NEW NATIVE

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Vorbilder

Nachdem sie PIANOS BECOME THE TEETH – auf deren ausdrücklichen Wunsch hin – bei ein paar ihrer Konzerte begleiten durften, ging es mit NEW NATIVE steil nach oben. Zum Teil in Wien und Berlin wohnend, ist es nun für die vier Jungs an der Zeit, mit ihrem neuen Album „Asleep“ die Herzen derjenigen zu erobern, die authentischen Emo zu schätzen wissen. Warum Österreich auch irgendwie eine Rolle gespielt hat und wie man die Platte am besten hören soll, erklären Sänger und Gitarrist Michael Hanser sowie Gitarrist Christian Schwarz im Interview.

Musikalisch scheint ihr euch neben Bands wie CITIZEN und vor allem TURNOVER recht wohl zu fühlen. Wie sieht es inhaltlich auf „Asleep“ aus? Gibt es so was wie einen roten Faden, der sich durch die elf Songs zieht?
Michael:
Das mag sich jetzt vielleicht doof anhören, aber hauptsächlich geht es um die letzten zwei, drei Jahre und den Prozess des Erwachsenwerdens. Es gab eine Phase, in der viele Leute aus unserem engeren Kreis weggezogen sind. Das war dann das Ende und gleichzeitig auch der Beginn eines Lebensabschnitts, in dem jeder von uns angefangen hat zu realisieren, dass die beste Zeit des Lebens vielleicht schon hinter uns liegen könnte. Wir sprechen hier gerne von einem „Zeitfenster“ – bei mir im Alter zwischen 19 und 25 –, in dem du alles erreichen kannst. Körperlich bist du in deinem besten Zustand, es sei denn du hast dich vorher schon komplett weggesoffen. Du verfügst auch über ein hohes Maß an Motivation und Neugier. Doch irgendwann endet das und in einem gewissen Alter merkst du automatisch, dass du nicht mehr alle Sachen einfach so locker machen kannst, vielleicht auch, dass du Verantwortung übernehmen musst. Für dich selbst, aber auch für andere. Das kann natürlich schön sein – wenn man denn danach strebt. Es kann aber auch beunruhigend wirken, wenn man erkennt, was schon alles hinter einem liegt und nicht so schnell wiederkommt.

Könnt ihr euch erklären, warum Emo für viele Leute aktuell wieder so interessant klingt?
Michael:
Als ich anfangen habe, Musik zu machen, kamen gerade die ersten erschwinglichen Computerprogramme auf den Markt, mit denen man selbst Sachen produzieren konnte. Es gab Melodyne und Autotune zum Beispiel, mit denen du auch ohne großen Aufwand ganz gut klingen konntest. Viele haben dann mit getriggerten Drums gearbeitet, das war damals noch etwas Besonderes. Heute kann jeder auf seinem Smartphone mal eben zwischendurch einen vermeintlich gut produzierten Song aufnehmen. Ich denke aber, dass viele Leute mittlerweile gemerkt haben, dass nicht jeder fett und clean produzierte Track auch ein guter Song ist. Es wird jetzt wieder mehr Wert darauf gelegt, was wirklich dahintersteckt. Was steckt hinter den Texten? Wofür steht die Band und was wollen die mir überhaupt sagen? Das ist das Resultat dieser Übersättigung. Es ist wunderschön, dass dieses tiefere Interesse bei den Leuten jetzt wieder mehr zum Vorschein kommt. Es mag zwar immer da gewesen sein, hat sich auf jeden Fall aber auch gut versteckt.

Wie so viele in der neuen Emo-Szene seid auch ihr von BRAND NEW beeinflusst. Was haben nun die Missbrauchsvorwürfe gegen ihren Sänger Jesse Lacey mit euch als Band und Fans gemacht? Wie geht ihr damit um, wenn solche Dinge über eure „Vorbilder“ oder „Helden“ ans Licht kommen?
Christian:
Ich kann da jetzt nur für mich sprechen, aber es ist auch immer entscheidend, was bei den Vorfällen passiert ist. Im Fall von BRAND NEW ist es unglaublich schade um die Musik, aber es fällt mir jetzt sehr schwer, das noch in irgendeiner Weise zu unterstützen. Auch wenn nicht die ganze Band daran beteiligt war, ist Lacey doch irgendwie der Kopf. Als vor kurzem irgendwo einer ihrer Songs lief, habe ich direkt ein schlechtes Gefühl bekommen. Früher habe ich da gerne mitgesungen, was ich jetzt nicht mehr kann, da ich so ein Verhalten in keiner Weise unterstützen will. Ich kann nicht mal mehr allein im Zimmer sitzen und BRAND NEW hören. So geht mir das auch bei Morrissey, der es mir auch sehr schwer macht, ihn zu 100% zu unterstützen. Am Ende muss aber jeder selber entscheiden, wie er oder sie mit solch einer Situation umgeht.
Michael: Ich finde es scheiße und es unterstreicht einmal mehr, dass es wieder mehr Leute geben muss, die sich wie Vorbilder verhalten. Leute, die eine Band nicht nur als Projektionsfläche für das eigene Ego betrachten, sondern sich auch ihrer Verantwortung bewusst sind. Viele Musiker unterschätzen das oder sind sich nicht im Klaren darüber, welchen Einfluss ihre Musik auf andere Menschen hat. Sobald du aber etwas veröffentlichst, bewirkst du irgendwas bei den Leuten. Da kann es auch passieren, dass du zum Vorbild genommen wirst. Damit geht dann auch eine gewisse Verantwortung einher, über die du dir im Klaren sein musst. Selbst wenn du nicht so bekannt bist.

In welchen Situationen funktioniert eure Musik am besten?
Michael:
Als die Platte fertig war und wir sie das erste Mal am Stück hören konnten, habe ich mir gedacht: Das ist richtige Soundtrack für den Moment, wenn du nachts um halb eins nicht schlafen kannst und du noch mal aufstehst, um mit der Musik auf den Ohren durch die stockfinstere Stadt zu wandern. In der Situation hast du einfach die Zeit und Ruhe, deine Gedanken zu ordnen. Vielleicht wirkt die Platte wirklich am besten, wenn man das Licht ausmacht, sich Kopfhörer aufsetzt und nur die Musik um sich herum hat.

Inwiefern spielen eure Heimatstadt Wien und Österreich eine Rolle für euch und eure Musik?
Christian:
Das ist eine schwierige Frage, da österreichische Musik für mich zumindest unterbewusst immer sehr wichtig war. Ich habe das von meinen Eltern mitbekommen, die früher viel Georg Danzer gehört haben, einen österreichischen Folksänger aus einer großen Singer/Songwriter-Szene. Dabei ist mir aufgefallen, dass diese Art von Musik auch sehr melancholisch oder gar deprimierend sein kann. Man könnte Danzer gut als den österreichischen Elliot Smith bezeichnen. Den größten Einfluss jedoch hat die Distanz, die zwischen uns vieren liegt, da Michael als Einziger nicht mehr in Wien und stattdessen in Berlin wohnt. Wobei es hier auch egal wäre, ob Berlin oder eine andere Stadt ist, das Entscheidende ist die Entfernung.
Michael: Wien kann auf der einen Seite wunderschön sein, hat für uns aber auch stellenweise etwas Deprimierendes und Melancholisches, da die Stadt auch sehr grau sein kann. Es wirkt manchmal gar etwas morbide, was uns dann irgendwie auch mitgeprägt hat.