Wer die letzten Jahre, nicht ganz blind durch die Gegend lief dem werden die NITROMINDS aus São Paulo, Brasilien ein Begriff sein. Vier Jahre in Folge haben sie ausgiebig Deutschland betourt, wahlweise mit den BAMBIX, BITUME, den D-SAILORS und im letzten Jahr mit der TERRORGRUPPE. Mit ihren energetischen Live-Shows haben sie sich unter denen, die eines der Konzerte erleben durften, einen Namen gemacht, und jetzt erscheint „Start Your Own Revolution“, das dritte Album des Hardcore/Punk-Trios, auf dem Hamburger Label Rocktypen und die Band ist besser denn je. Per eMail beantwortete Sänger Andre in der Hitze des brasilianischen Sommers ein paar Fragen fürs Ox.
Steckt eigentlich eine tiefere Bedeutung hinter eurem Namen?
„Als wir vor elf Jahren angefangen haben, waren uns zwei Sachen besonders wichtig: Unsere Texte sollten auf jeden Fall eine tiefere Bedeutung haben und wir wollten so schnell wie möglich spielen. Wir fingen an, eigene Songs zu schreiben. Unser Drummer spielte explosiv wie Nitroglycerin und ‚minds‘ sollte so was wie ‚Ideen haben‘ bedeuten. Also nannten wir uns NITROMINDS.“
Was für Musik hört ihr privat und welche Bands haben euch beeinflusst?
„Unser größter Einfluss sind 80er-Jahre-Bands wie 7 SECONDS, HÜSKER DÜ, EXCEL und AGENT ORANGE. Außerdem haben wir früher in unserer Jugend viel Metal gehört. Heute stehen Lalo und ich zum Beispiel auf ALKALINE TRIO, RISE AGAINST und SOCIAL DISTORTION. Ich mag darüber hinaus auch viele Rock’n’Roll-Bands oder deutsche Bands wie die TERRORGRUPPE. Edu hört mehr Metal als wir anderen. SLAYER, SODOM und andere Thrash-Metal-Gruppen, was man seinem Schlagzeugspiel ja hin und wieder durchaus anmerkt, hehe.“
Wie kam der Titel des neuen Albums zustande? Bezieht ihr euch dabei auf die politische Situation in Brasilien?
„Dieser Albumtitel bedeutet uns sehr viel und hat sicherlich mehr als eine spezielle Bedeutungsebene. Michael Moore mit seinem Film ‚9/11‘ hatte definitiv einen großen Einfluss auf die Entstehung des Albumtitels. Wir leben in einer Welt mit zu vielen Gegensätzen, kapitalistischen Interessen und ähnlichem Scheiß. Wir haben es im Prinzip alle selbst in der Hand, das zu ändern. Jeder kann seine eigene Revolution ins Rollen bringen und damit etwas bewirken. Man muss die Leute nur dazu bewegen, ihren Arsch hoch zu kriegen.“
Eure Texte sind zum Teil sehr tiefgründig und behandeln auch euren Alltag in Brasilien.
„Die Texte beziehen sich auf unser Leben in Brasilien, lassen sich aber natürlich auch verallgemeinern. Irgendwie macht es keinen Sinn, das alles nur auf Brasilien zu beziehen, weil wir uns auch bewusst entschieden haben, englische Texte zu schreiben. ‚My America‘ zum Beispiel beschäftigt sich damit, dass die USA die gesamte Welt kontrollieren wollen und dadurch viele Länder auf der Welt ihrer eigenen Identität berauben. Wir fragen uns da, was uns da alles noch bevorsteht, wenn niemand den USA einen Riegel vorschiebt. Grundsätzlich ist unser Leben hier schon okay. Wir leben in einer großen Stadt mit 15 Millionen Einwohnern, 45 Minuten vom Strand entfernt. Man muss schon sehr viel arbeiten, um für seinen Lebensunterhalt aufkommen zu können. Trotzdem glaube ich, dass ich nirgendwo anders leben könnte. Manchmal ist es zwar sehr hart hier, andererseits auch supergeil. Oft bin ich hin und her gerissen, aber im Grunde liebe ich mein Land.“
Ihr kommt jetzt für eure fünfte Tour nach Deutschland. Gibt es einen Unterschied zwischen euren Auftritten hier und denen in Brasilien?
„Wir sind in Brasilien aufgewachsen und werden hier immer bekannter. Das neue Album hat sich hier sehr gut verkauft und wir sind sehr zufrieden mit unserer aktuellen Situation und dem Erfolg der Band. In Deutschland liegt noch einiges an Arbeit vor uns. Wir können höchstens einmal im Jahr für ein paar Wochen rüberkommen, um Promotion zu machen, und sind dadurch nicht ständig präsent. Aber wir lieben Deutschland und haben dort nach vier Touren eine Menge Freunde. Die Clubs sind professionell ausgerüstet und wir werden immer sehr gut behandelt. Wir fühlen uns wie zu Hause, wenn wir in Deutschland spielen. Das ist ein verdammt gutes Gefühl.“
Im Booklet eures neuen Albums sind viele kommunistische Symbole zu sehen. Was habt ihr für eine Einstellung gegenüber kommunistischen Ideen?
„Vor der russischen Revolution 1917 war die Idee des Marxismus ein Denkansatz, der grundsätzlich vernünftig und ausbaufähig erschien. Gleiches Recht für alle, gleichmäßige Verteilung des Reichtums usw., aber leider hat sich der Sozialismus im Nachhinein zu einem restriktiven und totalitären System entwickelt, innerhalb dessen der Einzelne leider alles andere als frei und gleichberechtigt war. Die Abbildungen auf unserem Cover stammen allesamt aus der Zeit vor 1917, als unserer Meinung nach die Ideen der Revolution noch etwas Pures und Unschuldiges hatte. Sie richteten sich gegen die Unterdrückung durch ein unfaires Regime und den Kapitalismus, und ich glaube, dass wir uns heute in einer ähnlichen Situation befinden. Die ökonomische Situation macht uns alles andere als glücklich, gerade hier in Brasilien ist es besonders schlimm, da die Schere zwischen Arm und Reich extrem auseinander klafft. Es gibt ein paar wenige Superreiche und sehr viele, die wirklich nichts haben. Und wenn ich sage nichts, dann meine ich nichts: kein Essen, keine Ausbildung, kein Dach über dem Kopf. Die Leute verhungern hier vor unseren Augen und dagegen müssen wir etwas tun.“
Meiner Meinung nach ist „Start Your Own Revolution“ bis jetzt das beste NITROMINDS-Album. Was hat sich verändert gegenüber dem Vorgängeralbum „Something To Believe“?
„Something To Believe‘ hat schon angedeutet, wo der Weg hinführt. Unser Songwriting damals war schon vergleichbar mit dem neuen Album, aber die Produktionsbedingungen waren nicht so optimal wie jetzt. Kurz nach dem letzten Album haben wir in Brasilien ein Livealbum veröffentlicht, auf dem fast nur Songs von ‚Something To Believe‘ drauf sind und das uns gezeigt hat, dass einige Hits auf diesem Album waren, die vielen Leuten hier etwas bedeuten. Ich denke allerdings, dass ‚Start Your Own Revolution‘ noch weitaus schönere Melodien und kraftvollere Songs hat, außerdem haben wir einen viel druckvolleren Sound.“
Ihr seid ja schon lange im Musikgeschäft unterwegs und habt eine Menge Erfahrungen. Wie hat sich eure Einstellung gegenüber der Band und gegenüber der Musik in dieser Zeit entwickelt?
„Als wir in Brasilien anfingen, sangen die meisten Bands noch auf Englisch. Dann kamen viele auf die Idee, dass sie mehr Platten verkaufen könnten, wenn sie Portugiesisch singen würden. Daher gibt es hier sehr viele Bands, die einen englischen Namen haben, aber Portugiesisch singen. Es hat viele Bands gegeben, die aus dem Nichts auftauchten, ein bisschen Wirbel veranstalteten und dann wieder in der Versenkung verschwanden. Andere wurden zu Emo-Bands. Beides ist nicht so unser Ding. Die Musiklandschaft hat sich zwar verändert, ebenso wie das Publikum, aber wir wollten unseren Idealen treu bleiben. Man darf sich ruhig ein bisschen verändern, das haben wir ja auch, aber unsere Basis ist immer noch dieselbe. Wir machen keine Musik, weil wir uns denken: ‚Wenn wir dies oder das tun, verkaufen wir mehr Platten oder werden berühmter‘, sondern wir machen Musik, weil wir einerseits Freunde sind und wir es andererseits einfach lieben, Musik zu machen. Mit dieser Einstellung hat man es in der Independent-Musikszene in Brasilien nicht unbedingt leicht.“
Wie wichtig ist die Band für dich? Ist sie eine Art Familie für dich oder nur ein Job?
„Musik ist mein Leben, seit ich zum ersten Mal AC/DC im Fernsehen gesehen habe. Mittlerweile sind NITROMINDS mein Leben. Edu und Lalo sind meine besten Freunde. Ich kenne sie seit meinem zwölften Lebensjahr. Und nun bin ich 32 und habe die Musik zu meinem Beruf gemacht. Ist das nicht genial?“
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