplett abgebrochen. Meine damalige selbstzerstörerische Lebensweise wurde ihm zu viel. Das ist etwas, was ich sehr bedauere. Wie ich hörte, geht es ihm aber gut, er ist als Musiker mit anderen Projekten erfolgreich.
Vor kurzem fand in San Francisco das Fab Mab Reunion-Konzert statt. Neben THE AVENGERS, MUTANTS und FLIPPER spielten auch DEAD (FAKE) KENNEDYS. Bist du da gewesen?
Oh ja, ich hab eine Menge alte Freunde getroffen, die ich ewig nicht mehr gesehen hatte. Ich dachte nicht, dass sich so viele Leute noch an mich erinnern - da lag ich falsch. Von allen Bands waren THE MUTANTS am besten, großartige Songs! Es gab ja vorher online eine Menge Diskussionen um die Veranstaltung, von wegen Kommerzialisierung und so, aber ich finde überhaupt nicht, dass die beteiligten Bands Ausverkauf betreiben. Wir sind Musiker und haben die Chance, ein wenig mit dem, was wir machen und lieben, zu verdienen. Ist das nicht einer der Gründe, warum wir angefangen haben Musik zu machen? Es kam super an, und es wird bald eine größere Fortsetzung geben. War schön zu sehen, wie viele Leute die Zeiten der Drogen und des Irrsinns überlebt haben. Über DK und Jello möchte ich nichts sagen, ich kenne und mag beide Seiten. Sie sollten ihren Streit begraben.
Welche Band von damals hat dich am meisten beeinflusst?
Das ist einfach: X aus Los Angeles! Bei denen waren wir oft Supportband. John, Billy und Exene sind sehr nette Leute. Ihre Musik und Texte haben meinen Horizont extrem erweitert. Billy hat sehr früh gezeigt, wie man Rockabilly mit Punk verbindet. Danach ging auch meine Musik in eine völlig andere Richtung. Und auch Johnny Strike von CRIME. Als ich 15 war, wohnte er nebenan und hat mir eine Menge obskure Musik vorgespielt; Sachen, die ich sonst nie gehört hätte. CRIME hat unsere Art zu spielen stark beeinflusst - die waren so cool, als ich sie zum ersten Mal live sah. Mit Frankie Fix, dem zweiten Sänger und Gitarristen von CRIME, war ich auch später noch gut befreundet. Er ist Mitte der Neunziger verstorben, er hatte eine wundervolle Art von Humor und ich vermisse ihn sehr!
Einige eurer Lieder waren sehr politisch und staatsfeindlich - empfindest du heute noch so?
Ich glaube, heute noch mehr als damals. Da ich mich über die Jahre weitergebildet habe, bin ich jetzt besser in der Lage, die politische Situation in den USA analytisch zu betrachten. Meine Lieder sind immer noch politisch und ich bin extrem Anti-Bush eingestellt. Ich glaube, wir haben kein Recht, mit anderen Staaten Kriege wegen Öl zu führen. Wir sind keine Friedensbewahrer, wir sind Aggressoren und Besatzungsmacht. Kurz, ich empfinde es als beschämend, Amerikaner zu sein.
Punk-Festivals gesponsort von Sneakers-Imperien, MISFITS- und SOCIAL DISTORTION-Uhren, -Rucksäcke, -Jacken, -Schuhe - was ist vom ursprünglichen D.I.Y.-Geist des Punk im Jahr 2006 noch übergeblieben?
Egal, was die Leute über Kommerzialisierung und Sell-out sagen - Punk sind nach wie vor die Kids, die sich in der Garage treffen, um Lärm zu machen und sich nicht anpassen wollen. Wenn du mittlerweile in jedem Shop Punk-Shirts kaufen kannst, was soll's? Das hindert doch niemanden daran, gute Musik zu machen. Man muss eben länger suchen, um im kommerziellen Überfluss gute und echte Bands zu finden.
Noch eine nette Geschichte aus alten Punk-Tagen?
Mein erster Auftritt: mein Bassist und mein Schlagzeuger hatten sich zu vollgedröhnt, um zu spielen. Also halfen ein paar Anwesende aus, einer davon Cheetah Chrome von den DEAD BOYS. Dirk, der Veranstalter vom Mabuhay, sagte hinterher, ich sei der schlechteste Musiker, den er jemals gehört hat, völlig talentfrei.
Tim Gerdes
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #67 August/September 2006 und
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