N.I.C.H.T.S! 2.0 aus Augsburg spielen jazzigen Punk, der mit seiner Mischung aus Jazzrock-Gitarre, Kontrabass und anklagendem Sprechgesang, einzigartig ist. Sänger David skizziert pointiert gesellschaftliche Verschlimmerungstendenzen von Datenschutz bis Konsumzwang und trägt diese in einem lauten, rhythmischen und zum Tanzen animierenden Gesangsstil vor. Ergänzt wird er hierbei durch ein brillantes Jazztrio, welches bei Konzerten stets Schweinemasken trägt. Das Ganze klingt dann manchmal wie FEHLFARBEN beziehungsweise früher NDW-Underground, ist aber in sich innovativ, originell und verdammt stylish.
David, wie kommt man auf die Idee, Punk mit Jazz zu mischen?
Wie so oft war es ein reiner Zufall. Ich bin Mitbetreiber einer kleinen Schallplattenherstellungsfirma in Augsburg und gegenüber von unserem damaligen Büro probten ziemlich viele Jazzmusiker. Wir haben dann öfter mal ein Bier mit denen zusammen getrunken und rumgejamt, und so verfestigte sich irgendwann die Idee, deutschen Punkgesang mit einer Jazzbesetzung zu machen. Unseren ersten Auftritt hatten wir 2007 auf einer WG-Party. Drei Monate später gab es dann die erste Demo-CD mit fünf Songs, die wir vor allem dazu benutzt haben, um Konzerte klar zu machen. Parallel dazu haben wir dann die „Fremdschämen“-Split-EP mit DESERT SURPRISE aufgenommen. Mit Daniel von Elfenart Records hatte ich damals schon länger zu tun und habe ihn immer als offenen Musikfreund empfunden. Er hat sich im Januar 2010 an unserer „Zugabe“-LP beteiligt und auch viel beim Vertrieb geholfen.
Jetzt habt ihr nach drei Jahren die EP „SMS an alle“ mit einer Bonus-Flexidisc veröffentlicht. Hat es so lange gedauert, drei neue Lieder zu schreiben?
Also wir wohnen inzwischen in verschiedenen Städten: Bassist Jonas in Würzburg, Schlagzeuger Herr Kleinert in Mannheim und Gitarre Harald und ich in Augsburg. Das hat Einfluss auf die ganze Probensituation und es ist immer eine ganz schöne Organisiererei. Außerdem sind meine Mitmusiker schließlich auch noch mit anderen Bands unterwegs. Aber wir haben zu „SMS an alle“ einige nette Kritiken bekommen, was uns natürlich sehr gefreut hat. Und diesen Remix hatten wir noch von der „Zugabe“-Session übrig. Die Entscheidung für die Flexidisc hatte allerdings auch mit den Möglichkeiten meiner Firma zu tun.
Deine Texte trägst du meist als Sprechgesang vor. Woher kommt das?
Ich kann einfach nicht singen und hab mich da immer ein wenig an Schorsch Kamerun von DIE GOLDENEN ZITRONEN orientiert. Ich komme ja auch aus dem Deutschpunk und finde einfach, dass in dieser Welt einiges schiefläuft. Gelegentlich werde ich dann auch zynisch, aber so wie es momentan läuft, ist es für mich ein absolutes No-Go. Und das wird dann sicherlich auch über die Texte kanalisiert.
Worum geht es in „Hier spricht die neue Weltunordnung“?
Das ist der Song zur andauernden Krise. Es geht um die mediale Darstellung der Finanzkrise und der daraus jetzt resultierenden sogenannten Staatsschuldenkrise. Meistens benutze ich Skizzen aus meinem Textbuch, die wir dann während der Probe ausarbeiten. Da mischen sich die anderen bei Bedarf ein und gelegentlich improvisieren wir auch und nehmen das auf. Auf so Freestyle-Situationen stehe ich total. Unser Gitarrist Harald entwickelt allerdings auch viele Ideen zu Hause und produziert dann Demos für uns, die wir dann im Idealfall eins zu eins übernehmen.
Müssen wir jetzt wieder drei Jahre auf die nächste Single warten?
Geplant ist eine LP. Wir haben ja noch einen Haufen neuer Songs, sind aber gerade noch bei der Koordination der Proben- und Studiotermine. Hinzu kommt, dass wir für den Herbst eine Tour planen und eigentlich auch schon für 2014 Auftritte checken müssen. Wir waren im Februar 2013 auf einer Zehn-Tage-Tour, was von der Publikumsresonanz her großartig war, aber leider waren die Fahrtstrecken einfach total kräftezehrend und langatmig. Immerhin spielen wir dann von Dresden bis in den Allgäu, was für uns schon mal einiges ist. Dieses Gebündelte einer kleinen kompakten Tour macht uns aber einfach einen wahnsinnigen Spaß und lässt sich organisieren, auch wenn es eine Menge Arbeit ist. Vor allem wegen des Kontrabasses sind wir ja immer mit einem Mietbus unterwegs. Das treibt die Kosten natürlich hoch und dann musst du gucken, dass du keine Einzeltermine machst, sondern Konzerte möglichst effektiv planst.
Und was bitte ist FRÄULEIN BRECHEISEN NEUSS?
Wir haben wegen der seltenen N.I.C.H.T.S! 2.0-Proben einfach noch genug Zeit für solche Geschichten und genug Spaß an der Sache. FRÄULEIN BRECHEISEN NEUSS ist ein Kollektiv mit wechselnden Musikern, mit den Schwerpunkten Post-Punk und Jazz, aber wir sind auch offen für sonstige Experimente. Herr Kleinert und ich hatten Anfang April unsere erste Probe mit einem erweiterten Musikerkreis und wir hatten sofort zwei Konzerte fix, was natürlich ein Wahnsinn ist, weil zum jetzigen Zeitpunkt noch alles im Entstehen ist, aber gerade das macht uns einfach irre viel Spaß!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #109 August/September 2013 und Marko Fellmann